"Ich will aber nicht!", quengelte Ildrun und Octavena seufzte tief.
Es war ein hektischer Tag in der Villa Duccia gewesen und ihre Geduld für heute ging definitiv zur Neige. Ihre Tochter hatte in letzter Zeit beschlossen, die meisten Worte ihrer Mutter nur als eine Art optionale Vorschläge zu behandeln, gleichzeitig ging ihr Sohn inzwischen die ersten Schritte selbst durch das Anwesen, was zur Folge hatte, dass Octavena wiederum kaum so schnell gucken konnte, wie Farold um die nächste Ecke verschwunden war. Seine Mutter dagegen fürchtete ständig, dass seine Neugier noch früher oder später dazu führen würde, dass er sich ernsthaft verletzte. Ildruns ewige Widerworte waren da nur eine weitere Sache, die unablässig an Octavenas Nerven zerrte und die meisten anderen Hausbewohner hatten sich schon den halben Tag vor der gereizten Hausherrin weggeduckt. Mit Ausnahme ihrer Kinder, besonders ihrer Tochter, die nun bockig die Arme vor der Brust verschränkte und ihre Mutter trotzig ansah. Unter anderen Umständen hätte Octavena vielleicht bei diesem Anblick selbst ein wenig schmunzeln müssen. Sie war sich eigentlich nur zu gut bewusst, dass dieser Dickschädel ihrer Tochter nicht von ungefähr kam, aber heute kratzte sie nur das letzte Bisschen Beherrschung zusammen, das sie noch auftreiben konnte, und holte einmal tief Luft ehe sie fortfuhr, zu sprechen.
"Duccia Camelia!", zischte Octavena und baute sich drohend vor ihrer Tochter auf, langsam, aber sicher nicht mehr gewillt, den Unfug des Mädchens auch nur einen Augenblick länger zu dulden. Tatsächlich zuckte Ildrun bei der Verwendung ihres römischen Namens zusammen, wusste sie doch sehr wohl, dass das ein Zeichen war, dass sie nun wirklich in Schwierigkeiten steckte. In ernsten Schwierigkeiten. Dabei hatte ihr eigentlich schon Ärger in dem Moment geblüht, in dem gerade, am frühen Abend, sie fast vollständig mit Schlamm bedeckt ins Haus gestürmt war. Zum zweiten Mal am selben Tag. "Du wirst dir jetzt auf der Stelle etwas Sauberes anziehen oder du wirst mich erst richtig kennenlernen."
Kurz schien Ildrun ein wenig verunsichert, schüttelte dann aber vehement den Kopf. "Nein!"
"Na schön." Octavena knirschte wütend mit den Zähnen. "Ganz wie du willst."
Sie streckte einen Arm aus, um das Handgelenk ihrer Tochter zu ergreifen und die Diskussion zu beenden, aber Ildrun duckte sich geschickt unter ihr hinweg. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, schlug einen Haken und lief blitzschnell aus dem Raum, wobei sie bei ihrer Flucht noch ihren Bruder anrempelte, der in der Nähe der Tür auf einer Decke gesessen und friedlich mit ein paar Holzfiguren gespielt hatte. Der Junge kippte ein wenig nach hinten und stieß sich den Hinterkopf an der Wand hinter sich, woraufhin er noch im selben Moment begann, lauthals zu weinen.
"Camelia! Komm sofort zurück!", brüllte Octavena ihrer Tochter noch nach, aber entweder hörte ihre Tochter sie tatsächlich nicht mehr oder wollte es nicht. "Ich sag dir, junge Dame, das wird ein Nachspiel haben!"
Doch alles Rufen blieb erfolglos und mit einem leisen Fluch schritt Octavena zu Farold hinüber und nahm ihn auf den Arm, um ihn eilig zu beruhigen. Garantiert würde Ildrun sich jetzt erst einmal irgendwo verkriechen oder sonst irgendwie versuchen, sich dem Zugriff ihrer Mutter so lange zu entziehen bis deren Zorn so weit verraucht war, dass der unausweichliche Ärger nur noch halb so schlimm sein würde, und Octavena war sich dessen nur allzu bewusst. Dumm war ihre Tochter ganz eindeutig nicht. Das würde zwar Octavena eines Tages noch in den Wahnsinn treiben, weil Ildrun damit auch längst heraus hatte, wie sie im richtigen Moment die richtigen Verwandten auf ihre Seite ziehen und so so mancher Strafe entgehen konnte, aber die Taktik war nicht blöd. Octavenas Züge verfinsterten sich unwillkürlich. Heute würde sie sie damit aber nicht durchkommen lassen.
Noch immer mit ihrem weinenden Sohn auf dem Arm schritt Octavena wütend aus dem Kaminzimmer. Draußen lief sie beinahe in Lanthilda hinein, die überrascht die Stirn gerunzelt hatte und wohl nach dem Lärm hatte sehen wollen. Octavena drückte ihr mit einer knappen Erklärung Farold auf den Arm und setzte dann sichtlich verärgert ihre Suche fort.
"Ich gebe dir genau eine Chance, zurück zu kommen, Duccia Camelia", rief die dabei laut und hoffte, dass ihre Tochter noch in der Nähe war und sie hören würde. "Ich zähle bis zehn und wenn du dann nicht hier bist, bist du wirklich in ernsten Schwierigkeiten! - Zehn ... neun ... acht ..."