Ganymed - Lupanar

  • "Oh ja", erklärte Pollux und zeigte auf ein paar Habseligkeiten, die er auf einer Decke sortiert hatte. "Lauter wichtige Dinge! Alles, was im Tresen war, ist noch heil, weil der aus Stein ist und den Inhalt schützte. Schau!"


    Er wies auf Teller, Schüsseln, Amphoren, Karaffen und Besteck. Dazu einen Stapel sehr dunkelgrau gewordene mappae, wie man die Mundtücher nannte. Dann musste er lachen. Offensichtlich hielt er nichts davon für wichtig. Er war sichtlich betrunken. Sein Bruder war noch dabei, die Trümmer auseinander zu ziehen und Steine beiseitezutragen. Wonach die beiden suchten, war klar - nach der Truhe mit den Sesterzen. Auch Kyriakos packte mit an, jeder tat das, mit Ausnahme von Python und Satibarzanes, deren Verletzungen das verhinderten, und Nicon, der an einer Wand lag und schlief. Er hatte es mit dem Wein eindeutig übertrieben.


    "Der Bereich hier scheint noch intakt zu sein", informierte Kyriakos. Er wies auf den Bereich schräg hinter dem Eingang. "Wenn wir die Tür dort freigeräumt haben, kann man vermutlich hinein. Ich weiß nur nicht, was man mit den Toten macht, falls man welche findet, ohne dass im Anschluss ein Mörder gesucht wird. Sie irgendwo melden? Dem Tiber übergeben?"


    Satibarzanes wurde schlecht bei diesen Worten und er drehte sich weg.

  • Velia kam näher, um die Schätze von Pollux besser zu begutachten. Es war immerhin schon mal etwas. Sie konnten die Sachen weiterbenutzen, oder verkaufen und so ein paar Sesterze machen. Es lag bei ihnen. Sie nickte Pollux zu und näherte sich dann der Ruine. Kyriakos und seine Leute waren fleißig am Werk, um jedes Quäntchen Wert aus dem zerstörten Gebäude herauszupressen. Neugierig näherte sich Velia dem ehemaligen Eingangsbereich. Der Türstock und Teile der Wand standen noch. Ob sie daneben auf der linken Seite auf die Trümmer steigen sollte, um die Überreste der Eingangshalle hinter der blockierten Tür zu untersuchen? Während Velia ihre Kletterpartie begann, sprach sie Kyriakos an. Das letzte war eine wirklich dumme Frage, Velia verdrehte die Augen. „Es interessiert kein Schwein, wenn ein paar Gossenkinder abgekratzt sind. Verscharr sie vor den Stadtmauern, wenn sie dir wichtig sind und sonst wirf sie in den Fluss und gut ist’s.
    Hoffentlich war Kyriakos klug genug damit bis zur Nacht zu warten. Die Urbaner hätten bestimmt einige Fragen an ihn, wenn er mitten am Tag Kinderleichen durch die Straßen spazieren führen würde.


    Ächzend hatte Velia jetzt die Trümmer erklettert und stand auf ihnen ein paar Fuß über dem früheren Bodenniveau der Eingangshalle. Zwischen den zahlreichen Ritzen der unter ihr liegenden Dachbalken konnte man Teile des Fußbodens erkennen. Auch von den anderen drei Mauern der Halle standen noch Teile. „Ich denke aus der Eingangshalle kommt nichts nützliches mehr, alles voller Schutt bloß.“ Aber auch kein Wunder, wo das Feuer ja hier und in einem Nebenraum seinen Ausgang gehabt und an dieser Stelle deshalb am längsten gebrannt hatte. Langsam und vorsichtig kletterte die Lupa von der südwestlichen Ecke der Eingangshalle in Richtung nordöstliche Ecke, sie wollte die Räume hinter dem Eingangsbereich näher untersuchen. Vorsichtig einerseits, weil sie kein Interesse daran hatte sich bei all den losen Ziegel- und Holzsplittern die Knöchel aufzuschlitzen, oder gar zu brechen, und andererseits, weil man vielleicht ja doch noch etwas nützliches unter sich in den zahlreichen Ritzen entdecken könnte. Doch Fehlanzeige. Fast schon bei der nordöstlichen Ecke angekommen, erregte dann doch etwas Velias Aufmerksamkeit bei der Nordwand der Eingangshalle. Etwas schwarzes und klumpiges, das nicht nach Holz, oder Ton aussah. War das eine Hand? Ein Stoffballen konnte es kaum sein, der wäre restlos verbrannt. Neugierig geworden kletterte sie näher. Zwei große Balken waren hier gegen die Wand gestürzt und bildeten jetzt eine Art kleines Zelt, oder Höhle, weshalb die Wand und der Boden darunter halbwegs frei waren. Velia war jetzt nahe genug, um zwischen den Balken hineinzusehen. Das war wirklich ein Leichnam! „Hierher! Da liegt jemand! Vielleicht ein Junge!“ rief sie die anderen herbei. Zumindest die Größe des Corpus ließ vermuten, dass es kein ausgewachsener Mensch sein mochte, denn andere Indizien dafür gab es nicht, dieser Mensch war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Velia hockte dar und sah zu dem Jungen in den kleinen Freiraum hinein. Rund um ihn war der Boden dank der beiden Balken halbwegs frei geblieben, bloß ein paar Splitter lagen herum. Es waren teils weiße Stückchen, wie von Knochen. Aber sie konnten nicht von dem Jungen stammen, der hatte seine bei sich behalten. Oder mochte es Keramik sein? Auf der Suche nach einem eventuellen Überrest eines weißen Gefäßes ließ sie ihren Blick jetzt konzentrierter durch den Hohlraum schweifen, während sie gleichzeitig auch auf Kyriakos wartete. Die Wand hinter dem Jungen war schwarz und verrußt, so wie alles im Ganymed, doch untypische Formen unter dem Ruß ließ ihren Blick daran hängen bleiben. Da glitzerte etwas weiteres auf dieser Mauer, nicht nur Ruß, etwas graues, stellenweiße auch noch höchst dunkelrotes. Das wollte sie sich näher ansehen und so kletterte sie zwischen den beiden Balken ganz hinein und hockte sich vor die Wand. Mit einer Hand strich sie vorsichtig über die Stellen, um das Ruß abzuwischen. Es sah wie Blut aus, doch was machte es so weit über dem Boden? Und so viel? Auch war die Form komisch. Sehr schmale Stellen (vllt. handbreit) nicht in Lachen- oder Spritz-, sondern in Längsform, ganz so als ob es... Striche wären. Eine sehr ungute Ahnung überkam Velia und sie rieb jetzt stärker an der Wand, um das Geheimnis freizulegen, das sie auf sich barg. Doch nur wenige weitere Handgriffe und sie war sich sicher. Man konnte jetzt deutlich einen langen handbreiten Strich erkennen von dem drei kurze nach unten abgingen. Dann links davon eine Stelle frei und dann spiegelverkehrt die gleiche Zeichnung nochmal. Das waren Flügel! Blutrote Schwingen, die da auf der Wand prangten! Velia keuchte und ein Gewicht legte sich auf ihre Brust. Dann drehte sie sich nach den zuvor entdeckten weißen Splittern um. „Kyriakos!“ rief sie ihn jetzt nochmal herbei, vllt. etwas höher und spitzer als beabsichtigt, während Velia auf die Knie sank und vor dem Jungenleichnam im Schutt herumzugraben begann. Ein paar Handstriche in der Nähe der weißen Splitter, eine letzte Bewegung, dann zog sie mit offenem Mund hörbar die Luft ein und erstarrte, ganz gebannt von dem was sie entdeckt hatte. Also doch. Sie hatte sich nicht geirrt und jetzt wusste sie ganz genau wer das Feuer gelegt hatte. „Kyriakos!“ rief Velia wieder, dann ergriff sie das gefundene Etwas und hielt es vom Boden kniend aus Kyriakos entgegen. Es waren der noch gut erkennbare Schnabel und untere Teil eines in der Hitze zersprungenen Vogelschädels! Weißer Knochen, blutbenetzt und angerußt.

  • "Das ist kein Junge, das ist Iugurtha."


    Jeder, der den Stimmbruch erreichte, war für Kyriakos jemand, dessen Namen er sich merkte. Vorher lohnte sich die Mühe nicht, da Kinder oft auf Nimmerwiedersehen verschwanden, sei es in irgendeinem Keller, durch den Tod oder weil sie einfach wegliefen. Aufgrund lebenslanger Mangelernährung war der Tote zeitlebens schmächtig gewesen. Das war gut, so blieben sie länger attraktiv. Aber jetzt, wo das Feuer alle Flüssigkeit aus seinem Körper verdampft hatte, wirkte er dermaßen winzig, dass es kein Wunder war, dass Velia ihn für ein Kind hielt. Kyriakos betrachtete ihn düster. Auch die Zwillinge und Evenor waren näher gekommen, um zu schauen.


    "Scheiße", ächzte Castor.
    "Der ist hinüber", bestätigte Pollux.


    Kyriakos gebot ihnen durch eine unwirsche Geste, die Klappe zu halten. Er nahm den Knochen, den Velia ihm reichte. "Irgendein Vogelkopf", murrte er und wollte ihn schon in die Trümmer werfen, als er sah, was seine Freundin noch freigelegt hatte. "Ist das da Blut an der Wand? Was für ein krankes Schwein war das?"


    Verständnislos betrachtete er die Spuren. Das sah fast aus wie Flügel. Die Antwort auf seine Frage schwebte wie eine schwarze Gewitterwolke in seinem Geist, doch er wollte sie nicht wahrhaben. Sie bedeutete, dass all das hier sein eigenes Verschulden war. Kyriakos hatte die Gefahr, die von den Männern ausging, die das Schutzgeld gefordert hatten, unterschätzt. Den Namen und die Zeichen kannte jeder. Das waren keine Kleinkriminellen gewesen. Ein paar Sesterze hätten all das hier verhindern können, das Feuer, die Vernichtung seiner Lebensgrundlage, den Tod!


    Kyriakos schleuderte den Vogelschädel in eine willkürliche Richtung davon. Er drehte sich um und stolperte auf seinen wackeligen Füßen aus den Trümmern zurück in die Gasse. Sogar die Zwillinge wichen ihm aus. Nein, er konnte nichts dafür, er hatte das Feuer schließlich nicht gelegt! Wäre einer der Erpresser hier vor Ort gewesen, hätte er ihn mit bloßen Händen in Fetzen gerissen. Und wäre Lysander hier gewesen, hätte er ihn lebendig gehäutet. Er war dafür verantwortlich, dass er überhaupt in dieser verkackten Stadt als verdammter Lupo leben musste, er hatte seine Füße ruiniert und sein Leben zerstört und jetzt das von zich anderen. Er hatte diese Kettenreaktion ausgelöst, die Kyriakos jeden Tag näher an den Abgrund spülte, egal, was er auch versuchte, es war alles Lysanders Schuld und nichts und niemand konnte das Verderben aufhalten, das er über ihn gebracht hatte!


    An dem Hauseingang, in dem er mit Nymphis Quartier bezogen hatte, setzte er sich nieder und starrte finster die Gasse hinab.

  • Kyriakos war ein Opfer der Krähe geworden, wieso hatte er nichts davon erzählt? Velia stand auf und kam wieder aus dem Hohlraum hervor. Das war das erste Mal, dass sie so einen Tatort als vom Verbrechen unwissende und unbeteiligte Augenzeugin zu Gesicht bekam, sie musste zugeben, dass es schon einen gewissen psychologischen Effekt hatte, wenn man die Signatur entdeckte, doch was sie jetzt hauptsächlich verspürte war Groll.


    Eine kleine Weile stand sie regungslos da, dann: "Ich muss etwas erledigen, warte nicht auf mich!" und schon begann sie so schnell wie es möglich war über den Schutt zurück zur Straße zu klettern (einmal verletzte sie sich dabei leicht am Knöchel) und stürmte dann davon.


    Sie würde das nicht einfach auf sich sitzen lassen, sie würde Helvetius Archias dafür zur Rede stellen!

  • Kyriakos nickte knapp. Was sollte er auch sonst tun, als hier zu warten? Sein Gesicht war bleich und er zitterte vor unterdrücktem Hass. Er war in einem Zustand, da er töten wollte. Er musste herunterfahren, bevor er wieder klar denken konnte. Bis dahin hieß es hier sitzen und tatenlos ausharren, damit er nichts tat, was er am Ende bereute.


    "Kyri ..." Das war Satibarzanes. Er beugte sich zu ihm und sah besorgt aus. "Wenn ich irgendwas für dich tun kann ..."


    "Was willst du schon tun, du nutzlose fette Sau", brüllte Kyriakos.


    Im nächsten Augenblick war er auf den Füßen und holte aus. Satibarzanes stürzte Hals über Kopf davon. Er konnte von Glück reden, dass er rennen konnte und Kyriakos nicht. Entweder der Tonfall, die haarscharf an ihm vorbei zischende Faust oder die grausamen Worte sorgten dafür, dass er nicht nur zurückwich, sondern gänzlich weglief. So schnell er konnte lief er von dannen. Schwer atmend sah Kyriakos ihm nach, ehe er sich zurück in den Hauseingang sinken ließ und seinen Kopf nach hinten an die Haustür donnern ließ. So blieb er sitzen.


    Die Zwillinge waren klüger, sie versuchten gar nicht erst, mit ihm zu reden, so lange er in diesem Zustand war und selbst Nymphis hatte ihn verlassen, um den Schutt zu erkunden. Nicon schnaufte und drehte sich zur anderen Seite. Evenor schaute erschrocken, aber als niemand irgendetwas unternahm, half er weiter, den Trümmerhaufen um den toten Iugurtha herum abzutragen, dessen schwarze Hand mit verkrümmten Fingern hinaufragte wie ein zu später Hilferuf.


    Der Tote war derjenige, dem Kyirakos sich momentan am nächsten fühlte. Er war allein und er wollte es auch sein. Er ging davon aus, dass Satibarzanes irgendwann zurückkommen würde, so lief das immer.


    Doch Satibarzanes kam nicht zurück. >>

  • Kyriakos stand irgendwann auf. "Nymphis." Er streckte auffordernd die Hand aus, so dass der Junge herbeigeflitzt kam und danach griff. Kyriakos pulte den Denar, den er von Hairan erhalten hatte, aus der Mauerritze und verließ vorerst den Ort des Geschehens, ohne sich bei irgendwem abzumelden.


    Castra Vigilum - Eine einsame Gestalt >>

  • Nach harten Verhandlungen, die Velia viel gekostet hatten (natürlich würde sie Kyriakos niemals von ihren Opfern erzählen, das ließ ihr Stolz nicht zu!), schlich sie gegen Mittag zurück in Richtung Ganymed. In ihren weiten Gewändern hielt sie einen großen Sack verborgen, der genau 1300 Aurei enthielt, was einer Summe von 130.000 Sesterzen, bzw. dem Preis eines römischen Stadthauses entsprach. Ferox hatte ihr die Summe extra in Aurei ausgezahlt "damit die Dame nicht so schwer zu schleppen hätte", biestiger alter Narr!
    Auch wenn es vermutlich wirklich klüger war in der Subura nicht offen mit einer Geldtruhe herumzulaufen. So also kam sie durch die verschiedenen Straßen und Gassen, ohne dass man es ihr ansah, dass sie ein kleines Vermögen mit sich führte.


    Beim Ganymed angekommen registrierte sie, dass wohl niemand hier war außer die Zwillinge. Velias Gesicht verdüsterte sich. "He, ihr da! Wo ist Kyriakos!"

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    Castor & Pollux


    "Salve, o Füchsin der Halbwelt", säuselte Pollux.


    "Dürfen wir dir beim Tragen helfen?", wollte Castor wissen.


    Wie zufällig näherte er sich von der anderen Seite wie sein Bruder, so dass Velia in ihre Mitte geriet. Jedoch kamen sie nicht unziemlich nahe, da sie zwar bösartig, aber keine Idioten waren. Der rothaarigen Lupa hatten sie viel zu verdanken, nicht nur die Hilfe letzte Nacht, sondern auch in der Zeit davor, als sie ihnen wohlhabende Kundschaft zugespielt hatte, die es gern "griechisch" mochte. Hinzu kam der Umstand, dass Velia unter Kyriakos´ persönlichem Schutz stand, weil er einen Narren an ihr gefressen hatte. Wer Velia angriff, griff auch ihn an und ob sie den Spartiaten zum Feind haben wollten, würden sich die Zwillinge gut überlegen. So blieben sie freundlich und respektvoll, schauten aber neugierig, was sie da hatte.


    "Kyri ist leider außer Haus", erklärte Pollux mit gespieltem Bedauern. "Nymphis hat uns erzählt, dass er bei den Urbanern ist. Vielleicht will er den Brand zur Anzeige bringen."


    "Oder sich erkundigen, beim wem er Geld dafür herausschinden kann", mutmaßte Castor.


    "Oder er sucht in den Kohorten einen neuen Großkunden", sinnierte Pollux. "Tarifverhandlungen. Das wär`s! Wie viele sind das? Tausend? Wir wären reich! Wenn wir die Prätorianer und Vigiles auch noch gewinnen könnten, würden wir in Geld ertrinken!"


    "Ja, dann könnten wir Titus kaufen und ihm ein Gehege bauen, der hat seine Sandalen immer noch nicht abgeholt. Ein Jammer, wo er uns doch so vermisst. Aber sag mal, Velia, hast du den Sati gesehen?", erkundigte Castor sich. "Der Fettsack ist verschwunden."

  • Wie zwei junge Hunde kamen da die Zwillinge auch schon zu Velia heran. Da sie den Geldsack weiterhin unter ihren Gewändern verborgen hielt, hatte Castor mit seinem Trageangebot wohl unmöglich genau diesen meinen können, weshalb die Lupa das Hilfsangebot überging.


    Leider bestätigten sie ihr, dass Kyriakos wirklich nicht da war, was Velia leicht ungehalten werden ließ. Da hielt sie schon einmal ihren Kopf für ihn in die Höhle des Löwen, um für ihn zu streiten und dann besaß dieser #*~#! nicht einmal die Höflichkeit vor Ort anwesend zu sein, wenn sie ihm die Früchte ihres Wagnis bringen wollte! Einen kurzen Moment war Velia wirklich in Versuchung einfach den Geldsack den Zwillingen zum Fraß vorzuwerfen, einfach nur, um es Kyriakos so richtig heimzuzahlen, doch letztendlich entschied sie sich doch dafür das Geld seinem ursprünglichen Zweck zukommen zu lassen. Der Zwillinge wegen hatte sie immerhin nicht einen Großteil ihrer Gunst bei der Krähe verspielt.


    Gelangweilt blickte sie sich um, während Castor und Pollux über irgendwelche nicht existenten Kunden sinnierten, bis sie eine Frage an sie richteten. Sie blickte wieder zu ihnen und meinte dann:
    "Satibarzanes? Was soll mit dem sein? Wann sagte Kyriakos, dass er wieder zurückkommen wollte?"

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    Castor & Pollux


    "Kyri? Vielleicht kommt er überhaupt nicht mehr wieder und sie behalten ihn gleich dort, für all die schlimmen Taten, die er je begangen hat", sprach Pollux.


    Castor nickte. "So etwas kommt vor. Schrecklich."


    "Ja, wo sollen wir seinen Goldschatz hintun, sobald wir ihn gefunden haben?" Beide lachten. Pollux tat, als würde er sich Tränen aus den Augen wischen, während er um Velia herum gegen seinen Bruder stolperte und den Arm über ihn legte. "Sati, unser kleines Schweinchen, ist weg! Verschwunden, nur wegen einem winzigen Streit mit Kyri. Wir vermissen ihn."


    "Sehr sogar", fügte Castor hinzu. "Was ist eigentlich mit der Schnecke aus dem Magnum Momentum, die uns ordern wollte? Hat die immer noch Interesse?"

  • Ach Kyriakos...warum musst du dir das Leben immer nur selbst schwer machen? Was sollte Velia jetzt machen? Sollte sie hier bleiben und auf seine Rückkehr warten, oder besser wieder verschwinden? Vermutlich war es das Beste den Geldsack irgendwo zu verstecken und es morgen wieder zu versuchen, oder? Blöde Sache..


    Castor und Pollux schnatterteten währenddessen unentwegt in einem fort. Ihre Bemerkungen über ihren verschwundenen Kameraden ignorierte Velia, das war nicht ihre Sache und es interessierte sie auch in keinster Weise. Als die beiden jedoch dann von einem Goldschatz sprachen warf sie ihnen mitleidige Blicke zu und sagte: "Schlagt euch das aus dem Kopf. Ihr werdet niemals da rankommen wegen all der Trümmer und selbst wenn wird alles bestimmt vom Feuer geschmolzen sein. Außerdem...was wollten zwei Straßenstricher wie ihr schon mit einem kleinen Vermögen anfangen? Ihr hättet ja gar keine Verwendung dafür!"


    Sie brauchte einen Moment, ehe sie wusste von wem sie jetzt schon wieder sprachen (sprunghaft in Gedanken wie zwei Welpen eben...), ehe Velia begriff und zu lachen anfing. "Veratia? Seid ihr etwa schon wieder so sehr untervögelt, dass ihr sogar schon auf Frauen ausweichen müsst? Nein, was für ein Drama!"

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    Castor & Pollux


    "Frauen sind gar nicht so übel", fand Pollux.


    Sein Bruder nickte. "Sie haben ein Loch mehr."


    Ihre Sicht war, wie immer, ausgesprochen wertschätzend, aber man konnte ihnen in dem Falle nicht vorwerfen, dass sie nicht ehrlich wären.


    "Ja, Veratia hieß die Schnecke", sinnierte Pollux. "Die darf gern vorbeikommen oder uns zu sich einladen."


    Castor nickte erneut. "Für Veratia haben wir immer Zeit. Außer, wenn Titus kommt."


    "Titus hat immer Vorrang. Und wegen dem Vermögen ..." Pollux kratzte sich am Kinn, wo eine rotblonde Stoppellandschaft spross. "Erstmal müssen wir es finden. Und dann fällt uns schon was ein. Wir könnten endlich mal ein Lupanar ausprobieren. Das wollte ich schon immer mal."


    Beide lachten über den schrecklichen Witz. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, meinte Castor:


    "Sei unbesorgt wegen Kyri. Er wird früher oder später wieder hier aufkreuzen, wenn sie ihn nicht festsetzen. Selbst wenn seine Sesterzen und Denare nur noch ein mit Steinstaub vermengter Klotz sein sollten ... sein größter Schatz ist hier."


    Er wies auf Nymphis, der die Zwillinge nachahmte und in den Trümmern Steine von hier nach da schichtete. Dabei hob der kleine Kerl ziemlich große Brocken hoch.
    Pollux schenkte Velia etwas, das er für ein gewinnendes Lächeln hielt.


    "Du kannst also getrost hier auf Kyri warten, mach es dir bequem. Oder wir schicken ihn zu dir, sobald er wieder da ist. Wir wissen ja, was er dir bedeutet und dass ihr nicht lange ohne einander sein könnt."


    Das sagte er, um das Gegenteil zu hören und sich daran zu erfreuen. Dass Kyriakos Velia liebte, war ein offenes Geheimnis, ebenso, dass seine Gefühle nicht in gleicher Weise erwidert wurden. Gehässig wie die Zwillinge waren, ließen sie keine Gelegenheit aus, in dieser Wunde zu bohren, besonders an Tagen wie diesem, an denen es nichts anderes gab, in dem sie bohren konnten. Sämtliche potenziellen Opfer hatten sich in weiser Voraussicht verdrückt.

  • << Das Verhör der Sklavin und einmal Rapport


    Als Kyriakos wieder zu den Resten seines Lupanars kam, sah er Velia dort stehen, die mit den Zwillingen sprach. Er umfasste von hinten ihre Schultern und küsste ihren Hals. Dass sie das nicht wollte, war ihm bewusst, doch ein Verhör bei den Urbanern ohne Folter und ohne Haft überstanden zu haben, war ihm Anlass für besondere Wiedersehensfreude. Er gönnte sich einen Atemzug ihres wunderbaren Parfums, so lange ließ er die Lippen auf ihrer weißen Haut. Danach gab er Velia frei und stapfte ein Stück in Richtung der Trümmer.


    "Langsam kommt wieder Ordnung rein", fand er.


    "Wir kriegen nie ein Wiedersehensküsschen", maulte Castor leise.


    "Ich glaub, der liebt uns gar nicht", mutmaßte Pollux düster.


    Kyriakos beachtete die zwei Kloppies nicht. "Waren Kunden da?"

  • Velia war immer noch völlig hin und her geerissen. Was sollte sie nur tun? Wäre sie aller Dinge ledig, dann wäre sie ja einfach nur gegangen und irgendwann (oder auch gar nicht) wiedergekommen, doch so einfach war es ja nicht mit ihrem Geldsack. Auch wenn niemand etwas davon wusste, so hatte sie trotzdem das Gefühl, dass er wie ein Leuchtturm strahlte und alle Welt darauf aufmerksam machen wollte: "He! Die da hat viiiieeel Geld dabei!" Ob sich so reiche Menschen jeden Tag fühlten, wenn sie durch die Straßen Roms spazierten und dabei durch ihre Kleidung, ihre Sänfte, ihre Sklaven und ihr Gefolge aus Klienten ihren Reichtum zur Schau stellten? Ein mieses Gefühl. Velia zog es tausend Mal lieber vor arm zu sein und in der Gosse zu leben, unerkannt und unbelästigt ohne all diesen Firlefanz. In einem spontanen, nur einen Augenblick lang währenden Gedankenspiel stellte sie sich sogar vor, was wohl wirklich geschehen würde, sollte sie spaßeshalber den Zwillingen das Geld überlassen mit dem Auftrag es Kyriakos zu geben, sobald er wieder da wäre. Lächerlich.


    Plötzlich spürte sie von hinten Lippen an ihrem Hals. Irgend ein Drecksack wagte es sie ungefragt anzufassen! So etwas hasste Velia zutiefst und dementsprechend heftig fiel auch ihre Reaktion aus. Sie fauchte einer Furie gleich auf und fuhr herum, um dem potenziellen Schleimbeutel/Dieb ein paar ordentliche blutige Striemen quer übers Gesicht zu ziehen, doch die zum Prankenschlag erhobene Krallenhand verharrte in der Luft, als sie erkannte wer es gewagt hatte. Keine Sekunde zu früh für die Intaktheit von Kyriakos' Gesicht. Beim Umdrehen war das Klimpern unter ihren Kleidern deutlich zu vernehmen gewesen. Für einen Moment war Velia erstarrt, doch nicht für lange. "Du!"
    Es klang wie eine Anklage.


    Die Opfer die sie für ihn dargebracht hatte, gefolgt von seinem Fehlen, als sie wieder hier eingetroffen war, kombiniert mit seiner jetzigen unerlaubten Berührung bewirkten, dass Velia wütend auf ihn war. Mit einem Finger in Richtung seiner Brust deutend fauchte sie: "Was fällt dir ein dir sowas rauszunehmen! Wo warst du? Ich hab auf dich gewartet! Ach egal..." Velia fuhr sich mit ihrer Zunge über ihre oberen Vorderzähne und wandte sich kurz ab. Dann blickte sie ihn wieder an (es war ein typisch missbilligender Veliablick) und holte dabei den Geldsack hervor. "Ich hatte dir das hier bringen wollen, aber egal jetzt. Mach was du willst." Sie warf den Beutel Kyriakos vor die Füße, drehte sich um und ging.
    Der bisherige Tag war einfach zu viel gewesen im Moment, Velia brauchte jetzt dringend Ruhe, um sich wieder zu beruhigen. So fertig mit den Nerven war sie schon länger nicht mehr gewesen und das alles bloß wegen einer Aneinanderreihung dreier Lappalien, auch wenn die erste davon vermutlich doch etwas ernsteres war.

  • Reflexartig war Kyriakos mit dem Oberkörper nach hinten ausgewichen bei der erhobenen Hand Velias. Und das war alles. Was auch geschehen mochte - nie würde er ihr in gleicher Weise Paroli bieten wie jedem anderen. Gewalt pflegte er in spartiatischer Manier mit doppelter Gewalt zu beantworten, doch nicht im Angesicht der Füchsin, die sich zusammen mit Nymphis an den Resten seines Herzens laben durfte. Geduld war seine Rüstung und Waffen gab es keine. In Gegenwart der rothaarigen Lupa erhielt man eine Ahnung von dem Mann, der Kyriakos hätte werden können in einem anderen Leben, denn nichts Dunkles und Böses wurde ihr je von ihm zuteil. Mochte das Leben seine Füße und seine Seele verkrüppelt haben - seine Liebe zu Velia war davon unberührt.


    "Ich war in der Castra Praetoria", beantwortete er ihre Frage in der kurzen Pause, die sie ihm ließ, ehe sie den schweren Sack vor seine Füße warf. Und dann rauschte sie schon mit wehendem Haar davon. Er sah ihr nach, noch immer ihren Duft in der Nase, während Castor und Pollux sich an seine Seiten drängten.


    "Ein Geschenk", flüsterte Castor.


    Pollux ließ seine Hand wie eine giftige Spinne in falscher Zärtlichkeit über die Schultern von Kyriakos wandern, ehe sie sanft in seinen Haarschopf griffen. "Für uns", ergänzte er.


    Kyriakos kannte die Geste, die dazu geeignet war, jemandem unvorbereitet den Kopf ins Genick zu reißen, um ihm die Kehle durchzuschneiden. Was die Zwillinge in ihren kurzen Leben schon alles getan haben mochten, hatte er nie erfahren, doch vieles konnte er herleiten. In dem Sack war aller Wahrscheinlichkeit nach Geld. Wie viel, das wusste er nicht, doch selbst wenn sich nur die wertloseste Münzwährung darin befände, wäre dies in ihrer jetzigen Lage ein Vermögen. Das wussten auch die Zwillinge. Hatten sie bisher noch gezögert - für diesen Sack würden sie ihn ermorden. Sie waren zu zweit, sie waren nah und die Warnung war eindeutig.


    "Für uns", bestätigte Kyriakos. "Und ich weiß, wie man noch mehr Geld daraus macht. Lass mich leben, Pollux und wir werden reich."


    "Pollux? Du redest mit mir allein?", rief Pollux schockiert. "Mein Bruder und ich sind augenscheinlich zwei!"


    "Wir sind zwei", bestätigte Castor. "Aber wir vergeben dir. In Anbetracht deiner Großzügigkeit werden auch wir großzügig sein."


    Sie gaben ihn frei und nun hockten sie zu dritt um den Beutel, um zu sehen, was darin war.


    1300 Aurei, ein Sack voll glänzender Goldmünzen. Das entsprach 130.000 Sesterzen. Hundertdreißigtausend!


    Selbst den Zwillingen verschlug es die Sprache.

  • Sim-Off:

    Dass in dieser Geschichte Satibarzanes mitgeschrieben wird, geht in Ordnung.


    << [Lupanar] Magnum Momentum - Asche und Gold


    Selbstmitleid war nichts, was Kyriakos sich zugestand. Auch nicht, nachdem Velia seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Von dem Gold, das er neuerdings besaß, hätte er sich irgendwo eine Unterkunft mieten können, doch er legte sich wieder in den Hauseingang, in dem er die letzten Nächte verbracht hatte. Nymphis kam zu ihm, er hatte ein Brot gekauft, doch Kyriakos schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Er spürte, wie sein Sohn sich hinter ihn legte, um auch zu schlafen. Wie aus dem Orcus auferstanden, kam auch Python von irgendwo her, es folgten Nicon und Evenor, die sich in den Hauseingang gegenüber legten. In der Gruppe war es sicherer. Die Zwillinge waren nirgends zu sehen, sie waren irgendwo unterwegs. Da Evenor und Nicon zusammen tranken und noch eine Weile munter sein würden, gönnte Kyriakos sich ein paar Stunden Schlaf. Im Traum war er wieder vor Aquincum, lebendig und tot zugleich.


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    Vater, Mutter, Kind


    - vor etwa fünf Jahren in Pannonia inferior -
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    Die Gräberstraße, die nach Aquincum führte, war ein endlos langes, einzeiliges Gräberfeld. Man wollte, dass die gemalten Bilder der Toten von der Straße aus sichtbar waren, Inschriften sprachen die Passanten an. Es schien, als hoffte man, ein unsichtbarer Teil von den Verstorbenen würde weiterleben, wenn man so tat, als könnte man noch mit ihnen sprechen. Sogar Häuser baute man den Toten hier, während manch Lebender kein Obdach besaß. Die Mausoleen wohlhabender Familien bildeten eine langgezogene Stadt für sich und wenn die Gräber alt genug waren, scherte sich niemand darum, ob auch jene Lebenden sich dort einnisteten, die kein anderes zu Hause ihr Eigen nannten. Kyriakos ruhte in einem solchen Mausoleum, die Urne des Numerius Ancharius Pandus zur Gesellschaft. Einige Grabbeigaben, aus unterschiedlichen Gräbern zusammengeklaubt, bildeten das Inventar seiner neuen Wohnung. In seinen dürr gewordenen Arm lag, in den roten Mantel der Spartiaten gewickelt, sein einjähriger Sohn, der das erste Mal seit langem wieder satt sein durfte und fest schlief. Auf Kyriakos traf das nicht zu, er hatte alles an Nymphis verfüttert und auch sein einziges Kleidungsstück an seinen Sohn abgetreten. Er selbst schlief auf dem nackten Stein, nichts anderes war er von klein auf gewohnt. Allerdings war Pannonien merklich kälter als Lakonien. So lange es Sommer war, ging es noch irgendwie, doch den Winter würde so keiner von ihnen überstehen.


    Als die Sonne aufging, kehrte Satibarzanes schwankend vom Kriegshafen der Classis Pannonica zurück. In einem selbstgemacht aussehenden Weidenkorb, an dem noch grünes Laub hing, trug er einige Kleinigkeiten, die er vermutlich im Müll am Ufer des Danuvius aufgelesen hatte. Der Geruch von Schweiß drang in Kyriakos´ Nase. Als sein Gastgeber sich vor ihn hockte, kam noch der Geruch von Sex dazu.


    »Den Korb kann Nymphis als Bett haben, dachte ich«, sprach Satibarzanes mit schwerer Zunge. Sein Atem roch nach Wein. »Wir ... wir stopfen ihn mit einer Decke aus, dann kannst du den Kleinen auch mal ablegen. Tücher haben wir ja genug. Hier habe ich Getreidebrei mitgebracht. Die habe ich aus der Garküche geholt und er ist ohne Fleisch oder Gemüse. Genau wie du gesagt hast, nur Getreide. Ist das gut so? Verträgt Nymphis das?«


    Kyriakos rappelte sich ein Stück auf, um in den verbogenen und rostigen Topf zu schauen. »Ja, aber das ist schon wieder zu wenig«, stellte er frustriert fest. »Das reicht nicht für drei. Gibt es in dem Fluss keine Fische, die man angeln kann? Oder Wild in den Wäldern?« Während seiner Ausbildung hatte er gelernt, allein zu überleben, er konnte jagen, er konnte rauben, er konnte töten. Doch in seinem miserablen Zustand war er hilflos.


    Satibarzanes stieg torkelnd über die verkrüppelten Füße von Kyriakos und ließ sich hinter ihm auf ein Nest aus Heu und Lumpen fallen, das er sich gebaut hatte. »Keine Ahnung, ich kann nicht jagen oder angeln. Jetzt lass mich erstmal schlafen«, stöhnte er. »Ich bin fertig.«


    Kyriakos räumte derweil den Weidenkorb aus und baute aus weiteren Lumpen ein Bett darin, in das er nun vorsichtig Nymphis legte. So ging es, darin schlief er gut. Er wechselte noch das Tuch, das er seinem Sohn als Windel umgebunden hatte. Das Schmutzige warf er in eine Ecke, in der Hoffnung, dass Satibarzanes den Wäscheberg endlich einmal auskochen würde. Er selbst war zu schwach, um Holz zu suchen und Wasser zu schleppen. Der Kleine wachte während dem Wickeln nicht auf, auch ihm machte das neue Leben zu schaffen. Kyriakos zog den Mantel wieder schützend um den kleinen Körper, dann drehte sich zur anderen Seite, um Satibarzanes anzusehen, der sich seit nunmehr zwei Wochen nach Kräften bemühte, nicht nur sich selbst, sondern auch seine beiden Gäste zu versorgen, damit aber merklich überfordert war. Für jemanden, der auf der Straße lebte und sonst nur für sich selbst Verantwortung hatte tragen müssen, war das kein leichtes Unterfangen. Man merkte Satibarzanes die Erschöpfung deutlich an. Und doch war er die einzige Hoffnung, die Kyriakos geblieben war.


    »Barti?«


    »Hm.«


    »Sieh mich an.«


    Sichtlich ungern schlug Satibarzanes seine verquollenen Augen auf.


    »Zwei Sachen«, sagte Kyriakos eindringlich. »Du musst täglich in die Thermen gehen, sie sind kostenlos.«


    »Wozu«, murrte Satibarzanes. »Wenn ich nach Hause komme, ist hier eh alles dreckig.«


    »Weil du stinkst, außerdem gibt es dort Sklaven, die dich rasieren, dir das Haar machen und so weiter. Von dir hängt alles ab. Wenn du besser aussiehst, wirst du es leichter haben, Kunden zu gewinnen.«


    »Die sind eh besoffen und stinken selbst.«


    »Versuch es. Jeder zusätzliche Kunde hilft. Vielleicht lassen sich auch mal welche mit dickerem Geldbeutel blicken, wenn du dich mehr pflegst. Deine Sachen kannst du auch mal auskochen, nachdem die Windeln dran waren.«


    »Ja, ja. Mach ich alles noch. Aber Kunden klingt so vornehm. Das sind sie aber nicht und außerdem bezahlt von denen eh nur die Hälfte, die anderen hauen einfach so wieder ab. Kunden kann man das kaum nennen.«


    »Und das lässt du dir gefallen. Wie nennst du sie?«


    »Stecher.«


    »Klingt unmöglich, kein Wunder dass keine Besseren zu dir kommen, wer will sich so bezeichnen lassen? Du brauchst Geschäftssinn, sonst wird das nie etwas! Fortan sind das Kunden, nennn sie niemals anders. Und du wirst um sie werben und nicht nur mit ihnen saufen und hoffen, dass einer dich dafür bezahlt, dass du mit ihnen Spaß hast.«


    »Ich habe keinen Spaß. Es ist Arbeit.«


    Kyriakos rollte gereizt mit den Augen. »Tu einfach, was ich sage. ich weiß, wovon ich spreche, meine Familie ist wohlhabend. Ich bin Vollbürger von Sparta, ich war Hoplit. Und keiner von meinen Leuten hätte dich auch nur mit der Kneifzange angefasst. Aber das muss nicht so bleiben, du siehst eigentlich gut aus, du darfst dich nur nicht so gehen lassen. Wenn wir beide in Sparta einkehren, nachdem ich meine Rache an Lysander vollzogen habe, empfangen sie dich fürstlich dafür, dass du mich und Nymphis gerettet hast. Ich habe dir versprochen, dich von hier wegzuholen, raus aus der Gosse. Alles, womit du mir heute hilfst, bekommst du später hundertfach zurück. Das schwöre ich dir! Aber ich kann mein Wort nur halten, wenn du mir bis dahin gehorchst. Du siehst, dass ich momentan nichts allein machen kann! Ich krepiere, wenn du nicht spurst, und Nymphis auch!«


    Satibarzanes rieb sein Auge. »Also gut, ich probiere es aus. Erst die Thermen, dann die Kunden.«


    »Und die Wäsche. Du sollst mich ansehen!«


    Satibarzanes gehorchte, auch wenn er vor Müdigkeit kaum noch schauen konnte.


    »Nymphis ist winzig«, sagte Kyriakos leise. »Das hier ist todernst. Er kommt nicht allein durch. Falls ich das hier nicht überlebe ... würdest du dich um ihn kümmern?«


    Satibarzanes lächelte müde. »Das tue ich doch jetzt schon.«


    »Du musst ihn nicht nur durchbringen, du musst ihm ein Vater sein«, sagte Kyriakos eindringlich. »Ihm Werte vermitteln, ihm alles beibringen, bis er wieder zu Hause ist. Die Reise dauert und du musst meine Familie suchen. Du musst auf jeden Fall weniger trinken und auf dich achten, er braucht dich! Niemand sonst hat uns hier in dieser Scheißgegend geholfen, mein Sohn ist verloren ohne dich. Bring ihn nach Sparta, nenne den Leuten dort meinen Namen und dann werden sie wissen, dass du nicht lügst. Es wird euch beiden gut gehen!«


    »Ich bin doch schon so was wie der Mann hier im Haus. Und ich bin müde.« Satibarzanes legte ihm seine unangenehm schmeckende Hand auf den Mund, damit Kyriakos endlich schwieg. »Mach dir keine Sorgen, du überlebst und du kriegst deine Rache. Ich kümmere mich um euch. Denk nicht so viel nach, spiel du einfach die Mutter, bleib zu Hause und werde wieder gesund. Den Rest übernehme ich.« Er zog die Hand zurück und schloss die Augen. Dann schlief er ein.

  • Bewusst hatte Eireann den Ständen des Mercatus Urbis den Rücken gekehrt. Beinahe so als wollte sie sich selbst martern, in dem sie dem furischen Maiordomus nicht nachblickte. Er wollte sie nicht mehr sehen und Eireann musste es akzeptieren. Musste sie tatsächlich? Ja! Auch wenn es ihr unendlich schwerfiel.
    Nachdem sie den Schleier am Brunnen gesäubert hatte, hüllte sie sich in das schützende Kleidungsstück und kehrte den Marktbuden endgültig den Rücken. Zumindest für diesen Moment. Später würde sie noch einmal hierher zurück kehren um sich einen Frauennachttopf zu kaufen. Denn die zwei Sesterzen befanden sich noch immer an Eireanns Körper. Schließlich hatte Tiberios die beiden Becher Posca bezahlt. Mit einer abrupten Kopfbewegung verdrängte sie den furischen Sklaven aus ihren Gedanken und lenkte ihre Schritte auch schon in eines der verwinkelten Gässchen. In den Schleier gehüllt fühlte sich Eireann tatsächlich sicherer. Auch wenn sie die musternden Blicke deutlich spürte. So wagte es doch niemand sie anzusprechen. Was wurde gedacht? Das sie an einer unheilbaren Krankheit litt und sie sich deswegen verhüllte? Bei diesem Gedanken huschte ein feines Lächeln über Eireanns Lippen.


    Während sie an einer Wegkreuzung den rechten Pfad einschlug und ihr diese Gegend unbewusst bekannt vorkam. Befand sich dort nicht das Lupanar Ganymed? Beziehungsweise das was von dem Lupanar übrig geblieben war. Eine Ruine. Unwillkürlich spürte sie wie sich eine Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete und ein leises Stimmlein sie davor warnte länger hier zu verweilen. Dem leisen Stimmlein legte Eireann augenblicklich einen Knebel an und benetzte unwillkürlich ihre Unterlippe. Dort vorne hatte Nymphis auf der Kreuzung gesessen und Eireann war in die Falle getappt. Wie es dem Sklavenjungen wohl ergehen mochte? Sorgte Kyriakos gut für ihn? Bei der gedanklichen Erwähnung des Lupanarsbesitzers ballte Eireann ihre Finger zu Fäusten. Denn mittlerweile hatte sie das abgebrannte Lupanar erreicht und blickte auf die verkohlten Trümmer.


    “Ich hatte dich gewarnt Kyriakos.“
    Auch wenn ihre Warnung zu spät ausgesprochen wurde und das Unheil bereits seinen Lauf genommen hatte. Ihren Kopf hielt Eireann unbewusst gesenkt. Während sie vor ihrem inneren Auge das ehemalige Lupanar in vollem Glanz erstrahlen sah. Zum Glück wurde sie hierbei nicht beobachtet. Oder etwa doch?


    Sim-Off:

    Wer möchte. Darf gerne Gesellschaft leisten.

  • Niemand war zu sehen.


    Ein brütend heißer Luftzug fuhr über die Schutthalde, der man ansah, dass jemand begonnen hatte, die Ordnung wieder herzustellen. Die Steine waren sortiert worden, der Schutt gesondert auf einen Haufen geschoben. Kyriakos war außer Haus, um Velia zu besuchen. Castor und Pollux waren unterwegs auf einem ihrer Beutezüge. Python war das erste Mal seit langem wieder in den Thermen, um vorsichtig seine verbrannte Haut zu waschen, in der Hoffnung, dass man ihn überhaupt einließ und nicht aus hygienischen Gründen davonjagte. Der kleine Nymphis begleitete ihn, so wie er den ehemaligen Gladiator fast immer begleitete, den er lieb hatte. Wo Evenor geblieben war, wusste der Geier, vermutlich hatte er einen Kunden.


    Kurzum, es war totenstill in den Ruinen des Ganymed.


    Aus einem Lumpennest hinter der Frau hob sich der Kopf von Nicon, der die verhüllte und vor sich hinbrabbelnde Gestalt aus geröteten Augen schweigend musterte, sie allerdings aufgrund seiner Trunkenheit doppelt sah. Er hatte gar nicht gewusst, dass Kyriakos irgendeine Perserin oder so was kannte. Wobei ihm die Stimme bekannt vorkam. Sie Klang wie die von der Sklavin, die einige Tage bei ihnen gehaust hatte, wie hieß die noch gleich ... irgendwas mit Eiern. Das war ja leicht zu merken. Eierin oder so. Er tastete nach seiner kleinen Amphore, stellte erfreut fest, das noch etwas darin war und trank den Rest aus. Dann legte er den Kopf wieder hin, um weiterzuschlafen.

  • Und während Eireann die Ruine betrachtete. Wurde ihr bewusst das sich jemand bereits an die Arbeit gemacht hatte und die größeren Schutthaufen beiseite geräumt waren. Sodass eine schmale Gasse entstanden war. Eine Gasse wohin? Hinein ins Verderben. Und während die junge Frau vollkommen regungslos verharrte, spitzte sie dennoch ihre Öhrchen. Auch wenn sie wusste das sie sich alleine in dieser Gasse befand. Denn ihren Blick hatte sie bereits höchst aufmerksam die Gasse entlang gleiten lassen.
    “Sein Traum wird auferstehen. Aus den Flammen wiedergeboren. Und doch auf wackeligem Fundament erbaut.“
    Murmelte Eireann mit leiser Stimme vor sich hin. Während sie einen vorsichtigen Schritt in die Ruine setzte. Mit zittrigen Fingern berührte sie einen der Steine.


    “Das Feuer wurde gezielt gelegt. Der Täter läuft noch immer frei durch die Straßen. Eine Gruppe. Angeführt von einem mächtigen Mann der Unterwelt.“
    Wisperte die junge Frau und zog im nächsten Augenblick ihre Hand zurück. Beinahe so als hätte sie sich verbrannt. War da nicht ein Geräusch? Aufmerksam spitzte die Keltin ihre Öhrchen noch stärker und vernahm nichts. Bis auf den wispernden Wind der durch die Trümmer wehte und sein klagendes Lied sang. Und doch wurde Eireann den Gedanken nicht los das sie beobachtet wurde.


    Und tatsächlich. Eireann hatte sich nicht geirrt. Denn nachdem sie sich langsam herumdrehte, blickte sie in zwei äußerst tiefliegende Augen. Ein Säufer der hier in diesen Gassen Schutz vor der brütenden Hitze gesucht hatte, ging es Eireann durch den Kopf. Nein. Kein Säufer. Auch wenn die Amphore direkt neben ihm dieses Bild vorgaukeln möchte. Vorsichtig wagte sich Eireann dann doch näher an die vermeintlich schlafende Gestalt heran.
    “Nicon.“
    Gelang es ihr seinen Namen über ihre Lippen hervor dringen zu lassen.

  • Pullus und Lurco erreichten die Ruine des Ganymed und zwar gerade als sich eine vermummte Person hineinwagte. Nun waren die beiden Urbaner nahe genug, um die Person direkt zu erkennen und zu hören, was vor sich ging.


    Die linkischen Bewegungen, das Gemurmele und dann noch das Antatschen der Steine. Eindeutig wer sich hier vermummt wie eine gedungene Mörderin herumtrieb und versuchte Steine sauber zu wischen. Oder Spuren zu beseitigen?


    "Stehen bleiben, Cohortes Urbanae! Und Lappen von der Fresse, zeig Dich!", blaffte Pullus mit gezogenem Schwert.
    "Dich kennen wir doch! Komm ganz langsam da raus Sklavin. Was hast Du hier am Tatort des Brandes erneut zu suchen? Ausgerechnet heute, wo in der gesamten Subura alles in Flammen aufgeht und ein Mord nach dem anderen geschieht? Wieder alles nur Zufall? Du bist vorläufig festgenommen. Herkommen!", forderte Lurco unmissverständlich.


    "Und Du Suffkopp, Nicon, aufstehen und ebenfalls hierher. Zügig. Wo ist Kyriakos?", schob Pullus nach.




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