Iunia Caerellia, ein schrecklicher Verdacht

  • Schwere Füße suchten ihren Weg, als man die Frau, die man auf Geheiß des dunklen trecenarius in Gewahrsam genommen hatte, durch die wenig beleuchteten Korridore des Kerkers trug. Zwei Prätorianer trugen sie, so dass ihre Füße nicht einmal den Boden berührten, sondern ihre Fußspitzen über den kalten Steinboden geschliffen wurden, weil ihr Körper in einem festen Griff von starken Armen eingeklemmt war. Der Halsring war ihr nicht abgenommen worden und scheuerte bei jeder Bewegung gegen ihr Kinn, während die Fesseln an ihren Handgelenken für einen ziehenden Schmerz sorgten, da man die Fesseln noch enger gezogen hatte, um den Transport zu erleichtern. Der Ort war umgeben von diesigen Dunst und einem ekeligen Gestank von Pein und Leid. Schweiß geronn hier mit Blut und Angst zu einem süßlich-bitteren Geruch, der einem schlicht in die Nase stieg und dort verweilte, wie ein Quälgeist. Man konnte ihn nicht wegdenken oder nicht wahrnehmen. Die Soldaten hatten sich schlicht daran gewöhnt und verbanden mit diesem Geruch ihre Arbeit. Hin und wieder schrie eine Person unter Schmerzen auf, andere weinten und andere sangen in ihren Muttersprachen seltsam traurige Lieder, bevor erneut Peitschen und Hiebe durch die Mauern schallten. Ein wirklich düsterer Ort war dieses Gefängnis der Prätorianer und es hatte schon viele Seelen gebrochen, um sie der schwarzen Sache Untertan zu machen. Iunias Transport war ohne Probleme verlaufen und man hatte sie bei Ankunft von den Christen getrennt, die scheinbar eine andere Destination hatten; die aber nahe genug war, dass sie einige bekannte Gesichter auf dem Weg hinab beobachten konnte.


    Die Prätorianer schienen die Gefangenen in verschiedene Gruppen einzuteilen aber die Iunia war wortlos an diesen Ort verbracht worden. Dieser Ort verletzte ohne eine Handlung. Er war dieser Welt entrückt und doch so weltlich. Ein Gehilfe riss das Gatter auf, welches nun diese Frau vor der Außenwelt bewahren sollte. Es knirschte und stöhnte, als sich das Metall mühsam zur Seite bewegte. Ein Flüstern aus einer anderen Welt, als Caerilia unschuldig in die Zelle geworfen wurde. Der Boden war kalt, zwar mit Wasser abgewaschen aber man konnte noch gut die Spuren von einsamen Gefangenen erkennen, die ihre Fingernägel in den Boden getrieben hatten, um etwas zu spüren. In den Kerben fanden sich noch Reste von Blut. Eingetrocknet und längst vergessen. Man hinterließ der Frau nicht viel, dennoch fesselte man sie nicht an die angebrachten Ringe an der dunklen Wand. Etwas, was anderen Gefangenen vorbehalten war, die in den Nachbarzellen ihr kümmerliches Ende erwarteten, um von dieser Gefangenschaft befreit zu werden. Es gab kein natürliches Licht, nur ein Licht einer billigen Öllampe im Korridor, welches stets flackerte.


    Eine Matte aus Leinen war ihre einzige Decke neben einem Kissen aus gleichem Stoff, gefüllt mit Stroh. Es fand sich kein Bett, nicht einmal ein Eimer im Raum. Nur ein kleines Loch, welches mit einem Gitter versehen war, durch das sie Wasser rauschen hören konnte. Dieses Gitter schien ein Abort zu sein, durch den Prätorianer Müll oder andere Reste aus dem Raum entfernen konnten. Der Kanal unter dem Gitter war sehr klein und würde niemals eine Person behergen können, doch das fließende Wasser hatte eine beruhigende Ausstrahlung, da es diesen Ort verlassen konnte. Vielleicht war es das einzige Geräusch an diesem Ort, welches nicht mit Leid verbunden war. Noch nicht. Die Prätorianer traten noch einmal nach der Frau, als diese auf dem Boden angekommen war, bevor sie sich wortlos entfernten. Ihr Halsring schlug mit einem lauten Geräusch auf den Boden, fest verschlossen um ihren Hals und unlösbar, solange sie kein Hilfsmittel fand. Das Gatter fiel unter dem eifirgen Gehilfen zurück und ein großer Riegel donnerte herab. Sie war gefangen und auch der Gehilfe entfernte sich mit einem gurgelnden Ton. Wieder Geschrei und Lärm. In der Nachbarzelle litt jemand unendliche Qualen, ohne das die Iunia ausmachen konnte, warum er dieses Leid ertragen musste. Sein Flehen und Bitten drang unverständlich durch die Mauern. Ein höllisches Erleben. Wenigstens hatte sie eine Decke und ein Kissen. Ein Luxus in dieser Festung des Schmerzes. Doch in einer Mauerspalte leuchtete etwas merkwürdig im diesigen Licht des Ortes. Jemand hatte dort ein Stück Stoff versteckt, welches beschrieben schien. Unklare Schriftzeichen würden bei näherer Betrachtung klarer werden. Es war ein Brief. Zu ihrem Glück hatten sich durch den unsanften Sturz auf den Boden, die Handfesseln ein wenig gelockert, so dass mit ein wenig Zeit diese abstreifen konnte, um ihre Hände von ihrem eigenen Rücken zu befreien.

  • Der Transportwagen mit Caerellia erreichte die castra und mit einem Ruck wurde sie aus ihren heilenden Traum gerissen. Das Geschrei war entsetzlich, als die Christen von den Wagen heruntergetrieben wurden. Ihr Halsring wurde von einem Prätorianer von der Kette gelöst und ein weiterer trat heran, um Caerellia fortzuschaffen. Sie war so unendlich müde und wehrte sich daher nicht. Sie hatte aufgehört zu kämpfen. Es gab kein Entkommen mehr für sie. Der junge Christ sah ihr nach, als sie von den Soldaten weggeschafft wurde. Er folgte ihr mit seinem Blick, doch als er aus ihrer Sichtweite war, kam es ihr vor, als hätte man sie gerade einem guten Freund entrissen. Dabei kannte sie diesen jungen Mann gar nicht, aber er hatte es geschafft ihr für einen Moment die Angst zu mindern. Und nun war er fort. Sie würden sich wohl nie mehr wiedersehen. Caerellia ließ schwach ihren Kopf sinken, als die beiden Prätorianer sie den Korridor entlang schleiften. Catullus befand sich noch angekettet bei den anderen Christen.


    Träumte sie noch? Denn das war doch nicht ihre Welt? Der Geruch von Tod und Schmerz kroch ihr in die Nase und das Geschrei, welches in diesen Gewölbe widerhallte, war unmenschlich. Peitschenschläge und todtraurige Lieder, in Sprachen, die sie noch nie gehörte hatte, drangen an ihr Ohr. Es sollte aufhören. Was war das nur für eine Qual? Sie musste noch träumen. Das konnte auf keinen Fall real sein. Die beiden Soldaten erreichten Caerellia neues Zuhause. Ein Gehilfe öffnete das Gatter und die Iunia wurde in die Zelle geworfen. Sie schrie auf und krümmte zitternd ihren ganzen Körper, nachdem sie auf den kalten Boden aufgeschlagen war. Ihr Weinen mischte sich mit den Geräuschen aus den Nachbarzellen. Sie befand sich nicht in der Rolle zu lachen und wenn hier jemand lachte, dann waren es nur die Schwarzen und dieses Lachen war ein kaltes Lachen. Sie sah sich in der Zelle um, welche so entsetzlich dunkel war. Caerellia bemerkte die Ringe an der Wand und rechnete schon damit, dass man sie dort fesselte. Doch das geschah nicht. Man hatte sie weggesperrt für ein Verbrechen, dass sie nicht begangen hatte. Sie brauchte Licht. Sie gehörte nicht hierher. Ihr war eiskalt. Die Kälte dieses Raumes ging auf sie über. Sie war verlassen. Alle Götter hatten sie verlassen. Da war auch kein Christengott, der über sie wachte. Da war niemand. Nur sie alleine. Sie war auf sich alleine gestellt.


    "Lasst mich doch gehen! Ich bin unschuldig!", flehte sie noch einmal die beiden Prätorianer an. Abermals liefen ihr Tränen über das Gesicht. Ihre Augen und ihre Nase brannten bereits. Doch ihre Antwort war ein Tritt, welchen sie ihr verpassten und dann wortlos aus der Zelle gingen. Ein erneuter Aufschrei erfolgte, als sie unsanft auf den Boden viel. Durch den Aufschlag schmerzte der Halsring noch mehr und Caerellia blieb wimmernd auf den Boden liegen. Sie weinte und weinte. Dann war sie nicht einmal mehr in der Lage zu weinen und sie lauschte. Schreie ertönten. Schreie, die sie noch nie auf diese Art und Weise gehört hatte. Jemand erlitt unermessliche Qualen. Diese Schreie waren nicht von dieser Welt. Caerellia konnte ihre Ohren nicht zuhalten, damit sie diese Töne nicht mehr hören brauchte, denn ihre Hände waren gefesselt. Sie untersuchte ihre Hände und sah, dass sich die Fessel ein wenig gelockert hatte. Zitternd erhob sie sich und ging auf die unebene Mauer zu. Sie rieb daran die Fessel, damit sie sich weiter löste und tatsächlich klappte es. Caerellia konnte die Fessel lockern. Doch als sie gerade die Fessel abschütteln wollte, viel ihr Blick auf einen Gegenstand in einer Mauerspalte gleich neben ihr. Die Fessel fiel und Caerllia sah in Richtung Gatter, dann wieder zur Mauer. Was erwartet sie, was das wohl war? Vielleicht nur Abfall oder ein Abschiedsbrief? Garantiert nicht das Lösungswort, welches Verus hören wollte, um ihr dann die Freiheit zu schenken. Dennoch griff sie danach und untersuchte das mysteriöse Schriftstück.

  • Es handelte sich tatsächlich um einen Brief, der auf einem Stück Stoff geschrieben war, welches alt war. Die Farbe der Schrift war vertrocknet Rot, scheinbar so als ob eine Person diese Zeilen mit ihrem eigenen Blut geschrieben hatte. Der Brief drohte in den Händen zu zerfallen und doch hatte er Bestand.


    Ich weiß nicht, ob du mir glauben wirst, diese Zeilen lesen wirst oder ich dich überzeugen kann, dass dies nicht eines ihrer Spiele ist aber das kümmert mich nicht mehr. Denn ich bin einfach nur ich. Das konnten sie mir an diesem Ort nicht nehmen. Mein Name ist Arsinoe. Ich denke nicht, dass ich noch lange leben werde. Aber ich wollte jemanden über mein Leben berichten, bevor es schlicht vergessen wird. Dies ist wohl mein einziges Bekenntnis und ich schreib es wahrlich auf einem Stück altem Stoff meiner Gefängniskleidung.


    Ich bin vor 27 Sommern in Ravenna geboren worden. Meine Familie war nie arm aber auch nicht reich und wir zogen von Ort zu Ort. Mein Vater war Händler. Ein berühmter Händler für teure Stoff. Ich liebte diese Stoffe. Doch ich erinnere mich nicht mehr sehr an diese Jahre. Nur an die langen Reise und den Regen. Diesen wunderschönen Regen, der uns zu begleiten schien. Ich unterstützte meinen Vater aber hatte auch meine eigenen Ziele. Das Theater zog mich an aber ich dürfte nie auf großen Bühnen spielen. Das Theater sei uns Frauen verboten, sagte man mir. Und doch fand ich Anstellunge als fahrende Tänzerin und Schauspielerin auf wilden Bühnen.


    Die Römer schätzten wohl mein fremdes Äußeres, welches sie an Persien oder Ägypten erinnerte. Mein Vater verstarb leider früh an einer Krankheit und meine Mutter versuchte den Handel ohne ihn fortzusetzen. Meine Mutter war eine starke Frau, die es schaffte uns vor der Zeit abzuschirmen, die aufzog. Ich weiß nicht genau, was diese Zeit auslöste. Ich weiß nicht einmal, warum sie uns so hassten.


    Sie hassten uns einfach. Es begann mit Worten. Unschönen Worten und dann begannen die Übergriffe, erst von Nachbarn, dann von Soldaten und schließlich entriss man mich meiner Familie.


    Mein Bruder wurden von einem einstigen Familienfreund im Handgemenge um wertvolle Stoffe erschlagen, weil die Soldaten sagten, dass wir als Christen keinen Besitz verdient hatten. Dabei hatte ich nie Streit gesucht, sondern wollte nur in Frieden leben. Ich verstehe es nicht, warum sie uns solche Namen gaben.


    Man brachte mich in diese Zelle. Man schlug mich, bedrängte mich, eine Aussage zu tun, weitere Christen zu verraten. Die Prätorianer folterten mich auf verschiedene Weisen, mit kaltem Wasser, Feuer, Opium und Schlafmangel. Immer wieder Schläge und Tritte. Aber am meisten verletzte mich ihre Verachtung, dass sie mich nicht mehr als Mensch sahen. Sie blickten mir nicht einmal in die Augen, während die Soldaten diese grausamen Dinge taten.


    Ich kann nicht glauben, dass Menschen so herzlos sein können. Doch ihr Hass ist stark und ich kann nicht erklären, warum wir so hassenswert sind. Wir wollten doch nur Frieden und die Liebe des Herrn. Doch genau an diesem Ort fand ich meinen Glauben. Je mehr sich mich bedrängten, folterten und Gewalt antaten, umso mehr begriff ich, dass sie machtlos waren. Ihre Gewalt und Brutalität war nur Ausdruck ihrer Unfähigkeit zu Liebe und Frieden. Sie würden am Ende verlieren, denn wenn alles erobert und zerstört wäre, hätten sie nur noch ihre einsame Asche. Sie haben versucht, mir meinen Namen zu nehmen, meine Person zu zerstören, doch das haben sie nicht geschafft.


    Ich bin ein Mensch gewesen, der nun zu Gott gehen kann. Ihre Schläge und Worte haben hier keine Macht mehr. Sie hatten nie Macht über uns, sondern allein wir selbst entscheiden uns. Gott behütet die Liebenden, die Friedfertigen und Sanften. Ich werde nicht hassen. Nicht verzweifeln und aufrecht in meinen Tod gehen. Sei mutig, der du das liest. Ich verstecke diesen Brief vor ihren Augen, damit er einer Seele Hoffnung geben mag, die leiden soll aber nicht leiden muss. Sie haben auch keine Macht über dich, wenn du glaubst. Glaube an das Gute und die wunderschönen Dinge des Lebens! Lebe jeden Atemzug und zeige ihnen, dass sie keine Macht über dich haben. Niemals haben werden.


    Selbst wenn sie dich töten, können sie dir nicht dein gelebtes Leben nehmen. Egal, was du von mir halten magst, wie du gelebt hast, ich möchte, dass du weißt, dass ich dich gerne kennengelernt hätte. Dich umarmt hätte und wir gemeinsam gelacht hätten. Diese Welt mag uns hassen aber wir hassen sie nicht. Egal, was dir widerfahren wird, ich glaube an dich.


    Deine Arsinoe

  • Es war ein altes Stück Stoff. Wie lange hatte es schon dort gesteckt? Caerellia öffnete den Stoff vorsichtig, da er kurz vor dem Zerfallen war. Langsam begann Caerellia Arsinoes Geschichte zu lesen. Sie hielt inne und ging auf ihr Lager. Caerellia konnte ihre Augen nicht von dem Schriftstück abwenden, auch als sie sich auf die Decke setzte. So neugierig machten sie Arsinoes Worte.
    Arsinoe war voller Träume und sie hatte Glück. Sie konnte ihren Traum ausleben, als Tänzerin und Schauspielerin, obwohl es verboten war. Sie schien ein glückliches Leben zu führen und sie wurde von anderen aufgrund ihres Talents verehrt. Diese Arsinoe war irgendwie zu beneiden.
    Dann fiel Caerellia beim Lesen ständig über das Wort "Hass". Dieser Hass, der alles veränderte. Man raubte ihr dieses wundervolle Leben, weil sie Christin war.
    Wie sehr Caerellia diese Christen doch hasste. Überall begegnete sie ihnen. Sie waren schuld, dass man sie festgenommen hatte. Sie würden ihr Untergang sein. Daher hatte sie nun gerade große Lust den Stoff einfach fallen zu lassen und ihn zu zertrampeln, bis nichts mehr von ihm übrig war. Doch sie tat es nicht. Sie tat es einfach nicht. Nein, sie las weiter. Caerellia wollte Arsinoes Geschichte zu Ende lesen.


    Das alles würde man mit ihr auch anstellen. Der trecenarius würde all das befehlen. All diese schrecklichen Foltermethoden. Bis Caerellia gestehen würde. Sie war nicht stark. Da war niemand der sie hielt und schützte.
    Man würde auch sie nicht mehr als einen Menschen betrachten. Immer „Hass“. Ständig war von diesem Hass zu lesen. Caerellia hatte einen Glauben, aber hier herrschte kein Glauben. Sie würde nicht stark sein. Woran sollte sie sich denn festhalten? Dass sie unschuldig war? Wer wusste schon was sie am Ende alles sagen würde. Eben das was sie hören wollten, nur damit es aufhörte.
    Caerellia liefen abermals Tränen über das Gesicht. Dieser Brief war eine Anleitung wie man seinen Frieden finden konnte. Aber sie kannte diesen Gott nicht und er kannte sie nicht. Auch wenn sie liebend, friedfertig und sanft war. Sie war ihm fremd und er war ihr fremd. Er würde sie nicht behüten und nicht zu sich nehmen. Sie war alleine.
    An die guten und schönen Dinge des Lebens sollte sie glauben. Sie war nicht standhaft. Sie war schwach und nichts würde hier davon Bedeutung haben. Iunia Caerellia war nicht Arsinoe. Dieser Gott an den Arsinoe glaubte, mochte ihr eine Macht verliehen haben über all den Schmerz und dieser Schmerz war unendlich, hinwegzusehen. Wie sollte das möglich sein?
    Vielleicht verstand es Caerellia noch nicht, weil sie am Anfang dieser Prozedur stand und irgendwann würde sie verstehen. Wenn sie kurz davor waren ihr ihren Namen zu nehmen.
    Eine ganze Zeit lang dachte sie noch über Arsiones Abschiedsbrief nach, während sie noch immer auf der schäbigen Matte saß. Sie wusste nicht, ob er ihr half oder sie nur mehr ins Unglück stürzte. Denn den Funken Hoffnung, den sie noch hatte, wurde durch Arsionoes schonungslosen, aber hoffnungsvollen Worte, am Leben gehalten.

  • Es wurde kälter. Ein eisiger Wind durchzog den Korridor und umspielte das Gatter mit seinen frostigen Krallen. Die Wände schienen sich zu bewegen, während Füße durch den Korridor marschierten. Es waren Soldaten, da sie im gleichen Takt schritten und mit jedem Schritt fest auftraten, so als ob sie böse Geister vertreiben wollten. Es war eine Gruppe aus drei Prätorianern, die dunkle Tuniken trugen, ein cingulum militare und schwere Holzknüppel mit einem eingelassenen Zeichen, dem römischen Adler. Ihre Stiefel waren mit Nägeln beschlagen und klangen in jedem Schritt nach, als sie über den Steinboden kratzten. Schlagartig wurde es ruhig, als die Prätorianer eine Zelle unweit von Iunias Kammer öffneten und man Schläge hören konnte, die immer wieder äußerster Brutalität vollführt wurden. Nicht einmal ein Wimmern kam aus der Zelle hervor, als die Legionäre einen scheinbar toten Körper aus dem Raum schliffen. Sie zogen ihn an den Füßen heraus, wie ein altes Vieh, welches verendet war. Man kam mit der Leiche an Iunias Zelle vorbei. Die Person war entkleidet, zeigte unendliche viele Blessure, teilweise verheilt und einige frische Wunden. Auch Brandblasen zeigten sich, die bereits aufgeplatzt waren. Die Person war in einem schrecklichen Schicksal vergangen und die letzten Schläge hatten sie nicht mehr erreicht. Es war nur eine Art Lebendkontrolle der Prätorianer, die in ihrer Brutalität sicherlich zweifelhaft war. Die Prätorianer zeigten keinerlei wirkliches Interesse an ihrer Arbeit und unterhielten sich sogar dabei über belanglose Dinge, wie ein baldiges Familienfest oder ein gemeinsames Saufgelage. Die tote Person kümmerte sie nicht, sondern wurde wie ein Objekt behandelt, was man nun entsorgte. Iunia konnte erkennen, wenn sie sich dem Gatter näherte und es wagte hinaus zu blicken, dass sich am grauen Ende des Korridors ein Handwagen befand, auf den die Soldaten schon zwei andere Tote aufgeladen hatten. Ihre Körper hatten sich bereits verfärbt und wirkten aufgedunsen. Man warf die letzte Person darauf und nahm den Handkarren, um diesen in Richtung Ausgang zu ziehen. Der Wagen näherte sich Iunias Zelle und der Anführer der kleinen Truppe wagte es sogar Iunia ein unverschämtes Lächeln zu zuwerfen, bevor er mit seinem Knüppel gegen das Gitter schlug. "Zurück," schimpfte seine alte Stimme, obwohl er eigentlich noch nicht sehr alt war. Doch dieser Ort machte ihn älter. Tiefe Falte und zerstörte Augen blickten Iunia an. Was hatte dieser Mann bereits getan oder gesehen? Genug, da sein Gesicht unmenschlich verzerrt wirkte, da es keinerlei Regung vollbringen konnte, außer dieses falsche Lächeln. Der Wagen zog weiter und entschwand im Dunkel des Korridor. Nur ein modriger Gestank blieb zurück, der erst jetzt wirklich wirksam werden konnte. Fäulnis machte sich breit. Die Pestilenz des Ortes wurde greifbarer und auch unsichtbare Hände schienen aus dem Boden nach ihr zu greifen, als wieder die unheimlichen Gesänge von Trauer und Leid durch die Wände schallten, verzogen und verzerrt durch Stein und Beton. Es dauerte aber nicht lange, da tauchte ein Mann auf. Ein einziger Mann, der sich vor das Gatter stellte und still sowie stumm hineinblickte, ohne mit ihr zu sprechen. Auch er trug einen Knüppel in seinen Händen, aber andere Stiefel, die eines Offiziers und trug eine wertvolle Halskette mit einer Figur. Auch wirkte die Tunika wertvoller, wenn auch aus gleichem Stoff gefertigt, da man sich an diesem Ort immer schmutzig machte. Selbst allein nur dadurch, dass man ihn kannte und betrat. Verus hatte sich eingefunden, um diesen Fund zu bewerten. Mit gelangweilter Bewegung verstaute er den wuchtigen Knüppel an seinem Gürtel, um näher an das Metall zu treten. Beobachtung schuf Erkenntnis. Und Verus beobachtete mit kalten Augen, die dämonisch glänzend im Licht des Ortes zum Vorschein traten. Er war der Herr dieser Hölle und als Teufel war auch Advokat aller Seelen.

  • Caerellia hielt immer noch den Stofffetzen in ihren Händen. Er wirkte so alt und sollte ihr Mut schenken, doch Caerellia wurde immer vorsichtiger. Was wäre, wenn der trecenarius diesen Brief in die Mauerspalte legen ließ? Zuzutrauen war es ihm wohl. Er sah in ihr die Christin und dieser Brief beeinflusste Caerellia, auch wenn sie es nicht zugeben wollte. Vielleiht bestand die Absicht des Briefes darin, dass sie gestehen würde, weil sie durch diese hoffnungsvollen Zeilen neuen Mut geschöpft hatte. Doch Caerellia wurde aus ihrem Gedankenspiel gerissen, als sie feste Schritte auf dem Korridor vernahm. Sie kamen immer näher. Stille trat ein und die Angst in diesen Gemäuern war förmlich zu riechen. Caerellia zitterte am ganzen Körper. Arsinoes Brief hatte sie neben ihr Lager gelegt. Dann hörte sie, wie eine der Zellen geöffnet wurde. Brutale Schläge waren zu hören, aber kein Schrei. Entweder die Person war bewusstlos oder sie war tot. Caerellia saß noch immer auf der Matte, als sich jemand ihrer Zelle näherte. Die Legionäre zogen einen Körper hinter sich her. Caerellia wollte nicht hinsehen, aber sie musste es. War das die Person, welche so schmerzerfüllt geschrien hatte? Der Körper war zerschunden. Das war kein Mensch mehr. So unmenschlich seine Stimme war, sie passte zu seinem Körper. Die Soldaten gingen an ihre Zelle vorbei und Caerellia erhob sich. Sie musste wissen wo sie ihn hinbrachten.


    Langsam ging sie ans Gatter und sah zum anderen Ende des Korridors. Der Mann, der seine endlosen Qualen endlich überstanden hatte wurde auf einen Handkarren gehievt, auf den sich schon zwei Körper befanden. Caerellia wurde beim Anblick der Leichen auf der Stelle übel. Sie schluckte und musste sich am Gatter festhalten. Daher merkte sie nicht sofort, dass sich der Karren näherte. Sie erschrak als ein Knüppel auf das Gatter geschlagen wurde und eine alte Stimme befahl zurück zu treten. Der Mann grinste sie dabei auf eine widerliche Art und Weise an. Nein, das war kein Mensch. Diese Person hatte keinen menschlichen Zug mehr. Caerellia hatte Glück gehabt, dass der Knüppel nicht ihre Hände traf. Nach dieser Verwarnung lief sie in die rechte Ecke ihrer Zelle und verbarg ihr Gesicht hinter ihren Händen. Sie schluchzte und die Männer mit dem Leichenkarren zogen an ihrer Zelle vorbei. Der Geruch des Todes gelang an ihre Nase. Ihr Körper zitterte, nicht nur weil sie weinte, sondern weil es eiskalt war. Der Gesang setzte wieder ein. Die Männer waren fort. Sie war wieder allein. Doch hier war man nie alleine. Und sie war in der Tat nicht alleine.


    Erst als Verus näher an das Gatter ging, bemerkte sie, dass da jemand stand. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Caerellia nahm ihre Hände von ihrem verweinten Gesicht und erschreckte sich zu Tode. Wie lange hatte er dagestanden? Sein Blick war voll von diesem Hass. Dem Hass von dem Arsionoe schrieb. Caerellia sah, dass er einen Knüppel bei sich hatte. Sie würde diese Qualen nicht überstehen.
    "Wie lautet dein Name?", fragte sie ihn wimmernd. "Ich will wissen wer du bist." Das wollte sie in der Tat. Sie wollte wissen, welchen Namen dieser Besessene trug. Denn für sie schien er aus der Unterwelt zu kommen, um sie zu quälen.

  • Immer kam Verus zur Erkenntnis, dass diese Iunia wahrlich keine Chrstin war aber eine werden musste, um die weiteren Pläne nicht zu gefährden. Dennoch kam ein wenig Reue auf, da er wusste, dass sie mitunter nur durch Zufall in diese Sache geraten war. Doch Willkür war Prinzip in gewissen Maßnahmen, um größeren Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden. Die Säuberungen und Massenverhaftungen hatten stets auch erhebliches Willkürelement, um abschreckend und konsequent zu wirken. Ordnung war immer die Dominanz von Herrschaft und gleichzeitig war Herrschaft immer eine Form von Gewalt. Ob Verus nun den Knüppel einsetzte oder alleine der furchtbare Ruf seiner Prätorianer genügte, war ihm einerlei. Am Ende des Tages ging es um Sieg oder Untergang, wie auf einem Schlachtfeld. Sein Imperium hing an einem dünnen Seil, welches leicht durch Unruhe und Widerstand zu durchtrennen war.


    Also mussten viele Fäuste das Seil schützend umschließen, um es gegen Angriffe zu verteidigen. Auch eine Sanftheit und eine Friedenssuche konnten einen Angriff darstellen. Viele Einwohner verweigerten sich der einfachen Erkenntnis, dass ein Staat immer Gewalt brauchte, um Gewalt unter den Bürgern zu unterbinden. Ordnung war nur die Folge einer natürlichen Abfolge von Handlungen, die nicht immer sanft waren, sondern oft brutal. Verus war sicherlich nicht im Sinne eines griechischen Philosophen Demokrat, sondern viel mehr ein knallharter Machttheoretiker, der den Staat - folglich das Imperium - nur als Hilfskonstruktion für eine allgemeine Lebenswirklichkeit sah. Es musste einen Staat geben, um Barbarei zu verhindern und die Menschen in ihre Funktionen zu ordnen. Ohne Ordnung würde die Zivilisation zusammenbrechen und alles wäre verloren. Für Verus, der sein ganzes Leben Soldat war, war diese Brücke leicht zu schlagen. Lieber ein bisschen Grausamkeit, als einen dauerhaft grausamen Zustand für alle. Für einen Prätorianer heiligte der Zweck immer alle Mittel.


    Diese Stadt war nicht durch feine Sinne groß geworden, sondern durch einen gelebten Machtanspruch; erst in Italia, dann in der gesamten Welt. Verus machte sich keine Illusionen mehr von abgewogener Ästhetik, Künsten und Beschwichtigungen. Sie waren hier einfach nicht notwendig. Denn ihn rettete auch niemand mehr. Für Kunst und Kultur war im geschaffenen Friedensraum platz, den seine Männer und er jeden Tag mit ihren Knüppeln und Waffen errangen. Frieden war nur unter den Waffen möglich. Für eine Legionär war dies klar aber nicht für einen Bürger, der ein anderes Leben kannte und nicht in diese Abgründe blicken musste.


    Ihr Wimmern durchbrach seine Mauern. "Ist das wichtig?" - fragte er konternd und legte sein Kopf schie, wie ein Hundewelpe, der nicht verstand. Dabei weiteten sich seine großen und traurigen Augen, die immer noch ihren dämonischen Glanz behielten. Vielleicht befanden sich diese Iunia und er durch Zufall auf einer gemeinsamen Straße ohne Befreiung. Sie war Gefangene und auch er war Gefangener seiner Funktionen und Denkstrukturen. "Warum bedeutet dir ein Name so viel?" - war nun die zynische Gegenfrage und der Teufel trat näher heran, so dass sie nun seine kalte Fratze erkennen konnte, die nicht zu den Augen passen wollte. Eine Narbe zeigte sich im Gesicht. Zierlich, schmal aber sichtbar. Ein Soldat und nun ihr Advokat, welcher ihren Tod begleiten oder sie ins Leben führen konnte.

  • Caerellia war so blind, dass sie seinen Schmerz nicht spüren konnte. Nein, sie würde es nie für möglich halten, dass er litt. Dazu war er doch gar nicht in der Lage. Niemand war Gefangener seiner Funktionen. Er war nur Gefangener seiner selbst. Er liebte das was er tat, denn sonst könnte man diese Tätigkeit nicht durchstehen. Niemals! Es war wohl ein kindliches Denken von Caerellia. Aber es war ehrlich und er war für sie auf keinen Fall einer der Guten. Er war ein Geist aus der Unterwelt, der sein Handwerk mehr als alles andere begehrte. Verus konnte kein Mitleid empfinden, denn das passte nicht in sein Spiel und an die Regeln musste sich unbedingt gehalten werden.


    Caerellia sah keine Traurigkeit in seinen Augen. Sie sah nur den Hass. Wie er seinen Kopf schief legte und nach der Wichtigkeit des Namens fragte. Für Caerellia war es vollkommen klar. Er machte sich lustig über sie. Er lachte sie aus. Und obwohl sie so große Angst vor ihm hatte, war da ein Funken in ihr, der eine Wut auf ihn auslöste. Sie hasste ihn. Da war kein Mitleid, denn wie sollte sie seine Gedankengänge verstehen. Für Caerellia gab es das Gute oder das Böse, keine Mischung aus beiden. Doch es schien ihn zu beschäftigen, warum sie seinen Namen wissen wollte. Er tritt noch näher an das Gatter und offenbarte sein hasserfülltes Gesicht. Caerellia zog ihre Beine näher an sich heran und schluckte unsicher, bevor sie den Mund aufmachte. "Ja, damit ich dich verfluchen kann." Ihre Stimme war leise, aber die Worte waren klar und sie konnte nicht glauben, dass das sie eben gesagt hatte. Bildete sie sich ein, dass das Gatter sie vor ihm schützte? Wie lächerlich.


    Die Worte waren ausgesprochen und ihre Gedanken waren bei ihrer Mutter. Sie hätte sie für solche unverschämten Worte bescholten und diese Vorstellung machte ihr seltsamerweise Mut. Sie war immer folgsam gewesen und hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und nun wurde sie beschuldigt eine Christin zu sein. Weil er in ihre eine Christin zu sehen glaube, wo keine war. Wie sollte sie ihn jemals vom Gegenteil überzeugen können.

  • Warum waren die Worte so ähnlich? Diese Welt war einsam. Sehr verlassen, so dass Verus inzwischen glauben musste, dass diese Gedanken, die auch Iunia gerade ausdrückte, der entscheidende Kern einer menschlichen Gesellschaft waren. Ihre leise Stimme, und ihre Unsicherheit trug sie, aber dennoch waren die Worte klar und deutlich. Sie wollte ihn verfluchen und sie hasste ihn. "Und wird dich das retten?" - fragte Verus mit dumpfer Stimme, die durch den Raum fuhr, wie eine Armee, um dann geräuschlos zu verebben. "Ich kenne diesen Hass," begann der Anwalt sündiger Seelen ohne sein Gesicht wirklich zu verziehen. "Ich habe diese Worte in vielen Sprachen gehört." Verus fühlte sich merkwürdig. Etwas geschah an diesem schrecklichen Ort mit ihm. Die Arbeit fiel nicht mehr leicht. Die letzten Tage hatten ihn über Gebot belastet und auch der Zweifel an Rom selbst war mittelbar spürbar. Zwar konnte der dogmatische Fanatismus die Ketten erhalten, die sein Herz zügelten aber etwas blieb zurück. Ein Hauch von Emotion, der durch die Augen zuckte, wie ein Blitz aus den Himmeln. "Glaubst du, dass sich Menschen ändern können?" Verus blickte an ihr vorbei auf die Wand. Eine graue Wand, die nicht nur Sinnbild für eine Politik war, sondern viel mehr in ihrer Farbe Bestätigung anbot. "Die Christen sagen, dass Liebe die Antwort ist," sagte der meuchelnde Großmeister, während er sich nervös über seine zitternde Hand vor. Diese kalte Angst war hier, kroch wieder in seine Glieder und nährte die Furcht niemals zu genügen. Er genügte einfach nicht. Denn dieser Mann war nicht nur ein durch sich selbst Getriebener, sondern auch ein Vertriebener seiner eigenen Macht. "Dein Fluch ist einer von vielen und auch nur eine leere Hülse. Etwas, was aus Hass geboren ist, und vergeht," stellte Verus gleichgültig fest.
    "Ist dort nicht mehr in dir? Nicht mehr als das?" Nun legte er seinen Kopf zur andere Seite und blickte sie im anderen Winkel an. "Ich verrate dir etwas," fielen zynische Worte aus seinem Mund, als er diese diabolische Grinsen zeigte, welches kaum merklich auf seinen Lippen lag. "Es gibt keine Wahrheiten. Es gibt nur Sichtweisen," erklärte der Mann mit frostiger Stimme, als er seinen Schädel wieder gerade ausrichtete. "Ich werde dir nun etwas vortragen, was deine kleine Welt vielleicht einer einfachen Tatsache eröffnet," meinte Verus und trat einen Schritt vom Gatter zurück.


    "Ich habe knietief in Schlamm und Knochen gestanden. Ich habe meine Lungen mit grauen Dämpfen gefüllt, während Rauch beißend in meinen Augen lag. Ich habe Armeen fallen sehen. Tausende Leben verschwunden. Ich marschierte über Lebende, wie Tote, um einer heiligen Idee zu dienen, die am Ende im Rauch zu Asche zerfiel. Ich habe Gräben und Befestigungen ausgehoben, auf Toten und sie alle begraben. Ich habe Abweichler ermordet, wo es keine Grenzen gab. Ich habe Menschen in ihrem Glauben verhungern lassen. Ein Haus von Schädeln im Wald. Die Unschuldigen, all die Unschuldigen, Iunia, werden verfolgt, getreten, geschlagen, erstochen, versklavt, hungern und ermordet. Sie werden uns fressen. Sie machen Schweine uns allen. Aus uns allen, während sie ihre Schnauzen in unsere Rippen rammen, um unsere Herzen zu fressen," trug Verus ein Gedicht vor und wandte sich dann ab, um Iunia alleine zu lassen. Er trat einfach ab und verschwand im Dunkeln.

  • Caerellia schluchzte. Auch wenn sie ihn verfluchte, retten konnte sie das nicht. Retten konnte sie nur er und das stellte keine Option dar. Natürlich hatte Caerellias Drohung ihn zu verfluchen überhaupt keine Wirkung. Natürlich hatte er solche Worte schon viele Male gehört und konnte darüber nur noch lachen. Entweder weil er nicht daran glaubte oder da er schon zigmal verflucht worden war, da kam es auf das eine oder andere Mal mehr nicht an. Ihr Mut prallte an ihm ab. Das sich Menschen wehren, welche sich in Gefangenschaft befanden, war für den trecenarius etwas Alltägliches. So kam sie nicht an ihn heran. Daher machte er den nächsten Schachzug.


    Sie wusste nicht ,was er mit seiner nächsten Frage bezwecken wollte. Sie musste auf der Hut sein. Die Antwort auf seine Frage konnte vielleicht zu der nächsten Entscheidung führen. Er spielte mit ihr. Gewiss konnten sich Menschen ändern. "Jeder Mensch kann sich ändern, wenn er den Willen dazu hat.", antwortete sie nach einem Räuspern. Hätte sie das nicht sagen sollen? War das ihr Todesurteil? Sie konnte es nicht sagen und sie war noch mehr überrascht, als er wieder von den Christen sprach. Was hatte er vor? "Wer ist dazu schon in der Lage so sehr zu lieben, dass man den Hass vergessen kann? Ich kann es nicht.", redete sie sich schnell heraus. Seine zitternde Hand war ihr nicht entgangen, aber sie glaubte nicht, dass er zum Fühlen noch in der Lage war. Verus war ein sehr guter Schauspieler. Sie hatte keine Ahnung von seiner Zerrissenheit. Caerellia würde ihm das nicht abkaufen. Er war ein Monster, der sich vom Hass armer Seelen ernährte.


    "Ein Fluch vergeht nicht. Erst wenn ich ihn von dir nehme. So wie auch Hass erst vergeht, wenn die Liebe stärker ist. Aber was weißt du schon davon." Redete sie jetzt da wie ein Christ? Caerellias Stimme wurde fester, auch wenn sie noch immer in der Ecke saß mit mehr als genügend Abstand zu ihm. "Glaubst du das ich Mitleid für dich empfinde? Nein, ganz gewiss nicht.", warf sie ihm vor. Was sollte denn da mehr als eben Hass in ihr sein? Vergebung? Weil er so ein Monster war? Dann wurde sein Tonfall wieder spöttisch, so wie am Anfang und auch sein Gesichtsausdruck wurde es. Caerellia runzelte die Stirn, als er meinte er würde ihr etwas verraten wollten. Sie wusste jetzt schon, dass das nichts Gutes heißen würde. Sie sah ihn mit großen Augen an und ließ seinen Vortrag über sich ergehen. Er versuchte sie zu manipulieren, als er meinte, dass er die Sichtweise auf ihre kleine Welt verändern wollte. Als er begann wusste sie, dass sie es bereuen würde.


    Was hatte er nur für eine schwarze Seele? Bilder zeichneten vor ihren Augen ab. Schreckliche Bilder. Seine Worte fraßen sich in ihren Kopf. Ein widerlicher Gestank drang wieder in ihre Nase. Sie nahm ihn nun viel stärker war oder bildete sie sich das nur ein? Seine Worte. Sein Gedicht. War das ein Blick in seine dunkle Seele? So viel Grausamkeit war darin zu erkennen. So viel unnötiges und falsches. Kein einziger Lichtblick. War die Welt wirklich so ungerecht? Dass selbst die Unschuldigen darin ihr Ende fanden? Caerellia konnte das nicht glauben. Sie wusste, dass er schon mehr in seinen Leben gesehen hatte als sie. Aber wie konnte man so kaltherzig werden? Vor allem der Abschluss seiner Rede widerte sie an. Nein, aus ihnen machten man keine Schweine. Sie war nicht in diesem System gefangen. Es gab dieses System nicht. Wie wahnsinnig war er nur zu glauben, dass man sich am Ende selbst vernichtete? Als er geendet hatte verschwand er im Dunkeln, genauso mysteriös so wie er gekommen war. Ihre Zelle kam ihr kleiner vor und die Temperatur fiel, während der Gestank anstieg. Caerellia saß weiterhin in der Ecke und begann erneut zu wimmern. Sie waren keine Schweine. Er war hier das Schwein. Sie würde sich nicht von ihm verunsichern und manipulieren lassen. Sie hob ihren Kopf und ihr Blick viel wieder auf Arsinoes Brief. Caerellia glaubte an das Gute und das Schöne und verfluchte dabei Verus, auch wenn sie seinen Namen nicht kannte.

  • Die Nacht brach ein. Unmerklich kam die Nacht auch über die Iunia, die völlig verlassen an diesem Ort einsam in dieser Zelle verschlossen war. Auch die schrecklichen Geräusche schienen in die stille Ferne zu rücken. Nur das Wimmern, leise Flehen und die leidenden Gesänge blieben ihr erhalten, endeten nicht mehr, da sie sich im Mauerwerk festzuhalten schienen. Niemand sprach mit ihr. Niemand schien sich noch um sie kümmern, während das Gatter kein Entkommen zulassen konnte. Auch das schwache Öllicht schien die Iunia zu verlassen. Es verabschiedete sich in einem hellen Flackern, gab der Dunkelheit endlich den Raum, den sie an diesem Ort haben sollte. Der schwarze Schatten kroch schnell in jede Auge und füllte die Augen mit Schwärze. Kein Licht an diesem Ort war mehr gesehen und die Iunia war in völliger Dunkelheit angekommen, während die Mauern ihre verächtliche Kälte abstrahlten.


    Dies war eine Gruft für Träume und persönlichen Hoffnungen. Dennoch keimte an diesem Ort jener Widerstand, den Verus so verfluchte. Nicht die Flüche einer Frau ängstigten den Schlachtenmeister und Henker so vieler, sondern der Fluch des Widerstandes, der nicht mit einem Knüppel oder Schwert zu brechen war. Die Prätorianer fürchteten diesen Widerstand, der seine Angst verlor und sich auch im Untergang gegen die Mächte stellte, die die politische und gesellschaftliche Welt maßgeblich bestimmten. Es war ein Widerstand, der auch das eigene Leben opferte, um einer Idee zu folgen, die dieser Grausamkeit etwas entgegen stellte, was größer war; was besser war, als dieser stetige Verlust und Stillstand. Verus hatte seine Träume längst begraben, sich dem Stillstand ergeben, um sich träge von den finsteren Kräften versorgen zu lassen.


    Die Prätorianer hielten sich für die Zukunft, doch waren sie Vergangenheit, geschaffen von einem Kaiser, der um seine Macht fürchtete und sein Leben bewahren wollte, in unruhigen Zeiten. Sie waren gewachsen unter zynischen und machthungrigen Seelen, und stellten sich unter Caligula und Nero sogar in den Dienste einer herausgehobenen Macht mit einem absoluten Anspruch, gegen die Menschen dieser Stadt und der Welt. Niemand konnte sagen, wie viele Menschen sie verdammt und in namenlose Gräber geworfen hatten. Niemand wusste, was die Prätorianer wirklich auf sich geladen hatten, da selbst der Senat sie niemals für ihre Taten verurteilte. Sie waren auf eine perfide Art freigesetzt und gleichsam durch ihre Gegenwelt ständigen und permanenten Sachzwängen unterworfen. Grausamkeit verlangte immer neue Grausamkeit, um nicht Opfer einer ähnlichen Grausamkeit zu werden. Ihre Welt war schwarz, wie ihre Robenmäntel und Tuniken. Und diese Schwärze manifestierte sich gerade in diesem Raum, indem kein Licht blieb. Eine Ratte schnüffelte an Iunia und verschwand unlängst in der Dunkelheit.


    Die Nacht war lang, schien endlos, während sie das Gemäuer umhüllte, wie ein Leichentuch. Doch auch diese Nacht endete. Ein Soldat ging durch den Korridor und entflammte die kleine Öllampe mit einem Zündstein und ein wenig Öl aus einem Tongefäß, bevor er einen müden Blick in ihren Raum warf. Ihm war es vollkommen gleichgültig, was mit ihr geschehen war, sondern musste nur aus bürokratischen Gesichtspunkten feststellen, was mit ihr geschehen war. Lebte sie noch oder litt sie? Es war nicht wichtig, was er dabei fühlte, sondern es wurde in einer Liste vermerkt, die anderen zur Verfügung stand. Der prätorianische Wächter entfernte sich und schien dabei recht langsam zu schreiten. Er hatte es nicht eilig. Niemand hatte es hier eilig, da Zeit hier bedeutungslos war. Zeit war hier dehnbar, lösbar und am Ende leer. Es gab hier keinen Sinn oder Unsinn, sondern es passierte einfach. Gründe lieferten andere. Sinn suchten andere aber dieser Ort selber, war einfach nur hier und gleichsam aus der Welt gerissen, in diese Gegenwelt der Prätorianer, die so sehr pflegten, wie ihr unnahbares Außenbild. Der wahre Feind war längst in den Köpfen. Es war diese paranoide Furcht vor Andersartigkeit, Abweichlern und Feinden. Ihr Weltbild kannte nur Feinde. Die Suche endete nie. Und genau mit dieser festen Absicht würde dieser Ort für immer seinen Schrecken behalten.


    Iunia erhielt nichts. Garnichts, woran sie sich festhalten konnte, außer diesen Brief von Arsinoe, der mysteriös übersehen wurde. Drei Soldaten brachten eine junge Frau, die einen Sack über ihrem Haupt trug, und schwere Fesselketten ertragen musste. Ein Soldat öffnete den Verschluss des Gatters, schob es hektisch ruckelnd zur Seite und deutete in die Zelle. "Du bekommst Besuch, Gefangene. Wir haben eine Überfüllung erreicht und müssen ein wenig umräumen," erklärte der Soldat mit seiner kratzigen Stimme, die leicht einbrach, sobald er seinen Hals bewegte. Die beiden tragenden Soldaten warfen die junge Frau in einer einfachen und verschlissenen Tunika achtlos neben Iunia auf den Boden, bevor sie die Ketten ruckartig durch die Ringe an den Wänden zogen, um die neue Gefangene an der Wand in eine fixierte Pose aufzurichten. Der dritte Soldat half beim Aufrichten, während man die Frau an die Wand presste, um die Ketten mit einem Schloss zu schließen. Die Frau war nun an die kalte Wand gefesselt, keuchte elendig aber schrie auf, als ihre Gelenke erfahren konnten, was diese Pose für Belastungen auslöste, nachdem der dritte Soldat seinen Griff lockerte. Zum Abschluss riss man ihr den Leinensack vom Schädel und ging freundlich pfeifend aus dem Raum, während man sich erneut über ein Fest unterhielt, was bald stattfinden sollte. Mit einem lauten Knall schloss das Gatter, wurde verriegelt und die Soldaten waren wieder verschwunden. Die Frau erschöpft und gepeinigt durch die Ketten in der Zelle, blickte zu Boden, so dass erkennbar wurde, dass sie mehrfach mit Knüppeln geschlagen worden war. Auch ihre Haare hatte man ihr genommen, so dass nur eine zerkratzte Glatze blieb. Iunia konnte das Elend betrachten.

  • Sie fühlte sich nicht besser als sie Verus verflucht hatte. Keine Genugtuung spürte sie dabei. Caerellia wusste nicht wie spät es bereits war, doch es wurde ruhiger an diesen elenden Ort. Trotzdem waren die Geräusche nicht ganz fort. Der traurige Gesang und das Flehen war immer noch zu vernehmen. Vielleicht war das gar nicht die Realität, sondern die Geräusche hatten sich in ihren Kopf festgesetzt. Die Iunia war noch ein paar Schritte durch die Zelle gegangen. Sie quälte der Durst. Doch sie hatte nichts zu trinken erhalten. Endlich nahm sie auf ihrem Lager Platz und strich über ihre Tunika. Sie war schmutzig und rissig. Ihre Palla musste sie noch auf beim Forum Boarium verloren haben. Die Bilder dieses Szenario mochten ihr einfach nicht mehr aus den Kopf gehen. Die Mutter, welche nach ihrem Kind griff und der deswegen die Kehle aufgeschlitzt wurde. All das Blut, die Schreie, die Gewalt, dieser Hass. Und dieser trecenarius, der es schaffte einen Schatten über ihr reines Herz zu legen. Sie ging auf ihre Matte und ihr Körper war eiskalt. Es war stockdunkel geworden. Wahrscheinlich war es Nacht, denn die Wände ihrer Zelle verschmolzen mit der Finsternis. Jemand hatte die Öllampe ausgemacht. Sie deckte sich mit er Decke zu und diese große Müdigkeit überkam sie wieder. Man würde sie und Catullus gewiss schon suchen. Was wohl mit Catullus geschehen war?


    Sie träumte. Sie war Zuhause in Germanien. Der Herbst war bereits da und bunte wie auch goldene Blätter fielen von den riesigen Bäumen. Sie segelten mit einer Seelenruhe auf den Boden nieder. Kinderlachen war zu vernehmen. Es war ihr kleiner Bruder Titus. Er wollte gefangen werden und lief lachend voraus. Caerellia lief nicht wirklich schnell, sonst hätte sie den kleinen Kerl gleich eingeholt. Sie glaubte, dass man ihren Namen rief. Weit in der Ferne. Es war das Rufen ihren Mutter. Titus lief immer weiter bis er das Ufer eines Flusses erreichte. Er blieb abrupt stehen und sah in das Wasser. Caerellia erreichte ihren Bruder und zog ihn an sich. Sie fragte ihn, was er wohl da im Wasser entdeckt hatte, weil er seinen Blick nicht davon lösen konnte. Irgendwas war darin zu sehen. Sie nahm ihren kleinen Bruder zur Seite und betrachtete das Wasser genauer, bis da finstere Augen aufblitzen und eine Hand nach der ihren Griff um sie hinzuziehen. Sie schrie auf und fiel ins Wasser. Caerellia wehrte sich, doch die Hände hatte sich um ihren Oberkörper geschlungen. Dann vernahm sie Stimmen. Sie sah wie sich am Ufer Männer Titus näherten. Sie traute ihre Augen nicht. Schwarze Tuniken. Der trecenarius. Sie packten Titus und zogen ihn davon. Sie nahmen ihren kleinen Bruder mit. Er war unschuldig. Ein kleines Kind konnte doch nichts verbrochen haben. Sie konnte ihn nicht retten, etwas hielt sie fest. Caerellia wehrte sich immer mehr, doch die Dunkelheit zog sie nach unten. Die Iunia streckte ihre Hände aus, damit sie jemand retten könne. Doch da war niemand und die Finsternis zog sie immer weiter in die kalte Tiefe.


    Dann erwachte sie und ihr Herz raste. Ganz benommen sah sie sich um. Sie musste sich erst wieder orientieren, wo sie hier war. Und dann kam die Erinnerung wieder zurück. Sie war in der Castra Praetoria, als Gefangene. Hätte sie nicht geträumt, hätte sie es nicht für möglich gehalten, dass sie hier wirklich geschlafen hatte. Doch sie hatte nicht viel Zeit sich von dem Albtraum zu erholen. Auf dem Korridor war das spärliche Licht der Öllampe wieder zu erkennen. Es musste Tag sein. Oder bestimmten die Prätorianer, wann für sie Tag und wann für sie Nacht war? Einer von ihnen war nun an ihrer Zelle angelangt und sah in Caerellias Zelle. Sie hatte sich auf ihrer Matte bereits aufgesetzt und versuchte sich immer noch zu beruhigen. Der Soldat verweilte nicht lang bei ihr. Er war wohl nur gekommen um zu sehen, ob sie noch lebte. Wenn der Durst sie nur nicht so plagen würde. "Bitte! Ich habe schrecklichen Durst. Bitte gebt mir was zu trinken.", flehte Caerellia, aber der Legionär ging einfach weiter. Mit einer Hand fuhr sie sich langsam durch ihr Haar. Es war struppig und sie fühlte sich schmutzig. Sie konnte sich auch nicht waschen. Langsam drehte sie sich zur Seite und da lag noch immer Arsionoes Brief. "Hilf mir.", sagte sie leise zu dem Brief gewandt, als würde dort Arsinoes Gott wohnen.


    Doch dann hörte sie erneut Schritte auf dem Gang. Abermals näherte sich jemand ihrer Zelle. Sie fürchtete bereits, dass es Verus war. Doch es waren drei Soldaten, welche eine Frau mit sich führten. Caerellia erhob sich sofort, als man das Gatter öffnete und die drei Männer mit ihrer Gefangenen, welche einen Sack über den Kopf hatte und Fesselketten tragen musste, ihre Zelle betraten. Einer der Soldaten sagte, dass diese Frau nun in ihrer Zelle untergebracht werden sollte. Mit großen und ängstlichen Augen beobachtete Caerellia das Vorgehen der Männer. Sie warfen die mitgenommene Frau achtlos neben Caerellia auf den Boden. Dann packte man die Frau wieder und kettete sie an die Wand. Die Frau schrie auf, als ihrem Körper die Belastung dieser Haltung bewusst wurde. Zum Schluss rissen ihr die Legionäre noch den Sack vom Kopf und gingen wieder aus der Zelle. Lautstark wurde das Gatter geschlossen und sie verriegelten es bevor sie verschwanden. Caerellia sah ihnen nach bis sie die Männer nicht mehr sehen konnte. Sie hatte noch einmal Glück gehabt, aber diese Frau nicht. Dann sah sie zu ihr. Sie sah sehr mitgenommen aus. Ihre Haare...Man hatte ihr die Haare genommen. Ihre Tunika war zerrissen und man hatte sie geschlagen. Caerellia wurde ganz schwindelig.


    War sie eine Christin? War sie wie Arsinoe? Würde das mit ihr auch geschehen? Die Angst in Caerellia wuchs und wuchs und ihre Hoffnung wurde dabei erdrückt. Langsam ging Caerellia auf sie zu. "Was sind das nur für Menschen?", sagte sie leise und blieb neben der Frau stehen. Wie sollte sie ihr helfen? Sie hatte kein Wasser, dass sie ihr zu trinken geben konnte. Was sollte sie ihr geben? "Kannst du mich hören?", fragte sie ganz sanft. Caerellia streckte ihre Hand aus und ganz langsam berührte sie ihre Wange. Sie war ganz vorsichtig, denn Zärtlichkeit hatte sie schon lange nicht mehr erfahren. Dann sah Caerellia zu dem Schloss. Sie musste sie von diesen Fesseln befreien. Aber das würde ihr nicht gelingen.

  • Etwas seltsam Fremdes geschah an diesem Ort. Etwas geschah hier, was sich einer Beschreibung entzog. Worte konnten nicht ausreichen, welche Schrecken sich an diesem Ort manifestierten. Warnungen über die Prätorianer waren zu oft ungehört verhallt. Warnungen von Männern, die sich panisch ins Exil flüchteten, waren verhallt. Pluto regierte. Und Pluto gewann immer. Am Ende eines Leben eröffnete Pluto die Rechnung. Eine abscheulich kurze Rechnung über zu wenig Zeit und zu wenig Bedeutung. Dennoch kümmerte sich Pluto um jede Seele. Um jedes Lebewesen. Er vergaß niemanden, denn mitunter war er in vielen Sprachen als der einzig wahre Gott bekannt, dem die Menschen niemals entkommen konnten. Was war das für Ton? Ein okkulter Ton, der durch den Korridor fegte und schnell an Kraft verlor, um schließlich zu verstummen. Vielleicht hörte nur Iunia diesen Ton, diese Sonate aus Stimmen und Gesang, denn andere schienen sich nicht um diesen gemischten Ton zu kümmern, der schnell kam und ebenso schnell verschwand.


    Die Berührung löste eine einfache Reaktion in der Gefesselten aus. Sie blickte nicht einmal auf aber zuckte mit ihrer Wange zurück, um der Berührung zu entgehen. Nähe machte ihr Angst und ihre Ketten zuckten mitsamt ihrer Kopfbewegung. Kein Wort. Nur ein flaches Atmen, während Schmerz ihre Lippen zusammenpressen ließ. Tränen bahnten sich ihren Weg aus verschlossenen Augen. Die Frau weinte kümmerliche Tränen, da sie bereits für ein ganzes Leben getrauert hatte. Doch die Tränen wollten keine Macht finden und vertrockneten bereits am Augenlid. Ein greller Schrei durchfuhr Iunia als Verus vor die Tür trat. In seinem Rücken standen zwei Soldaten mit Schlaginstrumenten in groben Händen. Sie verhielten sich ruhig und hielten diszipliniert Position, jederzeit bereit einen Befehl auszuführen und Gewalt gegen jeden zu üben. Verus selbst trug keinerlei Waffen und blickte nur mit seinem vernarbten Totenschädel in die Zelle. Der Schrei musste aus der Ferne kommen oder war er nur Einbildung? Die Fratze des Tiberius wurde durch die Öllampe seltsam beschienen, so dass seine Augen wieder diesen düsteren Glanz hatten und seine Mimik verborgen war.


    "Mitgefühl," kommentierte Verus spöttisch. "Eine Tugend und auch eine Schwäche. Es kann dich stark machen aber auch ebenso töten," erklärte der teuflische Machthaber und seine Lippen schienen sich dabei nicht einmal zu bewegen. "Du magst vielleicht verwundert sein aber auch ich besitze Mitgefühl und Mitleid," folgte dann, während sich keinerlei Regung in seinen Augen zeigte und die Hände elegant hinter seinem Rücken verschränkt waren. Er beobachtete aufmerksam mit diesen furchtbaren Augen, die alles zu durchdringen schienen. "Umso mehr verwundert es mich, dass sich eine Römerin bereitwillig diesen Christen anschließt. Es schmerzt mich," sagte der diabolische Seelenfänger mit seiner ihm eigenen Betonung. Seine Betonung war nicht kalt aber auch nicht warmherzig, sondern viel mehr ein sachlicher Vortrag ohne wirkliche Beteiligung. "Als Römerin steht dir Wasser und Nahrung zu." Verus beugte sich dezent vor und lächelte spöttisch. "Du kannst dich entscheiden. Ich kann die Verpflegung auch deiner Mitgefangenen zukommen lassen aber dann wirst du heute nichts erhalten," formulierte der Teufel ungemein deutlich. "Aber wie ich das sehe, wirst du ohne Wasser auch nicht mehr lange durchhalten. Ich habe schon viele Menschen verdursten sehen. Es ist ein elender Tod, der vorher in den Wahnsinn führt," meinte der erfahrene Soldat und seine Worte ließen keinen Zweifel daran, dass er wusste, wovon er sprach. "Vielleicht noch vier Tage," fügte er an und zog beide Schultern hoch, wobei er seine Hände nicht hinter seinem Rücken hervor holte. Eine entspannte aber disziplinierte Haltung, eines Offiziers würdig. "Durst ist furchtbar." Er trat heran und grinste Iunia schäbig an. "Du musst dich entscheiden," sagte er und das Grinsen zerbarst wieder in jene frostige Kälte seines Angesichtes.

  • Caerellia hörte das Lied des Todes. Auch wenn sie glaubte, dass der Ton am Abend nachgelassen hätte, sie hatte sich getäuscht. Er war immer da. Befand man sich hier im Kerker, siegte stets der Tod über das Leben. Der Tod schien hier zu herrschen und wenn Iunia einmal der Unterwelt nahe sein wollte, dann war der Kerker, der geeignete Ort dafür. Ihre Mitgefangene war diesen unheilvollen Ort noch näher als sie. Der Kerker aber war auch kein Ort für Zärtlichkeiten, dass hier war ein Ort der rohen Gewalt. So erschrak auch Caerellia als die Frau bei ihrer Berührung zurückwich. Sie hatte Angst vor ihr. Sie konnte nicht mehr erkennen wer gut oder wer böse war. Die Frau wagte es nicht mal ihr ins Gesicht zu sehen, dabei war sie doch kein Monster wie die anderen Männer hier. Caerellia spürte wie die Traurigkeit wieder über sie kam. Doch nicht mal diese Emotion ließ er nun zu.


    Ein Schrei, so furchterregend und nah, riss sie aus ihrem Leid. Caerellia wandte sich um und sah in das Gesicht des Todes. Ein Gesicht, dass bereits einen Weg in ihre Träume gefunden hatte. Stets verbunden mit Gewalt. Er könnte ihr alles nehmen was sie liebte, das wusste sie. Wie lange war er bereits dort gewesen mit seinen Knechten? Lange genug, um sie mit der geschundenen Frau zu beobachten.


    "Ich denke nicht, dass dir in deinem Leben schon einmal Mitgefühl begegnet ist.", gab sie ihm monoton zurück. Dann drehte sich Caerellia zurück zu der Gefangenen. "Sieh dir diese Frau an und dann denkst du wirklich, dass du Mitgefühl besitzt? Du weißt nicht wirklich was mit Mitgefühl und Mitleid gemeint ist." In ihrer Stimme lag Traurigkeit, aber auch ein Anflug von Wut. Dennoch sollte sie sich in Acht nehmen. Sie war keine Christin und sie wusste auch nicht was diese Frau verbrochen hatte. Sie durfte nicht vergessen wer sie war. Er durfte sie nicht manipulieren. Ja, er war es. Er war schuld, dass sie Mitleid für diese Frau empfand, die sie doch gar nicht kannte.


    "Ich bin keine Christin. Ich begann in Mogontiacum eine Ausbildung zur Aeditua des Mars. Ich will Mars dienen und nicht diesem Christengott.", erklärte sie ihm verzweifelt. Doch dann offenbarte er noch mehr von seiner Abscheulichkeit. Caerellia hörte ihm mit größter Konzentration zu. Soweit ihr das möglich war bei ihrem Durst. Sie steckte in einem Dilemma. Was war er nur für ein Bastard? Wie konnte er nur so grausam sein? Das war unmenschlich und gerade eben sprach er noch von Mitleid und Mitgefühl. Sie musste überlegen, aber wie lange gab er ihr Zeit dafür. Jetzt durfte sie nicht die Nerven verlieren. Ihr, dieser Frau, sollte das Wasser und das Essen zustehen. Die Frau war schwach und kaum noch bei Sinnen. Doch vielleicht war das ein Test. Immerhin kannte sie diese Frau nicht und sie würde doch eine Christin nicht das Leben retten. Die Iunia grübelte und grübelte. Nein, sie musste kämpfen. Kämpfen für sie beide.
    Caerellia atmete tief durch. Sie durfte keine Angst vor ihm haben. Sie war unschuldig. Sie war nicht so wie er. Langsam ging sie auf das Gatter zu und blieb kurz davor stehen.


    "Du sagst, dass mir als Römerin Wasser und Nahrung zusteht. Wer sagt, dass diese Frau keine Römerin ist? Also steht ihr das auch zu. Und wenn sie keine Römerin ist, dann gib ihr zu essen und zu trinken, denn ich werde keine vier Tage hier sein, denn man sucht schon nach mir und ich bin unschuldig. Und schon gar nicht will ich Schuld sein am Tod dieser Frau. Denn im Gegensatz zu dir, könnte ich mit solch einer Tat nicht leben. Das liegt wohl am Mitgefühl." Ihre Wangen färbten sich rot, nachdem sie geendet hatte. Vielleicht waren diese Worte ein Fehler gewesen, aber im Gegensatz zu ihm strahlte sie ein Feuer aus und er diese Eiseskälte.

  • Es war für viele Menschen schwierig, sich den Fakten zu stellen. Auch Verus hatte lange mit sich gerungen, um die eigene Bedeutungslosigkeit im kosmischen Spiel zu akzeptieren. Dinge mussten keinen Sinn ergeben. Auch Gewalt musste keinem Zweck folgen und dennoch versuchte Verus stets Gewalt mit Sinn und Verstand walten zu lassen. In seinen Lungen brannte dieses kalte Feuer, welches wie ein schweres Gewicht gegen sein Herz presste. Verus hatte am Rande der Gesellschaft, auf den Schlachtfeldern in fernen Ländern, zwischen den Leichen und den Leidenden, etwas gefunden, was andere nur mit Wahnsinn beantworten konnten. Er hatte jene Akzeptanz der eigenen Bedeutungslosigkeit gefunden. Ihm war es vollkommen egal, was diese Frau von ihm dachte und glaubte zu wissen. Denn er selbst wusste, was er war und welchen Sinn seine Taten hatten. Ein guter Soldat war befreit von jener Sehnsucht, dass es etwas anderes außerhalb der geschaffenen Doktrin gab. Ein Kampf konnte alles bedeuten oder auch nichts. Das Leben war ein konstanter Zufall. Willkürlich und niemals beständig.


    "Doch mir ist sehr wohl Mitgefühl begegnet," erinnerte sich Verus an seine geliebte Luna, die allen Dingen Mitgefühl gab. Luna kannte eine Liebe zu dieser Welt, die Verus zwar fremd war aber umso mehr bewunderte er diese charakterliche Eigenschaft. Empathie war etwas, was man hatte oder eben nicht. Verus besaß sie aber die bösartigen Umstände verfluchten gelegentlich diese Eigenschaft zur Abstinenz unter dem dogmatischen Fanatismus, den nur ein Soldat wirklich verstehen konnte. Man hatte ihn zu dieser Person gemacht und er selbst hatte dies willfährig zugelassen, um sich vor der Welt verstecken zu können. Es war ein Widerspruch aber Verus verdammte sich selbst zu diesem Schicksal, um der eigenen Vergangenheit mit Zorn und Wut zu entkommen. "Dein Urteil fällst du auf Basis einer Beobachtung? Eines Gedankenspiels, welches sich aus deiner eigenen Unfähigkeit ergibt, diese Situation zu akzeptieren?" Die Augen des diabolischen Advokaten verengten sich. Er dachte nach. Verus dachte oft nach und konnte Sachverhalte schnell bewerten. Eine Fähigkeit, die ihn als trecenarius empfohlen hatte. Er hatte den verdeckten Einheiten der Prätorianer wieder zu jenem niemals gesehenen Glanz verholfen, der Furcht und Panik in die Herzen der Feinde des Staates brachte - und nicht nur in die Herzen der Feinde, sondern auch in die Gedanken und Albträume der beglückten Schichten aus Aristokratie und Wohlstand.


    Seine Rolle war deshalb so erfolgreich, weil Verus einen erlernten Zynismus besaß, der so beißend und frostig war, dass ihm schlicht moralische Bewertungen, außerhalb des vorgebenen Spektrums, schlicht egal waren. Und selbst diese Moral war für die politische Sache biegsam. Das Dogma, dieses Rom unter allen Umständen zu erhalten, vertiefte jene emotionale Apathie. Verus war sicherlich privat kein amoralischer Mensch, sicherlich sogar ein Idealist, aber dieser Idealismus trieb ihn tief in diese Schatten, die ihn nun umgaben, wie einen dunklen Mantel. Er war in der Tat über Schlachtfelder marschiert, hatte Völker unterworfen, auf Befehl von ihm fremden Personen. Sein Idealismus hatte sich gewandelt. Er war dieser Zynismus geworden, den er nicht darstellen musste. Gab es Grenzen für ihn? Mit Sicherheit aber diese waren immer abhängig vom erwünschten Ziel. Die Prätorianer pflegten eine Mäßigung und reduzierten den erforderlichen Einsatz von Mitteln gerne, um nicht über das Ziel hinaus zu schießen und Ressourcen zu verschwenden. Ähnlich handhabte der trecenarius auch seine persönliche Investition von Zeit, Aufmerksamkeit und Interesse. Dennoch war dort etwas tief im Fanatismus seiner Sache verborgen: eine feste Absicht, dass wenn er scheitern sollte, jeden mit hinab zu reißen, damit niemand der Sache entkommen konnte. Außerhalb des Dogma dürfte es nicht geben. Der Untergang konnte ebenso Beweis von Loyalität gegenüber einer Sache sein, wenn es keinerlei Handlungsmöglichkeiten mehr gab. Rom war alles - und dieser furchtbare Absolutismus speiste sich aus der Erkenntnis, dass ein Mensch und sicherlich auch alle Menschen bedeutungslos waren. Rom, die Idee, hatte Bedeutung. Sie verlieh Würde und Begründung.


    Rom verlangte den Tod von Völkern und Reichen. Die Prätorianer taten nur ihr Übriges und verliehen dem schwarzen Herzen dieser Machtfantasie nur ein Gesicht, was viele Römer nicht sehen konnten. Nicht sehen wollten. Vielleicht war Verus nicht der Verkleidete, sondern die anderen, wie Iunia Caerillia. Dieser Gedanke kam in ihm auf, während er Iunia elegant studierte. Seine eigene Körpersprache war ruhig. Ihre Worte wurden verarbeitet, durchdacht und im Hinterkopf abgelegt. "Was du willst, ist nicht von Bedeutung. Du beurteilst mich und so beurteile ich dich," erklärte der kaltherzig wirkende Prätorianer Tiberius, der sich im Krieg mit der gesamten Welt zu befinden schien. "Du befindest dich nicht in einer Position des Wunsches." Verus achtete in seiner Bearbeitung dieser Christenfälle auf eine gewisse Schematik, die erlernt und erprobt war. Iunia konnte nicht wissen, dass jedes Wort mit einer Absicht verbunden war. Iunia war längst fest verplant und eingeordnet. In der Tat hatte sie keine Wahl mehr. Eigentlich hatte in Verus Welt nicht einmal er selbst eine Wahl. "Du wählst aus den Wahlmöglichkeiten, die wir dir geben," gestand der trecenarius mit einem langen Atemzug, während sich seine Augen wieder weiteten und die iunische Frau im Kerker vernichtend anstarrten. Verus fand Stolz in ihrem Gesicht und Zornesröte. Sie hatte sich genähert und sprach mit fester Stimme den bekannten Widerstand, den Verus belustigend fand.


    Es war dieser Stolz, den viele Menschen glaubten zu besitzen, dass sie etwas fordern konnten. Etwas einfordern konnten, weil sie einen Status hatten. Dabei war der Status doch nur eine verliehene Idee in einem zwar komplexen aber geschloßenen System, welches hier andere Stricke zog. "Doch du wirst sehr lange hier sein oder wir werden dich bald mit der Anklage vor einen Iudex bringen, dass du eine Christin bist. Und dazu noch eine Aufständische. Wir haben Belege und Aussagen, viele Zeugen, die ich benennen kann. Nur weil du eine Iunia bist, wird dich das nicht davor bewahren, hier zu sein und das für die Zeit, die wir für richtig halten," sagte der trecenarius ohne wirklich eine emotionale Regung in seiner Stimme transportieren zu können. "Dazu noch unsittliches Verhalten, Falschaussagen gegenüber den Prätorianern, Widerstand gegen den Kaiser und seine Männer, Gewaltanwendung und Verletzung des öffentlichen Friedens," machte Verus weiter, so als ob er aus einem Bericht einige Zeilen vortrug. "Du bist hier allein und dein Name, deine Person, alles, was du glaubst zu sein, sind hier bedeutungslos. Es ist entscheidend, was wir von dir halten. Was wir über dich glauben und was du für uns tun kannst."


    Die Oberlippe des Tiberius zuckte kurz, als er erneut überlegte und klatschte dann fast applaudierend einmal in seine Hände, so dass ein leises Geräusch entstand. Im Anschluss sanken die Hände lieblos herab. "Du hast gewählt und dein Mitgefühl beweist erneut, dass du eine Christin bist. Denn die Frau an der Wand ist eine Christin, die erst vorgestern eine römische Patroullie überfallen hat. Sie wurde auf der Flucht gefasst. Du hilfst einer Verräterin und Feindin Roms," schimpfte Verus laut aber seine Wut wirkte gespielt, falsch und verlogen. Natürlich war ein Teil des Vorwurfes konstruiert aber die Lüge war stets ein probates Mittel im Werkzeugkasten der prätorianischen Arbeit. Verus wirkte nun selbstgerecht zufrieden, da seine Augen erneut diesen dämonischen Glanz gewannen, als sie Iunia mental in Ketten legen wollten. Niemand sollte sich dem wahren Dogma widersetzen, welches allein allen Dingen in diesem Imperium galt. Der römischen Ordnung.


    "Deine Tat gerade reiht sich gut ein," sprach Verus mit grantiger Tonlage. "Ich finde es immer wieder interessant, wie sie erst an diesem Ort verzweifeln, dann ihren Mut finden und dann aufgeben. Erst in der Aufgabe beginnt die eigentliche Arbeit, Gefangene," war ein dahingeworfener Satz, der schnell kam und schnell wieder ging, da sich Verus Lippen wieder fest verschlossen. Stille. Wieder diese wortlose Stille, die über Iunia hereinbrach, da die Soldaten sie nur wieder anblickten, durchbohrten mit ihren Augen, die mit Sicherheit fast jeden Abgrund dieser Welt gesehen hatten. Widerstand akzeptierten diese Augen nicht. Es dauerte einen langen Moment, der wie eine Narbe in der Zeit lag. "Gut," machte Verus und deutete zu den Soldaten hinter sich. "Holt die Gefangene, welche nicht gekettet ist, aus der Zelle und verbringt sie in Zimmer Duodecima," befahl der trecenarius.


    "Die andere Gefangene wird von den Ketten befreit und erhält die Ration dieser Gefangenen." Es war getan und gesagt. Einer der vortretenen Soldaten schrie die Iunia brutal an: "Zurück an die rückwärtige Wand! An die Wand!" Sie machten klar, dass sie auf sie einschlagen würden, wenn sie nicht zurückwich, da die Knüppel aus schwarzem Holz bereits drohend in den Händen lagen. Verus trat mit einer kurzen Bewegung zur Seite, verweilte an eine abseitige Wand gelehnt und ließ seine Handlanger die gewichtige Arbeit machen. Diese Brutalität war ihm eigentlich zuwider aber sie nun mal ein außerordentlicher Bestandteil seines Geschäftes. Überzeugung und Obrigkeit lagen dicht unter dem Schwert sowie den Werkzeugen seiner Amtsausübung. Wieder dieses Gefühl, welches sich breit machte und wie ein vergessener Schmerz in seinem Schädel drückte. Es tat ihm weh. Doch hatte es niemals ein Zurück gegeben. Etwas, was man ändern konnte, sondern nur ein stetiges Weitermachen. Verus zögerte nicht aber etwas ließ ihn zurück. Etwas verließ ihn erneut, so dass diese frostige Kälte durch seinen Körper fuhr und ihn frösteln ließ.

  • Caerellia urteilte über Verus. Für sie war er nicht nur im Unrecht. Er war viel mehr. Die Dunkelheit. Das Böse. Der Hass. Und das, obwohl er eigentlich alles richtig machte. Bis jetzt war ihr nicht gelungen einen Beweis vorzulegen, dass sie keine Christin war. Langsam beschlich sie aber das Gefühl, dass Verus keinen Beweis für ihre Unschuld wollte. Sie war für ihn schuldig. Etwas Anderes zählte nicht. Und irgendwann würde Caerellia selbst glauben, dass sie schuldig war. Irgendwann würde er ihr einreden, dass sie eine Christin sei und sie würde ihm wohl glauben. Denn sie war nicht stark. Sie hatte nicht die Kraft sich zu wehren. Und das ihr Versuch sich zur Wehr zu setzen nach hinten losging, bekam sie gerade jetzt zu spüren.


    Verus sagte, dass auch ihm Mitgefühl begegnet war. Was wusste sie schon über ihn? Nichts. Doch klangen seine Worte wie eine Erinnerung, die er irgendwo herauskramen musste. Caerellia fragte sich, wo ihm wohl Mitgefühl begegnet war? Als er über Tote und Lebende stieg? "Dann scheinst du dieses Gefühl verloren zu haben.", erwiderte Caerellia. Jedes Wort von ihm, schürte in ihr Hass und Wut. Er wollte gehasst werden. Es war unmöglich ihn zu besiegen. Wie sollte sie ihn jemals davon überzeugen unschuldig zu sein?
    Natürlich war er grausam. Was sollte sie denn sonst in ihm sehen? Sie müssten Plätze tauschen. Wie er wohl regieren würde, wenn man ihm sonst was vorwarf? Dann würde er wahrscheinlich bereuen, in seinem Leben nicht mehr Mitgefühl empfunden zu haben. Sie ließ seine Worte über sich ergeben. Doch geschah das nicht spurlos. Er schürte einen Hass in ihr und diese Gefühlsregung würde ihr nur Ärger bereiten.


    Sie war gefangen. Denn jedes Wort von ihr würde er so auslegen, dass es seinem Zwecke diente. Caerellia befand sich bereits in einem System, das Verus führte und dem zu entkommen war unmöglich. Hier in seinem Reich hatte sei keine Wünsche zu stellen. Die Iunia durfte nur das wählen was er ihr anbot und dabei würde sie versuchen die Wahl zu treffen, die es ermöglichte, dass sie beide überleben würden. Ging das überhaupt? Das hatte sie nun versucht und er lachte innerlich über sie, weil sie sich auflehnte. Sein Blick war vernichtend und löste auch in Caerellia die gewünschte Reaktion aus, dass sie sich nun wieder schwach und hilflos fühlte.


    Für Caerellia war es immer ein Schlag ins Gesicht, wenn Verus sie über ihre Schuldigkeit in Kenntnis setzte. Es klang stets, als wäre hier bereits ein Urteil gesprochen, auch wenn keine Anschuldigung der Wahrheit entsprach. Als würde er alleine befähigt sein über ihr Leben und ihren Tod zu entscheiden. Und er hatte sich schon für ihren Tod entschieden. Sie schluckte schwer, als er mit einem Schlag all ihre Hoffnungen zunichtemachte. Ihr Name war hier nicht weiter von Bedeutung. Wann hörte dieser Albtraum endlich auf? Sie ertrug das alles nicht mehr. Dieser Mann vor ihr lebte für seine Berufung. Er war eins mit ihr und so war auch keine Regung auf seinem Gesicht zu erkennen, als er ihre Vergehen aufzählte. Verteidigend wollte sie ihm bei der Auflistung ihrer Beschuldigungen ins Wort fallen, aber sie tat es nicht. Ihr Körper begann zu zittern und sie schüttelte ihren Kopf, aber sie hatte wie immer ganz genau zugehört, was er ihr sagte. Sie war keine Christin und auch keine aufständische Christin. Die Zeugen würde er kaufen und für sie gab es kein Entrinnen. Ihr Name hatte hier keinen Wert. Nur den Wert den er bestimmte. Er nannte unsittliches Verhalten gegenüber den Prätorianern und Widerstand gegen den Kaiser. Gewaltanwendung und Verletzung des öffentlichen Friedens. All das sollte sie verbrochen haben? Sie?
    Caerellia besaß hier keinen Namen. Hier war sie nur eine der vielen Gefangenen. Aber eins was er sagte, schien sehr wichtig zu sein. Es war entscheidend was die Prätorianer von ihr hielten. Nur so würde sie überleben. Das glaubte sie jedenfalls. Aber auch wenn sie überlebte, was würde man ihr davor alles noch nehmen? "Ich habe nichts von all dem getan.", wimmert sie nun. "Aber ich werde gehorsam sein und das tun was du verlangst, nur damit ich Nachhause gehen kann.", gab sie schmerzerfüllt preis. Sie glaubte an der Last seiner Beschuldigungen zu ersticken. Sie war tot. Mit so einem Strafmaß war man Tod. Vielleicht sollte sie ihm gleich bitten, sie zu erlösen. Wie schwach sie doch nun wieder geworden war. Doch das war wohl Verus Ziel. Er wollte sie brechen.


    Natürlich hatte sie einen Fehler gemacht, als sie sich für die Frau entschieden hatte. Die Frau an der Wand war eine Christin. Sie hatte es geahnt, aber dennoch wollte sie kein Blut an ihren Händen haben. "Ja, ich helfe einer Verräterin und Feindin Roms. Ich ahnte es, dass sie Christin ist und habe ihr trotzdem geholfen. Du hast doch gewollt, dass sich so handle.", antworte sie ihm fast schon ergeben. Im Moment war sie besiegt worden. Und er sah, dass ihr Mut nicht mehr existierte.


    Der Dämon sprach von Caerellias schwindenden Mut. Auch wenn sie jetzt aufgab es war nicht vorbei. Sie war nicht frei und das sollte sich auch nicht so schnell ändern. Dann trat eine quälende Stille ein. Sie wusste nicht was jetzt geschehen würde und suchte in den Augen der Männer nach Antworten. Und dort sah sie nur eins, die Finsternis. Sie war ihnen ausgeliefert. Niemand konnte sie retten. Daraufhin gab Verus den Befehl, Caerellia in ein Zimmer zu bringen. Reflexartig ging sie einen Schritt zurück. Sie hatte Angst. Angst, dass sie ihr Schmerzen zufügten, weil sie sonst was von ihr erfahren wollten. Einer der Soldaten befahl ihr schreiend zur Wand zurückzugehen. Caerellia sah die Knüppel und eilte daraufhin zur Wand. Wenigstens die Frau wurde von den Ketten befreit. Auch wenn sie eine Christin war und die Iunia sich dafür hasste einer Christin geholfen zu haben. Caerellia sah Verus abseitsstehen. "Was hast du mit ihr mir vor?", fragte sie vollkommen verängstigt. Sie hatte so große Angst vor ihm, dass sie sich selbst dafür hasste. Neben ihrem Lager lag Arsinoes Brief. Sie würde ihn zurücklassen müssen. Wie gerne hätte sie ihn nochmals gelesen, um den Mut wiederzufinden, der nun verloren war. Oder vielleicht nicht ganz verloren, sondern nur versteckt? Sie war nicht stark. Sie war schwach. Sie wollte doch nur leben. Doch solch ein Urteil würde sie nicht überleben.

  • Bekümmerte es Verus? Verus war bekümmert aber viel mehr von seinen eigenen Ängsten und Nöten, weniger die verblichenen Befindlichkeiten einer jungen Frau. Sie war nur Symbol einer verwirrten Zeit. Einer Zeit ohne klare Linien, verloren zwischen eigenem Wunsch nach Beständigkeit und Existenz und jener Vergänglichkeit, die jedem gesellschaftlichen Unterfangen stets oblag. Veurs kümmerte sich nur auf einer Sachebene um diese Iunia. Sie war ein Bearbeitungsfall und niemals mehr als das. Zwar hatte sie ihm kurz eine menschliche Regung entlockt, da Verus als Person nicht vollständig erfroren war aber die sachliche Konditionierung, die Erziehung eines Soldaten, verbat jedwede emotionale Befindlichkeit im Umgang. Die Prätorianer waren eine gefühlskalte Veranstaltung und jeder der in ihre Fänge geriet, konnte dies schnell erleben. Hier zählten bürokratische Fakten und Obrigkeits gelenkte Absichten. Am Ende zählte nur das, was in den Akten stand und die Wachstafeln, Schriftrollen und Papyri waren sehr geduldig. Kürzlich war Verus selbst bewusst geworden, dass auch er nur eine Akte war. Ein Listentitel, der bei seinem Ableben schlicht neu gefüllt wurde. Bedeutung gab es hier nur in der ausführenden Handlung, welches dem wahrhaftigen Dogma diente, welchem sich Verus aus Angst vor Zweifel und Schuld stets verpflichtet fühlte. Fanatischer Eifer verdarb schnell eine gute Absicht. Der erfahrene trecenarius ahnte um die Lage der Frau, denn er hatte erstaunliche Vergleichswerte, die er beiziehen konnte. Ein Bezug zu vergangenen Bearbeitungen und Fälllen, die vieles erklärbarer machten oder zumindest kontrollierbarer. Und vielleicht war dies für den emotionale Krüppel reizvoll, dass er die Kontrolle behalten konnte. Wenigstens in seiner Arbeit, wenn schon sein Herz kränkelte.


    "Unschuld und Schuld sind zwei absolute Begriffe, Gefangene. Nichts in der Welt ist absolut. Es gibt noch nicht einmal ein Gut oder ein Böse, sondern nur Entscheidungen und Umstände," kommentierten der soldatische Meister dieser dunklen Einrichtung mit einem süffisanten Ton, der durch jeden Knochen peitschte. Ein Frost durchfuhr Verus erneut. "Es gibt charakterliche Eigenschaften, Persönlichkeiten und Emotionen, die für dich Entscheidungen und Umstände erzwingen können aber eine absolute Betrachtung verbietet sich," erläuterte der Prätorianer, während die Frau von seinen Untergebenen streng bearbeitet wurde. Schnell legte man ihr jene Handfessel erneut an, doch dieses mal aus Stahl, welche sich eng um ihre Handgelenke schloss. Das Metall ächzte als man den Haltebolzen in den Riegel stieß. "Niemand ist unschuldig," schloss Verus aus seiner eigenen Ausführung und betrachtete die geübte Arbeit seiner ebenso erfahrenen Mitsoldaten. "Es geht nicht darum, dass du gehorsam bist, sondern es geht darum, dass du gehorsam sein willst und dich nicht mehr gegen Rom stellen kannst," drohte der trecenarius mit beißender Stimme, die sich zwar nicht überschlag einen Sachverhalt unmissverständlich klarstellte. "Es gibt kein Zuhause, denn es gibt nur eine Heimat, unser Rom," erklärte Verus abermals. "Unser Rom verlangt einzig und allein Loyalität. Und du wirst begreifen, dass dein Zuhause Rom ist und nicht eine Familiencasa," meinte der finstere Sachbearbeiter der prätorianischen Macht, als man die Frau schließlich packte.


    "Was ich will, ist nicht von Bedeutung," sagte Verus bitter und blickte die Iunia kaltfrostig an, als man diese an ihm vorbei führte. "Was ich vorhabe? Unbedeutend," kommentierte der emotionale Krüppel trostlos, während er jede vernünftige Angabe von Herz und Emotion vergaß. Ihre Angst war nur das Öl in einem großen Getriebe. Diese Hassmaschine arbeitete ohne Unterlass. Es geschah, wie er befohlen hatte und man verbrachte sie in das Zimmer. Verus selbst folgte ruhigen sowie ungehetzten Schrittes. Denn er hatte hier alle Zeit der Welt. Im Raum angekommen, fand die Iunia einen Tisch mit zwei Stühlen. Der eine Stuhl wirkte merkwürdig, da dieser eine Vorrichtung für ihren Halsring besaß. Die Gehilfen drückten die Gefangene auf den Stuhl, ließen den Halsring in die Vorrichtung fallen, so dass sie gefesselt war und nicht mehr aufstehen konnte. Eine unbequeme Position, da immer noch ihre Hände auf dem Rücken gefesselt waren und sich ihre Schultern leicht überdehnten. Verus selbst nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz, während seine beiden Helfer ihre prankenhaften Hände auf die Schultern der Gefangenen legten. Ein dritter Mann nahm in einer Ecke des Raumes Position ein. Die Tür blieb offen. Der trecenarius räusperte sich. "Bringt den eben verhörten Gefangenen herein," befahl Verus und aus der geöffneten trug man einen sichtlich zerschlagenen Sklaven herein. Es war ihr Leibwächter, das konnte die Iunia sofort erkennen. Er trug die Wunden von Kämpfen und Schlägen. "Ist er ein Christ?" - fragte Verus schließlich und blickte die Gefangene eindringlich an, als man ihren Leibsklaven achtlos neben ihren Stuhl warf, wo er regungslos liegen blieb. Seine Handfesseln hatten sich tief ins Fleisch geschnitten. Niemand war hier stark genug. Nicht einmal Verus, um gegen diese Maschine anzukämpfen. Nun konnte sie wahre Ergebenheit erweisen und Verus, der ihre Signale entsprechend bewerten konnte, wollte das sie ihren eigenen Sklaven opferte, damit er in dieser Sache erste Ergebnisse vorweisen konnte.

  • Verus Worte trafen Caerellia hart. Denn in Vergleich zu Verus hatte sie nur wenig Schicksalsschläge ertragen müssen. Sicherlich war erst kürzlich ihr Bruder verstorben und mit diesem Umstand hatte sie schwer zu kämpfen gehabt. Doch sie musste lernen, dass der Tod zum Leben dazugehörte. Von der Hölle, die Verus erlebt haben musste, hatte sie keine Ahnung. Seine Seele war in Finsternis getaucht worden und mit dieser Finsternis vergiftete er alle in seiner Nähe. Und so vergiftete er auch Caerellia. War da wirklich nichts mehr Menschliches in ihm? Doch. Einmal hatte er etwas durchblitzen lassen. Nur für einen kurzen Moment. Sie erinnerte sich. Aber sie dachte, dass er nur schauspielte. Ihr etwas vormachte. War es wirklich da gewesen? Diese Traurigkeit. Sie wusste es nicht. Sie stand so unter Schock. Was malte sie sich da aus? Da schlimmste war, dass Verus sie immer mehr vergiftete. Sie sollte an das Gute glauben. Das wollte Arsinoe, doch dafür musste man übernatürlich sein, damit einem dieses Gefühl gelang.


    Caerellia versuchte Verus Worte zu folgen, während die Männer sie zu sich rissen, um ihr die schmerzenden Fesseln aus Stahl anzulegen. Die junge Iunia biss vor Schmerz die Zähne zusammen. "Aber es muss das Böse geben.", antwortete sie ihm schmerzerfühlt. Anders wäre nämlich nicht Verus Existenz zu erklären. Aber das sagte sie besser nicht. Obwohl es würde ihn wohl amüsieren. Und abermals redete er ihr die Schuld ein. So wie sie es geahnt hatte, dass sie einmal selbst an ihre Schuld glauben würde. Er wollte sie wandeln. Gefühle in ihr auslöschen. Sie sollte überzeugt sein, dass er das richtige tat für Rom. "Dein Rom ist unfähig Freund und Feind auseinanderzuhalten. Und es sieht nicht die Loyalität seiner Bürger. Du siehst sie ja nicht mal in mir.", gab sie schwach zurück. Sie konnte seine Worte nicht schweigend hinnehmen, auch wenn er sie besiegt hatte. Rom war ihr Zuhause nicht ihre Familiencasa. Stimmte das bei ihr? Würde sie Rom ihrer Familie vorziehen? Das machte ihr Angst. Doch da packte man sie schon und sie wurde an Verus vorbeigeführt. Natürlich sagte er nicht, was er nun vorhatte. Er wollte viel lieber ihre Angst schüren. Das schien ihn zu gefallen. Man brachte Caerellia in das Zimmer. Sie sah sich um. Zwei Stühle und ein Tisch befanden sich darin. Die Gehilfen zerrten sie zu einem Stuhl auf dem sie Platz nehmen musste. Dann ließen sie den Halsring in die Vorrichtung fallen. Sie konnte nicht aufstehen und da war dieser stechende Schmerz an ihren Schultern, der durch ihre Sitzposition entstand. Es dauerte nicht lange und Verus erschien. Er nahm ihr gegenüber Platz und die beiden Helfer legten ihre Hände auf Caerellias Schultern. Zitternd sah sie Verus in die Augen. Sie fürchtete sich so sehr. Sie konnte nicht aufstehen und war diesen Männer vollkommen ausgeliefert. Was würde nun geschehen? Warum sagte er nichts? Dann endlich befahl er einen Gefangenen hereinzuführen.


    Es war Catullus, den sie durch die offene Türe hereintrugen. Er sah entsetzlich aus. "Catullus.", sagte sie erschrocken. Was hatte man ihm angetan? Gerade ihm, der die Christen zu hassen schien. Dann wandte sich ihr Verus wieder zu und stellte eine Frage, die grausamer nicht sein konnte. War er ein Christ? Verus sah ihr eindringlich in die Augen. Er sehnte sich nach einer Antwort, der Antwort und Caerellia widerte sein Wunsch an. Der Leibwächter wurde neben der Iunia zu Boden geworfen und rührte sich nicht mehr. Caerellia musterte ihn. Was hatten sie ihm nur angetan? Dann sah sie wieder zu Verus. Er war so blind. Er war so kaltblütig. Er war dieser Hass. Caerellia kannte die Antwort auf seine Frage. Es gab nur eine Antwort. Doch konnte sie das? Wollte sie das? Catullus war kein Christ. Christen widerten ihn an. Das glaube Caerellia jedenfalls. So hatte sie es gedeutet. Aber stimmte das auch? Vielleicht hatte er sie mit Absicht in diese eine Straße am Forum Boarium geführt, weil er wusste, dass sich dort die Christen trafen? Aber warum sollte er das tun? Er würde nicht so dumm sein und unnötig seine Domina in Gefahr bringen. Wenn er das vorgehabt hätte, dann nur, wenn er geglaubt hätte, Caerellia wäre an dieser Sekte interessiert. Und sie hatte nie das Wort Christ in seiner Gegenwart erwähnt. Also war er unschuldig? Wenn sie Verus Frage bejahte würden sie ihn töten. Was war sein Leben wert? War es mehr oder weniger wert als Caerellias? Er war nur ein Sklave und sie mochte ihn nicht einmal sonderlich gerne. Nur sein Tod könnte sie befreien, aber war sie dann wirklich frei? "Ich...ich weiß es nicht.", gestand sie. Sie sagte ihm die Wahrheit, aber die wollte er gewiss nicht hören. "Es wäre möglich.", fügte sie dann hinzu. Erschrocken über sich selbst. Was hatte sie getan? Was hat er mir ihr angestellt? Die Christen hatte man zu hassen und wenn der kleinste Verdacht bestand, dass dieser Leibwächter ein Christ sei, dann musste er sterben. So und nicht anders durfte sie denken.

  • Verus Machwerk war ähnlich einer gedanklichen Infektion. Er brachte Menschen den Hass näher, machte ihn brauchbar und annäherungsfähig. Seine Ängste steckten andere Herzen fruchtbar an, so dass sich diese Ängste eifrig vermehrten, bis jene Ängste in Hass reiften, den Verus ohne großen Mühen ernten konnte. Auch dieser Vorgang an diesem Ort kostete ihn nicht mehr viel Kraft, sondern nur Zeit. Es war zu spät. Verus beäugte die gebrochene Iunia, die in einem letzten Aufgebot versuchte, ihre Unschuld zu verkaufen und mit einem letzten Atemzug des Widerstands, sogar Rom verdammte, obwohl sie Verus meinte. Es war kein Genuss, keine Sehnsucht oder wahre Emotion in seinem Gesicht. Hier war nichts, woran man sich festhalten konnte. Denn diesem Mann waren die Dinge einfach gleichgültig. Er war sich selbst gleichgültig, infiziert mit diesem furchtbaren Virus der Angst.


    Er war Wirt für eine alte Idee, die nicht viel brauchte, um einem Geschwür gleich zu wachsen. Seine Arbeit war mit dem Geschwür verwachsen, verdorben und dennoch durchführbar, denn er tat sie mit bürokratischem Eifer in einer Gesellschaft, die auf eine Trennung baute. Sklaven zu Herren, Soldaten zu Bürgern, Senatoren zur Gesellschaft und Völker zum Imperium. In Germanien war der Limes nur ein Symbol aber hier durchzog eine Mauer alle Herzen; vielleicht wagte man einen Blick hinüber aber kehrte wieder in den Schoß seiner bewachten Mauern zurück. Sicherheit lag im Kleinen, nicht im Großen und das Große war stets voller Ungewissheit. Verus hatte viele Kriegsverbrechen begraben, versucht zu vergessen und dennoch war der Glauben an sie nicht verloschen, hinterließ diesen kalten Zorn, der ihn so gleichgültig machte. Es war genau diese Gleichgültigkeit, die seiner mächtigen Doktrin den Weg ebnete. Man brauchte nicht viel, sondern musste einfach nur wegschauen und schon gewann Verus. Selbst wenn man sich gegen ihn stellte, verstärkte es nur seine Fronten und je mehr Gewalt im Spiel war, desto mehr gewann das falsche Sicherheitsversprechen, welches der Staat, folglich Verus, genügsam anbot.


    Hass war einfach zu einfach. Und Verus hasste die Christen nicht einmal mehr wirklich, sie waren nur Vehikel für ein übergeordnetes Ziel von einem generellen Machtanspruch einer Stadt über die gesamte Welt. Es war ein Wahnsinn, der als kalte Vernunft ein Angebot war, welches man ablehnen oder annehmen konnte. Lügen und Wahrheiten vermischten sich, bis nichts mehr wirklich wahr war. Sichtweisen wurden entscheidend und Verus hatte seine Sicht deutlich schwarz gefärbt, wie viele seiner Kameraden, die den Aufstand und den Krieg kannten. Ein mögliches "Wieder" sollte sich ein "Nie Wieder" wandeln und in dieser mitunter friedlichen Absicht lag die wahre Grausamkeit verborgen. Sie taten dies mit guter Absicht, mit einem überwältigenden Eifer, der in seiner Ironie tiefst bösartig war. Denn es war zu spät, die Wahrheiten und Lügen zu trennen. Ein trecenarius war ohnehin verloren in seinen Netzen und Netzwerken, so dass eine Flucht nicht immer greifbar war.


    Iunia hatte nur das Pech zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Verus war dies längst bewusst, alles deutete auf diesen Fakt hin aber er konnte sie nicht ohne einen Gewinn für die gemeinsame Sache gehen lassen. Dies wäre zu einfach. Einfachheit war nicht der Wunsch einer Obrigkeit, sondern Kontrolle. Die Iunia musste sich unterwerfen, was sie wenig später auch tat, indem sie einbrach. Sie gestand mittelbar, dass es möglich war, dass ihr Leibsklave ein Christ war. Das reichte Verus. Diese Sache geriet nicht einmal in einen echten Konflikt, da Verus Vorgehen in seiner Kaltblütigkeit nicht mal alle verfügbaren Mittel auffahren musste. Ein einfacher Sieg, wenn er jetzt aufgab aber es dürfte nicht einfach sein, da die Iunia noch nicht das volle Gewicht der Saat des Hasses in sich aufgehen sah. Sie zögerte noch und dieses Zögern widersetzte sich den großen Zielen des geheimen Orden. Ihr Geständnis war ohne eigene Überzeugung nicht genug wert. Dieses ganze Unterfangen brauchte eine vollständige Legitimation durch Ergebnis. Verus kratzte sich am Kinn, zeigte eine menschliche Geste in dem sonst so frostigen Charakter, den er hier darstellen musste. "Ist er nun ein Christ, oder nicht?" - fragte er bohrend nach und zeigte dann auf die Iunia, die einen Schlag mit der flachen Hand an den Hinterkopf erhielt. Ein heftiger aber bewusst dosierter Schlag, so dass ihr Hals in den Metallring drückte und das kalte Metall konnte sich nicht wirklich an der Frau erwärmen. "Du bist doch eine gute Römerin, du willst eine gute Römerin sein und Mars dienen...," gesellte Verus diese Worte hinzu und schickte sich an die Hand erneut zu erheben, damit die Iunia von einem der Handlanger erneut einen Schlag erhielt. Verus musste nur auf sie zeigen, denn sie war dieser Unmenschlichkeit ausgeliefert und Erlösung fand sie hier nicht. Nicht einmal durch den Verrat an Catullus, der sie vielleicht frei machen würde aber die Gedanken an diesen Verrat würden sie nie mehr verlassen. Und genau das wollte Verus, denn so war die Iunia brauchbar für weitere Gelegenheiten, eben als Spitzel und Agentin.

  • Es waren wohl diese Art von Entscheidung, welche sie zu so einer Denkweise anregte. Solche Arten von Entscheidungen, sollten nicht gefällt werden dürfen. Sie waren grausam und egal wie man sich letzten Endes entschied, es war immer mit schrecklichen Folgen zu rechnen. Nun war sie sogar soweit einen unschuldigen Menschen zu opfern, weil sie selbst vor dem Tod Angst hatte und vor dem was ihr vor dem Tod erwarten würde. Unvorstellbare Schmerzen. Sie hatte wohl noch mehr Angst vor den Schmerzen als vor dem Tod, der dann folgen würde. Wenn sie an Arsinoes Brief dachte war der Tod eine Erlösung, nachdem man all diese Qualen durchstanden hatte. Aber wer sagte ihr, dass sie leben durfte, wenn sie Catullus an die Prätorianer verkaufen würde? Doch anders würde es nicht gehen, um zu überleben. Caerellia suchte nach einem Schuldigen. Wer trug die Schuld an ihrer jetzigen Lage? Waren es die Christen? Oder Rom und die Prätorianer? Oder war sie selbst sogar schuld daran? Die Lösung war offensichtlich geworden. Es lag auf der Hand, dass es diese Christen sein mussten. Niemand konnte einer Römerin verwehren auf einen Markt zu gehen. Das war lächerlich. Und diese Christen, man warf ihnen so unglaublich viel vor. Diese Religion würde sie alle verderben. Alles zerstören an was sie glaubten. Ihre Welt würde nicht mehr existieren. Wollte sie das wirklich? Nein, sie wollte in Frieden leben. Und diese Art von Veränderung würde keinen Frieden zulassen. Wenn es für Verus der blinde Hass war, warum er so grausam handelte, war es bei Caerellia doch viel mehr der Hass auf die Christen, denn sie kannte Verus dunkle Welt nicht. Aber die musste sie auch nicht kennen. Ihr Hass auf die Christen sollte nur angestachelt werden. Das reichte ihm schon und so langsam schien ihm das zu gelingen. Würde es diese Sekte nicht geben, wäre sie nie hierhergebracht worden. Nie hätte sie über Leben und Tod entscheiden müssen und nie hätte sie Catullus Todesurteil unterschreiben müssen.


    Caerellia war ein guter Mensch. Jedenfalls glaubte sie das. Sie war selten unhöflich. Kaum nachtragend und pflichtbewusst. Sie glaubte an das Schöne und das Gute, so wie Arsinoe geschrieben hatte, doch nun hatte man ihr die Augen geöffnet. Sie konnte nur überleben, wenn sie die Verbündete des Teufels werden würde. Und das war wohl das größte Hindernis für sie. Wie konnte sie dem trecenarius nur diesen Gefallen tun? War er gar nicht so grausam, wie sie glaube? War es nur eine Vorsichtsmaßnahme so wie er mit allen Gefangenen umging? Aber sie konnte sich Verus nicht menschlich vorstellen. Sie schaffte es einfach nicht. Es nagte immer noch der Zweifel an ihr. Er war das Böse. Sie konnte nicht in ihm hineinsehen, dass er selbst ein Opfer war. War sie so grausam? Sie würde ihm nicht vergeben können für das was er gesagt und getan hatte. War sie hier der schlechte Mensch?


    Caerellia war klar, dass ihm ihre Antwort nicht genügte. Sie hatte gezögert und nicht deutlich gesagt, ob Catullus nun Christ sei oder nicht. Weil sie es nicht wusste. Auch wenn es ganz klar war, dass es vollkommen unwichtig war, ob sie nun die Wahrheit über Catullus kannte oder nicht. Wie viele Unschuldige hatten hier wohl schon ihr Leben gelassen? Es ging nur darum, wie sie handelte. Es ging darum zu sehen, ob sie bereit war seiner Sache zu dienen und sich somit zu unterwerfen. War das der Weg und somit Preis für ihre Freiheit? Sie hoffte es inständig. Dieser Mann war zu jeder Grausamkeit fähig und wenn das der Weg war den sie gehen musste um zu überleben, dann musste sie genau diesen wählen. Aber war das auch der richtige Weg? Konnte sie mit so einer Entscheidung leben? Ihr gewohntes Leben gab es jetzt schon nicht mehr, aber sie würde noch viel mehr verlieren, wenn das sagte, was er hören wollte. Doch sie war so schwach und so voller Angst. Er verlangte von ihr eine klare Antwort. Nichts Anderes zählte für ihn. Und ehe sie sich versah, gab er dem Gehilfen ein Zeichen, dass dazu führte, dass sie einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf bekam. Durch den Schlag drückte sich ihr Metallring in ihren schmalen Hals. Caerellia schrie vor Schmerzen auf. Jetzt würde es mit den Schmerzen beginnen. Noch nie war sie so erniedrigt worden. Aber sie hatte damit rechnen müssen. Verus, den sie so sehr hasste und doch derjenige war, der ihr die Freiheit schenken konnte, redete weiter auf sie ein. Genau das wollte sie, dass was er da sagte. Er hatte recht. Doch schon folgte der nächste Schlag auf ihren Hinterkopf und sie schrie auf. "Ja...", brach es aus ihr heraus. "Das will ich. Ich will eine gute Römerin sein und ich will Mars dienen und ich habe gesehen wie Catullus..." Sie stocke und Tränen liefen ihr über das Gesicht. "Wie Catullus mit diesen Christenleuten redete. Er kennst sie.", gestand sie unter Tränen und nichts davon war wahr. Sie wollte nicht wieder in dieses Loch zurück. Sie konnte das einfach nicht mehr ertragen. War es Blut das ihr da vom Hals lief? "Er ist Christ. Und er hatte wohl vor mich auch zu einer Christin zu machen. Deswegen waren wir dort. Aber ich wollte nicht. Er hat mich gezwungen." Sie log und log und erschreckenderweise viel es ihr immer leichter zu lügen.

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