[vor der Castra] Terpander und Tiberios

  • „Bei den Römern und auch in der polis zählt der Stand der Mutter bei der Geburt des Kindes, er hätte meine Mutter demnach vorher freilassen müssen. “, sagte Tiberios :


    „Mein Herr aber war ein Adliger aus Palmyra, sein eigentlicher Name war Waballat Ben Attar, Athenodoros ist die Übersetzung des Namens ins Griechische.
    Die Bene Attar sind einer der Vier Heiligen Stämme,, die die Stadt beherrschen.
    Als Athenodoros keinen legitimen Sohn hatte, plante er vielleicht sogar , mich zu den Bene Attar zu schicken, und nach ein paar Jahren wäre ich als halber Araber zurückgekehrt , und er hätte mich als jungen Verwandten ausgeben und adoptieren können.
    Aber als ich sieben Jahre alt war, bekam meine Herrin doch noch einen Erben, meinen jungen Herren Alexandros. Ich glaube, sie hielten mich in Reserve, bis ganz klar war, dass Alexandros zum Mann heranwachsen würde, denn es sterben sehr viele Kinder am Fieber .
    Die Herrin Alexandra hat Caenis nie verziehen, dass sie schwanger wurde, während sie selbst als unfruchtbar galt. Als es meinem Herren schlicht egal war, was aus uns wurde, wurden wir auf ihren Wunsch hin verkauft.“


    Tiberios‘ Augen verdunkelten sich :
    „ Man hat mich vor die Wahl gestellt, mich in Ketten zu legen zu lassen oder ohne Geschrei oder Widerstand mit den Sklavenhändlern mitzugehen. Und ich bin mit ihnen gegangen, Du hättest bestimmt einen ehrenvollen Tod vorgezogen .“


    Er schüttelte sich ein wenig, als wolle er die Geister der Vergangenheit vertreiben, und das gelang ihm auch, und er fand zu seiner gewohnten Liebenswürdigkeit zurück:


    „Alter Lupo – was redest du ? Du erscheinst mir anziehend.“, sagte Tiberios:
    " Dein Körper ist immer noch schön. Ich finde sogar deine Narben schön. Du bist siebenundvierzig und besiegst mich in jeder sportlichen Disziplin – außer beim Ballspiel vielleicht, ich bin recht flink.“


    Er musterte Terpander von oben bis unten, setzte sich auf, beugte sich vor , streckte die Hand aus und strich ihm leicht über die Schulter.
    Er hätte sich nie erlaubt , Scato zu berühren, aber bei Terpander wagte er es.


    Dann lächelte er:
    „Ich habe schon zu lange geredet. Bitte erzähle mir auch etwas von dir :
    Was war deine Aufgabe im Haushalt des dreizehnjährigen Sisenna Iunius Scato?“,
    fragte er .

  • "Du bist der Sohn eines hohen Herren, schau an. Und der Halbbruder deines eigenen Dominus. Dir hätte anderes Dasein beschieden sein können, doch die Götter schienen dir nicht gewogen gewesen zu sein, so wenig wie mir. Viele Menschen, in deren Adern das Blut der Elite fließt, spüren dies, selbst wenn sie es nicht wissen. Der Wunsch, die Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen, Menschen zu lenken und über sie zu herrschen liegt ihnen oft im Blut."


    Für Terpander war es keine leichte Übung gewesen, den Stolz des spartanischen Vollbürgers herunterzuschlucken und den demütigen Sklaven zur Schau zu tragen. Demut gegenüber Höheren war ihm anderzogen worden, doch dass nun die ganze Welt über ihm stand, war gewöhnunsbedürftig und nur durch den bekannten spartanischen Gleichmut zu ertragen. Wenn der Herr des Tiberios dies bei seinem Sklaven erkannte und in gute Bahnen lenkte, mochten beide Seiten davon profitieren. Doch konnte aus solchen Menschen, die eigentlich zum Führen geboren waren, durchaus auch eine Bedrohung erwachsen. Und dann musste man handeln. Terpander wusste dies. Auch wusste er darum, wie wichtig es war, in dem Fall sein Licht unter einen Scheffel zu stellen und sich harmlos zu geben, damit die Blicke achtlos an einem vorüberglitten.


    "Ein ehrenvoller Tod ist der Sklaverei freilich vorzuziehen. Aber wie ich schon sagte - manchmal gibt es Dinge oder Menschen, die das verhindern. Im Haushalt der Familie hatte ich zwei wesentliche Funktionen. Die, den verstorbenen Mann im Haus zu ersetzen und die des Griechischlehrers. Ich war der berechenbare, kontrollierbare Ersatz eines Ehegatten, der in keinen Krieg zieht, keine Lupanare besucht, keine Geliebten hat und auch nicht trinkt. Und nebenbei Griechisch als Muttersprache spricht und ein Händchen für schwierige Jünglinge hat. Und was war die deine?"


    Dass Tiberios verschwiegen hatte, wen er mit sechzehn liebte, war Terpander nicht entgangen. Die Berührung seiner Schulter nahm er ruhig hin. Er ließ durch nichts erkennen, was er dabei empfand, doch er fragte am Schluss: "Hast du Geldnot?" Um sich an der Nase herumführen zu lassen, war er zu alt. Er war sicher, dass Tiberios seine Möglichkeiten auslotete. Terpander wies auf einen Korb mit Lebensmitteln, die er noch nicht in die kühlen, in die Erde eingegrabenen Vorratsamphoren umgefüllt hatte. "Bedien dich in dem Falle, wenn du hungrig bist. Du bist eingeladen."

  • Ich erzähle meine ganze Geschichte normalerweise niemanden, am wenigsten den domini.“, sagte Tiberios :
    Wenn sie mich fragen, warum ich trotz meiner guten Ausbildung verkauft worden bin , nenne ich es eine Verkettung – nicht unglücklicher, denn das würde ein Römer als Kritik auffassen - sondern eine Verkettung von Umständen. Würde ich Schlechtes über meine ehemalige Herrin Alexandra sagen, würde sich jeder fragen, wie es denn generell mit meiner Loyalität steht."


    Die Erklärung Terpanders , was seine erste Funktion im Haushalt von Scato gewesen war, fand er amüsant. Das war eine Angelegenheit, die selbst in Alexandria bei einer Dame der Gesellschaft für einen saftigen Skandal gesorgt hätte.:


    „ ich bin sicher, du hast deiner kyria unermesslich viel Freude bereitet.“, sprach der junge Grieche:
    "Wollte sie dich angesichts deiner zufriedenstellenden Dienste nicht freilassen? Es gehört sich freilich, dass sie dich als deine patrona
    finanziell unterhält , so wie du sie zweifellos unterhalten hast.“


    Bei der Frage nach Geldnot zwinkerte er Terpander zu:
    "In Geldnot bin ich fast immer.. Doch ich richte mich nach den finanziellen Möglichkeiten meines Gegenübers …. ist Gegenüber da der richtige Ausdruck ?“


    Tiberios legte seine Hand auf Terpanders Hand., eine leichte spielerische Geste:


    „ Ich hoffe, du nimmst an Leichtfertigkeit keinen Anstoß. Wir Alexandriner sind beliebte Sklaven, da wir unterhalten. Ich war Scriba meines dominus und Vorleser bei meiner domina und später auch der Hauslehrer des kleinen dominus, und da ich als einziger des Haushalts Latein sprach, haben sie mich überall mit hin mitgenommen.“


    Tiberios musterte die Amphoren:
    Wenn du etwas isst, schließe ich mich dir gerne an. -
    Aber du sprichst von einem schwierigen Jüngling., dem du Griechisch beigebracht hast. War der junge dominusSisenna Iunius Scato denn schwierig?"


    Tiberios verstärkte den Druck seiner Hand. Plötzlich wirkte er sehr konzentriert und bei sich. Er würde jedes Wort, was ihm Terpander von Scato erzählte, im Gedächnis behalten.

  • Tiberios versuchte tatsächlich immer noch, Terpander eine Bezahlung für irgendwelche Dienste aus dem Kreuz zu leiern. Gleichzeitig legte er seine zarte Schreiberhand auf die narbige Pranke des ehemaligen Kriegers. Entweder er war bewundernswert hartnäckig oder hatte eine merkwürdige Art von Humor. Terpander griff sanft zu. Er zog die Hand von Tiberios zu seinem Gesicht und deutete einen Handkuss an. Dann schloss er die gebräunte Faust um die bleichen Finger.


    "Deine Leichtfertigkeit stört mich nicht im Mindesten. Aber in meinem ganzen Leben habe ich für Beischlaf nicht bezahlt. Ich hatte eine Ehefrau, einen Schüler, einen Mentor und einen Geliebten, war also gut versorgt. Meine Zeit als Sklave ist da nicht mit eingerechnet. Ich werde nicht damit beginnen, das Geschenk der Zuneigung zu einem Geschäft zu machen. Das, lieber Tiberios, hatte ich nie nötig."


    Er spürte, wie die Hand von Tiberios sich in seiner anspannte, als er sich danach erkundigte, ob Scato denn schwierig gewesen sei. Er erwiderte die nervöse Geste mit einem Streicheln seines Daumens.


    "Seia Sanga bezeichnete ihn als schwierig. In meinen Augen war er ein normaler junger Mann, der falsch behandelt wurde. Es ist so viel leichter, die Schuld für das eigene Versagen dem Kind zuzuschieben. Insbesondere, weil es sich dagegen nicht wehren kann. Meist aber liegt die Schuld dafür, wenn etwas schief läuft, bei den Eltern, Lehrern oder Ausbildern und ihren Methoden. Dort sollte man zuerst nach dem Fehler suchen und erst danach beim Schutzbefohlenen. Das ist meine Überzeugung.


    Dass ich von Seia Sanga nicht in den höchsten Tönen spreche, ist freilich nicht angemessen. Ich tue es trotzdem. Mag sie sich an ihren Sohn wenden, wenn es sie stört und dann beuge ich mich Scatos Urteil. Mich freizulassen, war tatsächlich ihr Wunsch, aber nicht der meine, da ich ihr nicht traue. Dass sie mich als Patrona hätte unterstützen müssen, weiß ich zwar. Aber mir ist nicht bekannt, wie ich das Recht auf Unterstützung hätte durchsetzen sollen, wenn sie mich einfach mittellos vor die Tür setzt. Das Zeitfenster dafür wäre wohl klein, besonders bei den nächtlichen Temperaturen."

  • Tiberios dachte daran, wie er die schlechten Eigenschaften, die man dem Sklavenstand nachsagte:: Kriecherei, Verschlagenheit und Geldgier nie hatte annehmen wollen. (Das hatte er Philippos versprechen müssen) Und dass überall auf der Welt Beischlaf stattfand, bei dem Gefühle fingiert wurden, während er selbst von den Göttern dazu verflucht war, das Gegenteil , nämlich Gefühllosigkeit- zu mimen.

    Als Terpander von seinem Schüler sprach , horchte Tiberios auf. Konnte es sein, dass Terpander Scatos erastes gewesen war? Es klang fast so, aber das war völlig unmöglich , Terpander war ein Sklave.


    Und ich war ein eromenos, obwohl auch ich ein Sklave war, dachte der junge Grieche.. Es gibt nichts, was es nicht gibt , haben wir früher immer gesagt.


    Tiberios spürte den Händedruck Terpanders , wie er seine Hand zu seinem Gesicht zog, einen Kuss andeutete und dann das sanfte Streicheln seines Daumens.
    Erastes hin oder her, Terpander, der in die Knechtschaft geratene Spartiate, war Scatos alter Lehrer. Er hatte dessen Geist geformt. In seiner Gesellschaft war Tiberios Scato nahe, ohne ihm nahe sein zu müssen.


    Der dominus Sisenna Iunius Scato kam mir manchmal wie Ares selbst vor, dunkel und zornig.. Und dann wieder arglos und freundlich wie ein Frühlingstag. Ich habe wenige Männer getroffen, die so tiefe Gefühle haben .So wie du mir deine Herrin beschreibst, konnte die domina Seia Sanga schlicht nichts mit ihrem Sohn anfangen, denn das können Krämerseelen nicht.,“, sprach Tiberios und umklammerte Terpanders Hand:


    „ Ich habe dir vorhin gesagt, dass dein dominus Scato mir Güte erwiesen hat. Ich jedoch habe ihm das Gegenteil erwiesen. Ich denke nach wie vor, dass ich richtig gehandelt habe – aber es macht mich so unglücklich.“


    Nun klang er nur noch sehr traurig
    "Ich weiß nicht, was ich tun soll,, Terpander.", sagte er.

  • Tiberios gab sich keine Mühe, seine Trauer zu verbergen. Das traf Terpander, da er es nicht gewohnt war, dass Männer wegen Nichtigkeiten weinten. Er folgerte, dass der Schmerz groß war. So tat er, was er in seiner Heimat getan hätte, wenn ein Freund trauerte. Anlass dazu hatte es genug gegeben in einer Gesellschaft von Kriegern. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die sein Alter Lügen strafte, stieg er hinüber zu Tiberios auf der Kline. Ohne viele Worte packte er sich den Kleinen, drehte ihn zu sich und schloss ihn schützend in die Arme. Und so hielt er ihn, während er selbst die Augen schloss und ein Stück Hellás leben und atmen spürte.


    "Ich kann dir keinen Rat geben, bevor ich nicht weiß, was geschah", sprach er ruhig, während seine Fingerkuppen den lockigen Hinterkopf kraulten. "Licht und Schatten sind nicht immer Gegensätze. Wenn es regnet und die Sonne scheint, entsteht ein Regenbogen. Die Wege in Roma sind eng und der Mensch muss funktionieren. Jemand mit einem großen Herzen passt schwerlich auf so enge Pfade. In Sparta hätte Scato als ein ganz normaler Junge gegolten. Hätte er, anstatt von früh bis spät hinter der Schulbank zu sitzen und gesagt zu bekommen, was er alles nicht kann, in der gleichen Zeit seine Kräfte mit den Gleichaltrigen messen dürfen und hätte er von Anfang an einen Mentor gehabt, der ihm dabei hilft, im schwierigsten Entwicklungsalter erwachsen zu werden, wäre er weder laut geworden noch hätte er je versucht, davonzulaufen. Alles, was er brauchte, um zu heilen, waren Vertrauen in seine Fähigkeiten, Geduld mit seinem Lerntempo und sehr viel Liebe. Das ist das ganze Geheimnis."

  • Tiberios spürte Terpanders Umarmung, und schloss die Augen. Terpanders Hand strich über sein Haar. Der junge Sklave rührte sich nicht. Es war ihm, als würde der Ältere einen Teil seiner Kraft und Stärke auf ihn übertragen und seine Nervosität lindern.


    Tiberios war sehr selten in seinem Leben auf männliche Art getröstet worden, er hatte weder Vater noch ältere Verwandte gekannt und nur kurze Zeit einen Mentor. Seine Mutter und Eireann hatten ihn umarmt, aber sie waren Frauen , und Eireann zudem noch jünger als er selbst. , da war er derjenige, der sich als ihr Beschützer fühlte.


    Eine ganze Weile gestattete sich Tiberios , einfach ein verwirrter Neunzehnjähriger mit vielen Fragen an die Welt zu sein, und nicht nur der gutausgebildete Sklave, dessen Verstand und Körper im Dienste seiner Besitzer zu funktionieren hatten.
    Dann löste er sich sanft, blieb aber eng bei Terpander sitzen und lehnte sich an ihn.


    Zögernd berichtete er Scatos altem Lehrer von dem, was bei seinem letzten Treffen mit Scato passiert war, und fast erbittert rief er aus:


    Stell dir das Szenario vor , Terpander , der dominus Scato, freier Römer und miles und lupercus und einer der furischen Haussklaven – kein lupo und nicht einmal SEIN Sklave – mitten auf dem Marktplatz in der Gegenwart von halb Roma.. Als dein dominus tat, was ihm in den Sinn kam und mich voller Zuneigung an sich zog , da wäre ich ihm am liebsten um den Hals gefallen. Stattdessen habe ich ihn tief gekränkt und gleichzeitig seinen Ruf geschützt.
    Aber ich bin froh darüber, dass ich dich kennen gelernt habe , Terpander und dass du auf Sisenna Iunius Scato aufpasst..Vielleicht sagst du mir manchmal, wie es ihm geht und ob Faunus und der Mars ihn behüten.

  • Terpander ließ Tiberios sich wieder aufsetzen, als er sich beruhigt hatte. Während der Jüngere sprach, lehnte er sich an ihn und Terpander bot gern die starke Schulter dafür. Nun griff er sich auch ein Beutelchen mit Nüssen aus dem Korb, ehe er sich wieder so setzte, dass Tiberios es bequem hatte.


    "Ich muss dir danken, du hast meinen Herrn vor großem Blödsinn bewahrt. Ein junger Mann braucht seinen Erastes oder wenigstens einen Ersatz. Das sage ich immer und hier zeigt es sich wieder. Kaum bin ich nicht bei ihm, endet das im Chaos." Er schüttelte den Kopf. "Du hast richtig gehandelt. Da muss ein Grieche einem Römer seine eigenen Sitten vor Augen führen. An deiner Stelle würde ich Scato erklären oder in einem Brief schreiben, was los war, damit er versteht. Oder wenn du es dir nicht traust, übernehme ich das für dich. Anders kann kein Lernprozess einsetzen und er macht den gleichen Unfug wieder. Übers Knie kann man ihn ja nicht legen."


    Er schnipste eine Nuss mit dem Daumen zielsicher in seinen Mund. In dem Moment, als er sie fing, knallten seine Zähne aufeinander, dann kaute er.


    "Du bist nicht einmal Scatos Sklave und kümmerst dich dennoch um ihn. Du schenkst ihm sogar eine Abschrift des Varro. Er wird die Geste zu schätzen wissen. Ein Jammer, dass du einem anderen gehörst. Wenn ich mir vorstelle, das dein eigener Herr ein Vielfaches dieser Aufmerksamkeit und Fürsorge erhält, muss er ein glücklicher Mann sein. Scato ist nicht der Einzige mit einem großen Herz. Du hast sehr viel zu geben. Was erhältst du zurück?"


    Eine zweite Nuss zischte in Richtung von Tiberios´ Mund. Terpander konnte es nicht lassen, dessen Fähigkeiten zu testen, in dem Falle die Reaktionsgeschwindigkeit.

  • „Keinen Brief und kein Gespräch.“, sagte Tiberios bestimmt :
    „Dann geht die Geschichte von vorne los, sie muss aber aufhören. Ich sehe auch keinen gangbaren Weg, außer dein dominus tut , was viele tun und gibt sich mit heimlichen, schnellen Treffen wie in einem Lupanar zufrieden.


    Ich bezweifle jedoch, dass es das ist, was dein dominus möchte. Sonst hätte er nicht meine Freundschaft gesucht.


    Auch der edle Manius Purgitius Lurco, sein Kamerad von den Urbanici , hat immer mit mir gesprochen, als hielte er mich für ein menschliches Wesen.


    Dass wir Sklaven Sachen sind , ist eine kluge juristische Fiktion der Römer und passt zu diesem Volk, dass alles immer genau definieren muss. Andere Völker machen sich über so etwas gar keine Gedanken, obwohl sie selbstverständlich auch Sklaven halten.
    Es gibt genügend domini, die glauben, dass diese Fiktion die Wirklichkeit ist, aber Sisenna Iunius Scato hat nie dazu gehört.


    Was meinst du mit „Was erhälst du zurück „? Ich verstehe die Frage nicht wirklich .


    Die Furier - mein Herr weilt nicht in Roma - behandeln mich gut. Ich merke schon , dass sie mit meiner Arbeit zufrieden sind, wenn ich einen neuen interessanten Aufgabenbereich dazu bekomme,“

    Terpander schnippste eine Nuss in Richtung Tiberios‘ Mund, aber der Scriba wehrte sie mit der Hand ab und fing sie beinahe, jedoch nur beinahe:


    Diesen Trick, sie mit dem Mund zu fangen, musst du mir beibringen. Und auch, wie ich mich hätte befreien können, als du mich festgehalten hast. Vielleicht ist beides noch einmal nützlich in meinem Leben.“, sagte er :


    „ Ich bin froh, Tepander, dass ich offen mit dir über alles sprechen kann und dass du mich nicht verurteilst. Weißt du, auch ich hatte in Alexandria so etwas wie einen Erastes,den ich um Rat bitten konnte.
    Es war nur für sehr kurze Zeit. Aber manchmal ist es wichtiger, dass überhaupt etwas da war und nicht so wichtig, wie lange es gedauert hat.“

  • Terpander hob kurz die Brauen, als Tiberios vehement ablehnte, das Missverständnis richtig zu stellen. Er als Soldat war für klare Verhältnisse, auch wenn sie schmerzten. Er konnte das Argument von Tiberios zwar nachvollziehen, dennoch wäre er einen anderen Weg gegangen.


    Er nickte. "Ich akzeptiere deine Entscheidung, es darauf beruhen zu lassen. Aber wenn mein Herr um Rat fragt, werde ich ihm einen geben müssen. Domini wie Scato und Lurco sind vermutlich der Traum und Alptraum eines jeden Sklaven zugleich. Auf der einen Seite wünscht man sich doch, derart menschlich behandelt zu werden, aber wenn man seinerseits beginnt, den Dominus als Freund zu betrachten, stellt man unbewusst auch die Erwartungen, die man an einen echten Freund stellen würde, was natürlich vermessen ist. Es ist schwierig.


    Neulich hatte ich ein sehr persönliches Gespräch mit dem Dominus Lurco. Ein angenehmer Mensch, dem Unangenehmes widerfuhr. In einem anderen Leben wären wir sicher gute Freunde geworen. Vierzig Jahre lang habe ich in Sparta in inniger menschlicher Nähe gelebt. Nun allein zu sein, macht in mancher Hinsicht dumm, da man sich zurücksehnt nach Dingen, die verloren sind, auch wenn man Neue, Bessere dazugewonnen hat. Aber das kennst du sicher. Ein Teil von mir sehnt sich nach einer Freundschaft mit Lurco. Ein anderer Teil warnt mich vor solchen Gefühlen und dieser ist den Göttern sei Dank die Stimme meiner Vernunft."


    Er reichte Tiberios das Säckchen mit den Nüssen, damit er sich bedienen konnte.


    "Du hattest einen Erastes? Schau an. Und das, obwohl du ein Sklave warst. Inzwischen bist du bald alt genug, um selbst einen Eromenos zu führen. Wer war dein Erastes, vermisst du ihn? Ich meinen sehr."

  • Tiberios nickte ernst , als Terpander sagte:
    Ein Teil von mir sehnt sich nach einer Freundschaft mit Lurco. Ein anderer Teil warnt mich vor solchen Gefühlen und dieser ist den Göttern sei Dank die Stimme meiner Vernunft."
    Er kannte dieses Gefühl genau.
    „Du hast Recht.“, sagte er : „Ich strebe immer noch nach der apatheia, und immer noch bin ich fürchterlich schlecht darin.
    Mein erastes war ein junger reicher Alexandriner, ich werde dir von ihm erzählen. Dann verstehst du, wie er das Dilemma gelöst hat. "
    Tiberios nahm sich noch ein paar Nüsse, kaute und schluckte, dann zog er seine Beine an und lehnte sich wieder gegen Terpanders Schulter..

  • "
    Philippos war der zwanzigjährige Sohn reicher Leute aus dem Königsviertel in Alexandria , sein Vater war ein Gastfreund meines ehemaligen Herren. Er selbst war ein anmutiger junger Mann mit dunklen Locken und fast schwarzen Augen.


    Er sah mich das erste Mal, als ich als junger Scriba hinter der Kline meines Herren stand , und er fragte mich nach meinem Namen:
    Seine zweite Bemerkung an mich war missbilligend : „Tiberios ? Das ist ein merkwürdiger Name für einen Griechen .Weshalb hat man dich so genannt?“
    „ Ich heiße nach dem ehemaligen Praefectus Aegypti, kyrios ", gab ich Auskunft.
    Das meine Mutter behauptete, dieser Mann sei ihr Großvater gewesen, sagte ich allerdings nicht dazu :
    „So ein bedeutender Name soll mir Glück bringen“


    Nach Tiberios Claudius Balbillus benannt ? Nun gut, das war wenigstens einer von uns.“ , sagte Philippos:
    Hör zu, Tiberios, Athenodoros meint, dass dein Latein passabel ist. Ich besitze Auszüge aus der Aeneis, die du mir abschreiben und übersetzen sollst. Mein Vater hat daher deinen dominus gebeten, dich mir für drei Monate auslzuleihen, und dieser hat zugestimmt: Pack also deine Sachen und begleite mich.“
    Obwohl es Hochsommer war, brachte mich Philippos in die Winterresidenz seiner Familie. Dort könnten wir ungestört arbeiten, sagte er.
    Als wir ankamen, zeigte Philippos mir die Räumlichkeiten:
    “Du darfst dich überall frei bewegen, nur solltest du das Haus nicht verlassen.“, ordnete er an :
    Wenn du Hunger hast, geh in die Küche und greif nach Herzenslust zu.. Wenn du etwas benötigst, werden meine beiden Sklaven es dir bringen. Du brauchst nicht in das Sklavenbad benutzen , es gibt eine schöne Therme hier, die hat Platz für uns beide.““


    Außerdem wies Philippos mir ein eigenes domation zu , was für einen Jüngling, der bisher meist auf der Fußschwelle seiner Herrschaft geschlafen hatte, ein großer Luxus war, aber ich schlief nicht oft dort.


    Anfangs war es so, dass ich von einer Sprache, die ich sehr gut konnte in meine Muttersprache übersetzte und schrieb, das war ein reines Vergnügen.
    Philippos kam sehr oft und legte mir den Arm um die Schultern, um zu sehen, was ich trieb. Und immer hatte er etwas zu loben, meine elegante Schrift oder meine gelungene Ausdrucksweise. Oder er kam mit einem gekühlten Getränk und machte sich einen Spaß daraus, mich zu bedienen.


    Als eine Woche vergangen war und wir wieder einmal in der Therme badeten, wollte ich mich gerade aus dem Becken schwingen, da riss mich Philippos zurück, drängte mich gegen die Wand und presste mir seine Lippen auf den Mund. Ich erschrak und dachte, dass er mit mir machen würde, was er wollte, aber er sagte flehend :
    „Habe keine Angst, mein Tiberios, niemand wird dir hier unter meinem Dach etwas Schlechtes antun und ich am allerwenigsten. Ich habe mich in dich verliebt und was ich von dir möchte, erreicht man nicht mit Zwang .
    Du sollst mein Eromenos sein , und ich bin dein Erastes. Ich werde alles für dich tun, was ein guter Erastes für seinen Eromenos tut, und es soll dauern, solange es dauert.


    Ich sagte :
    „Kyrios, diese Dinge sind nur für freigeborene Jünglinge“,
    und Philippos lachte und meinte :
    „Glaubst du, dass wüsste ich nicht ? Hör auf mich kyrios zu nennen, du sollst Philippos sagen. Geh davon aus, dass in diesen Räumen bleibt , was hier in diesen Räumen geschieht.“


    Philippos zog mich an sich, dann nahm er einen Schluck Weinin seinen Mund , küsste mich und ließ das Getränk sehr langsam in meinen Mund träufeln. Er streichelte mein Haar, mein Gesicht und
    flüsterte mir dann zu :
    „Traditionell müsste ich dir jetzt einen Hasen schenken, aber ich glaube , an einer anderen Gabe hast du mehr Freude….“


    Und er schenkte mir ein Kästchen aus Elfenbein mit versilberten Schreibgriffeln und Gänsefedern – all das befindet sich noch in Alexandria, denn als man mich verkauft hat, durfte ich nichts Persönliches mitnehmen .


    Philippos hielt mit allem Wort: Wir kamen nicht mehr zum Aeneis . Stattdessen verbrachte er jede Stunde mit mir und lehrte mich alles , was er selbst wußte. Er empfahl mir, nie die schlechten Eigenschaften anzunehmen , die man Sklaven oft nachsagt : Kriecherei, Verschlagenheit und Geldgier:


    „ Für einen Philosophen ziemt es sich, seinen Stand zu akzeptieren und nicht mit einem unabwendbaren Schicksal zu hadern. Also sei es dein Ziel nach der apatheia zu streben. Wenn du sie erreichst, wirst du innerlich immer frei sein."
    Ich hatte noch nie in meinem Leben erlebt, dass mir jemand eine solch ausschließliche Aufmerksamkeit widmete.
    Alles was er von mir wollte, war einfach nur gut und richtig.
    Ich lag nachts in Philippos‘ Armen und weinte vor Glück , und er hielt mich fest und trocknete meine Tränen.
    Philippos war der Geliebte, der für mich eine Kerze zwischen zwei Spiegel stellte und ich habe gesehen, dass sich die Kerzenflamme immer wieder spiegelte bis zur Unendlichkeit. .
    Damit hat er mir das Geschenk der Lust erklärt.: „Die Spiegel sind du und ich, Tiberios und Philippos. Die Flamme ist die Freude - Schau, wie sie tausendfach und zwischen beiden Spiegeln reflektiert wird.“


    Mein Philippos war ein durch und durch kultivierter und zartfühlender Mann, und ein guter Mensch. Ich bin von Herzen froh, dass ich ihn gekannt habe. „


    Aber dir ist schon klar, wie es geendet hat , nicht wahr ? "

  • "Eine schöne Geschichte. Und wie alle guten Geschichten muss sie ein tragisches Ende haben. Sie endete damit, dass du verkauft wurdest", orakelte Terpander düster, während er ein wenig die Schulter von Tiberios streichelte, da er den Arm um ihn gelegt hatte, während der Jüngere an ihn lehnte und aus seiner Vergangenheit erzählte.


    "Oder erfuhr jemand davon, der nie davon hätte erfahren dürfen? Ich verrate dir etwas, kleiner Tiberios. Mit dem Spiegelgleichnis hat er dir nicht nur die Lust erklärt, sondern die Liebe selbst. Was er für dich fühlte, ging über die Zuneigung eines Erastes zu seinem Eromenos hinaus. Das war es, was er dir zeigen wollte. Ich hoffe, dass es Philippos gut geht, denn so, wie du ihn beschreibst, hätte ich ihn gemocht. Kennst du seine momentane Anschrift? Wenn ja - wie wäre es mit einem Brief? Ich bin sicher, er wäre froh, zu erfahren, dass es dir gut geht."

  • Als Terpander so liebevoll über Philippos sprach, leuchteten Tiberios‘Augen auf :
    „Zunächst einmal forderte mich mein dominus zurück, denn meine geliehene Zeit bei Philippos war um.
    Ich würde gerne sagen, ich wäre in diesem Moment tapfer gewesen, aber so war es nicht – ich heulte wie ein kleiner Junge.
    Philippos schüttelte nur leicht den Kopf und stellte mir dann die traditionelle Frage : „Warst du zufrieden mit deinem Erastes?“
    Ich nickte und er sagte : „Und du hast mich stolz gemacht, Eromenos.“
    Ich habe danach ein Jahr lang den Rest der Aeneis in meiner besten Handschrift ins Griechische übertragen und an der Pforte seines Hauses abgegeben.


    Aber ich wagte es nicht , anzuklopfen oder nach ihm zu fragen. Bestimmt hätte er versucht, mir zu helfen, als ich nach Roma verkauft wurde, doch er wird nie davon erfahren haben.“


    Tiberios verweilte mit den Gedanken in der Vergangenheit , aber es waren positive Gedanken, und er lächelte strahllend und sagte:

    „Ich denke, ich werde Philippos wirklich schreiben.
    Es ist schön, mit dir hier zu sitzen, Terpander. Du bist klug und gut, und es ist so leicht, mit dir über alles zu sprechen. Ich merke schon , wer den dominus Scato erzogen hat. Wenn ich auch etwas für dich tun kann – ich würde mich freuen .“

  • "Wir sind zwei schöne Feiglinge, wie wir hier sitzen und selbst Schuld daran tragen, dass wir es tun. Dass ich fortgelaufen bin, kann man nicht mehr gut machen. Aber dass du dich versteckt hast, wie ein Häslein, dass sich im Grase duckt, das schon. Danke, dass du deine Gedanken und deine Zeit mit mir geteilt hast. Falls du wieder einmal die Zeit und Lust findest, würde ich mich freuen, wenn wir uns eines Tages erneut begegnen. Zu gern würde ich erfahren, ob du dich getraut hast, den Brief zu verfassen - und ihn auch abzuschicken. Denn das ist die zweite Hürde."


    Er erhob sich.


    "Dein Herr vermisst dich sicher schon. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich nun gehen lassen. Behalte die Nüsse, ich habe noch genügend und nicht alle sind geschält. Ich will versuchen, aus einer davon einen Nussbaum für den Garten zu ziehen. Mal schauen, ob es mir gelingt."

  • Tiberios erhob sich ebenfalls . Er nahm Haltung an, verbeugte sich sogar kurz, denn er war erzogen worden, sich sofort und unmittelbar zurückzunehmen, wenn es gewünscht wurde.


    „Ich muss tatsächlich noch Schulden eintreiben.“, sagte er : „Der Kerl hat sich von seinem Ianitor verleugnen lassen , aber ich weiß, dass er zuhause ist. Und ich muss heute noch zurück nach Portus.“


    Da der Strom der Wagen Richtung Ostia erst weit nach Mitternacht zu fließen begann, und er sich so lange in der Suburra rumtreiben würde, bis er seine Mitfahrgelegenheit hatte, sagte er nicht dazu, das ging Terpander nichts an.:


    „Danke für die Nüsse, sie sind wirklich lecker. Wenn ich etwas über die Pflege von Nussbäumen lesen sollte, bekommst du es von mir."


    Etwas lag ihm aber noch auf dem Herzen:
    „ Gib bitte deinem dominus den Varro. Und – könntest du bitte die Porta wieder aufschließen, du hattest sie zugesperrt, nicht wahr ?“
    Er lächelte:
    „Vale bene, Terpander, wie sie hier sagen."

  • Terpander begleitete Tiberios zur Porta, die er ihm nun aufschloss, doch noch nicht öffnete.


    "Der Varro wird den Ort seiner Bestimmung erreichen", versprach er. "Und du gib bitte zukünftig besser auf dich auf acht, wenn ein Fremder dich an verborgene Orte locken mag. Die wenigsten Menschen tragen Gutes im Herzen und wenn doch, dann nur für die Ihren, aber nicht für einen kleinen Scriba, der allein durch die Urbs Aeterna tippelt und mit seiner Schönheit und seinem Sanftmut die Wölfe aus den Schatten lockt. Pass auf dich auf, Tiberios. Und viel Glück beim Eintreiben der Schulden. Vale bene."


    Terpander öffnete die Tür und hielt sie mit einem Lächeln auf.

  • Tiberios trat ins Freie.
    Er fühlte sich leicht und beschwingt, als hätte etwas die Dunkelheit der letzten Tage von ihm genommen. Seine Dankbarkeit gegenüber Terpander war groß.
    Dessen sehr handfest gegebene Lektion, nicht jedem zu trauen - nicht einmal anderen Hellenen - nahm der junge Alexandriner sich zu Herzen, obwohl er gerne offen und freundlich gegenüber anderen Menschen war.
    Vielleicht sollte ihm Terpanders Rat nochmal sehr nützen.

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