Ganymed - Lupanar

  • Wie ein Gespenst so blass erhob sich Kyriakos. Im Sitzen hatte er gewacht, im Sitzen hatte er geschlafen. Nun stand er wieder aufrecht, als wäre er aus dem Tartaros zurückgekehrt, ohne das dieser dem Wanderer hätte etwas anhaben können. Das stimmte nicht, Kyriakos war innerlich schwer verwundet. Aber das war er nicht zum ersten Mal und würde es auch nicht zum letzten Mal sein. Er würde überleben.


    »Ich bin hier«, sagte er ruhig, so wie er das vor Kurzem schon einmal getan hatte. »Geht es um den Fall?«


    Er hoffte sehr, dass es darum ging, und nicht um das, was hinter ihm begraben lag. Zwei Sarkophage ragten nun statt einem hinter ihm empor, mahnend, drohend und doch vollkommen harmlos. Der Tod wirkte bedrohlicher, als er letztlich war. Manchmal erschien er Kyriakos sogar süß und verlockend.


    »Die Sache ist nun schwieriger.«


    Kyriakos hatte aus Angst vor der Krähe geschwiegen. Er hatte die Mörder von Iugurtha gedeckt, um zu zeigen, dass er seine Lektion gelernt hatte. Dass er kooperieren würde. Doch nun war da wenig geblieben, was ihn noch schrecken konnte. Die Zukunft barg kein Licht mehr für ihn und für Nymphis war gesorgt. Freund Hairan würde sich mit seinem Notar um eine dienliche Abstammung von Kyriakos´ Sohn kümmern. Kyriakos besaß so viel Gold, dass er es aus Angst, etwas Falsches damit zu tun, nicht anrührte. Wenn er es Nymphis vermachte und die Urkunde geschrieben war, war dessen Zukunft sicher.


    Kyriakos wendete langsam den Kopf und blickte vielsagend auf das zweite Grab.

  • Lurco trat zu Kyriakos der aussah als wäre er aus dem Reich der Toten zurück gekehrt. Vielleicht war er das auch. Lurco betrachtete stumm die beiden Gräber.


    "Ja es geht immer noch darum", antwortete er leise.
    Irgendwie sah Kyriakos im Moment danach aus, als benötigte er Stille. Völlig gewähren konnte er sie ihm leider nicht.


    "Was ist schwieriger geworden? Du weißt wer für all das verantwortlich ist?", fragte Lurco und schaute sich um.


    Trümmer und Tote, das war Kyriakos geblieben.

  • »Ich weiß es nicht sicher. Aber ich kann Anhaltspunkte liefern.«


    Er machte eine Pause. Jetzt ging es um viel. Doch er entschloss sich, fortzufahren.


    »Meine Erinnerungen haben mich beim letzten Verhör getäuscht. Ich ... der Brand war nicht leicht zu verkraften. Nun sehe ich wieder klarer. Es begab sich anders, als ich berichtet habe.«


    Er tat etwas, was man nicht oft bei ihm sah: Er schlug die Augen nieder. Dass er mit seinen Lügen den Urbanern die Ermittlungsarbeiten erschwert hatte, war ihm bewusst. Das war der Sinn gewesen.

  • "Ich bin kein Idiot Kyriakos, Du hast klarer gesehen als jeder andere. Eine gehässige, aufsässige, dumme Sklavin ist leicht zu beschuldigen. Du hattest Dir eine Entschädigung und einen Gewinn erhofft. Ich hätte sie bestraft. Sie hat den Brand nicht gelegt, nicht diesen... Sie hat ganz andere Brände angefacht und kam damit durch.


    Es wäre also nur fair, wenn sie für etwas bestraft wird, was sie nicht tat.
    Denn das was sie tat, blieb unbestraft.


    Gerecht und Gericht gehen nicht immer Hand in Hand Kyriakos. Manchmal braucht die Gerechtigkeit ihre Zeit, den passenden Moment und den passenden Mann. Diesmal hatte sie sogar zwei Männer, Dich und mich.


    Rein von der Logik her ist das ein Bandenkrieg, eine Machtübernahme samt deren Einnahmequellen. Schutzgelderpressung und ähnliches. Du kannst Dich schützen, aber wer schützt Deine Lieben?


    Also hast Du das gesehen, was Du sehen konntest und sehen durftest ohne dabei selbst umzukommen oder Deine Leute dem Tod auszuliefern. Auch wir sind nicht unverwundbar, die Station hat sich nicht selbst angezündet.


    Wer sind die Raben oder die Krähen? Lass es uns gemeinsam auf unsere Art beenden. Sie wollten den Abgrund, wir schicken sie hin", flüsterte Lurco nur für Kyriakos Ohren.

  • Pullus


    Pullus führte Nicon hinaus aus der Castra zurück durch die Subura zum Ganymed. Noch sah der Lupo gut aus, aber das konnte bei einem Trinker schnell umschlagen und tragen wollte Pullus Nicon nicht.


    Nicon sollte ja nicht nur laufen und stehen können, er musste ja auch noch dem Verhör mit Lurco folgen können. Endlich kam das Ganymed in Sicht und Pullus atmete erleichtert auf, als er von der Ferne zwei wohlbekannte Gestalten erkannte.


    "Gleich hast Du es geschafft", sagte Pullus aufmunternd. Ob er sich oder Nicon meinte, war nicht herauszuhören.


    In Sicht- aber nicht in Hörweite blieb er mit Nicon stehen, da sein Kollege scheinbar bereits Kyriakos befragte. Die Aussagen sollten nicht abgestimmt werden, drum wartete Pullus mit Nicon, bis Lurco sich zu ihnen gesellte.

  • Kyriakos neigte ein wenig das Haupt zur Seite zum Zeichen seiner Überraschung. Dieser Urbaner zeigte mehr Herz und Verstand, als er je erwartet hätte. Die Peitsche wäre das Mindeste gewesen für seine Lügen, damit hatte er gerechnet, nicht mit Verständnis für seine Zwangslage. Bei seinem Beruf wäre es unangebracht, je das Wort Ehre in den Mund zu nehmen. Dagegen sträubte er sich, auch wenn Velia stets hohe Stücke darauf gehalten hatte. Er hatte ihre Ansichten von Ehre zurückgewiesen. Und doch war es nun das nostalgische Gefühl der spartanischen Kriegerseele, das sich regte, als er seine Antwort formulierte.


    »Ich stehe in deiner Schuld, Schwert Romas«, sprach er leise und ernst. »Meine Heimat liegt fern, mein Rechtsverständnis ist das eines Fremdländers. Deine Einschätzung ist jene, die korrekt sein wird. Die Männer, die uns angegriffen haben, verlangten eine Steuer. Sie erbaten Einsicht in meine Einnahmen, die ich ihnen verweigerte, so wie die Zahlung der geforderten Gebühr. Ich habe unterschätzt, wie viele es sind und wozu sie fähig sind. Den Preis zahlten meine Jungs in Blut und nun auch noch Velia. Subura-Dreck war es, der uns überfiel. Doch wer weiß, wer die Köpfe sind. Ich weiß es nicht.«


    In diesem Moment erschien ein weiterer Urbaner in der Gasse, im Schlepptau Nicon, der grinste. Kyriakos grinste nicht zurück, doch seine Augen öffneten sich ein Stück weiter, weil er sich freute.


    »Dieser Tag birgt nicht nur Schatten«, verkündete er.

  • "Nein, er bringt nicht nur Schatten Kyriakos. Wir bringen die Schatten und wir werden uns von ganz unten, nach oben durchschneiden. Lass die anderen ruhig wegschauen, dann sehen sie uns ebenso nicht. Mörder haben nichts anderes verdient als den Tod durch die Klinge. Und wir, nun wir finden bei unseren Ermittlungen zufällig ein paar Leichen mehr.


    Was sollen wir sonst machen? Dabei tatenlos zuschauen, wie gute Menschen sterben und von diesem Dreck abgeschlachtet werden? Haben wir eine andere Wahl? Einer der Bauarbeiter hat überlebt, ihn werden wir befragen. Die Krähe ist ein weiteres Indiz und die Schutzgelderpressung. An wen sollte das Geld gehen? Wenn die nächste Zahlung fällig ist, folgen wir dem Geld, dem Boten. Das Geld wird schließlich irgendwohin gebracht und wir nehmen seine Spur auf.


    Vielleicht finden wir noch mehr heraus. Du wirst nicht der Einzige sein, den sie erspressen wollten. Glaub es mir. Aber Du wirst der Einzige sein, der sich wehrt und es ihnen heimzahlt. Wer war Velia?", fragte Lurco leise.

  • in corvi umbra >>>


    Tiberios war in die Subura gekommen - dem Ort, an dem er nichts zu suchen hatte.


    Ihn trieb eine Frage: Hatte Eireann etwas damit zu tun, dass jemand hinter ihm her war. Er wollte sie direkt fragen. Er hoffte sehr, dass sie ihm um der alten Tage Willen Auskunft geben würde.
    Gorgonus, der furische Sklave aus dem Handelshaus Furii, war gekommen, ihn zu warnen. Tiberios hatte eine Warnung an Terpander geschickt. Er erwartete keine Antwort. Gorgonus würde vermutlich nichts geschehen, weil er auf sich aufpassen konnte, aber er musste nach Portus Ostiensis zurückreisen.


    Als Tiberios in der Nähe des Hauses von Hairan nach der verschleierten Sklavin des Magus fragte, sagte ihm eine Frau, die die Stufen ihres baufälligen Hauses fegte, sie würde sich oft in den Gassen herumtreiben und das letzte Mal hätte man sie in den Ruinen des Ganymed gesehen.


    Tiberios begab sich dorthin. Diesmal scharrte er nicht wie beim ersten Mal mit dem Fuß in der Asche, diesmal trat er mitten zwischen die Ruinen.
    "Eireann!", rief er leise.


    Aufmerksam betrachtete er eine schlampig ausgeführte, halb abgeblätterte Zeichnung an der Wand, dann fiel sein Blick nach unten. Das waren eindeutig zwei Gräber. Das eine Grab war frisch.


    Tiberios ging in die Hocke. Es gab keinen Namen, und heilige Scheu hielt ihn zunächst ab, die Steine zu berühren.
    Doch wer begrub seine Toten innerhalb der Stadtmauern? Wer lag da begraben?


    Der furische Sklaven dachte an Eireann. Hatte man sie erschlagen? Das also war das Ende der Keltin. Getötet als wäre sie nicht wert; vielleicht von Hairan, der das Recht dazu hatte, vielleicht von anderen, die das Recht nicht hatten. Verscharrt unter Steinen.


    War das Iusticia, die Gerechtigkeit, auf die die Römer so stolz waren?


    Aber dann bemerkte er, dass sich die Person, die die behelfsmäßige Grabstätte errichtet hatte, Mühe geben hatte. Die groben Steine waren nahezu kunstvoll aufgeschichtet.


    Es half nichts, er musste nachsehen. Er legte eine Hand auf einen Stein, schloss die Augen, sprach ein Gebet für die Manen der Unbekannten.
    Und dann hob er ihn ab.


    Sim-Off:

    * Das 27. Feld bezeichnet das Feld Wasser des Chaos beim Senet, einem altaegyptisches Würfel-Brettspiel. Eine Spielfigur, die darauf zu stehen kommt, ist aus dem Spiel.

  • Ruhig war die Stimme von Kyriakos, ernst sein Blick.


    »Velia war meine Geliebte, auch wenn sie mich nur als einen Freier von vielen wahrnahm. Sie wurde erstochen von den Männern der Krähe, da bin ich sicher. Wie Iugurtha. Wie Satibarzanes angestochen wurde. Ich weiß nicht einmal, ob er es überlebt hat, er lief davon. Viele sind nicht geblieben von der alten Truppe. Wie es weitergehen soll, weiß ich nicht. Aber immerhin ist Nicon wieder da.«


    Nach Satibarzanes der unnützeste seiner Lupos.

  • Lurco betrachtete Kyriakos und nickte verstehend.


    "So ist die Liebe Kyriakos, nur weil Du eine Person liebst, muss sie Dich nicht zurück lieben. Ich weiß wie Du Dich fühlst. Für meine erste Liebe war ich die Hure, die man benutzt und mit Gefälligkeiten bezahlte.


    Leider wusste ich das erst hinterher. Trotzdem habe ich den Mann geliebt. Als er mir sagte für mich wäre in seinem Leben kein Platz mehr er wolle heiraten, da habe ich mich umgedreht und bin gegangen.


    Was sollte ich darauf sagen? Es war alles gesagt, ich war unerwünscht also ging ich. Versuchte es abzuhaken, nach vorne zu schauen und mir meinen eigenen Weg zu suchen. Und irgendwann stand ich vor den Toren der Urbaner. Ob das die Lösung war oder der Pfuhl neuer Probleme oder eventuell beides - wer weiß.


    Aber ab heute Kyriakos sind wir wenigstens für ein Problem die Lösung und zwar für die Krähen. Die Toten bleiben nicht ungesühnt, Blutrache. Wir fordern Tribut in Blut. Wo fangen wir an? Wollen wir uns anhören was Pullus zu sagen hat?


    Das Gespräch bleibt unter uns Kyriakos, genau wie die Taten. Ist es vorbei hat das alles niemals stattgefunden. Wir sind von nun an aneinander gebunden Du und ich und besiegeln es mit Blut. Schuldigem Blut. Ich hoffe Du weißt wie man kämpft Bruder", flüsterte Lurco und drückte Kyriakos kurz.

  • »Für deine erste Liebe warst du die Hure? Nicht schön in so jungen Jahren. Ich war für jeden die Hure. Aber so lange wir stehen können, ist alles gut. Wir stehen. Also nutzen wir unsere Zeit.«


    Damit wollte er ihn aufmuntern. Aber Kyriakos konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken einen Moment zu Serenus abschweiften. Vielleicht, weil es kein Geschäft gewesen war, sondern ein Geschenk. Vielleicht, weil ihm ihr Spiel mit den Worten Spaß gemacht hatte, als sie sich gegenseitig kunstfertig umgarnten. Etwas war da, was er voher auch nicht gehabt hatte und nach der Nacht im Rausch trotzdem vermisste. Seine eigenen pragmatischen Worte gegenüber dem Urbaner wurden von seinem Herzen ad absurdem geführt, doch was bedeuteten schon Gefühle. Taten bestimmten über Sieg oder Niederlage, Überleben oder Untergang. Und die Zeit für Taten war gekommen. Er konzentrierte sich auf die Gegenwart.


    »Aufs Kämpfen verstehe ich mich, so weit meine Füße es erlauben. Dein Name ist Lurco, nicht wahr? Du bist der Experte, ich werde tun, was du wünschst. Wir beide haben etwas davon und zu verlieren ist nicht mehr viel. Pullus möge sprechen.«

  • "Damals in der Beziehung habe ich nicht so empfunden, aber rückblickend war ich eine Hure zum Zeitvertreib - ja. Aus jedem Dreck lernt man und sogar in der Beziehung die nie existierte habe ich genug gelernt. Und da Huren für ihre Dienste entlohnt werden, habe ich ihm bei unserem Wiedersehen die Rechnung präsentiert. So kam ich zu meinem Haus. Damit finde ich hat die Angelegenheit für mich einen passenden Abschluss gefunden. Genau Kyriakos, so lange wird noch sind, sind wir auch handlungsfähig", stimmte Lurco mit grimmigem Grinsen zu.


    Über Satibarzanes schwieg er sich aus. Möglich das Kyriakos Sati wirklich vermisste. Aber Sati hatte Angst geäußert, auch vor diesen Zwillingen, deshalb hielt Lurco den Mund. Wenn Sati gefunden werden wollte, würde er selbst dafür sorgen. Er hatte ihm nicht aus der Klemme geholfen, um ihm neue Probleme zu bereiten.


    "Sehr gut, dann leiste ich den Kampf und Du die Nacharbeit samt Rückendeckung. Heißt wenn einer verwundet ist, schneide ihm die Kehle durch. Und falls mir wer in den Rücken fallen will, sieh zu das mir keiner die Kehle durchschneidet. Gleiches gilt für mich, wir achten aufeinander. Richtig mein Name ist Lurco.


    Nein es ist nicht mehr viel zu verlieren, da hast Du Recht. Die Krähen haben den Bogen bei weitem überspannt. Normalerweise sollte man Gleiches mit Gleichem vergelten und das Nest der Krähen anzünden. Aber wir sind erstens keine verrückten Christen und zweitens kann ein Brand ausarten und es kommen Unschuldige zu Schaden. Wir holen uns die Schuldigen persönlich, ist zwar etwas mehr Arbeit, aber sie lohnt sich.


    Komm", sagte Lurco und machte eine einladene Geste Richtung Pullus.


    Gemeinsam gingen sie zu dem Urbanerkollegen, neben dem Nicon wartete.
    "Gibt es was neues bzüglich dem Subjekt?", fragte Lurco.


    "Ja. Was Dich nicht erstaunen wird, sie sitzt weiter ein, da sie gelogen hat. Aber eine interessante Sache war da doch. Sie scheint die Krähen zu kennen und betitelte sie als eine Gruppe die aus den Schatten heraus agiert. Der Rest war wieder gebündelter Unsinn, also was die Wahrheitsliebe dieser Sklavin angeht ist noch gewaltig Luft nach oben. Selten sowas verlogenes gehört. Ein Märchen reiht sich an das andere. Hier", antwortete Pullus und reichte Lurco die Wachstafel.


    "Danke", gab Lurco zurück und las sich die Notizen durch, ehe er die Tafel einsteckte.


    "Ach und Du sollst von Cerretanus aus Nicon verhören. Der gute Mann hat mich für Dich gehalten. Ihn hat es ganz schon hart in der Station erwischt. Sein Rücken ist wohl hin und seine Beine und dann hat er auch noch eine Rauchvergiftung. Er sieht nicht gut aus. Scato versorgt ihn, zwar war ein echter Medicus dabei, aber die Sache war mir trotzdem sehr unheimlich", erklärte Pullus mit einem Schaudern.


    "Scato bekommt das schon wieder hin. Notfalls packt er seinen Wurm aus und Cerretanus erleidet eine Spontanheilung. Wenn ich mich nur an den Wurm von Scato erinnere. Lieber Themenwechsel.


    So Nicon, da ich Dich verhören soll, werden wir dies hier gleich an Ort und Stelle tun. Was kannst Du mir über den Brand des Ganymeds sagen? Wer hat Deinen Kollegen ermordet und Satibarzanes verletzt? Kannst Du Angaben über die Krähen machen? Hast Du von dieser Organisation gehört?", fragte Lurco und zückte seine eigene unbeschriftete Wachstafel.


    Er musste sich unbedingt einen neuen Schwall Tafeln kaufen. Das der Beruf als Urbaner als erstes einmal ein Tafelfresser war, damit hätte Lurco auch nicht gerechnet. Erwartungsvoll schaute er Nicon an.

  • Der Urbaner schüttete ihm tatsächlich sein Herz aus. Mit einem Rutsch kippte er die scheinbar lange Zeit in seinem Inneren verwahrten Gefühle vor Kyriakos auf die Straße, nur um hinterher weiterzumachen mit seinen dienstlichen Angelegenheiten, als wäre nichts gewesen. An einer Stelle zuckten die Mundwinkel des Lupo, was einem Lachen entsprach, das an diese Stelle gehört hätte.


    »Ein Haus hat er dir überlassen müssen? Nicht schlecht.«


    Was für ein Gauner, dieser Urbaner. Nun hatte Lurco ausgesorgt und sich dem harten Kampf um die letzte bezahlbare Wohnung der Stadt entzogen, falls er dienstuntauglich werden sollte. Vielleicht war es das, was Kyriakos mit dem Gold anstellen sollte ... keine Miete mehr zahlen, sondern ein eigenes Haus kaufen. Keine Insulabauweise, die beim ersten Brand in sich zusammenstürzte zu einem Scheiterhaufen seiner Existenz, sondern eines aus solidem Stein. Er begleitete den Urbaner zu dessen Kamerad Pullus, der über eine Sklavin sprach, vermutlich über die Sklavin, so wie es sich anhörte. Dieser schlug vor, Nicon zu befragen, der nun dümmlich aus der knappen Wäsche schaute. Aber er gab sich Mühe, die Fragen zu beantworten.


    »Zwei Männer sind im Frühling bei uns gewesen, von denen einer kein Kunden war. Seinen Freund bedienten Castor und Pollux, von dem haben sie noch lange geschwärmt. Aber der Große verschwand mit Kyri zum Reden. Kyri war danach sauer.«


    »Weil der Mann wissen wollte, was das Ganymed abwirft«, ergänzte Kyriakos. »Die Frage war merkwürdig genug. Ich dachte erst, er würde eine Arbeitsstelle suchen. Dann erklärte er mir, sie seien die Beschützer der Unternehmer in dieser Gegend. Aber das würde natürlich etwas kosten. Die übliche Masche. Wenige Wochen später kehrte der Große zurück mit einer Schar Unterstützer. Der Kleine war nicht dabei.«


    Nicon nickte. »Er hatte kurze unordentliche Haare. Und war bemerkenswert groß und kräftig. Vielleicht war er mal ein Bauarbeiter. Er stach Iugurtha ab. Derjenige, der Barti angestochen hatte, schien etwas zu melden zu haben. Schulterlange Haare, vielleicht vierzig Jahre alt, Bart und eine komische Stoffkappe.«

  • "So ist es ein Haus hat er mir überlassen müssen", raunte Lurco Kyriakos beim Gehen zu, ehe er Nicon verhörte.


    Lurco hörte den Ausführungen von Nicon und Kyriakos aufmerksam zu, ebenso wie Pullus. Beide wurden bei dem Begriff Bauarbeiter ziemlich hellhörig.


    "Bauarbeiter? Ja das ergibt durchaus Sinn. Was ist störender für eine Schutzgelderpressung als die Urbaner vor der Haustür? Also haben sie uns auf die einzige Art unterwandert, die möglich ist nämlich bei den Bauarbeitern. Die hatten jederzeit Zutritt zu der Station, da sie diese gebaut haben. Gut durchgemischt mit echten Bauarbeitern, werden dort Krähen eingeschleust worden sein.


    Das es sich bei uns um die Krähen handelte, zeigen die Vogelschädel. Das nicht jeder Bauarbeiter den Krähen diente, beweisen die Morde an den restlichen ehrlichen Männern. Jene die unverletzt sind und fehlen müssen zwangsläufig zu den Krähen gehören.


    Gibt es Mitarbeiterlisten? Es muss doch aufgelistet worden sein, wer auf dem Bau tätig ist. Schlichtweg allein um ihnen das Gehalt zu zahlen. Du hast uns sehr weitergeholfen Nicon, Danke.


    Der Mord an Iugurtha wird nicht ungesühnt bleiben. Das Bild fügt sich, wir werden sie erwischen. Ganz sicher", sagte Lurco und klappte seine Wachstafel grimmig zu.


    Pullus nickte ernst.
    "Wir sind ihnen auf den Fersen Lurco, ich kann ihre dürren Hälse schon in meinen Händen fühlen", knurrte der Urbaner.

  • Er nickte anerkennend ob der Schlussfolgerungen des Miles. Der Mann war ein schlauer Bursche. Für Nicon aber hatte Kyriakos einen etwas längeren Blick übrig zum Lob, der weniger hart war als sonst. Der zu oft trunkene Jüngling hatte selten etwas derart Nützliches getan. Das war eine positive Entwicklung, wenn auch winzigen Schrittes vollzogen.


    »Sicher gab es eine Baukommission«, ergänzte Kyriakos. »Diese muss die Unterlagen haben. Hohe Leute in Toga bewegten sich unter den Arbeitern. Die Stadtverwaltung ist darum nach aller Wahrscheinlichkeit ein lohnender Ansprechpartner. Iugurthas Tod zu sühnen ist manchmal mein Wunsch. Doch es dominiert das Wissen, dass keine Blutrache je einen Toten zurück ins Reich der Lebenden rief. Iugurtha interessiert nicht mehr, was wir lassen oder tun, Lurco, seine Zeit ist vorüber. Blutrache hilft nur den Lebenden, sich besser zu fühlen oder auch nicht. Mir wird es helfen. Dieses Viertel soll nicht länger in Angst und Schrecken versetzt werden. Die Station wäre eine gute Sache gewesen. Einstweilen aber wird das Ende des Krähenvolks es tun. Und wenn ich meinen Teil beitragen kann, so werde ich es. Das Ende dieser Bande wird uns allen helfen, euch und uns.«

  • "Blutrache hilft in vielen Dingen Kyriakos. Einmal hilft sie dabei, ein so schändliches Verbrechen besser verarbeiten zu können. Ist die Strafe gerecht oder gerächt? Wie man es nimmt nicht wahr? Zudem hilft Blutrache auch, weitere Tote zu verhindern. Denn ein toter Mörder begeht keine Morde mehr. Auch dessen muss man sich bewusst sein.


    Absolut richtig, wir werden unseren Beitrag leisten Kyriakos. Niemand soll hier länger in Angst leben, da bin ich absolut Deiner Meinung. Möglicherweise wird die Station wieder aufgebaut. Sie wäre eine gute Sache und würde die Subura etwas sicherer machen. Wir werden die Krähen ausräuchern.


    Dein Hinweis ist sehr gut! Wir sind ein gutes Team, dass muss ich schon sagen. Die Baukommission muss Unterlagen haben, da hast Du völlig Recht. Wir müssen an die Unterlagen kommen", erklärte Lurco und dachte angestrengt nach, wie sie das so unauffällig wie möglich bewerkstelligen konnten.

  • Die Schlinge zieht sich zu



    Lurco und Pullus kehrten nach dem Verhör der Sklavin Eireann zu Kyriakos zurück.
    "Salve Kyriakos, wir haben ein weiteres Mosaiksteinchen gefunden. Laut der Aussage Deiner Peinigerin Eireann handelt es sich bei den Krähen um eine Untergrundorganisation die in der Subura operiert. Gut dass hatten wir uns schon gedacht. Aber dies ist sagen wir mal eine zusätzliche Bestätigung. Wir nehmen dies als gegeben hin, auch wenn diese Sklavin sonst nicht für ihre Wahrheitsliebe bekannt ist. Denn wir haben die Schädel als Botschaft stets in der Subura an Tatorten gefunden. Der Rest wird eh von uns überprüft.


    Aber jetzt das wirklich Interessante, sie behauptete dass der Besitzer des blinden Esels ein Mitglied der Krähen wäre. Ebenso wären wohl auch höhere Bürger Roms involviert. Letzteres glaube ich nicht, da sie Römer hasst. Aber wir behalten es dennoch im Hinterkopf.


    Bereit für einen Besuch im blinden Esel Kyriakos?", fragte Lurco gut gelaunt, während Pullus aufmerksam die Gegend im Auge behielt, während sich die beiden berieten.

  • »Als Urbaner wird es euch leicht fallen, die Unterlagen anzufordern«, mutmaßte Kyriakos. »Dem Praefectus Urbi untersteht die Baumkommision, er hat sich oft an der Baustelle der Station gezeigt. Gleichzeitig ist er euer Oberkommandant. Diese direkte Koppelung sollte es leicht machen, an die erforderlichen Daten zu gelangen.«


    Sie plauderten noch etwas unverfänglich, bis Kyriakos darum bat, sich zurückziehen zu dürfen. Der Eindruck vom gewaltsamen Tod Velias hatte sich schmerzhaft in seine Gedankenwelt geschnitten und er benötigte Ruhe. So sehr er Nicon verachtete - er war nun froh, dass die Urbaner ihn wohlbehalten nach Hause gebracht hatten. Nach Hause ... in eine einzige Trümmerlandschaft. Und doch war dieser Ort alles, was ihnen geblieben war und wohin sie immer wieder zurückkehrten. Kyriakos würde sein neues Lupanar genau hier errichten, aus der Ruine des Ganymed, über den sterblichen Überresten von Iugurtha und Velia.

  • Inzwischen waren Python, Evenor und Nymphis wieder eingetrudelt. Zwar zeigten sie sich schockiert ob des Todes von Velia, doch letzten Endes gingen sie ihren üblichen Beschäftigungen nach. Python war noch immer nicht wieder der Alte. Die Entstellungen durch die Brandnarben waren das Eine, vor allem aber hatten seine Sinne gelitten, er war nun fast taub und blind, weshalb er den kleinen Nymphis oft an der Hand nahm - oder Nymphis ihn. Kyriakos spielte nicht mit dem Gedanken, Python davonzujagen, auch wenn er ein nutzloser Esser war. Dieser Mann war der Vater, der Kyriakos seinem Sohn nicht sein konnte und hatte so seinen eigenen Wert. Kyriakos bezahlte ihnen allen täglich die Mahlzeiten an der Caupona. Nachts schliefen sie hier draußen oder im Magnum Momentum, je nachdem, wie die Temperaturen waren, die mitunter schon herbstlich frisch wurden. So kamen sie über die Runden. Wenngleich er sich sparsam bis geizig zeigte, lebten sie komfortabel im Vergleich zu früher, da sie nicht mehr dem Druck unterstanden, jeden Gast bedienen zu müssen, ganz gleich, was für ein übler Mensch er war. Kyriakos versuchte, Nicon das Trinken abzugewöhnen, doch dessen unerträgliche Laune bei Weinmangel machte das nicht einfach.


    Und dann kehrte der Urbaner zurück. Kyriakos erhob sich von der Decke, auf der er saß, während er etwas schnitzte.


    »Chaire, Miles Purgitius«, grüßte er förmlich. »Ja, ich bin bereit.«


    Über einer wollweißen Chlaina, die an eine Tunika erinnerte, trug er eine ebenso helle Chlamys. Seinen alten, blutroten Mantel aus Sparta besaß er noch ... doch diesen verwahrte er sicher. Das Messer steckte er weg, dann zog er den Überwurf aus und behielt nur die Chlaina am Leib. Er wollte die Arme frei haben.


    Taberna zum Blinden Esel - Die Schlinge zieht sich zu >>

  • "Salve Kyriakos, lass uns aufbrechen", sagte Lurco und musterte die Überlebenden des Ganymed.


    Python, Evenor und Nymphis befanden sich vor Ort. Python den Mann den Lurco gerettet hatte. Taub, fast blind und entstellt, so stand er dort und hielt sich an dem kleinen Jungen fest. Lurco fragte sich abermals, ob er den Mann tatsächlich gerettet oder verdammt hatte.


    Lurco schaute sich um, ein Zuhause unter freiem Himmel. Die sonst so zeternden Sklaven wussten zum Teil gar nicht, wie gut sie es gegen diese freien Männer hatten. Kost, Logis, Kleidung, Wärme und eine schützende Tür. Die Männer des Ganymed waren nicht nur der Witterung sondern auch den Kriminellen schutzlos ausgeliefert. Weshalb Kyriakos Geld von seinem Optio erpressen wollte, war klar. Lurco sah das Elend vor sich mit eigenen Augen.


    Zuerst mussten sie die Bedrohung beseitigen, dann konnten sie sich um alles weitere kümmern. Kriminelles Pack besaß oft einiges, aber die letzte Tunika besaß keine Taschen. Folglich benötigen die toten Kriminellen ihren Besitz nicht mehr, er war eh widerrechtlich erworben.


    Lurco musterte Kyriakos und nickte knapp. Pullus hatte schweigend neben ihm abgewartet, ihm schien ganz ähnliches durch den Kopf zu gehen. Gemeinsam mit seinen Brüdern unter Waffen machten sie sich auf zum blinden Esel.

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