[vor der Castra] Terpander und Tiberios

  • Seit Tiberios den Varro De re rustica“ in Kurzschrift in der Furischen Bibliothek kopiert * und dann in seiner besten Schrift auf Papyrus übertragen hatte, war einige Zeit vergangen.
    Er hatte in seinen freien Stnden die Arbeit beendet , und Sisenna Iunius Scato sollte sie haben. Als zukünftiger miles medicus würde die richtigen Schlüsse ziehen und vielleicht wäre ihm Tiberios‘ Geschenk für sein Studium nützlich.**
    Sich nützlich zu machen war die Art des furischen Sklaven, etwas zurück zu geben, wenn er für jemanden Zuneigung empfand, denn das war die Art und Weise, wie er sich selbst sah:
    Seine Daseinsberechtigung lag in seiner Nützlichkeit.


    In der bewohnten Welt gab es jedoch nur drei Menschen , für die er solch eine Abschrift auf eigene Kosten angefertigt hatte: einen jungen Alexandriner Bürger, den jüdische Buchhändler Ezra Ben Abraham*** und nun Sisenna Iunius Scato.


    Da Tiberios als vilicus ohnehin bei einem Kunden eine fällige Zahlung eintreiben wollte, hatte ihn sein Weg von Portus nach Roma geführt. Die Aufgabe war verdrieslich , denn der Kerl hatte sich von seinem Ianitor verleugnen lassen.
    Tiberios würde also nochmals am späten Nachmittag vorbei gehen müssen beziehungsweise notfalls vor seiner Türschwelle schlafen, damit der Mann ihm nicht entwischte , aber so lange hatte er viel Zeit , zur Castra zu gehen.
    Er hätte die drei Schriftrollen dort gerne gegen eine Quittung abgegeben, doch diesmal war gerade niemand da, der ihm etwas quittieren konnte, und in den Briefkasten konnte er so große Ggenstände nicht stecken.

    So stand der junge Grieche etwas ratlos vor der Castra.




  • Es begab sich, dass Terpander einmal mehr vor der Castra herumstand, um auf seinen Herrn zu warten. Inzwischen kannte er Scatos und Lurcos Dienstplan, aber irgendetwas konnte immer dazwischenkommen. Auch heute dauerte es länger, so dass Terpander auf und ab schlenderte. Die Wachen kannten ihn bereits und wussten, wer er war und zu wem er gehörte, so dass sie ihn nicht weiter beachteten. Jedoch fiel Terpander seinerseits ein Lockenschopf auf, der sich ebenfalls vor der Porta Praetoria herumdrückte und sich offenbar nicht traute, die Wachen anzusprechen. Als jemand, der junge Männer ausgebildet, erzogen und unterrichtet hatte und dies gern, konnte er den Burschen nicht ignorieren.


    So gesellte sich Terpander zu ihm. "Salve. Kann ich dir helfen?", fragte er rundheraus.

  • Tiberios schaute auf und grüßte „ Salve,


    er deutete eine Verbeugung an, denn es war nicht immer einfach, den Stand einer Person aus ihrer
    Kleidung zu lesen und er war lieber zu höflich als zu grob.
    Außerdem war der Mann älter, es stand ihm die Achtung gegenüber eines Älteren zu. :


    „Offen gesagt ja,das wäre sehr liebenswürdig . Ich habe etwas für einen Soldaten der Cohortes Urbanae abzugeben , doch der Empfang ist geschlossen. Du scheinst dich hier auszukennen ? Der Soldat heißt
    Sisenna Iunius Scato, und dient in der zwölften Kohorte der dritten Centurie."

    Der furische Sklave hob die drei Schriftrollen emphor:
    "Ich möchte sie ungern in den Briefkasten stopfen, das würde sie beschädigen. Und...."
    Er warf einen Seitenblick auf die Wachen:
    "..Diese Herren möchte ich lieber nicht mit meinen Angelegenheiten belästigen. "

  • "Wie praktisch." Terpander hob ein wenig die Brauen. "Der Genannte ist mein Dominus. Darf ich die Schriftrollen an ihn weiterleiten?" Er musterte den Jüngling. "Und in welcher Beziehung steht ihr beiden?" Kaum war Terpander scheinbar für Scato verloren, organisierte er sich Ersatz. Nur jünger und diesmal zur Abwechslung blond. Nicht, dass es den Lehrer verwundert hätte. Nur die Geschwindigkeit war erstaunlich und dass es schon wieder ein Grieche war. Wie ein Lakonier sah der Bursche indes nicht aus. Jemand, der von klein auf zum Kämpfen ausgebildet wurde, bewegte sich anders. Auch sein Dialekt passte zu keiner Ecke der Peleppones. Sonderlich bewandert war Terpander nicht, was die anderen Stämme Hellás' anging und der junge Mann fiel in kein ihm bekanntes Raster.

  • Der forschende Blick und die Frage brachten Tiberios in große Verlegenheit, und er konnte nicht verhindern, dass ihm das Blut in die Wangen schoss.


    Der Mann war also Scatos Sklave. Ausgerechnet! Damit war Tiberios‘ Plan, unbemerkt zu kommen und sozusagen anonym die Schriftrollen abzugeben, hinfällig. Der ältere Sklave würde ihn jederzeit beschreiben können.


    Im übrigen fand es Tiberios vollkommen richtig, dass der freie Römer Sisenna Iunius Scato nun nicht mehr wie ein gewöhnlicher Diener seine Wäsche machen und eine der niedrigsten Arbeiten – nämlich kochen - verrichten musste. Ob er eine Sondererlaubnis für die Castra bekommen hatte.?


    Der dunkelhaarige ältere Mann war offensichtlich Hellene , und da Tiberios sich dessen sicher war, wechselte er nun von Latein in die Koiné, die allgemeine Umgangssprache aller Griechen :
    „Das ist in der Tat praktisch.“, lächelte er : „Und es wäre sehr freundlich , wenn du mir den Gefallen tust. - Wie darf ich dich ansprechen ? Ich heiße Tiberios.“


    Er reichte die Schriftrollen dem Mann hinüber und überlegte sich eine unverfängliche Formulierung:
    „Dein dominus, der edle Sisenna Iunius Scato, war stets sehr gütig zu mir.“, sagte er und ärgerte sich, dass er erneut rot wurde:
    " Ich dachte , ihm mit dieser Abschrift eine Freude zu machen.“

  • Er war gütig zu mir. So nannten das die jungen Leute also heutzutage. "Zu mir war der junge Dominus dann wohl auch gütig", erwiderte Terpander amüsiert auf Koiné. Er nahm die Schriftrollen vorsichtig entgegen. Was auch immer Tiberios abgeschrieben hatte, solche Dokumente waren stets von Wert. "Ich bin sicher, er wird sich darüber freuen. Eine Abschrift ist ein wertvolles und gut gewähltes Geschenk. Mein Name ist Terpander." Die Frage, was denn abgeschrieben worden war, verkniff er sich. Das ging ihn nichts an und Scato würde es ihm ohnehin erzählen. Er erzählte alles, wenn auch manchmal etwas geschicktes Nachhaken erforderlich war.


    Ungeachtet dessen, dass Tiberios bereits rot wurde von der Musterung, betrachtete Terpander ihn sich noch ein wenig länger. Hatte seine Erziehung also doch gefruchtet - Scato hatte sich nicht irgendwen für seine Sinnesfreuden herausgepickt, sondern einen Sklaven mit Niveau. Das würde sicher auch Lurco entgegenkommen. Ein guter Sklave sollte niemals Ursache für Eifersucht und Streit sein, sondern stets für alle im Haushalt eine Bereicherung. Ob das so war, würde Terpander herausfinden - und notfalls korrigierend eingreifen.


    "Wie es aussieht, wird es noch eine Weile dauern, bis mein Herr hier aufschlägt. Darf ich dich derweil auf eine Mahlzeit einladen, Tiberios?"

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  • Da Tiberios nun das Problem mit der Abgabe seiner Schriftrollen gelöst sah, fiel ihm erst einmal ein Stein vom Herzen, und er hatte auch genug Appetit, um sich über eine bevorstehende Mahlzeit zu freuen.
    Er wußte jedoch nicht, ob der ältere Sklave über genügend finanzielle Mittel verfügte – vielleicht wollte er einfach nur freundlich gegenüber einem jüngeren Landsmann sein.


    Die Höflichkeit gebot, dass Tiberios zumindest die erste Einladung ausschlug:
    „Ich würde in der Tat gerne etwas essen – aber nur, wenn im Gegenteil ich dich einladen darf. Du tust mir schon den großen Gefallen, den Varro deinem kyrios weiter zu geben, und es beschämt mich, einen weiteren Gefallen anzunehmen. „, sagte er.


    Der vorherige Satz „ Zu mir war der junge Dominus dann wohl auch gütig",, irritierte den furischen Sklaven etwas , und er warf Terpander einen prüfenden Blick zu . Was wollte er damit genau sagen ?


    Dann kam Tiberios richtig zu Bewußtsein , dass Terpander offensichtlich auf Sisenna Iunius Scato wartete, dass jener dementsprechend jeden Moment hier auftauchen konnte – und nun wurde er sehr nervös.


    Er wollte unter keinen Umständen dem dominus Scato begegnen ! Er selbst hatte dafür gesorgt, dass der Römer ihn nur noch verachten konnte.
    „Ich bin wirklich hungrig, Terpander.“, sagte er und sah etwas gehetzt in Richtung der Porta. :
    „Gehen wir am besten sofort von hier weg !“

  • "Den Varro", sagte Terpander, ohne viel mit diesem Namen anfangen zu können. Es war schon einige Jahre her, dass er über ihn gehört hatte, aber noch nie hatte er von ihm gelesen. Zugegebener Maßen war Terpander auch nicht sonderlich interessiert. Die Beschäftigung mit den Schriften weiser Männer hatte aus der Notwendigkeit seiner resultiert, als er selbst unterrichtet worden war und das meiste hatte er rasch wieder vergessen, ohne heute etwas davon zu vermissen. Das Bürschlein zierte sich zunächst, seine Einladung anzunehmen, dann aber überlegte es sich so plötzlich anders, so dass Terpander über seine Schulter sah, um zu sehen, ob gerade Scato nahte. Das war allerdings nicht der Fall. Terpander sagte nichts dazu und gab den Weg vor.


    Der Weg verlief südwärts in Richtung der Gärten des Maecenas, ohne dass sie diese erreichten. Außerhalb der Stadtmauer zwischen uralten Bäumen stand in einer ruhigen Ecke das verfallene Atriumhaus, von dem Terpander hoffte, dass Scato und Lurco es erwerben würden. Noch gehörte es ihnen nicht, aber Terpander hatte den Schlüssel 'vergessen' an den Eigentümer zurückzugeben, so dass er dort ein und aus ging und schon anfing, es sich häuslich einzurichten. Das Haus stand ohnehin leer, niemanden würde es stören. Terpander hielt Tiberos die Tür auf, um sie nach dessen Eintreten abzuschließen und den Schlüssel einzustecken. Nun waren sie beide hier eingesperrt, denn Fenster, die nach draußen führten, gab es nicht. Sie zeigten alle nach innen zum Atrium oder zum Garten hin. Er beobachtete, ob Tiberios nun genau so misstrauisch schauen würde, wie Lurco.


    "In diesen Hallen werden es sich die beiden Domini bald gemütlich machen, wenn alles gut geht", erklärte er und wies mit der Hand in das verwilderte Atrium, in dem ein paar Singvögel von Ast zu Ast hüpften und herumpiepsten. Man sah, dass kürzlich jemand hier angefangen hatte, Ordnung zu machen und im Freien kochte und aß. Zu diesem Zwecke hatte Terpander einige der alten Möbel herausgezogen, die in einer sonnigen Ecke standen. Mit den Händen fegte er ein paar Blüten von Tisch und Stühlen und deckte den Tisch für zwei Personen. Das Geschirr und Besteck dazu hatte er neu gekauft. "Posca, Wein oder Tee?"

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  • Tiberios war Terpander gefolgt, doch zu seiner Verwunderung gingen sie nicht zu einer taberna oder einer Garküche, sondern schlugen den Weg zu einem privaten Atriumhaus ein , das wie verwunschen zwischen alten Bäumen lag.
    Terpander hatte einen Schlüssel , öffnete die Porta und ließ ihn vorgehen.
    Der junge Grieche machte ein paar Schritte und war von den Räumlichkeiten begeistert.
    Er achtete gar nicht darauf, ob Terpander abschloss oder die Tür offen ließ.
    .
    Tiberios ging umher, legte den Kopf in den Nacken, berührte die Wände, und sagte :
    Solch weitläufigen Wohnhäuser werden in Roma gar nicht mehr gebaut, kein Platz mehr, wie überall in den großen Städten. . Die kyrioi haben es gekauft ? ich freue mich, dass es den Herren Sisenna Iunius Scato und Manius Purgitius Lurco gut geht.“


    Der furische Sklave schaute sich im Atrium um :
    „ Auch hier Schönheit und Harmonie" , sagte er :
    „Du bist ein glücklicher Mann, Terpander.“


    Es war deutlich, dass er das Haus vor seinem inneren Auge sah wie es eines Tages wieder aussehen konnte und nicht in dem renovierbedürftigen Zustand , in dem es sich gerade befand.


    Dann besann er sich Tiberios auf seine guten Manieren:
    Ich danke dir für die Einladung, Terpander. Wenn es geht, hätte ich gerne Posca. Kann ich diir bei irgendetwas zur Hand gehen?"

  • Vollkommen arglos marschierte Tiberios in dieses verfallene Haus, in dem niemand je seine Leiche finden würde. Weder vergewisserte er sich, dass ein Fluchtweg frei war, noch achtete er darauf, mit den Augen Terpander zugewandt zu bleiben, den er heute das erste Mal getroffen hatte. Er wusste nicht mal, ob Terpander wirklich Terpander war! Tiberios drehte ihm den Rücken zu, flanierte seelenruhig noch tiefer in die Höhle des Löwen und lobte die Bruchbude. Terpanders Blick verdunkelte sich. Von hinten trat er an den jungen Sklaven heran. Er packte Tiberios, knallte ihn gegen die nächste Wand und presste ihn so fest dagegen, dass er sich kaum noch rühren konnte.


    "Was nun, Daphnis", raunte Terpander in sein Ohr.

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  • Tiberios spürte wie die Angst drohte, ihn zu überwältigen.
    Er konnte kaum atmen, und er hätte nie damit gerechnet, dass der ältere Sklave eine solche Kraft in den Armen hatte. Wenn er überhaupt ein Sklave war – er konnte alles Mögliche sein, ein Räuber, ein Dieb, ein Sicarius. .
    Nur weil er ihn vor der Castra der Urbanici getroffen hatte, bedeutete das nicht, dass er ein gesetzestreuer Mensch war.
    Tiberios versuchte, klar zu denken. Er war zu unwichtig, um Feinde zu haben , vermutlich war er ein Zufallsopfer.
    „Wenn du mein Geld möchtest, es hängt an meinem Gürtel“, sagte er so deutlich er konnte.
    Wenn er sich kooperativ zeigte, würde der Mann ihn vielleicht am Leben und gehen lassen.
    Wie hatte er ihn genannt ? Daphnis ? Vielleicht handelte es sich auch um eine Verwechslung!

  • "Du meinst, ich sollte mir dein Geld nehmen, und dich dann einfach laufen lassen? Jetzt, wo du mein Versteck kennst? So läuft das nicht. Einen Versuch hast du noch, bevor ich dir das Fell über die Ohren ziehe."


    Terpander hielt ihn noch immer unverändert fest. Auf die Antwort, die jetzt folgen würde, war er gespannt. Der Landsmann war lehrbuchreif in die Falle getappt und genau so lehrbuchreif misslang es ihm offenbar, irgendetwas zu sagen oder zu tun, um seine Haut zu retten. Es war zum Weinen.

  • Tiberios schloss einen Moment die Augen.
    Der Griff des anderen lockerte sich nicht. Ihm gelang es auch nicht, sich anzuspannen oder sich zu befreien.


    Völlig unangemessen kam ihm jetzt auch ein Satz aus der Bucolia des Dichters Vergilius in den Sinn, es war immer der gleiche Satz , immer und immer wieder: hörte er ihn in seinem Inneren, als würde ihn jemand laut aussprechen, und er war sich selbst nicht sicher, ob er es nicht auch laut sagte.
    "Exstinctum nymphae crudeli funere Daphnim
    Nymphen beweinten Daphnis, entseelt vom grausamen Tode."


    Der Mann , der ihn gefangen genommen hatte, hielt ihn aber einfach weiter nur fest gegen die Wand gedrückt..


    Ein anderer Gedanke kam Tiberios nun , und der war grausig :
    Scato selbst hatte diesen Terpander beauftragt, ihn zu erledigen und seine Leiche zu entsorgen, denn kein Sklave hatte ungestraft einen freien Römer zu beleidigen.
    .
    Also sagte er und seine Stimme klang zwar erstickt , aber äußerst sachlich :
    „ Kommst du von Scato ? Wenn er meint, dass mein Tod einen Wert für ihn hat, kann ich dem nichts entgegensetzen.. Wenn dem aber nicht so ist - was willst du von mir ?"

  • "Ein trauriger und schöner Spruch. Er hätte auf deinem Grabstein stehen können." Terpander gab den jungen Sklaven frei. Zur Beruhigung auf den Schrecken wuschelte er ihm durch die Locken, so dass sie ihm zu Berge standen. "Pass künftig auf, wem du wohin folgst."


    Eines Tages mochte die heutige Lektion Tiberios den Hintern oder das Leben retten. Terpander fand es besser, wenn er sie von ihm erhielt, als in einer finsteren Gasse durch den Ernstfall. Endlich schenkte er Tiberios die gewünschte Posca ein. Er drückte ihm den Becher in beide Hände, wobei er ihm sanft die Finger darum schloss.


    "Du gehst durchs Leben, als sei dir nie ein Übel wiederfahren. Es ist schön für dich, dass es dir offenbar immer gut ging, aber in Roma gefährlich. Scato hat hiermit nichts zu tun. Das war eine ganz private Lehrstunde zu deiner eigenen Sicherheit, damit du uns noch eine Weile erhalten bleibst."


    Genau genommen würde Scato ihm hierfür vermutlich den Hals umdrehen. Aber als Lehrer konnte man auf solche Befindlichkeiten nicht immer Rücksicht nehmen. Schließlich war er hier der Paedagogus und wusste, was am besten war. Terpander ließ sich auf den Stuhl plumpsen und lächelte zufrieden. Er fand, dass er soeben eine gute Tat vollbracht hätte.

  • Tiberios nahm die posca , wobei er sich bemühte, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken.
    Plötzlich lächelte Terpander , als würde sich ein Gewittersturm in eine sanfte Brise verwandeln und nannte das ganze eine Lehrstunde.


    Tiberios war sich immer noch unsicher, ob der Mann ganz bei Verstand war.


    “ Ich bedanke mich für die Lektion“, sagte der junge Grieche :
    „Ich werde sie mir zu Herzen nehmen. Ich nehme dir ab, dass du es gut meinst.“


    Er richtete seinen Blick nachdenklich auf den Mann :


    „ Und ich habe vielleicht sogar mehr gelernt, als du beabsichtigt hast .", sagte er freundlich :


    "Du heißt Terpander, Sklave des Sisenna Iunius Scato, obwohl das nicht sicher ist, denn im Gegensatz zu mir trägst du keine Bronzetafel -oder zumindest nicht offen.
    „Du bist sehr stark , sogar für dein Alter, und du bist es gewohnt, deine Kraft auf diese Weise einzusetzen. Du hättest mir mit Leichtigkeit was antun können, aber ich habe nicht einmal einen Kratzer. Ich gehe davon aus, dass du einmal in deinem Leben entweder ein Leibwächter, ein Gladiator oder ein Soldat warst.
    Du sprichst Koiné fast ohne Akzent, aber leicht ist er da und er gleicht der Sprechweise der Furier
    und auch anderer Leute , die dorischen Akzent sprechen. Also bist du entweder von Rhodos, von Kreta oder Lakedaimonier. Die Männer von Sparta aber...."

    Tiberios erhob sich und machte einen Schritt auf Terpander zu. Er sah ihm fast herausfordernd in die Augen :
    „Ich bin mir beinahe sicher, dass du Narben auf deiner Brust trägst wie ein Soldat und nicht wie ein Sklave, der sie für gewöhnlich auf dem Rücken hat. Lässt du mich nachsehen?“

  • Es gelang nicht vielen, Terpander außer Fassung zu bringen. Tiberios schaffte das. Erschrocken, ja entsetzt starrte Terpander ihn von seinem Stuhl aus an und fragte sich, ob er ihm nicht doch besser den Hals umdrehen sollte. Der junge Mann war raffiniert und gefährlich wie ein Prätorianer in zivil. Terpander musterte ihn ein weiteres Mal, doch diesmal mit einem völlig anderen Blick. Er hatte diesen kleinen Kerl sträflich unterschätzt. Was ihm an körperlicher Eignung fehlte, hatte er im Kopf. So erteilte Tiberios ihm nun seinerseits eine Lektion. Er wusste, wer Terpander war - auch ohne, dass dieser es ihm auch nur andeutungsweise gesagt hätte.


    Viel zu lange dauerte das Schweigen, als Tiberios ihm von oben in die Augen starrte und Terpander den Blick erwiderte und festhielt, während er nachdachte. Man konnte eine Lüge nur bis zu einem bestimmten Punkt verteidigen, ehe das Konstrukt zusammenbrach. Noch wusste Tiberios nicht, dass er überhaupt eine Lüge lebte - und er würde ihm keinen Anlass geben, auf die Idee zu kommen, dass es so sein könnte. Er würde einfach so tun, als sei alles in bester Ordnung.


    Terpander hakte also seine Finger in den Ausschnitt der eigenen Tunika und zog sie herunter bis über seine Brust. Tiberios konnte nicht nur sehen, dass er rasiert und geölt war, so wie ein zivilisierter Mensch es eben sein sollte, sondern auch, dass die unterschiedlichsten Narben seine muskulöse Brust zierten. Einige wirkten wie Schnittwunden, andere wie Stiche, weitere wie Kratzer oder Gebissabdrücke.


    "Die meisten stammen vom Training. Ich war einer der Homoioi, einer von den Gleichen, ich war Spartiate. Wer aber warst du, Tiberios?"

  • Als der ältere Sklave ihm seine alten Narben zeigte, wurde Tiberios ernst und jede Herausforderung wich aus seinen Augen.
    Ein Spartiate , wirklich Einer der Homoioi .
    Ihr Ruf unter allen Griechen war legendär – Männer, die niemals eine Wunde auf dem Rücken empfingen , weil sie niemals flohen ; Männer, die sagten, dass Sparta keine Mauern brauchte, weil ihre Körper die Mauern waren.
    Freilich waren die alten Zeiten vergangen und Romas Legionen hatten selbst das stolze Sparta bezwungen, aber die Homoioi bildeten immer noch eine kampfesfrohe, verschworene, gefürchtete Elite. Wie konnte so ein Mann in Sklaverei geraten?


    Die Tyche, die Göttin des schicksalhaften Verhängnis, konnte auch den Besten in den Staub zerren!


    Verzeih mir, ich war anmaßend und unhöflich ", ,sagte Tiberios und meinte es aufrichtig:
    „Wer ich war, Terpander ? Ich war immer der, der ich auch jetzt bin , der Sklave Tiberios aus Alexandria, Sohn der Sklavin Caenis., schon als Sklave geboren. Ich glaube, du würdest mich einen Heloten nennen.“


    Tiberios sah Terpander voller Ehrfurcht an : „ Wie aber bist du in domnus Sisenna Iunius Scatos Dienst gekommen? Er muss sehr stolz darauf sein, dich in seiner familia zu haben.“

  • Terpander lächelte ein wenig, als Tiberios so ehrfürchtig von ihm sprach. Seine eigenen Leute würden ihn verachten, ihn töten, seine Leiche bespucken und den wilden Tieren zum Fraß überlassen. Er würde kein Grab erhalten und niemals würde je wieder über ihn sprechen. Auch er selbst hielt nicht mehr sehr viel von sich. Trotzdem oder deswegen tat es ihm gut, mit einem anderen Hellenen zu sprechen. Einem, der die Dinge ein wenig anders sah als ein Spartiate.


    "Ich hoffe doch, dass ich meinem Herrn nützen kann", sagte Terpander. "Andernfalls wäre meine Daseinsberechtigung verwirkt. Siebenundvierzig Sommer und Winter habe ich mittlerweile erlebt und wenige kaufen einen alten Sklaven. Wenn Scato mich eines Tages nicht mehr braucht, dann war es das für mich."


    Er gönnte sich mit Wasser verdünnten Wein. In seiner Jugend war ihm der Rebensaft verwehrt gewesen, doch er war nicht mehr der Mann von einst.


    "Ich geriet in Sklaverei, weil ich das tat, was kein Spartiate je tun sollte: Ich lief davon. Heute als Sklave zu leben ist eine milde Strafe. Anfangs sah ich das freilich anders. Zu Beginn meiner Gefangenschaft hatte ich vor, den Römern einen Grund zu liefern, mich zu töten. Ich wollte durch die Waffe eines Gegners sterben. Dass ich es mir anders überlegte, ist meinem Herrn zu verdanken, der mir das Gefühl gab, mich zu brauchen. Dreizehn war er und hatte kurz vor meinem Kauf seinen Vater verloren und wie du weißt, haben junge Römer keine eigenen Mentoren, die sich um sie kümmern, stets sind sie nur einer unter vielen, außer vielleicht in den ganz reichen Familien. Ich brachte es nicht über mich, ihn auf diese Weise allein zu lassen."


    Er schenkte Tiberios Posca nach.


    "Du bist also schon als Sklave geboren. Du wirkst ausgeglichen und zufrieden mit deinem Los und warum solltest du das auch nicht sein? Auch einem Heloten geht es besser, wenn er sein Schicksal akzeptiert, denn ein anderes Leben wird es für ihn nicht geben. Darüber zu grübeln, würde nur in Verbitterung münden. Was sind deine Aufgaben? Wem dienst du? Von Alexandria weiß ich nichts, als dass dort ein Leuchtturm steht. Wenn du möchtest, erzähl mir von dieser Zeit."

  • Tiberios entspannte sich.


    Terpanders Körperkraft flößte ihm Vertrauen ein, keine Angst mehr. Er mochte den Mann. Vielleicht weil er sich bei Scato immer ganz ähnlich gefühlt hatte.


    Er räkelte sich auf der Kline , stützte sich auf seinen Arm.
    Als Terpander davon sprach, dass er sich um den dreizehnjährigen Scato gekümmert hatte, lächelte Tiberios und etwas Weiches trat in seine Züge, was er aber sofort unterdrückte.
    Er sagte :
    „Ich bin wirklich zufrieden mit meinem Leben. Mein Herr heißt Gnaeus Furius Philus ,und er hat mich zunächst zu seinem Scriba und dann zum vilicus seines Handelshauses gemacht . Und die Herrin der Casa Furia hat mich beauftragt, die biblioteca zu ordnen, eine Aufgabe, die ich über alles liebe.
    Du siehst , Fortuna ist mit mir, seit ich nach Roma gekommen bin; ich bekomme interessante Dinge zu tun, trage gute Kleidung , habe ein Dach über dem Kopf , genug zu essen und keine Strafe zu fürchten, sofern meine Nützlichkeit meine Irrtümer übersteigt"


    Tiberios‘ Tonfall wurde spöttisch , als er fortfuhr:
    „Ab und zu lasse ich Römer für meine Gesellschaft bezahlen, das ist dann ein kleines Nebeneinkommen. Warum sollte ich einem Römer etwas umsonst geben ? Du wirst das verstehen, du bist Sklave wie ich.,“


    Ich hoffe, du gibst das genauso deinem dominus weiter, dachte Tiberios.


    „Alexandria – Hauptstadt des Wissens und des Lasters nennen sie viele, denn dort gibt es nichts, was es nicht gibt. Ich bin dort geboren . Aber am Anfang stand meine Mutter, die Sklavin Caenis, sie war hübsch, zierlich, üppig, witzig und erzählte die verrücktesten Geschichten , der dominus hatte sich in sie verliebt und am Ende stand meine Existenz.“


    Tiberios nahm einen Schluck posca :
    „Du hast mir gesagt, ich ginge durchs Leben, als sei mir nie ein Übel widerfahren, und das ist wahr. Ich hatte von anfang an viele Menschen um mich, die mich mochten – und nur einen, der mir Unheil wünschte, aber in dieser Zeit hat mich mein Herr beschützt und man konnte mir nichts anhaben . Und als ich sechzehn war, habe ich das erste Mal geliebt.“


    Obwohl Tiberios von einem endgültigen Abschied sprach, klang seine Stimme heiter. Er wirkte nicht traurig, dass es vorbei war. Er schien froh, dass er es gehabt hatte.

  • "Wenn dein Herr es gestattet, dir auf diese Weise etwas dazu zu verdienen, warum nicht? Hübsch bist du ja. Wenn dies aber ein gut gemeinter Ratschlag war, so wird er in meinem Alter nichts mehr nützen. Niemand benötigt einen so alten Lupo. Falls ich als Libertinus ende, werde ich beim Colosseum fragen, ob sie nicht einen Gladiator brauchen und dort bis zu meinem Tode kämpfen. Ein ehrbarerer Weg als der des Bettlers."


    Die Worte von Tiberios erstaunten Terpander dann doch. "Du bist also der Bastard deines Herrn. Das mag nicht ungewöhnlich sein, aber du machst mir einen fähigen Eindruck. Dachte er nie darüber nach, dich nachträglich anzuerkennen, wenn doch sogar Liebe im Spiel war und er dich auch schützte, oder dich zu adoptieren? Wer war dieser Herr denn?"


    Terpander machte es sich etwas gemütlicher, als offensichtlich wurde, dass Tiberios mit ihm noch ein wenig zu plaudern gedachte. Er ließ den Stuhl stehen und legte sich wie Tiberios auf eine der Klinen, so dass sie einander ansehen konnten. "Wen hast du geliebt?", fragte er.

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