[area capitolina] G.I.C. et M.F.G. | Von Göttern und Götterlenkern

  • Der Himmel über Rom zeigte sich in einem gnädigen Blau, durchzogen nur von zarten, wolkenen Schlieren, welche auch der noch ein wenig schwachen Mittagsonne ihren Raum ließen. Deren Strahlen waren von angenehmer Wärme, welche nun nach dem Winter noch willkommen war und die bevorstehende Hitze des Sommers nicht einmal erahnen ließ. Selbst Gracchus, der auf der area capitolina auf Iulius Caesonius wartete, hatte sein Antlitz gen Süden gewandt, um ein wenig die Sonne zu genießen. Der Tag schien ihm strahlender als er ohnehin bereits war und selbst die überaus ereignislose und recht fade Senatssitzung am Vormittage hatte diese Stimmung ihm nicht nehmen können. Über dem Forum Traiani erhob sich eine kleine Gruppe staubgraufarbener Tauben, kreiste über das Forum Romanum hinweg und verschwand über den Tiber gen Süden. Dem Flavier evoziert dies ein schmales Lächeln in Gedanken, welch göttlichen Willen ein Augur diesem Flug würde beimessen können.

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  • An diesem Morgen war Caesoninus schon besonders früh auf den Beinen gewesen. Nicht weil er das vorgehabt, oder sich extra von einem Sklaven wecken lassen hätte, sondern daher, weil er vor lauter Aufregung frühmorgens, als die Sonne noch nicht einmal über den Horizont gelugt hatte, aufgewacht war und dann nicht mehr einschlafen hatte können. Heute wäre der erste Tag jenes von Senator Flavius Gracchus angekündigten "kultischen Tiro Foris!" Dies war -soweit ihm bekannt- kein Regelamt bzw. keine gängige Ausbildungsmöglichkeit und daher hatte Caesoninus auch keine Ahnung, was auf ihn zukam. Erwartete der Flavier, dass er sich Schreibutensilien mitnahm? Wie sollte er überhaupt vor ihm am Kapitol erscheinen? Im vollen Togenornat mit Sklaventross und Sänfte, oder einfach normal gekleidet und zu Fuß alleine kommend? Sollte er kultisches Gerät vom Venustempel mitbringen? Wäre das ein erster Test wie weit er mitdachte? Oder war das alles gar nicht vonnöten und er wollte schlicht mit ihm in einem religiösen Umfeld ein erstes Gespräch führen und weiter nichts?


    Fragen über Fragen und Caesoninus wusste die Antwort auf keine einzige von ihnen. Demgemäß hibbelig geisterte er nach dem Aufstehen im Haus umher, bis Sol in seinem feurigen Streitwagen endlich am Himmel erschien und langsam damit begann über die sieben Hügel zu steigen, während in den Tälern dazwischen noch der Morgennebel hing und das Haus begann zu erwachen. Caesoninus ließ sich ordentlich waschen und aufputzen, er legte frische Kleidung an und achtete auf einen akuraten Faltenwurf der Toga. Dann, kurz vor Mittag begann er sich auf dem Weg zu machen, um pünktlich am vereinbarten Treffpunkt anwesend sein zu können. Da Flavius Gracchus Patrizier und Mitglied der oberen Zehntausend in Rom war, hatte sich Caesoninus doch noch für eine Anreise per Sänfte und einem Sklaventross entschieden. In diesem Sklavenbündel waren auch zwei Scribae und ein iulischer Bibliothekarssklave dabei, falls doch schreiberische, oder literarische Erfordernisse auftreten sollten. So zog Caesoninus' "Karawane" vom Esquilin auf direktem Wege hinunter zum Argiletum und von da an weiter auf das Forum Romanum. Dort herrschte schon reges Treiben, wie er aus der Sänfte heraus beobachten konnte. Am Vormittag musste eine Sitzung des Senats stattgefunden haben, denn es waren selbst jetzt noch auffallend viele Purpurtogenträger am Platz zu erspähen (oder zumindest mehr als üblich). Vom Forum aus ging es dann endlich hinauf auf den kapitolischen Hügel. Dort, in der Nähe des Endes der Rampe, an der, dem Forum Romanum zugewandten Ecke der Kapelle der Hygieia, blieben die Sklaven stehen und Caesoninus stieg aus, um die übrige Distanz zu Gracchus zu Fuß zu überbrücken.


    Er ging auf den Senator zu und begrüßte ihn: "Salve Senator, hier bin ich für meine erste Lektion!"

  • "Ah, Iulius, salve!"
    grüßte der Flavier zurück in einem Tonfall, welcher beinahe vermuten ließ, dass sie sich ganz zufällig hier oben trafen. Indes war Gracchus kein Freund von inhaltslosem Geplänkel, ob dessen er jegliche Höflichkeitsfloskeln nach Befindlichkeiten oder dem Wetter übersprang und direkt in medias res ging.
    "Wir beginnen hier oben nicht allein der Götter wegen, welche hinter uns ihre Besitzungen haben, sondern um deinen Blick und dein Bewusstsein zu schärfen für die Menschen und ihre Verbindung zu den Göttern."
    Er trat einen Schritt näher zum Rand der Kuppe, zur Stadt unter ihnen hin und deutete über das ihnen zu Füßen liegende Rom hinweg auf die Gebäude, welche er benannte.
    "Über die gesamte Stadt hinweg verstreut finden wir heilige Orte - unter uns die großen Tempel um die Foren herum - des Saturn, der Minerva, der Pax, des Mars, der Venus, Castor und Pollux, der Mater Matuta, der Fortuna und all die anderen. Daneben die kleineren Kapellen, etwa der Roma Dea, des Vortumnus, noch einmal für Minerva, und letztlich ver..streut über die Plätze hinweg, an Brücken, oder den Rändern oder Schnittpunkten von Gassen die zahllosen Altäre - dort unten der Ceres und der Ops, dort der Carmenta und dort hinten neben dem Haus des Flamen Dialis der Febris. Deine Augen sind zweifelsohne noch besser als die meinen, darum wirst du wohl noch viele weitere Tempel und Altäre der Stadt erkennen können."
    Er ließ seine Hand wieder sinken.
    "Von Anbeginn unseres Lebens sind wir umgeben von dem, was wir schlicht Kult nennen, sei es im privaten oder im öffentli'hen Raum, wir vollziehen ihn mal mehr, mal weniger, doch selten machen wir uns bewusst Gedanken darüber, warum wir dies tun. Selbstredend beschäftigen wir uns bisweilen mit dem angemessenen Maß, mit der Abfolge eines Ritus allfällig, welche Dinge einbezogen werden müssen, um die Wichtigkeit einer Opferung zu erhöhen etwa, welche Personen in..volviert werden, oder auch welche Götter. Dass wir indes jeden Tag umgeben und eingebunden sind von und in den Kult, dies wird uns zumeist nur dann bewusst, wenn er fehlt."
    In fernen Provinzen mit mangelnder Infrastruktur etwa, oder wenn dem Willen der Götter nicht genüge getan wurde.
    "Die Götter und der Kult, dies ist ein fest verwobener Teil unseres Lebens, und wenn du dir einmal die Mühe machen möchtest, dann achte morgen ab dem Aufstehen den ganzen Tag über einmal bewusst darauf, wann du mit den Göttern in Berührung kommst. Du wirst zweifelsohne am Abend erstaunt sein wie häufig dies geschieht ganz ohne dass du darüber na'hdenkst. Gleichsam, auch wenn das Göttliche in unserem Leben einen beständigen Teil einnimmt, so ist es doch davon getrennt. Das Heilige, sacra, steht dem Profanen, dem außerhalb des Heiligen gelegenen, gegenüber. Der Kult hat seinen festen Platz - räumlich, zeitlich oder einem Anlass entsprechend."
    Gracchus legte eine kurze Pause ein, um einerseits dem Iulier Gelegenheit zu geben eine Frage zu stellen, andererseits dessen Miene zu studieren im Versuch zu erkennen, ob diese Gedankengänge bereits zu abstrakt waren oder noch nachvollziehbar für Caesonius.

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  • Caesoninus stand dort oben am Kapitol und begann den Worten des Pontifex zu lauschen, während er zuerst ihn und hernach die Ewige Stadt unter ihnen betrachtete. Er fand dies war ein wunderbarer Ort für eine erste Lektion. Die Sonne wärmte sie beide mit ihren Strahlen, während die Vögelein ihr Liedchen sangen und die hinter sie stehenden Tempel des kapitolischen Hügels die richtige und angemessene heilige Atmossphäre bereiteten und davon kündeten, dass es etwas größeres gab, größer als alles sterbliche Leben zusammen. So stand Caesoninus also da und passte gut darauf auf, auch ja keines der flavischen Worte zu verpassen, während sein Blick inzwischen vollkommen auf das Forum Romanum und den Tempeln dort ruhte.
    Am Platz unter ihnen wuselte es wie in einem Ameisenhaufen, geschäftig liefen kleine Pünktchen von Links nach Rechts und auch die eine, oder andere Sänfte konnte sich nicht Caesoninus' Blick entziehen. Hier oben war man so abgeschottet von der restlichen Welt. Man konnte zur Ruhe kommen und sich seinen eigenen Gedanken widmen. Oder den Göttern, je wie man wollte.


    Als Gracchus damit begann die einzelnen Götter zu nennen, deren Tempel man von hier aus sehen konnte, folgte Caesoninus ihnen der Reihe nach. Die meisten fand er auf Anhieb, besonders diejenigen, die näher am Kapitol standen. Es war schon unglaublich wieviele verschiedene Götter eigentlich in Rom verehrt wurden. Wieder so ein Umstand über den man im Alltag nicht nachdachte. Hinzu kamen dann noch all die Geistwesen, die auch ihrerseits Verehrung erfahren wollten, doch waren diese weniger greifbar für die Sterblichen, namen- und gestaltenlos wie sie waren.
    Caesoninus empfand Gracchus' Stimme als sehr angenehm. Er hörte ihm gerne zu. Auch stimmte er ihm bisher in allem Gesagten zu. Auch Caesoninus selbst dachte meist nicht an die Götter, oder den Kult, wenn der Alltag ihn gepackt hatte und unbedeutende, jedoch sehr nah stehende Umstände und kurzfristige Dinge die Sicht auf das große Ganze und die höheren Zusammenhänge der Welt verdeckten.


    Doch wer machte das andererseits auch schon, wenn es galt Geld nachhause zu bringen, Mäuler zu stopfen, Rechnungen zu bezahlen, Waren einzukaufen, die Sklaven zu beaufsichtigen und auch sonst 100% zu funktionieren, um hart genug für seinen Arbeitgeber zu arbeiten, den eigenen Betrieb am laufen zu halten, oder seine Magistratur befriedigend ausfüllen zu können? Selbst die ehrwürdigen Herren Pontificies waren wohl nicht gegen dieses menschliche Laster resistent, wo das organisieren von Opferhelfern, das Studieren heiliger Schriften und Kultbücher und die Hilfe und Beratung anderer Menschen ja im Grunde genauso Arbeit war, wie alles andere auch.


    Als Gracchus eine Pause einlegte, fand Caesoninus es an der Zeit, dass wohl auch er einmal etwas sagen sollte. "Ich verstehe, was du meinst. Also ob bewusst, oder unbewusst, wir kommunizieren fortwährend mit den Göttern, genauso wie wir mit unseren Mitmenschen permanent kommunizieren über Blickrichtung, Mimik und Gestik und doch dabei keine Worte verwenden, oder uns nicht einmal bewusst ist, dass diese anderen Menschen überhaupt in unserer Nähe sind. Ich werde deinen Ratschlag gerne versuchen und morgen darauf achten, wie oft ich mit dem Kult und den Göttern in Berührung komme. Ich stelle mir vor, dass das dahingehend geschehen wird, dass ich an ihren Tempeln vorbeilaufen, den Weg eines Pontifex, oder eines Aedituus kreuzen, oder ihre Bildnisse passieren werde. Man denke nur an einen profanen Trinkbrunnen, dessen Quellaustritt wie das Gesicht eines Wassergottes geformt ist, aus dem das Wasser plätschert. Oder wenn ich morgen hören würde, wie ein Händler nach einem gelungenen Geschäftsabschluss den Göttern dankt in einem formlosen Ausruf, dann ist das ja auch in gewisser Weise eine niedere kultische Handlung. Bedenkt man es genauer, so bin ja auch ich als Aedituus ein ständiger Sender des Kults und die Leute kommen damit in Berührung, wenn sie auf mich treffen, oder?"

  • Der Flavier nickte.
    "In der Tat, durch dein kultisches Amt bist du selbstredend selbst Teil das Kultes, doch auch ohne einen Aedituus oder auch jede andere physische Präsenz des Kultes ist er stets um uns und Teil des Lebens, ohne dass wir uns stets dessen bewusst sind. Gleichwohl eint uns dies im Alltag, in welchem rituelles Handeln zumeist in oder durch Gruppen wird ausgeführt. Denke etwa an deinen eigenen Haushalt, deine Gens, örtliche Gemeinschaften wie Stadtteile, Ver..einigungen von Professionen oder Interessengemeinschaften wie etwa die Factiones. Darüberhinaus selbstredend auch in größerem Kontext, in unseren Vorstellungen, welche das gesamte Imperium zusammenhalten. In jedem Winkel unseres Reiches gelten die gleichen kultischen Regeln, wiewohl sie durchaus andere Interpretation finden mögen, sowohl im privaten, wie auch im öffentlichen Kult. Warst du schon einmal in einer der Provinzen?"
    Viele Römer hatten Rom, respektive Italia nie in ihrem Leben verlassen, so dass dies kein Blöße war.

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  • Laut den Worten des Pontifex wollte der Kult also als universelles Grundgesetz verstanden werden. Nicht bloß als Kommunikation zwischen Göttern und Sterblichen, so wie Caesoninus es einst Gracchus dargelegt hatte, sondern als etwas, dass alles umgab, alles durchdrang und die Galaxis zusammenhielt.
    Angesichts dieses fast schon übermächtigen und übergroßen Seins, erschienen Menschen schmächtig, klein, ja fast schon Ameisen gleich. Wie konnte sich ein kleiner Sterblicher dann noch erdreisten, den Kult dominieren zu wollen (z.B. wenn er Macht vom Amt des Pontifex Maximus ableitete, das er inne hatte), wenn dieser so allgegenwärtig und unbegreifbar war?
    Für Caesoninus war das eine völlig neue Dimension des Denkens, was den Cultus deorum betraf.
    Was Gracchus wohl am Ende mit seiner Frage gemeint hatte, ob Caesoninus schon einmal in einer der Provinzen des Imperiums gewesen war? Er vermutete, um dann dort die lokalen Gepflogenheiten des Kults zu erforschen. Doch tatsächlich hatte er Italia niemals verlassen bisher. Es hatte schlichtweg kein Grund dazu bestanden. Hier im Herzen des Reichs hatte man die Hauptstadt selbst und auch sonst alles nur erdenkliche, was man sich nur vorstellen konnte oder haben wollte. Was gab es schon im Norden groß zu sehen, oder zu tun, was man nicht auch in Italia konnte? Dort oben war nichts als Kälte und dazu noch ein Haufen Wälder und Wilde, so Caesoninus' wenig rühmliche Meinung von den Ländern nördlich der Alpen. Im Süden und Westen war es nicht besser, denn dort wurde man von der Hitze beinahe erschlagen. Nichts als Steppen, Wüsten und ebenfalls Wilde. Besser wurde es nur halbwegs im Osten, wo die reichen Kulturen der Griechen, Ägypter und der Parther lagen. Doch die beiden ersteren waren zu schwach gewesen, um Rom zu widerstehen und Letztere ein jahrhundertealter Feind.
    Von daher kam Caesoninus zu der Meinung, dass er bereits am großartigsten Ort der Welt lebte und so vorerst kein Grund für Reisen woandershin bestand, weshalb er in der Hoffnung, den Grund dieser Frage gleich zu ergründen Gracchus antwortete: "Nein, ich habe Italia noch nie in meinem Leben verlassen. Noch hat kein Grund dazu bestanden."

  • Der Flavier nickte voller Verständnis.
    "Es gibt ohnehin nur wenige gute Gründe für einen Römer, die schöne Roma zu verlassen."
    Er selbst hatte eine Erziehung in Achaia genossen, doch hätte er als Kind bereits lieber in Rom bleiben wollen und auch rückblickend hätten die Lehrer ebenso gut in das Zentrum der Welt reisen können - indes hatten damals auch andere Faktoren eine Rolle gespielt. Seine unrühmliche Zeit auf Creta hinwieder suchte er schlichtweg zu verdrängen.
    "Allein das Reisen ist eine Mühsal, welche von einem Nutzen selten aufge..wogen wird, darüber hinaus gibt es exquisite Literatur, welche auch in Rom genossen genügend Einblick in das Fremde bietet."
    Gracchus stockte, da ihm auffiel, dass er vom eigentlichen Thema abkam.
    "Wie dem auch sei, der Kult ist in allen Ecken des Reiches präsent und bildet ein festes Fundament für unsere Kultur und unser Wohlergehen. Bereits unser Wortschatz deutet darauf hin - cultura, die Kultur, aber auch Verehrung, und cultus, die Verehrung, wie auch Lebensweise und Weltanschauung. Der cultus deorum bildet dabei stets eine erste Brücke zur Kultur eroberter Völker, da die Götter überall vorherrschen und in ihrem Wesen oder Aspekten schlichtweg nur andere Namen tragen. Und auch in re'htlichen Belangen bildeten die kultischen Gesetzte eine der ersten Grundlagen der römischen Gemeinschaft und die Kultmänner ihre Richter."
    Zwar war die Gesetzgebung, wie auch Überwachung und Auslegung im Alltag zumeist von einem weitaus komplexeren Rechtssystem ersetzt worden, doch ein gewisser Einfluss kam ihnen noch immer zu.
    "Als Aedituus bist du zwar Teil des cultus publicus, doch im Wesentlichen liegen deine Aufgaben im Bereich der religio, der Verehrung und Pflichterfüllung gegenüber den Göttern. Das Wissen um kultische Belange, nach welchem du strebst, mag dieses Handeln durchaus auch auf eine tiefere Ebene tragen, doch letztlich geht es im Kern des cultus deorum darum"
    , wies er auf die ihnen zu Füße liegende Stadt.
    "Es geht um Rom, um seine Menschen und um seine Zukunft. Und manches Mal geht es mehr um Roms Wohlergehen, das seiner Menschen und ihrer Zukunft, als um das Wohlergehen der Götter."
    Er suchte Caesonius' Blick und ließ diesen nicht abschweifen.
    "Wenn du nach tieferem Wissen in diesen Bereichen oder gar einem höheren kultischen Amt strebst, so geht dies einher mit einer hohen Verantwortung, einer sehr hohen Ver..antwortung, und einer Pflicht gegenüber Rom. Bei allem, was du von mir an kultischem Wissen lernen wirst, solltest du dies bedenken."
    Ein wenig klang dies nach den Worten, welche ein flavischer Vater seinem Sohn eintrichterte, doch Gracchus fühlte sich zu eben dem verpflichtet, da er nicht wusste wie die Erziehung des luliers hatte ausgesehen und zu welcher Verpflichtung gegenüber Rom sein Vater ihn hatte gemahnt.

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  • Wieder lauschte Caesoninus ruhig und ergeben den Worten des flavischen Pontifex, ganz in dem Bestreben sein Wissen zu erweitern und tiefere Einblicke in den Kult der Götter zu erlangen. Immerhin wusste Gracchus von was er da sprach und an ihm, Caesoninus, lag es all dies aufzunehmen und ja gut im Gedächtnis zu behalten. Schließlich war er "die nächste Generation" im Cultus deorum und vielleicht müsste er eben jenes Wissen einem anderen Schüler eines Tages in ähnlicher Form weitervermitteln. So hörte er aufmerksam zu und versuchte sich alles gesagte zu merken und die Worte gleichzeitig ob ihres Sinns und ihrer Bedeutung in den höheren Zusammenhängen zu ergründen.
    Caesoninus freute es, dass Gracchus auch die Historie des Kults kurz anriss, über die Vergangenheit hörte er immer gerne etwas. Auch, dass seine Aufgaben als Aedituus in erster Linie im Bereich der religio lagen, ein Aspekt seiner Arbeit, die ihm bislang noch niemand gesagt hatte. Doch wer sollte das auch? Schließlich hatte Caesoninus niemals eine reguläre kultische Ausbildung genossen und nach seiner Ernennung zum Aedituus war auch nie wieder jemand von der Regia bei ihm am Tempel aufgetaucht, um seine Arbeit, oder sein Wissen zu überprüfen. Umso spannender fand er deshalb jetzt seine gemeinsame Zeit mit Pontifex Flavius Gracchus.


    Geradezu revolutionär für ihn fand er es jedoch, als Gracchus behauptete, im Kult ginge es manchmal mehr um die Menschen, als um die Götter, wie konnte das zusammenpassen?
    "Ich werde es gerne bedenken, ehrenwerter Pontifex, doch wie kann es im Cultus deorum manchmal mehr um die Menschen, als um die Götter selbst gehen, wo letztere ja sogar im Namen drinstecken?" Das hatte ihn durchaus etwas verwirrt.

  • Ein sublimes Lächeln kräuselte die Lippen des Flaviers, zeigte die Frage Caesonius' doch dass Gracchus' Worte nicht nur durch seinen Geist strömten, sondern dort kritisch betrachtet wurden.
    "Nun, dies ist in zweierlei Hinsicht zu bedenken. Zum einen existierten die göttlichen Prinzipien schon lange vor den Menschen auf dieser Welt, sie überdauerten Kulturen und Weltrei'he, und werden noch vorherrschen wenn wir längst vergangen sind. Unser eigenes Leben ist nur ein Wimpernschlag in Anbetracht der göttlichen Existenz und das Wirken eines Einzelnen im Grunde genommen beinahe ohne Bedeutung. Die Götter existieren auch ohne uns, Iulius, füllen ihre Existenz auch ohne uns aus mit allem, was eine Existenz ausmacht."
    Der Pontifex umfasste die gesamte Welt mit einer kreisenden Handbewegung.
    "Do ut des - ich gebe, damit du gibst. Der Mensch gibt, um die Gunst der Götter zu erhalten. Nicht umgekehrt. Wir mögen die Existenz der Götter be..reichern, doch sie bedürfen unserer letzlich nicht. Daher ist der cultus deorum zwar ein Dienst an den Göttern, im Grunde jedoch ein Dienst zum Wohle der Menschen. Wir tragen dafür Sorge, die Götter auf uns aufmerksam zu machen, die göttliche Pläsier zu mehren, auf dass ihre Gunst Rom und seinen Bewohnern zugute kommt."
    Dies war, worauf ganz Rom sich verließ. Der weitere Aspekt des Kultes indes war nicht ganz so offensichtlich.
    "Zum anderen jedoch ist der cultus deorum durchaus auch eine Handhabe, das Beste für Rom zu erwirken. Der Wille der Götter wiegt schwer, er kann darüber entscheiden ob wir in den Krieg ziehen oder nicht, ob wir einem Amtsträger unser Vertrauen schenken oder nicht, ob wir in diese Ri'htung gehen oder in jene. Wir setzen eine großes Opferung an, um das Befürworten der Götter zu eruieren. Wir suchen ein geeignetes Tier aus, schlachten es und begutachten die Leber, um daraus den Willen der Götter abzulesen."
    Er legte eine kurze, bedeutungsvolle Pause ein.
    "Es gibt dabei viele Faktoren, welche nicht nur durch göttliche Fügung, sondern ebenso durch menschli'he Hand beeinflusst werden können."

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  • "Weise Worte, in der Tat. Aus diesem Blickwinkel habe ich es denke ich noch gar nicht betrachtet. Für mich war es immer ein gleichberechtigtes Geben und Nehmen zwischen Göttern und Sterblichen, auch wenn die Macht der Unsterblichen der unsrigen klar überlegen ist", räumte Caesoninus ein, während er sich die Worte des Pontifex durch den Kopf gehen ließ. Es war wirklich bisher nur mehr als positiv für ihn gewesen, diese Gesprächsreihe mit Flavius Gracchus begonnen zu haben, so gewann er viel tiefere Einblicke in die inneren und äußeren Geschicke der Menschen in Beziehung zu den Göttern, als er es sich jemals erträumt hatte.
    Aufmerksam lauschte er auch dem Rest der Worte und dachte über sie noch etwas nach, ehe er sich wieder an eine Antwort wagte: "Also kann man es mehrstufig betrachten, was den cultus deorum angeht. Zum einen ist er natürlich das was er für mich schon sowieso immer war, nämlich das Kommunikationsmittel zwischen den Unsterblichen und uns Menschen, doch zum anderen auch ein Mittel der Menschen, um ihresgleichen zu einem höheren Wohl zu befördern mithilfe der Götter. Doch eine Anmerkung möchte ich schon noch machen. Ich denke durchaus, dass die Götter uns brauchen. Warum sonst sollten sie uns erschaffen haben? Wenn schon nicht im besten Falle als gleichberechtigte Partner, so doch im schlechtesten zu ihrer bloßen Belustigung und zum Vergnügen. Als Spielzeug mit dem sie sich beschäftigen können, rüde ausgesprochen. Doch dass es ganz so schlimm ist, glaube ich nicht. Ich denke wie gesagt, dass sie uns brauchen, ansonsten hätten sie uns nicht erschaffen und wir könnten nicht hier und heute stehen und darüber diskutieren. Ich vermute sogar, dass sie uns für mehr brauchen, als bloß für ihre Zerstreuung, denn dafür hätte es den Menschen nicht gebraucht. Dafür hätten auch Tiere herhalten können. Doch die Menschen stehen eine Stufe über den Tieren des Landes, des Wassers und der Luft, was mich vermuten lässt, dass es einen Grund geben muss, warum wir existieren. Wir müssen irgendeine Aufgabe für die Götter hier auf Erden erfüllen, ob wir das auch bewusst, oder unbewusst tun mögen."

  • Es erfreute den Flavier überaus, dass Caesoninus nicht nur seine Worte in sich aufnahm, sondern sie durchdachte, seine eigenen Schlüsse zog und Fragen daraus formulierte. Das Gespräch glich so beinahe einer philosophischen Konversation, welcher Gracchus große Freude konnte abgewinnen.
    "Nun, das Wesen der Götter, wiewohl ihre Motive sind wohl die größten Rätsel unserer Welt, und es ist zweifelsohne deplorableI, dass selbst unsere kultischen Schriften uns keine eindeutigen Antworten bieten. Wir können uns dem an..nähern, indem wir den Gedanken der philosophischen Schulen folgen und sie weiter denken. Zweifelsohne bist du kein Epikuräer, doch bist du vertraut mit den Lehren Epikurs?"
    Sofern nicht würde der lulier die Gedanken allfällig nicht in das entsprechende Weltbild einordnen können, was indes nicht zwingend vonnöten war.
    "Nach diesen leben die Götter in den Intermundien, dem Raum zwischen vielen Welten. Ihre Unsterbli'hkeit gründet sich darauf, dass sie ebenso viele Atome aufnehmen wie sie abgeben, während alles übrige - belebt wie unbelebt - nach einer Phase des Wachstums in Zerfall übergeht. Indes interessieren die Götter sich nicht für diese Welt, auch nicht für die Menschen. Nach dieser Lehre wäre unser gesamtes kultisches Wirken also hinfällig."
    Gracchus deutete zum dem großen kapitolinischen Tempel hin.
    "Als flamen dialis dem unsterblichen Iupiter mit meinem Sein und Leben zu Diensten zu sein, als Mittler zwischen Göttern und Menschen, dies war einst mein größter Traum. Demnach also bin auch ich kein Epikuräer, und glei'hwohl sich meine Sicht auf die Welt und die Götter im Laufe meines Lebens gleich meiner Träume gewandelt haben mag, so hat allein meine Er..fahrung mir zur genüge bewiesen, dass die Gunst der Götter denjenigen gehört, welche eine Kompensation in die Waagschale legen. Aus dieser Erfahrung heraus wage ich zu behaupten, dass Epikur zumindest in seinen Überlegungen zu den Göttern falsch lag."
    Nicht allein diese Betrachtung der Götter ließ die Lehren Epikurs in Gracchus' Augen gänzlich fehlgeleitet erscheinen, war doch sein ganzes Leben ihnen entgegen gerichtet.
    "Etwas vielschichtiger, meines Erachtens nach, ist dagegen die Lehre der Stoa, in welcher die Welt dur'hdrungen ist von einer Weltenseele, einer dem Weltenganzen innewohnenden Gesetzmäßigkeit, alles ist durchdrungen von Göttlichkeit, auch die menschliche Seele. Somit also gibt es eine Verbindung zwischen den Göttern und uns. Letztlich gibt es in der Stoa diverse Auslegungen, doch die Götter durchdringen und be..einflussen die Welt. Selbst im Falle, dass sie unserer nicht bedürfen ist es durchaus möglich, dass ihr Interesse uns gilt - was deinen Überlegungen ähnlich ist."
    Ein pikareskes Lächeln kräuselte die Lippen des Flaviers.
    "Sofern du dies vertiefen möchtest, soIlten wir uns zu einem philosophischen Abend einfinden, oder allfällig zu mehreren, ist das Gebiet der Philosophie doch beinahe unendlich weit. Im alltägli'hen Kult, selbst in jenem der Spezialisten wie den Collegiumspriestern, spielen solche Überlegungen indes kaum eine Rolle."

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  • Caesoninus hatte das Gefühl, dass sie inzwischen tief in der Materie angelangt waren. Ob dem auch wirklich so war, davon hatte er keine Ahnung. Jedenfalls sprachen sie jetzt über das ureigene Wesen und die Motivation der Götter selbst und das empfand Caesoninus schon als "sehr tief drinnen". Hernach folgte die Frage, ob er denn mit den Lehren Epikurs vertraut sei. Natürlich hatte jeder Römer aus der Oberschicht jede der großen Weltphilosophien zumindest schon einmal dem Namen nach gehört. Epikureismus, Stoizismus, Platonismus und wie sie nicht alle hießen. Doch genauere, tiefere Kenntnisse hatte er trotzdem nicht über Epikur. Zeit dies also zu ändern, indem man dem Magister doppelt so aufmerksam zuhörte jetzt. "Nur so am Rande, ja", war deshalb die vorsichtige Antwort.
    Dann erfuhr Caesoninus, was es bedeutete, die Götter aus dem Blickwinkel der Epikuräer zu sehen. Überaus interessant, jedoch war er selbst zweifelsohne wirklich keiner von ihnen. Dafür war er zu sehr Römer und deren Glaube war ja nun einmal, dass die Götter sehr wohl auf das reagierten, was die Menschen dort auf der Welt den lieben langen Tag so anstellten. Dann hatte Caesoninus die Chance, ein wenig etwas über die Vergangenheit des Pontifex zu erfahren. Ebenfalls ein spannendes Thema, wo er ja eines schönen Tages eben dorthin wollte, wo Gracchus bereits längst war. "Ich stimme dir zu. Die Lehren Epikurs in Bezug auf die Götter muss einfach falsch sein. Das habe sogar ich mit meinen jungen und noch wenigen Lebensjahren schon am eigenen Leib erfahren!" Man denke nur an jene Taube (-> das Wappentier der Iulier), die da einst auf Caesoninus' Schulter herabgeschwebt und sich an ihn geschmiegt hatte! Und das nach einem Opfer, an dem alle in Rom damals anwesenden Iulier aktiv in irgendeiner Form teilgenommen hatten! Das konnte einfach kein Zufall gewesen sein, das hatte einfach ein Zeichen der Götter sein müssen.
    Nachdem Gracchus auch die Sichtweise der Stoa dargelegt hatte (mit der er, Caesoninus, schon eher etwas anfangen konnte), gab es noch etwas, das ihn im Moment sehr interessierte. "Was ist deine persönliche Ansicht, o Pontifex? Hälst du es mit dem tradierten römischen Weg des Geben und Nehmens zwischen Göttern und Sterblichen, oder siehst du es eher so wie eine der großen Philosophien, oder hast du eine Mischung aus Teilen von diesen für dich geschaffen? Und natürlich würde ich mit Freuden einmal zu einem philosophischen Abend kommen!" War die Antwort klar. Gracchus hatte zwar zuvor schon teils Caesoninus' Frage nach seiner Sicht der Dinge beantwortet, jedoch ging es ihm jetzt um das große ganze, um die einzig gültige Hauptantwort des Flaviers mit Fokus auf eben jenes und nicht nur als kleiner Teilbereich eines anderen Stoffkomplexes.

  • Der Flavier blickte einen Moment lang zum Horizont als könne dort die Antwort auf des Iuliers Frage zu finden sein - und allfällig war es für ihn tasächlich so, waren doch die göttlichen Gefilde nicht in seinem Gedankengebäude archiviert, sondern über seinen Gedankenhorizont hinaus.
    "Ich bin überzeugt, dass die göttlichen Prinzipien allumfassend sind und in stetiger We'hselwirkung zueinander und zu allem anderen stehen. Darob hat jede Aktion, jede Handlung ebenfalls eine Auswirkung auf das göttliche Wirken, wenn wir es so nennen wollen. Die Götter wirken, ob wir sie beachten oder nicht, doch die Chance, sie zu unseren Gunsten zu bewegen ist schlichtweg größer wenn wir ihnen eine Gegenleistung anbieten."
    Gracchus hielt kurz inne, um sodann einen neuerlichen Bogen durch wohldurchdachte Ideen zu seinen eigenen Vorstellungen zu schlagen.
    "Was oben ist, ist gleich dem, was unten ist, und was unten ist, ist gleich dem, was oben ist - dies überliefert uns ein weiterer Philosoph, Hermes Trismegistos. Gleichwohl möchte ich dies er..gänzen um ein: ist gleich dem was zwischen unten und oben ist. Denn Ietzlich ist es zwischen Menschen und Göttern wie unter Menschen auch. Ich werde etwa mein Handeln nach eigenem Ermessen und Gutdünken ausri'hten, ohne dass dir meine Ziele dabei geläufig sind. Du wirst allfällig bemerken, dass meine Aufmerksamkeit gewissen Bereichen gilt - etwa dass es mir ein Anliegen ist, die kultischen Traditionen zu bewahren und ich ob dessen im Collegium für die staatliche finanzielle Unterstützung diverser Kultvereine eintrete. Kommst du nun also zu mir und gibst mir eine Gegenleistung ver..bunden mit der Bitte die Societas Claudiana et Iuliana stärker zu fördern, so bin ich allfällig eher geneigt, dies zu tun als ohne dein Zutun. Womöglich gar erwecktst du langfristig mein Interesse an deinem Tun. Vielleich aber auch nicht. Doch ohne dein Handeln würde ich dies wohl nicht einmal in Erwägung ziehen. Similar verhält es sich meiner Überzeugung nach mit den Göttern, was auch der Grund ist, dass eine Bitte an die Götter unsere Chancen erhöht, aber nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Gleichwohl weshalb je größer oder bedeutsamer die gewünschte Gegenleistung, desto größer oder aufwändiger die Gabe."
    Ein unscheinbares Zucken hob und senkte Gracchus' Schultern.
    "Im Grunde deckt sich meine persönliche Ansi'ht somit mit den traditionellen und pragmatischen Ansichten der meisten Bürger Roms - mit dem Unterschied, dass ich mich mehr mit den hintergründigen Zusammenhängen habe auseinander gesetzt als die meisten Bürger Roms, welche schlichtweg der Tradition aus einer ihnen inhärenten Kultur heraus folgen, welche wiederum auf die Erfahrungen und Gedanken der Vergangenheit sich stützen."

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  • Bei der Erwähnung der Societas Claudiana et Iuliana musste Caesoninus schmunzeln. So löblich es auch sein mochte, dass Flavius Gracchus theoretisch den Verein unterstützen würde, sollte Caesoninus ihn -ebenfalls theoretisch- darum bitten, so fand er doch, dass es eine geradezu sträfliche Tatsache war, dass sich die beiden „staatstragenden“ Familien des Vereins, die Iulier und die Claudier, kaum bis gar nicht (mehr) darin engagierten. Hoffentlich konnte er diesbezüglich wenigstens für die Iulier noch etwas Ehrenrettung betreiben durch künftiges stärkeres Einbringen in der Societas. Das mochten die Götter noch aufzeigen. So also hörte er dem flavischen Pontifex weiter zu. Es war irgendwie erfreulich zu hören, dass er durchaus sehr traditionell geprägt war, nur eben über einen größeren Wissenshintergrund verfügte, als seine Mitbürger. „Ich hoffe, den kann ich mir auch verschaffen“, meinte er hierzu. Danach schweifte sein Blick hinunter auf das Forum und betrachtete die Dächer der dort stehenden Tempelbauten. Er musste daran denken, dass das dort unten nicht alle die gleichen Tempel waren, wie die, die ihre Gründer einst erbaut hatten. So wusste Caesoninus von einem alten Vorgängerbau des Tempels der Concordia am Forum, ehe er durch einen Neubau in griechischem Stil und mit Säulen von korinthischer Ordnung ersetzt worden war. Ja, die griechische Architektur hatte die der Römer enorm beeinflusst (vor allem in Fragen der Säulengestaltung), doch wenn er so nachdachte, geschah gleiches nicht auch mit ihren Götternbildern selbst? Eine interessante Frage, die er unbedingt auch gleich Flavius Gracchus stellen musste:
    Ich habe beim Betrachten des Tempels der Concordia gerade an den griechischen Einfluss auf unser Pantheon und unsere Kultausübung allgemein gedacht. Du weißt schon, geehrter Pontifex, Opferungen griechischen Stils z.B. mit bekränztem Haupte, anstatt einer übergezogenen Toga, oder das gleichsetzen griechischer Götter mit denen unseren, wo aus Göttervater Zeus plötzlich der König der Götter Iupiter wird, etc. Oder die Praxis, griechische -ursprünglich explizit unrömische Sagen und Konzepte wie den Götterberg Olymp zu übernehmen und sie mit römischem Gut zu bestücken, um sie passend zu machen. Ich will damit sagen, dass sich unsere ursprünglich eher bodenständige, landwirtschaftlich-bäuerlich geprägte Naturreligion und Göttervorstellungen durch unseren Kontakt mit Griechenland schon sehr stark gewandelt haben und viele ursprünglich rein lateinischen Komponenten sich mit diesem geistigen Import vermischt haben, oder gar völlig gräcisiert wurden. Wie denkst du darüber, geehrter Pontifex, falls du mir diese bescheidene Frage erlaubst?

  • Auch der Pontifex ließ seinen Blick erneut über die Dächer Roms schweifen, ehedem er antwortete.
    "Wie erwähnt ist der Kult eng mit der Kultur verbunden, und darob ebenso wie diese nicht statisch, sondern in stetem Wandel be..griffen, der um so stärker sich fassoniert, je breiter die Gesellschaft ist, aus welcher unsere Kultur sich konstituiert. Was also ist unser 'römischer' Kult, wo beginnt er? Ist es nur der originäre latinische Kult, oder inkludiert er auch den der Sabiner und Etrusker? Und hat nicht bereits Aeneas den griechischen Kult mit nach Alba Longa gebra'ht, so dass unser Kult ohnehin auf dem trojanischen basiert?"
    Der Pontifex ließ eine kurze Pause entstehen, dass Caesoninus ihm durch die Vergangenheit hin konnte folgen.
    "Wurde also aus Zeus tatsächlich mit einem Male lupiter, und was geschah darob mit Diespiter?"
    Er zuckte leicht mit den Schultern.
    "Es ist keine Unterschied, es ist ein und das selbe göttliche Prinzip unter einem anderen Namen, in einer anderen Sprache - der Licht-bringende Herrscher über den Pantheon und den Staat. Glei'hwohl umfasst dieses Prinzip viele weitere Aspekte und im Wandel der Zeit, mit dem Wandel unserer Gesellschaft sind mal die einen, mal die anderen von größerer Relevanz. Das, was du als landwirtschaftlich-bäuerlich geprägte Naturreligion bezeichnest, sicherte lange Zeit das Wohl Roms, welches zu dieser Zeit aus dem Überleben, aus der Ernährung einer kleinen Stadtbevölkerung bestand und darob von den Ein..flüssen der Natur abhängig war. Erst mit dem Aufblühen des Staates, mit der Expansion Roms Macht erlangten andere Aspekte Bedeutsamkeit, wie die militärische Ausrichtung - so dass etwa die landwirtschaftli'hen Aspekte des Mars gegen seine kriegerischen ein wenig verblassten. Doch auch diese musste mit der Zeit neuem weichen, denn Rom selbst ist heutzutage weit entfernt von Schlachten und Kampf, so dass Mars in der capitolinischen Trias substituiert wurde durch Minerva, welche uns Wissen und Bildung bringt - und dies nicht etwa, weil die Göttin uns importiert wurde. Menrva wurde bereits von Latinern, Etruskern und Sabinern verehrt, wenn auch vorwiegend in ihren Aspekten als Beschützerin des Handwerks, doch mit dem Kontakt in die übrige Welt und der daraus resultierende Entwicklung Roms erlangte sie mehr Bedeutung in ihren weiteren Aspekten."
    Über das Wesen der Götter und ihren Wandel im Wandel der Zeit konnte man zweifelsohne ganze Abende, wenn nicht gar Tage füllen.
    "Es geht nicht um Beeinflussung, Übernahme oder Ver..drängung. Es geht im Cultus wie in der Kultur um eine sinnvolle Adaption, welche letztlich den Menschen zupass kommt."
    Womit sich der Kreis schloss, dass der Cultus vorwiegend den Menschen diente.
    "Darüber hinaus ist der ritus graecus im übrigen ebenso traditionell und bodenständig wie der ritus romanus, und hat diesen nie ver..drängt, sondern lediglich ergänzt. Jene Götter, welchen auf diese Weise verehrt werden, wie etwa Apoll oder Hercules, wurden stets nach diesem Ritus verehrt. Spezielle Riten, welche danach vollzogen werden, wie der ritus graecus cereris wurden zwar übernommen, in diesem Falle von der Magna Graecia, sind jedoch eine Ergänzung zu Bestehendem, nicht aber Ersatz."
    Bisweilen hatte Gracchus das Gefühl, der cultus deorum zeigte sich gerne komplex und vermied darob Vereinheitlichungen oder Vereinfachungen. Andererseits indess mochte auch dies schlichtweg ein Anzeichen dessen sein, dass der cultus deorum nicht aus etwas feststehendem bestand, das einmalig geschaffen worden und rigide war, sondern den Menschen und ihren Bedürfnissen sich anglich.
    "Du siehst also, es besteht keine Gefahr, das Roms Götter verdrängt werden, sie folgen nur dem gleichen Wandel, den Rom selbst dur'hlebt."

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    IUS LIBERORUM

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