[Gallia Transpadana] Eine große Dummheit

  • Es war zwei Tage nach ihrem Aufbruch von Mediolanum gewesen. Marcellus hatte seine Begleiter zur Eile gedrängt, denn es brannte in ihm endlich die Länder nördlich der Alpen zu sehen, über welche er schon so vieles gehört und gelesen hatte. Nach seinen gescheiterten Versuchen ein Militärtribunat bei einer der Legionen an der Grenze zu erhalten, hatte er beschlossen sich erst einmal der Kurzweil hinzugeben und die Ländereien eben ohne militärisches Amt zu bereisen. Immerhin, so tröstete er sich, hatte er somit auch keine Verpflichtungen.


    Zwei Leibsklaven und fünf Leibwächter hatte er bei sich, alle ritten sie. Dazu kamen noch drei Packpferde. Mehr Luxus hatte sich der Claudier nicht gegönnt. Er wollte die wilden Länder im Norden bereisen und dazu gehörte doch seiner Ansicht nach nicht dass man es sich in einem Wagen gemütlich machte. Die Seidenkissen hatte er in Rom gelassen, ebenso wie vieles weitere. Er suchte das Abenteuer, wollte nach all den behüteten Jahren in Italia und Achaia etwas anderes erleben. Und wenn er dies nicht als Soldat im Dienste Roms tun konnte, dann eben als Reisender.


    Dann hatte das Abenteuer ihn gefunden. Weit früher als er es gedacht oder gewollt hatte und auch weit brutaler als es sein Wunsch gewesen wäre. Ohne mit etwas derartigem zu rechnen waren sie eine Straße entlanggeritten, die sich ein einsames Tal empor wand. Links und rechts der Straße gab es hohe Wälder aus Eichen und Tannen und Marcellus schwelgte in Gedanken schon in den Vorstellungen davon wie es in den Bergen und jenseits davon sein würde. Mächtig und beeindruckend sah er jene bereits vor sich in den Himmel ragen. Wälder soweit das Auge reichte und gekrönt wurde das ganze von weißen, schneebedeckten Gipfeln.


    Während also Marcellus seinen Gedanken nachhing, hörte er ein mehrfaches Zischen und Surren, welches er überhaupt nicht zuordnen konnte. Dann hörte er hinter sich erstickte und dumpfe Schmerzenslaute, dann Schreie und mit einem Mal fuhr ihm der Schreck in die Knochen. Von jetzt auf gleich war ihm klar das etwas nicht in Ordnung war, auch wenn er nicht so schnell begreifen konnte was genau los war. Nie im Leben hätte er hier mit einer Gefahr für sich gerechnet und die neue Situation traf ihn so überraschend als habe man ihn gerade aus tiefsten Träumen geweckt.


    "Dominus, bring dich in Sicherheit!" rief einer der Leibwächter und galoppierte mit gezogenem Schwert neben ihn, ehe auch er aus dem Sattel kippte. Marcellus konnte keinen Pfeil oder dergleichen erkennen, war aber auch nicht geistesgegenwärtig genug um an eine Steinschleuder zu denken. Nein, stattdessen begriff er nun endlich dass es an der Zeit war seinem nervösen Pferd die Fersen in die Seite zu drücken und zuzusehen dass er hier fort kam!


    Er wendete das Tier und sah vor sich ein Durcheinander aus Pferden und Menschen. Seine Begleiter lagen Großteils am Boden und viele düstere Gestalten waren gerade dabei die Pferde einzufangen. Unvernünftigerweise hatte es Marcellus im Kopf das es eine bessere Idee war durch diese Gestalten hindurch zu reiten - zurück nach unten, nach Italien und in Richtung Mediolanum, anstatt das Pferd eben nicht zu wenden und zwar weiter in die Berge zu reiten, dafür aber die unmittelbare Gefahr hinter sich zu lassen. Nein, seine Panik (ja man musste es wohl bei allem Stolz Panik nennen) trieb ihn zurück nach Hause.


    Natürlich war das eine schlechte Idee. Marcellus trieb sein Pferd an, sah dann aber schnell eine ganze Reihe dieser düsteren Gestalten vor sich und ehe er sich versah holte einer der Kerle mit einer Art langen Keule aus und schlug ihm damit vor den Brustkorb. Nicht nur blieb ihm davon die Luft weg, nein er fiel auch hintenüber von dem rennenden Pferd und das letzte woran er sich erinnern konnte war der Moment in welchem er auf dem Boden aufschlug.


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    Wie lange das alles genau her war wusste er nicht zu sagen. Er erwachte mit Schmerzen in einer dunklen Höhle welche nach Rauch und Unrat stank und welche von Fackeln nur schlecht erleuchtet wurde. Offenbar war es draußen Nacht.


    Vor ihm stand eine Gestalt die aussah als habe die Unterwelt sie nicht haben wollen. Der Mann sprach zu ihm in einer Sprache die man irgendwo, weit weg von Rom, vielleicht als Latein durchgehen lassen würde. Marcellus tat der Kopf weh und er konnte gerade vage nachvollziehen warum seine migränegeplagte Schwester oftmals so mürrisch war.


    "Sag mir Bursche, wer du bist. Dann zahlt deine Familie ein Lösegeld und du kannst schnell wieder nach Hause." erklang es aus dem Mund des Mannes. Marcellus schwieg erstmal.
    "Deine Leute haben wir getötet, aber du siehst nach Geld aus. Na los, das hier muss nicht länger dauern als nötig." er stieß Marcellus mit einem langen Stock an, war das die Keule die ihn vom Pferd geholt hatte?


    "Lass mich gehen, du Wicht. Wie könnt ihr es wagen einen römischen Bürger zu überfallen?" antwortete Marcellus in sauberem, gestochen scharfem Latein und mit arroganter Stimme. Der Mann lachte ihn aus.


    "Ach, dann überleg es dir nochmal ein paar Tage. Irgendwann bettelst du darum uns sagen zu dürfen wer du bist." dann ging der Kerl wieder weg und Marcellus wurde seine ungute Situation langsam bewusst. Er war gefesselt, es tat ihm alles weh und er saß in einer kalten Höhle herum. Noch dazu nicht wissend wo er überhaupt war.


    War das nun das Ende seiner Reise? Er würde den Kerlen sagen wer er war und bei der Villa Claudia würde ein Bote vorsprechen und Lösegeld fordern. Seine Familie würde eine vermutlich horrende Summe bezahlen und er würde dann irgendwann wieder in Rom ankommen und wäre für den Rest seines Lebens gedemütigt. Fest fasste er den Entschluss das er lieber sterben würde, als das zuzulassen!


    Dann vergingen die Tage. Wenn er schlief, verging die Zeit einigermaßen schnell, aber wenn er wach war war es verdammt langweilig nur herum zu sitzen. Immer wieder versuchten ihn die Kerle auszuhorchen. Am Anfang schienen sie sich einen Spaß aus seiner Sturheit zu machen, aber nach drei Tagen bemerkte Marcellus dass ihre Geduld zu schwinden schien. Sie begannen ihm Folter anzudrohen. Damit bekam sein Aufenthalt bei den Kerlen eine neue Dimension, denn er war noch nie gefoltert worden und stellte es sich alles andere als angenehm vor. Die Vorstellung reumütig und gedemütigt bei seiner Familie zu stehen wirkte auf einmal weniger schlimm.


    Es dauerte zwei weitere Tage, ehe ihm klar wurde dass es nun ernst war. Der Anführer der Bande war wirklich überhaupt nicht mehr freundlich und er hatte ihm in Aussicht gestellt dass er morgen erst einen Fingernagel und danach den Finger verlieren würde wenn er nicht sprach. Marcellus fragte sich was er von seinem Stolz hatte. Er saß seit fünf Tagen in dieser Höhle fest, bekam wenig und schlechtes Essen und ihm wurde mit Schmerzen und Folter gedroht. All das nur weil er sich nicht der Demütigung hingeben wollte sich anhören zu müssen dass seine gesamte Reise eine dumme und naive Idee gewesen war.


    Er würde den Kerlen wohl morgen früh sagen wer er war. Marcus Claudius Marcellus, aus der Gens Claudia, einer der angesehensten Familien Roms. Und diese Wichte würden tanzen und feiern bei dem Gedanken an das Lösegeld. Er war so dumm gewesen...


    Sein Blick glitt durch die Höhle. Er hatte mittlerweile längst verstanden was diese Räuberbande tat. Sie überfielen Reisende und eigneten sich deren Güter an. Manche ihrer Opfer schienen sie auch als Sklaven verkaufen zu wollen. Einige Gestalten die noch armseliger aussahen als er selbst waren um ihn herum angebunden, während die Räuberbande etwas weiter entfernt am Feuer saß und zechte. Aber heute waren es weniger als sonst, der Anführer und ein Dutzend Männer waren fort und es waren nur vier oder fünf Wächter zurückgeblieben.


    Marcellus Blick fiel auf ein Mädchen das seit vorhin neben ihm am Boden angebunden war. Er hatte sie schon öfter gesehen, aber bis heute Nachmittag war sein "Nachbar" ein alter Mann gewesen, der vorhin gestorben war.


    "Kannst du mich verstehen?" fragte er, denn wie eine Römerin sah die junge Frau nicht aus. Sie kam aus dem Norden, aus Germanien oder Dakien vielleicht. Sie war mit Dreck bedeckt und sah fix und fertig aus, deutlich schlechter als er.

  • Träge schaute Eldrid in Richtung des Höhleneingangs; tagaus und tagein. Jedenfalls solange sie innerhalb der Höhle war, was nun seit wenigstens einer der Woche der Fall war. Warum, das wusste sie nicht so richtig. Sie wusste auch nicht richtig, ob ihr das nun recht war oder nicht. Vorher hatten sie eine ziemlich lange und beschwerliche Reise bestritten, von der ihr noch heute die Füße wehtaten. Sie hatte oft laufen müssen und hatte Schwielen an den Sohlen. Manchmal, wenn sie nicht mehr konnte, dann durfte sie auch mal auf einen der Esel, aber dann war sie auch wirklich schon nahe am Ende. Einige Tage ruhen zu können war eine echte Wohltat, zumal auch das Wetter empfindlicher wurde. Sie trug noch immer genau die Sachen, mit denen sie damals 'aufgebrochen' war. Ein schlichtes, an den Schultern durch Fibeln zusammengehaltenes, dunkelblaues Kleid unter welchem sie noch ein leichtes, leinenes Unterkleid trug, um die Schultern vor kühlerem Wind zu schützen; im heißen Sommer würde sie dieses wohl fortlassen. Selbiges galt im Übrigen für ein etwas älteres Wolfsfell, dass sie auf ihren Schultern trug und sie durch die nächtliche Kälte auf der Reise bestens gerettet hatte. Sicher hatte sie trotzdem zuweilen ziemlich gefroren, wenn der Wind an ihrer Kleidung zerrte, aber es war ein massiver Trost gewesen. Ein Geschenk ihres Bruders - es war mittlerweile schon einige Jahre her. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass er ihn gejagt hatte. Eine lange Geschichte.
    Sicherlich, sauber und besonders heile war ihre Kleidung inzwischen nicht mehr und insbesondere der strenge Geruch nach Schweiß störte Eldrid enorm. Germanen waren alles andere als schmutzig, so wie die Römer es gern darstellten. Im Moment entsprach sie wohl dennoch dem klischeebeladenem Sinnesbild einer Germanin. Sie zog sich das Fell etwas fester um die Schultern und doch, sie würde schon ganz gerne einmal wieder an die Sonne kommen. Vielleicht war es hier nicht ganz so ungastlich wie draußen, aber es war trotzdem kühl und zuweilen etwas zugig. Die feuchte Luft drückte allmählich auf ihr Gemüt. Sie waren nun seit ein paar Wochen unterwegs und überhaupt hatte sie den Eindruck, verlernt zu haben, wie man aufrichtig lachte.


    Was es in den letzten Tagen zu beobachten gab, das hatte sie auch beobachtet. Gesprochen hatte sie nicht. Sie war noch nie allzu geschwätzig gewesen, was auch in ihrem Dorf durchaus geschätzt wurde. Sicherlich war sie dazu fähig, Konversation zu pflegen, aber sie konnte auch still sein, wenn es nichts zu sagen gab. Es gab erstaunlich wenig Menschen, die dazu wirklich in der Lage waren. Die anderen taten ihr leid, auch wenn sie sie nicht kannte. Auch wenn sie aber ein empathisches Wesen mit ausreichend Mitgefühl besaß, so tat sie selbst sich doch fast noch immer am meisten leid. Sie wollte wieder nach Hause zurück, zu ihrer Familie. In ihr bekanntes Terrain. Von dort brachte man sie fort und sie hatte recht schnell begriffen, dass eine baldige Rückkehr nicht geplant sein würde. Sie schien als Sklavin verkauft zu werden, an wen und wohin genau würde sich noch zeigen. Auch Germanen hielten Sklaven und das ganze Konzept war ihr natürlich nicht fremd - doch für sie selbst war das einfach nicht vorgesehen. Sie war immerhin die Tochter eines Richs und nicht irgendeine Vogelfreie, die man sich greifen konnte. Nicht einmal die Römer hätten damals Hand an sie gelegt. Als Mattiakerin bestand zwischen ihrem Stamm und den Römern ein ganz gutes Verhältnis. Vielleicht liebten nicht alle die Römer und auch sie selbst begegnete ihnen mit Misstrauen - aber trotzdem hätte keiner von ihnen sie einfach abgegriffen und in die Sklaverei gezwungen. Derzeit befand sie sich bei irgendwelchen Kriminellen, die nicht nur auf Recht schissen, sondern auch auf Anstand und Sitte. Sie behandelten die Menschen schlecht und Eldrid hatte rasch gelernt, sich einfach in ihren neuen Tag einzufügen, um bestmöglich durch alles zu gelangen. Unnötiger Aufruhr war im Grunde weniger ihr Ding, auch wenn sie innerlich alles andere als ruhig war. Es toste viel in ihr, aber es brachte eben nichts, es zu entfesseln. Es würde ihre Situation eher verkomplizieren.
    Irgendwann - und irgendwo - geriet sie sicherlich wieder unter zivilisiertere Menschen und dann würde sie zumindest versuchen, wieder nach Hause zu gelangen. Ihre Familie würde für sie zahlen - sie war wichtig. Nicht nur aus emotionaler Sicht, sondern auch aus politischer. Nicht unersetzlich wichtig, aber doch wichtig. Es musste einen Weg zurück geben. Das war der einzige Gedanke, an den sie sich festklammerte. Wenn sie nur die Chance bekäme, dann würde sie sofort zugreifen.


    Anders als dieser andere, merkwürdige Mann, den sie seit ein paar Tagen beobachten konnte. Er passte irgendwie nicht hierher und woran das lag, hatte sie auch direkt erkennen können. Er war einfach zu fein gekleidet. Ein Römer, wie man sehr schnell bemerkte - und damit ein weiteres Zeugnis dafür, dass sie sich bei diesem Gesindel sicherlich nicht in römischer Gesellschaft befand. Die würden doch kaum untereinander solche Methoden anwenden, oder doch? Vielleicht war sie manchmal zu naiv für diese Welt, aber vollkommen blöd war sie eben doch nicht.
    Sie hatte meist recht klar mitbekommen, dass man von ihm auch anderes erwartete, als von den anderen elendigen Gestalten. Er hatte das Privileg hier sofort rauszukommen, er müsste nur seinen Namen nennen. Sie verstand nicht, warum er es nicht tat. War er vielleicht ein Betrüger oder ein Hochstapler und fürchtete aufzufliegen? Sie investierte ziemlich viel Zeit in dieses Rätsel, aber dass er vielleicht einfach nur zu stolz war, um sich eine Niederlage einzugestehen, darauf kam sie einfach nicht. Ihre Brüder wären vermutlich ähnlich, aber... ihre Brüder waren auch ein ganz anderer Fall. Römer sah sie einfach aus gänzlich anderen Augen. Abgesehen davon war sie selbst nun schon lange genug in Gefangenschaft, um sich von ganzem Herzen so eine Chance herbeizusehnen. Sie hatte es am Anfang sogar versucht, aber die hatten sie nur ausgelacht. Sie und ihr Esel hatten tatsächlich nicht sonderlich viel von Wert mit sich geführt, nur die eigenen Leben und ein paar Waren für das Dorf. Eldrid war häufiger nach Mogontiacum gegangen um Waren zu tauschen. Sie hatten ihr gar nicht zugehört.


    Dann kam der Moment, in dem dieser merkwürdige Kauz sie ansprach; einige Tage war er nun sicherlich schon hier und noch immer stellte er sich quer. Sie sprach ihn nicht an, hatte etwas Sorge, dass sie dann Ärger mit den Banditen kriegen könnte. Nun aber würde sie seinen Versuch erwidern und sah ihn aus ihrem verdreckten Gesicht mit den müde wirkenden Augen an.


    "Nein." entgegnete sie dann erstaunlich geistesgegenwärtig. Sie verstand ihn nicht - auch wenn sie jedes Wort von ihm verstand. Sie sah sich kurz um, ehe sie leise weitersprach: "Ich verstehe deine Worte. Ich verstehe nicht, warum du nicht weggehst." Ihre Sätze im Lateinischen waren immer schon einigermaßen primitiv, aber trotzdem verständlich und keine völlige Katastrophe. Dass sie überhaupt das Lateinische sprach und verstand war nicht selbstverständlich - ein Römer würde sie wohl nicht verstehen, wenn sie in ihrer Muttersprache redete. Sie versuchte seinen Blick aufzufangen, aber in der Dunkelheit der Höhle war das gar nicht so leicht.

  • Marcellus musterte das Mädchen nun etwas genauer. Sie war ziemlich schmutzig, was ihn aber angesichts des Ortes an welchem sie sich befanden nicht weiter wunderte. Sie hatte blondes Haar und helle Haut und war ihm durch diese Eigenschaften direkt sympathisch. Er mochte die hellen Haare der Nordländer. Jetzt wo er sich ihre Kleidung und vor allem die Fibeln an ihren Schultern genauer betrachtete war er sich immer sicherer dass sie aus Germanien stammen musste. Diese Formen waren anders als die der Gallier.


    Zu seiner Überraschung sprach sie Latein und das mindestens so gut wie der hässliche Bastard der ihn hier gefangen hielt. Ihre Worte allerdings machten erst einmal nicht so viel Sinn. Warum er nicht ging? Er sah sie ratlos an, dann begann er zu verstehen. Ah, sie hatte mit angehört dass er gegen Lösegeld freigelassen werden sollte. Das klang vermutlich verlockend für jemanden dessen Los darin bestand als Sklave verkauft zu werden. Seine Alternativen wären der Tod oder eben die Freiheit... oder würden diese Barbaren es in Betracht ziehen ihn am Ende auch als Sklaven? Das konnte er sich nicht vorstellen, aber er wollte es auch gar nicht so weit kommen lassen das er es herausfinden könnte.


    "Du meinst warum ich ihnen nicht sage wer ich bin und meine Familie zahlen lasse?" fragte er denn also und sah die junge Frau mit stolzem Blick an. "Ich bin ein Römer aus einer noblen Familie und ich werde meinen Namen und den meiner Vorväter nicht mit der Schande dieses Vorfalls hier beschmutzen." Mir war natürlich Julius Caesar in den Sinn gekommen, der in seiner Jugend von Piraten gefangen genommen worden war. Doch der hatte sie nach seiner Freilassung allesamt aufgespürt und umgebracht. Wäre das eine Alternative für mich? Vermutlich nicht. Caesar war auf einer Seereise gewesen, seine Gefangenname war nicht seine Schuld gewesen. Ich hatte mich mit einer fast lächerlich geringen Zahl an Beschützern vollkommen ohne Not auf die Reise über die Alpen begeben. Nein, ich schämte mich zu sehr um diesen einfachen Weg zu gehen.


    Ich betrachtete mir noch einmal meine Lage. Meine Hände waren hinter meinem Rücken mit einem groben Strick gefesselt und meine Füße waren es ebenfalls. Am Eingang der Höhle saß einer der Banditen und hielt Wache, die übrigen vier anwesenden Gestalten saßen ein Stück entfernt am Feuer. Sie waren nur zu fünft... viele von ihnen waren heute weg, zum ersten Mal. Ich war kein erfahrener Kämpfer, zumindest nicht im praktischen Sinne. Ich hatte noch nie einen ernsthaften Kampf ausgetragen. Aber ich hatte einen Ausbilder gehabt und beherrschte zumindest den Übungskampf. Wenn ich meine Hände und Füße frei bekäme und dann vielleicht wartete bis die Kerle so betrunken waren das sie einschliefen... Natürlich bestand immer die Gefahr dass der Anführer mit den übrigen Männern zurückkam. Außerdem war ich nun einmal gefesselt und bekam den Knoten beim besten Willen nicht auf. Ich sah wieder zu der jungen Frau hin.


    "Das heißt aber nicht, das ich hier nicht weg will." sprach ich, dieses Mal noch ein wenig leiser. Die Banditen waren ihrerseits nicht gerade leise und daher hoffte ich dass sie mich nicht hören würden. Vorsichtig rutschte ich näher zu dem Mädchen hin, bis ich nur noch einige Handbreit von ihr entfernt war.


    "Hör zu, mein Name ist Marcus, wie ist dein Name?" einer der häufigsten Römernamen, selbst wenn die Kleine nun mit den Banditen sprach, würde ihnen mein Vorname rein gar nichts bringen. "... ich habe einen Plan. Dreh dich mit dem Rücken zu mir und versuche unauffällig meine Fesseln zu lösen." mein Herz begann schneller zu schlagen. Wenn das Mädchen mitmachte und wenn sie es schaffte meine Fesseln zu lösen und wenn die übrigen Banditen nicht zu früh zurückkehrten und wenn ich es schaffte den einen am Tor zu überwältigen... ziemlich viele "wenns" aber das alles war besser als zu sterben oder als gedemütigt nach Hause zurückzukehren. Es war einen Versuch wert!

  • Augenblicklich fühlte sie sich ein wenig dumm, als er recht unvermittelt zurückfragte, was sie im Einzelnen meinte. Seine Frage klang weniger als eine Frage, sondern eher wie ein Vorwurf. Ein Ausspruch der Verwunderung über ihre eigene Blindheit und Naivität - aber vielleicht war sie da auch einfach nur ein wenig zu empfindlich? Römer waren häufig recht arrogant, so jedenfalls war ihr persönlicher Eindruck, der bislang meistens auch auf persönlichen Erfahrungen beruhte. Gleichwohl empfand sie Römer längst nicht als so perfide und bösartig, wie ihr Bruder Sarolf sie oft Glauben machen wollte, aber ein Kernchen Wahrheit steckte in den ganzen Gerüchten eben doch.
    Sie war allerdings doch recht froh, dass sie sich für ihre unbedachte Frage nicht sofort gerechtfertigt hatte, als sie dem Römer bis zum Ende lauschte. Kurzum: er ging aus Stolz durch dieses Martyrium. Es war die Frage, wie weit er wohl noch zu gehen gedachte? Sie hatten ihm bereits recht deutlich die Folter angedroht und, ehrlich gesagt, zweifelte Eldrid auch nicht daran, dass diese Männer ihre Drohungen auch in die Tat umsetzen würden. Würde er ihnen vorher schon stecken, wer er wirklich war, oder würde er auch das über sich ergehen lassen, nur, um sich nicht zu blamieren?


    Irgendwie verstand sie ihn. Sie verstand, dass er sich darüber schämte, in die Hände dieser schmutzigen Gestalten geraten zu sein. Auch ihr war es irgendwie sehr unangenehm, bedachte man eben ihre Herkunft und auch die Hilflosigkeit, in der sie sich befand. Sie hätte daran aber eben auch rein gar nichts ändern können. Jeder für sich besaß vermutlich schon mehr Kraft als sie und dann waren sie auch noch in der Mehrzahl gewesen - was hätte sie schon tun können?
    Wenn er, so wie sie, auch eine recht gute Abstammung hatte empfand er es sicherlich mindestens ebenso; nur, dass Männer eben noch einmal eine wesentlich stärkere Position innehatten als Frauen. Er hätte also auch als Mann irgendwie versagt. Ja, ein wenig verstand sie ihn. Aber würde er wirklich bis zum Ende gehen, nur um sein Versagen vor keinem eingestehen zu müssen?


    Mehr als ein verstehendes Brummen ließ sie nicht hören. Kurz darauf sah und hörte sie, wie er näher an sie heranrutschte. Sie selbst war intuitiv fast geneigt, im selben Moment von ihm abzurücken - aber sie fühlte sich dafür einfach zu schwach. Was könnte er ihr schon tun? Er war ebenso gefesselt wie sie und vermutlich wollte er einfach nur noch leiser mit ihr sprechen können, so, dass wirklich niemand etwas von ihrem Gespräch mitbekäme. Also unterdrückte sie den Reflex des Zurückweichens und blieb einigermaßen ruhig sitzen.


    "Eldrid." entgegnete sie recht wortkarg auf seine Vorstellung hin. Marcus also. Irgendwie hießen die alle irgendwie Marcus - oder Titus. Sie fand die Römer alle reichlich fremdartig, aber sollten sie doch. Denen ging es vermutlich nur geringfügig anders, wenn sie über ihr Volk nachdachte, oder viel eher über die vielen germanischen Völker, die sich in ihren Grundfesten durchaus das eine oder andere Mal deutlich unterschieden.
    Ziemlich eindeutig und zügig offenbarte er ihr seinen Plan, was sie doch etwas überraschte. Er wollte, dass sie die Fesseln löste. Sie hatte keine Ahnung, ob sie das mit ihren recht eingeschnürten und mittlerweile auch schwachen Händen bewerkstelligen könnte - und noch weniger zweifelte sie daran, dass sein Plan aufgehen würde, selbst wenn es nicht an ihr scheiterte. Die anderen waren schließlich immer noch erheblich in der Überzahl. Warum aber nicht versuchen? Sicher, es konnte schlimmer kommen. Zu fragen, was schon noch passieren könnte, wäre naiv. Immerhin lebte sie noch und hatte Aussicht, dass dieser Zustand noch eine Weile anhalten würde. Nun stand aber auch eine erhebliche Verbesserung im Raum.


    "Du wirst mir doch auch helfen, oder?" wisperte sie leise zurück, während sie sich schon herumdrehte, ohne groß Zeit zu verschwenden. Sie gab sich Mühe, dabei sehr leise zu sein, um bei wirklich niemandem Aufsehen zu erregen. "Ich weiß nicht, was du vorhast, aber alles ist besser, als zu warten. Nur - sie haben dich schon einmal überwältigt, oder nicht? Warum sollte es jetzt anders sein, wo du allein bist und vermutlich ähnlich hungrig wie ich..." erkundigte sie sich mit leiser Stimme und fand ihre Bedenken durchaus berechtigt. Sie hatte dennoch bereits seine Fesseln ertastet, um ihn zu befreien. Sie saßen straff und vermutlich noch ein wenig straffer, weil er häufig versucht hatte, sich aus ihnen zu lösen. Ebenso wie sie. Trotzdem wollte sie von ihm noch überzeugt werden; nur Zeit verlieren, das wollte sie trotz ihrer Zweifel nicht. Sie hatten keine Zeit für lange Diskussionen.

  • Immerhin zierte sich die Kleine nicht lange und wollte auch erst einmal nicht lange überzeugt werden, sondern machte sich recht unvermittelt daran mit den Händen nach seinen Fesseln zu suchen. Wo auch immer sie her kam, sie hatte bestimmt mehr praktische Erfahrung mit Gewalt und Brutalität als er und somit war ihr diese Situation hier auch nicht ganz so fremd wie ihm. Alleine die Tatsache, dass er sich hier in der Gewalt irgendwelcher Gesetzloser befand und dass sein Leib oder gar sein Leben in Gefahr waren war so gänzlich neu für ihn, dass er es noch immer nicht ganz begreifen konnte. Sein Leben war bisher bestimmt gewesen von Luxus, Zivilisation und Bildung, die einzige Form der Gewalt die er kannte waren ungefährliche Übungskämpfe und Gladiatorenwettkämpfe, welche er stets von einem gemütlichen Sitzplatz aus beobachtet hatte, mit Wein und Oliven zu seiner Verfügung.


    Aber sein Leben war eben auch bestimmt gewesen von Geschichten und Vorstellungen. Von Traditionen und Erwartungen die er selber an sich hatte und von denen er glaubte dass auch seine Ahnen sie an ihn hatten. Er stammte aus einer Familie welche die Geschicke Roms seit Jahrhunderten beeinflusste. Sie waren verwandt mit den ersten Kaisern und seine Ahnen ließen sich bis zur Gründung Roms zurückverfolgen! Seine Vorfahren hatten geholfen Rom zu erbauen und sie hatten das nicht nur mit ihrem Schweiß, sondern auch mit ihrem Blut getan. Wenn er nicht der Verweichlichte Nachkomme von größeren Vorvätern sein wollte, dann musste er heute seinem Namen Ehre machen!


    "Wenn wir es hier heraus schaffen, dann werde ich dir helfen Eldrid. Du wirst dann unter meinem Schutz stehen." bestätigte er ihr. Natürlich würde er ihr helfen. Was die anderen Gefangenen anging, die meisten schliefen vor Erschöpfung oder blickten geistesabwesend umher. Sie schienen noch schlechter dran zu sein als sie beide und ehrlich gesagt wüsste Marcellus nicht was er für die tun könnte. Nein, die junge Frau würde er mitnehmen, das verlangte der Anstand, aber die anderen mussten für sich selber sorgen.


    "Sie haben mich überrascht. Heute werde ich sie überraschen." antwortete er dann also grimmig und entschlossen auf ihre Frage hin. Marcellus spürte ihre Finger an seinen Handgelenken und sein Herz begann noch schneller zu schlagen. Bitte Götter, Jupiter, Mars, Venus... wer immer gerade auch zusah... Gebt das diese Germanin die Fesseln lösen kann, gebt mir diese Gelegenheit mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen! Er begann stumm zu beten.

  • Eldrid mochte vieles sein. Manchmal konnte sie unbedacht irgendwo hinein platzen, unbedachte Äußerungen von sich geben oder auch einfach nur der Tagträumerei so sehr nachhängen, dass sie eine Anrede verpasste. Was sie aber nicht war, das war grundsätzlich ungeschickt und längst nicht so unintelligent, wie sie manchmal wahrgenommen wurde, nur weil sie manchmal etwas verträumt schien. Sie konnte sich ungemein auf Dinge konzentrieren und gerade etwas, das Fingerfertigkeit von ihr verlangte, fiel ihr in aller Regel fast schon in den Schoß. Nun war die hiesige Situation ein wenig anders. So sehr anders, dass sie sich in einem Ausnahmezustand befand. Ihre Handflächen wurden schwitzig, obschon ihr alles andere als warm war und insgesamt fühlte sie sich so ausgelaugt und matt, dass sie kaum wusste, ob sie gleich laufen könnte. Es gab glücklicherweise durchaus einige Stunden am Tag, an denen sie ungefesselt sein durfte; von ihr war nun aber auch wenig Gefahr zu erwarten, allein schon, weil sie so geschwächt war.


    Ohne seine Worte weiter zu honorieren suchte sie weiterhin vorsichtig und konzentriert nach einem Anfang in dem Knoten an seinen Händen. Sie ließ sich weder von ihrem inneren Stresslevel sonderlich beeinflussen, noch von den Gesprächen der Entführer. Ihr Auge war quasi nach innen gerichtet, ebenso wie ihre Ohren. Bei den Göttern, war der Mist fest zugeschnürt. Mit verdrehten Händen einen Anfang zu finden war alles andere als einfach, doch nach wenigen Minuten vorsichtigen Bearbeitens spürte sie dann doch, wie der Strick allmählich nachgab und sie immerhin die erste Schlaufe schon einmal lösen konnte.
    Erleichterung und Triumph machten sich in ihr breit und dämpften gleich auch noch ein wenig die Angst, erwischt zu werden. Ihr Fokus konzentrierte sich immer mehr auf ihr 'Handwerk'. Die nächsten Schlaufen durchwand sie wesentlich schneller und geschickter. Wie sollte es auch anders sein? War der Anfang erst einmal gemacht, ging es fast immer schnell. Ein grimmiges Lächeln lag auf ihren Zügen, eines, das niemand sah - und nicht einmal sie selbst so richtig registrierte.


    "Was machst du, wenn es nicht klappt?" fragte sie dann, während auch der Römer wohl langsam spürte, wie sich der Druck auf seine Handgelenke löste. Sie ließ von ihm ab, aus dem Rest könnte er sich problemlos selbst befreien. "Sagst du dann, wer du bist oder wählst du die Folter? Oder den Tod?" wisperte sie. Und - was würde sie dann tun? Sie hatte keine Ahnung, wie wertvoll sie tatsächlich für diese Männer war und ob sie sich daran erinnerten, wenn sie erst einmal von Wut erfüllt waren.

  • Die Fesseln lösten sich! Bei Jupiter, Fortuna und Felicitas!!! Wenn er erst einmal wieder in Rom war würde er ein Opfer bringen. Eines für Vater Jupiter, eines für die Göttin des Glücks und eines für die Laren der Gens Claudia. Quälend lange Minuten hatte er die Finger der jungen Frau an seinen Handgelenken gespürt hatte gespürt wie sie sich bemühte und dann endlich war da dieses erlösende Gefühl gewesen, mit welchem sich die Fesseln lockerten. Der Triumph der ihn durchflutete war kaum zu beschreiben!


    Schwer und heftig schlug sein Herz, schwer und heftig ging sein Atem. Niemand hatte etwas bemerkt. Die vier Räuber am Feuer zechten und der eine am Tor schielte in die Nacht hinaus. Es war geschafft, seine Hände waren frei und sein Schicksal lag nun in seiner Hand, Gedeih oder Verderb, darüber würde nun er bestimmen!


    Er atmete einmal tief durch.


    "Eldrid, woher stammst du?" fragte er dann, ihre Fragen erst einmal bewusst ignorierend und begann nun ihre Fesseln zu lösen. Mit seinen nahezu freien Händen ging das nun deutlich besser. Er ertastete ihre schlanken Handgelenke und machte sich langsam und vorsichtig daran den rauen Strick aufzuknoten. Die Fesseln an den Füßen würden zuletzt kommen, denn wenn sie jemand dabei sah wäre sofort klar dass etwas im Busch war. So wie es jetzt war, konnte er die Hände erst einmal hinterm Rücken lassen.


    Vom Feuer her erklangen laute Geräusche, als die Männer begannen mit ihren versoffenen Kehlen ein Lied zu singen. Marcellus hingegen sann auf Rache und sein Blick schweifte immer wieder düster durch die Höhle. Wenn die Kerle nur noch ein bisschen mehr soffen, dann wäre es fast schon einfach. Den einen Räuber am Tor würde er überwältigen können und die vier Betrunkenen würden ebenfalls kein Problem darstellen. Er betete nur inständig darum dass die retlichen Banditen nicht zurückkehren würden!

  • Sie spürte, wie er sich nun, erheblich resoluter als sie noch kurz zuvor, daran machte, ihre Fesseln zu lösen. Sie hatte durchaus Angst, das merkte sie und würde sie auch nicht leugnen können. Auch ihr Herz pochte so kräftig in ihrer Brust, dass sie glaubte, es würde die Flucht jeden Moment durch sein Gepumpere an die Banditen verraten. Im Grunde war das nicht möglich, aber der Glaube daran, dass es einfach schiefgehen musste, machte sie wahnsinnig nervös. Sie konnte nur hoffen, dass der Römer in dieser Sache anders gewickelt war als sie, sonst würden sie sich wahrscheinlich schon vor dem Ausgang der Höhle wieder freiwillig ergeben.
    Oder? War es nicht dumm, so feige zu sein? Wären ihre Brüder nicht auch ein wenig enttäuscht von ihr? Ihr Vater? Vielleicht führten die Mattiaker schon länger keine ernsteren Kämpfe mehr, vor allem nicht ihr Dorf, aber war das ein Grund, nun feige den Kopf in den Sand zu stecken? War nicht auch in ihr das Blut ihrer Vorfahren, die sich stets zur Wehr setzten? Hatte die römische Zivilisation in der Nähe sie schon derart verweichlicht, wie Sarolf ihr möglicherweise vorwerfen würde?
    Nein! Das würde sie nicht zu lassen. Entschlossenheit legte sich in ihren Blick und sobald sich die Fesseln gelöst hatten, half sie mit, ihre Hände zu befreien. Sie war sehr schmal gebaut, an jeder Stelle ihres Körpers und es war ihr ein Leichtes, ihr Handgelenk aus der Schlinge zu ziehen. Vielleicht machte ihre Statur sie manchmal auch etwas anfällig für Unfälle, aber Krankheiten suchten sie dennoch nur selten heim. Sie war robuster als es den Anschein machte.


    "Germanien." erwiderte sie recht knapp, weil sie schon recht gut wusste, wie ein Römer sich orientierte. So zivilisiert war sie eben doch - aus römischer Sicht betrachtet. "Vom Stamm der Mattiaker. Mein Dorf ist nahe von Mogontiacum entfernt." Sie fand den Begriff noch immer fremdartig, obwohl sie ihn schon so viele Male gehört und gesprochen hatte. Dass sie die Tochter des Rich war, ließ sie vorerst aus. Sie vertraute dem Römer nur so sehr, wie sie es in diesem Moment musste; alles Weitere würde sich dann eben noch zeigen.
    Kurz überlegte sie, ob er aus Rom stammte. Er war ein Römer und vom Bauchgefühl her kam ein Römer eben aus Rom. Die Einfältigkeit des Gedankenganges brachte sie aber selbst beinahe zum Lachen. Er konnte sonst woher kommen; es gab inzwischen auch genügend Germanen, die sich selbst als Römer betrachteten.


    "Was jetzt?" flüsterte sie zu ihm und achtete auf jedes Geräusch, das in ihren Ohren irgendwie verräterisch klingen könnte. Ob irgendjemand schon mitbekam, was hier lief? Sie hatte Angst davor; auch Angst, dass ein missgünstiger Mitgefangener sie nun lautstark verriet...

  • Germanien, ja so wie er vermutet hatte. Sein Blick schweifte mehrmals zwischen ihr und den Männern am Feuer hin und her. Einer der Kerle begann nun damit ein Lied vorzutragen und die anderen klatschten dazu in die Hände. Marcellus schmerzten die Ohren von dem barbarischen Gesang. Was für Gestalten das genau waren konnte er nicht sagen. Irgendwelcher Abschaum der sich in Roms Grenzgebieten aufhielt, vermutlich stammten diese Männer von irgend einem merkwürdigen Bergvolk ab.


    Nachdem Eldrid ihm den Namen ihres Stammes mitgeteilt hatte und fragte wie es nun weiter gehen würde, sah der Patrizier wieder zu ihr hin. Er sah ihr tief in die Augen.


    "Mein Name ist Marcus Claudius Marcellus, von der Gens Claudia. Ich werde kämpfen und wenn es der Wille der Götter ist, dann werde ich stolz und aufrecht meinen Ahnen gegenübertreten. Bleib hinter mir, dann wird dir nichts geschehen." sagte er also und blickte ihr noch einen Moment weiter in die Augen. Er hatte seinen Entschluss gefasst. Er würde nun eine Münze werfen und sein Schicksal in die Hand der Götter geben. Entweder entkam er als aufrechter Mann dieser Gefangenschaft, oder er würde sterben! Weder Folter noch Tod würden ihn dazu bewegen diesen Barbaren seinen Namen zu nennen!


    Ein letztes Mal betrachtete er sich die Höhle. Er sah zu den anderen Gefangenen hin, blickte zum Feuer mit den Feiernden Banditen und zum Ausgang mit dem Wachtposten. Jetzt war die Stunde gekommen um zu handeln. Wenn er jetzt diese Gelegenheit nicht ergriff war sie vielleicht verspielt und würde nie wieder kommen. Jederzeit könnten die übrigen Mitglieder der Bande zurückkehren. Nein, er musste jetzt handeln!


    Er holte seine freien Hände hinter dem Rücken hervor und knotete seine Fesseln an den Füßen auf. Ruhig und mit langsamen Bewegungen. Er sah wie Eldrid es ihm gleich tat. Ob sie ebenso zu ihren Göttern betete wie er zu seinen?


    Dann erhob er sich. Sie befanden sich im Schatten, am Rande der Höhle und weder hatten sie die Aufmerksamkeit der Banditen am Feuer, noch würden diese genau sehen können was im Schatten bei den Gefangenen vor sich ging. Marcellus achtete nicht auf die übrigen Gefangenen, sondern schlich sich langsam am Rande der Höhle entlang bis er dem Ausgang so nahe war wie es ging. Als nächstes musste er ins Licht treten. Der Feuerschein erhellte den kurzen Gang nach draußen und obwohl der Wachtposten eher nach draußen denn nach drinnen spähte, würde er Marcellus doch sehen können wenn dieser sich nur einen Augenblick zu lange Zeit ließ.


    Marcellus dachte an seine Vorfahren, an seine Schwester und an alles was ihm wichtig war im Leben. Er dachte an Rom. Er war ein Römer und jeder Römer war ein Kind des Mars! Er würde nicht verlieren! Mit einem schnellen Schritt war er aus dem Schatten heraus. Es folgten weitere schnelle Schritte und dann war er bei dem Wächter.


    "Heda, was...?" brachte dieser noch hervor, ehe Marcellus mit seinem ganzen Gewicht gegen ihn prallte, ihn gegen die Wand der Höhle drückte und mit der rechten Hand nach dem Dolch des Mannes angelte. Es folgte eine ziemliche Rangelei. Der Räuber stieß Marcellus von sich, dieser hielt ihn fest und zog ihn mit sich, dann fielen sie zu Boden und Marcellus spürte den stinkenden Kerl über sich, er spürte die Muskeln des Mannes und hörte seinen Atem. Er stieß ihn von sich und dann fand seine Hand den Dolch am Gürtel. Er zog ihn heraus und ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken stieß er die Klinge bis zum Heft in die Brust seines Gegners. Der stieß ein Röcheln und einen keuchenden Schmerzensschrei aus und rollte auf den Rücken. Doch Stille war nicht.


    Die anderen Räuber am Feuer hatten den Kampf bemerkt und als Marcellus seinen Blick wieder in die Höhle richtete, sah er vier dunkle Gestalten vor dem Hintergrund des lodernden Feuers, die irgendwas Schrien und sich schnell auf ihn zu bewegten. Weg, er musste weg und das schnell! Er blickte sich nach der jungen Germanin um, griff nach ihrer Hand und zog sie mit sich. Er hatte keine Ahnung wo sie waren, nur das ein bewaldeter Hang direkt vor ihnen lag. Ohne weitere Zeit zu verlieren stürmte er, mit Eldrid an der Hand, den Abhang hinunter...

  • Sein Blick war merkwürdig. Sie wusste nicht recht zu sagen, ob er ihr Schauer über den Rücken jagte, oder ob sie ihn beflügelnd finden sollte. Obschon sie in der Dunkelheit nur wenig erkennen konnte, besaß er eine enorme Intensität, die auf Eldrid in der momentanen Situation entweder Tapferkeit und Mut auszudrücken vermochte - oder einfach nur schieren Wahnsinn. Es war wohl ganz gut, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wer die 'Gens Claudia' war - sicherlich so etwas wie sein Stamm oder sein Dorf. Mehr fiel ihr dazu eher nicht ein, sie hatte sich nie für die - wenn auch nicht einmal sonderlich alte - Geschichte Roms interessiert. Ansonsten würde sie wohl eindeutig den Wahnsinn in seinem Blick wähnen.
    Noch während sie, beinahe ein wenig fröstelnd, darüber nachdachte, was sie von ihm halten sollte, beobachtete sie, wie er sich allmählich auch von den Fußfesseln befreite. Das war der ausschlaggebende Eindruck, der nun auch Eldrid wieder in die Realität zurückholte. Auch sie machte sich unverzüglich daran, ihre Fesseln zu lösen, ehe er doch noch auf die Idee kam, sie bei diesen Sklavenhändlern - oder was auch immer sie wirklich waren - zurückzulassen. Ihre Gedanken glitten zu ihren Brüdern; was sie wohl gerade denken würden, wenn sie das alles sehen könnten? Ob sie stolz auf sie wären? Oder enttäuscht? Sie hasste den Gedanken, ihre Brüder zu enttäuschen und obschon es keine Rolle spielte, was sie dachten, wenn sie so weit von ihnen entfernt war, orientierte sie sich im Geheimen doch immer mal wieder an ihnen. Weit mehr, als an ihren Eltern.


    Als sie völlig frei war, rieb sie sich kurz die Hand- und Fußgelenke; es war ein gutes Gefühl. Vor allem, weil sie sich einreden konnte, dass es dieses Mal für lange anhalten würde, sofern ihnen denn die Flucht glückte. Mit nur ein wenig Glück und Zuversicht würde sie in wenigen Minuten wieder die Brise der Freiheit um sich spüren. Sie wäre frei, wieder nach Hause zu gehen. Wie, das wusste sie nicht, aber sicherlich würde er ihr dabei helfen - er hatte es schließlich versprochen? Ja, irgendwie würde er das tun, auch wenn sie selbst nicht ganz sicher war, wie. Es war ein weiter Weg und er würde sie kaum persönlich nach Hause bringen. Wie sie sonst heimkommen sollte, das wussten allein die Götter. Allein würde sie es wohl nicht schaffen, ganz unabhängig davon, wie mutig und ausdauernd sie war. Ohne alle Mittel und Orientierung würde sie nach einigen Tagen wohl verhungern, erfrieren oder sich gnadenlos verirren, bis sie vor Schwäche einfach umfiel. Sie konnte recht kreativ sein; vielleicht diente sie auch einem ausgehungerten Wolf als kleine Zwischenmahlzeit? Sie traute sich zu, sich zu wehren und hielt sich für willensstark und fähig - aber nicht so sehr, als dass sie diese Reise allein bewältigen könnte. Das wäre einfach nur unvernünftig. Es blieb also nichts, als sich auf sein Wort zu verlassen.
    Aufgewühlt hielt sie sich dicht hinter Marcus, dessen andere Namen sie schon längst wieder vergessen hatte - wieso hatten Römer eigentlich überhaupt immer so viele Namen? Das war ihr schon oft aufgefallen und entbehrte irgendwie jedem Sinn. Er hätte sie jedenfalls nicht dazu auffordern brauchen, hinter ihm zu bleiben.


    Ein wenig mehr Abstand hielt sie dann doch, als es zu den Kampfhandlungen kam. Sie mochte keine rohe Gewalt, auch wenn den Germanen diese immer so gern nachgesagt wurde. Eldrid selbst war recht friedliebend. Sicherlich wäre sie hierzu nun auch imstande gewesen, um den Weg in die Freiheit beschreiten zu können, aber mögen tat sie es deshalb nicht. Mit heftig klopfendem Herzen beobachtete sie, wie ihr Begleiter den Dolch in die Brust seines Gegners rammte, ehe ihr Blick sich dann auf die Männer im Hintergrund richtete. Sie hatte keine Zeit, dem Sterbenden beim Sterben zuzusehen.


    "Marcus." machte sie leise, ehe sie dann erheblich lauter noch einmal rief: "Marcus!!" - Auch er hatte es inzwischen bemerkt, logisch. Während sie aber noch wie erstarrt für einige Sekunden nur da stand, schaltete es in seinem Kopf erheblich schneller. Er schnappte nach ihrer Hand und genau diese Bewegung war es nun, die auch Eldrid ein weiteres Mal wachrüttelte. Sie ließ sich nicht lange bitten und rannte hinter ihm her, so schnell es nur ging. Er war schon ein ganzes Stückchen schneller, das merkte sie daran, wie sehr er an ihr zog und zerrte - doch sie konnte eben nichts daran ändern. Er hatte längere Beine, trug nicht so einen langen, unpraktischen Rock wie sie und war vermutlich außerdem ausgebildet. Vermutlich war er Krieger oder sowas? Panik ließ sie zusammenkrampfen, Angst, dass die Männer hinter ihr ebenso schneller waren. Sie wagte nicht, nach hinten zu sehen. Dann geschah es: sie stolperte. Allein schon bedingt durch den Abhang strauchelte sie erst ein paar große Schritte, ehe sie gänzlich den Halt verlor und stürzte...

  • Er spürte recht deutlich wie sie fiel denn mit einem Mal war ihre Hand sehr viel schwerer und zog ihn nach unten. Ein kurzer Blick reichte dann auch schon aus um ihm dies zu bestätigen und im selben Moment in welchem er sich nach ihr umblickte, stolperte auch er im rutschig-nassen Laub und fiel auf den Rücken. Sie rutschten und fielen einige Meter weit, ehe er mit dem Rücken gegen einen Baumstamm prallte und spürte wie die Germanin relativ weich von seinem Körper gestoppt wurde.


    Viel Zeit sich zu besinnen hatten sie nicht, denn Marcellus hörte ihre Verfolger. Sie fluchten und schrien und Marcellus konnte hören wie sie hinter ihnen her polterten. Ein kurzer Blick zeigte ihm dann auch einige Gestalten die ebenfalls den Hang herunter stolperten und rannten.


    "Komm schon, komm Eldrid. Wir müssen weg!" rief er und zog sie wieder nach oben nachdem er sich selber aufgerappelt hatte. Wieder liefen sie den Hang hinab und Marcellus konnte die Banditen hinter sich rufen und rennen hören. Mindestens einer von ihnen fiel laut fluchend ebenfalls hin.


    Sie erreichten den Fuß der kleinen Senke und liefen diese dann in Richtung Tal entlang. Hinter ihnen hörte er einen der Banditen ebenfalls in der Senke ankommen und ehe er sich versah spürte er eine Hand an seiner Schulter, die ihn herum riss. Marcellus drehte sich mit, verpasste dem Kerl einen Faustschlag ins Gesicht und sah zu wie er nach hinten taumelte. Die Geister der Männer mochten nach dem Schreck nun wieder etwas klarer sein, aber dennoch waren ihre Sinne noch getrübt von den Unmengen Wein die sie sich eingeflößt hatten.


    Offenbar wurden sie nun nur von drei der vier Gestalten verfolgt, der letzte war sicherlich zurück geblieben und bewachte das Lage. Jedenfalls konnte Marcellus zwei weitere Halunken sehen die hinter ihnen her waren, die allerdings auch noch ein gutes Stück weg waren. Der eine Kerl der sie eingeholt hatte war mittlerweile umgekippt, offenbar hatte Marcellus ihn gut erwischt.


    "Los Eldrid, lauf so schnell du kannst. Wir müssen weg!" mit diesen Worten schob er sie dann auch schon weiter, dieses Mal sollte sie alleine laufen, dann waren sie bestimmt schneller. Einfach laufen und nicht umdrehen. Jeder dieser drei Kerle war bewaffnet und Marcellus hätte keine Chance gegen diese Halsabschneider.


    Und so hetzten sie weiter die Senke entlang, welche irgendwann in ein etwas breiteres, bewaldetes Tal mündete in dessen Mitte ein kleiner Bachlauf war. Sie rannten und rannten so lange, bis sie diesen Bachlauf erreichten, an dessen Ufer es einiges an Unterholz gab. Marcellus lotste seine Begleiterin dort hin, drehte sich dann schwer atmend um und... er sah nichts mehr. Wie lange waren sie gelaufen? Unmöglich könnte er das nun noch sagen aber offenbar hatten die betrunkenen Männer nicht mit ihnen mithalten könen. Oder? Oder war es noch zu früh sich zu freuen?

  • Sie fühlte sich nicht nur unglaublich blöd, weil sie überhaupt auf die Nase gefallen war - sie fühlte sich auch noch im selben Maße als Idiotin, weil sie ihn auch noch mit sich riss. Sicher, irgendwie war er ja selbst Schuld an der Sache, so wie er an ihr gezogen hatte. Andererseits hatte er das ganz sicher auch nicht böse gemeint, schließlich wollte er ihr helfen. Sie schlitterte gegen ihn und rappelte sich auch sofort wieder auf. Für Entschuldigungen oder Erklärungen war jetzt nicht die Zeit; sie sah Marcus an, der sich kaum nach ihr wieder besonnen hatte und ebenfalls wieder auf die Beine gekommen war. Sie atmete heftig und ihr Herz schlug sehr rasch in ihrer Brust. Dann hörte sie Stimmen, sah seinen Blick und folgte diesem - ihre Verfolger waren dicht hinter ihnen. Verdammt. Sie hatte inständig gehofft, dass sie die Mühe einfach nicht wert waren. Hinter ihr selbst würden sie vermutlich tatsächlich nicht allzu lange herlaufen; dieser Marcus hingegen schien ein appetitlicher Happen für die Entführer zu sein. Einer, den sie sich nicht entgehen lassen wollten. Sie würde die Bedeutung seiner Herkunft wohl noch erfahren. Sie empfand tatsächlich ein gewisses Interesse daran, zu wissen, mit wem sie hier auf der Flucht war - obwohl sie eigentlich anderes im Kopf haben sollte.
    Sie reagierte schnell auf die Zeichen und hastete weiter hinter Marcus her. Nun, da sie ihre Hände frei hatte, viel es ihr wesentlich leichter zu rennen, denn sie konnte den Rock recht gut lupfen. Sicherlich hatte es schon würdevollere Momente gegeben als diesen, in dem sie mit mehr als halb entblößten Beinen in heilloser Panik und in dunkler Nacht über matschigen Boden rannte, aber Würde brachte ihr die Freiheit halt auch nicht zurück. Sie schrie kurz auf, als sie das Handgemenge dicht bei sich mitbekam. Die Aufforderung, so schnell zu rennen wie sie konnte, brauchte sie nicht extra. Das tat sie schon. Völlig ziellos und einigermaßen blind rannte sie einfach. Äste schrabbten über ihre Haut, aber sie klagte nicht.


    Sie konnte nicht recht sagen, wie lange sie am Ende gerannt war, aber ihre Lungen schienen zu brennen. Sie arbeitete viel daheim, sie bewegte sich auch viel. Allgemeinhin hatte sie den Ruf einer emsigen und braven jungen Frau. Jetzt konnte sie nicht mehr. Sowieso war sie erschöpft. War es gewesen, noch bevor sie ihrem Begleiter die Fesseln geöffnet hatte, um diese Flucht überhaupt erst zu bewerkstelligen. Jetzt kam noch diese immense Belastung hinzu; ständig stolperte sie in der Finsternis, riss sich irgendwo die Haut kaputt und vertrat sich.
    Hustend blieb sie stehen und versuchte gleichzeitig, das Husten und Schnaufen durch gemäßigtes Atmen zu tauschen. Ein Unterfangen, das ihr nicht wirklich gut gelang, denn über das Luftschnappen verhandelte ihr Körper einfach nicht mit ihr. Sie beugte sich leicht nach vorn und stützte sich auf den Knien ab. Wenn Eldrid mal rannte, dann nur, weil sie mit Sarolf herumgealbert hatte, oder mit den Kindern spielte. Das war eine ganz andere Form der Anstrengung als... das hier. Immer wieder hielt sie kurz die Luft an, um leiser zu sein und brach dann doch wieder hervor. Sie hatte das Gefühl, gleich umzufallen. Ein dünner Schweißfilm bedeckte Stirn und Hals, das Haar war leicht verklebt.


    "Sind... sind... weg?" brachte sie mühsamer denn je im Lateinischen hervor. Sie wagte nicht, sich hinzusetzen. Wie sie einen neuerlichen Spurt schaffen sollte, wusste sie allerdings auch nicht. Sollten sie sie doch schnappen, sie würde schon irgendwie nach Hause finden. Nein - natürlich war das nicht ihr Wunsch. Wie es aber eben häufig so war, wenn man kurz vorm vermeintlichen Ende stand, wurde auch Eldrid kompromissbereit. Wenigstens theoretisch. "Ich kann nicht mehr." bekundete sie das Offensichtlichliche und ließ sich nun doch einfach auf den Boden fallen. Unter ihrem Hintern war es matschig und sie überlegte besser erst gar nicht, was da nun genau war; aller Wahrscheinlichkeit einfach nur feuchtes Moos oder etwas Ähnliches. "Ich... ich dachte... du hast einen Plan." warf sie ihm nun vor und deutete ein etwas hysterisches Lachen an, das aber sofort in ein geplagtes Husten überging. Sie sah erschöpft in Richtung des Himmels, von dem sie immerhin ein paar Sterne sah.

  • Schwer atmend sah sich Marcellus wieder und wieder um. Nichts war zu sehen und es war auch nichts zu hören. Wo waren diese Kerle? Müdigkeit überfiel ihn trotz der Anspannung in der er sich befand. Auch ihn hatte diese Flucht mitgenommen und sein Atem ging schwer und stoßweise. Gleichzeitig war ihm auch bewusst dass es noch nicht vorüber war. Sobald der Morgen graute würden die Banditen noch intensiver suchen, sicherlich auch zusammen mit ihren übrigen Spießgesellen. Sie mussten hier weg und bis zum Morgen möglichst viel Distanz zwischen sich und diese Räuberbande gebracht haben.


    Er sah zu der germanischen Sklavin hin und schmunzelte bei ihren Worten. Dann ging er zu dem Bach, kniete sich hin und schöpfte von dem eiskalten Wasser um sich Gesicht, Hände und Unterarme gründlich zu waschen. Das kalte Nass vitalisierte ihn und am Ende trank er noch einige Schlucke. Dann sah er wieder zu Eldrid hin.


    "Mein Plan ist doch aufgegangen. Sie sind weg. Sie waren viel zu betrunken um uns zu verfolgen." sagte er überzeugt. Gut, es war knapp gewesen. Es war Glück gewesen, dass er den einen Wächter am Höhleneingang hatte überwältigen können und eben gerade hatten sie noch mehr Glück gehabt. Trotzdem, sie waren erst einmal frei und das allein zählte.


    "Wir müssen weiter gehen. Den Fluss entlang, er wird uns ins Tal führen und irgendwann zu einer Siedlung. Dort nenne ich meinen Namen und man wird mir weiterhelfen. Diesem Gesindel jage ich die nächste Garnison auf den Hals und wir beide werden zurück nach Rom reisen." führte er auf. Gerade der Punkt mit den Soldaten war ihm ein Anliegen. Natürlich gab es im nächsten Kuhdorf keine Garnison oder Stadtwache, aber in der nächsten größeren Ansiedlung würde er den Magistraten die Lage schildern und dann würde man diese Bande jagen und zur Strecke bringen.


    "Erst einmal müssen wir uns nun aber beeilen. Sobald es hell wird werden sie vielleicht wieder nach uns suchen und bis dahin müssen wir weit fort sein. Du kannst noch kurz rasten, aber dann müssen wir los!" er betrachtete die junge Germanin. Es war schade, dass sie nichts zu Essen hatten, das würde ihnen nun nutzen. Von Jagd hatte er keinerlei Ahnung und sowieso hätten sie dazu keine Zeit. Auch sonst hatte er keine Idee woher man nun etwas essbares bekommen könnte. Sie mussten wohl einfach durchhalten. Als er auf der Suche nach Abenteuer Germanien als Reiseziel auserkoren hatte, hatte Marcellus nicht damit gerechnet diesseits der Alpen solche Entbehrungen erdulden zu müssen. Er hatte genau genommen gar nicht mit solchen Entbehrungen gerechnet.


    Grimmig dachte er an sein Pferd, an den schönen Gladius den er sich in Rom gekauft hatte, an seine gesamte Habe und auch an seine Begleiter die nun tot waren. Widerliches Raubgesindel...

  • Sie verzog leicht das Gesicht, als Marcus meinte, dass sein Plan doch aufgegangen sei. Es war ein Grinsen, irgendwo zwischen Unglaube und tatsächlichem Humor angesiedelt. Sie glaubte ihm nicht, dass er auch nur irgendeinen Plan gehabt hatte, aber das machte ja auch eigentlich nichts. Sie hatten ja, zumindest auf den ersten Blick, Glück gehabt. Momentan sah es nicht so aus, als wären ihre Verfolger noch hinter ihnen. Sicherlich wollte sie die Nacht nicht vor dem Morgen loben, aber einen Grund zur Klage an Marcus hatte sie gerade nicht. Er hatte sie motiviert und gemeinsam waren sie davongelaufen. Ihr Beitrag war vermutlich noch ein wenig kostbarer als seiner gewesen, denn sie wären sonst nicht aus der Höhle gelangt, aber unterm Strich hatten sie eben miteinander gearbeitet, riskiert und gewonnen. Sie würde ihm keinen Vorwurf machen. Was für einen Plan hätte man denn auch entwickeln können? Mit welchen Möglichkeiten?
    Immer noch brannte die kalte Luft in ihren Lungen. Nach und nach beruhigte sich ihr Atem zwar, aber eine Weile würde ihr Körper wohl schon noch brauchen, um sich wieder zu beruhigen. Müdigkeit empfand sie immerhin kein bisschen. Es war viel eher Euphorie, die sie beflügelte, seiner Aufforderung nachzukommen und nach einer kurzen Rast weiterzulaufen. Sie wischte sich mit dem Handrücken Schweiß und Haarfransen aus dem Gesicht.


    "Du kennst dich gut aus." stellte Eldrid also fest, als er meinte, der Fluss würde sie irgendwann zu einer Siedlung führen. Er sprach mit einer solchen Überzeugung, dass sie das tatsächlich annahm. Sicherlich war sie nicht blöd, aber die Schlussfolgerung, dass an einem Fluss regelmäßig eine Siedlung zu finden sein würde, machte sie gerade dennoch nicht.
    Viel mehr als über die Siedlung machte sie sich allerdings erneut über seinen Namen Gedanken. Wer mochte er bloß sein, dass er so wichtig war, irgendwohin gehen zu können und sofort erkannt zu werden? Hatte sie vielleicht sogar ein Mitglied der Herrscherfamilie gefunden? Nachdenklich betrachtete sie seinen Schemen in der Dunkelheit.


    "Ist gut. Gehen wir weiter." bestätigte sie, obschon ihr Atem immer noch schwer ging. Er hatte allerdings Recht. Ihr Bestreben war nicht weniger groß als seines, den Zustand der Freiheit zu erhalten und endlich wieder nach Hause zu kommen. Einigermaßen mühsam stemmte sie sich vom Boden ab und ging ebenfalls neben dem Flüsschen in die Hocke, um ein wenig Wasser zu schöpfen. Auch sie hatte Durst und das dringende Bedürfnis, sich ein bisschen zu erfrischen. Sie wusch sich das Gesicht, Hals und Nacken und anschließend noch die Unterarme und Schienbeine. Das Wasser war eisig und vitalisierte noch zusätzlich - ein Effekt, der durchaus recht nützlich war.


    "Ich komme nicht aus Rom." erklärte sie, während sie sich wusch und fröstelnd aufstöhnte. "Diese Männer haben mich geraubt. Ich war vor kurzem in Germanien." Es fiel ihr gerade relativ schwer, sich einigermaßen elegant auszudrücken. Wieder sandte sie ein schmales Lächeln in Richtung des Marcus. Ein wenig verunsichert war sie schon von der Situation. Es war ja ganz klar, dass sie wieder nach Germanien wollte, zu ihrer Familie - für sie jedenfalls. Als er ihr allerdings seine Hilfe angeboten hatte, war ihm das vielleicht gar nicht so bewusst gewesen. Vielleicht hatte er gedacht, sie stammte zwar von dort, lebte aber schon eine ganze Weile in Rom. Wahrscheinlich dachte er, sie hätten nun denselben Heimweg. Sie kannte sich nicht gut aus, aber dass ihr Heimweg in die entgegengesetzte Richtung führen musste, sagte ihr schon der Verstand, denn die Reise hatte bislang in Richtung von Rom geführt.
    Sie würde ihn gern von seiner Zusage, ihr zu helfen, entbinden - doch Eldrid wusste durchaus auch gut, dass sie nicht so einfach wieder nach Hause finden konnte. Nicht allein. Ihr fehlte es dafür einfach an allem außer dem eisernen Willen. Etwas scheu erkundigte sie sich dennoch: "Ich muss zurück und Rom ist... weit weg. Aber ich weiß nicht, wo ich langgehen muss. Kannst du mir helfen?" Inwieweit er ihr helfen wollte, konnte sie ihm natürlich nicht aufdrücken. Er würde ihr wohl kaum einen Haufen Geld geben, eine Mitfahrgelegenheit organisieren und sie nach Hause schicken - warum sollte er? Sie hatten sich gegenseitig bei der Flucht geholfen, sie waren quitt. So würde er das wahrscheinlich ebenfalls sehen. Ohne seine Hilfe würde sie allerdings nicht sonderlich weit kommen, zumal es immer kälter wurde. Es war ziemlich vertrackt.

  • Dass der Weg der Germanin wohl nicht nach Rom führen würde war Marcellus natürlich bewusst gewesen und so sah er sie verstehend, aber auch ein wenig ratlos an während sie ihre Worte und Bedenken formulierte. Ja, sie wollte zurück nach Germanien, offenbar hatten die Kerle sie irgendwie von dort verschleppt. Aber Mogontiacum war weit fort und Marcellus wüsste nicht was er nun für sie tun könnte.


    Erst einmal gingen sie nun weiter. Marcellus sah zu der jungen Frau hinüber und dachte nach. Es stimmte, dass er ihr etwas schuldete. Ohne sie wäre er nicht entkommen.


    "Natürlich weiß ich, dass Rom nicht dein Ziel ist. Nur leider kann ich im Moment nichts für dich tun." begann er. Natürlich, er war der Spross einer sehr alten, angesehenen und auch reichen Familie. Das war es dann aber auch. Er selber hatte gerade quasi nichts von Wert bei sich und seine (nicht ganz unberechtigte) Hoffnung war es dass sein Name ausreichen würde um ihn bei dem Magistrat der nächsten Siedlung Hilfe finden zu lassen. Er würde seinen Namen nennen und dann sicherlich Hilfe bei seiner Rückreise nach Rom erhalten. Immerhin konnte er versichern jegliche entstandenen Kosten decken zu können. Spätestens in Mediolanum hatte er dann Kontakte die er persönlich kannte und die ihm weiterhelfen würden.


    Was er aber nicht tun konnte war, ihr einfach so mit dem Versprechen einer fernen Belohnung eine Eskorte nach Germania Superior zu beschaffen. Und diese würde sie brauchen, denn als junge Frau ohne Geld konnte sie nicht einmal hoffen bei einem Händler oder dergleichen mitkommen zu können.


    "Deine Heimat ist weit fort von hier, das weißt du selber. Du brauchst Schutz wenn du dorthin reisen möchtest. Ich kann dir keine bewaffnete Eskorte bieten die dich hin bringt, ich kann dir nur anbieten dass du mit mir kommen kannst." in Rom könnte er vielleicht etwas für sie tun. Er könnte die Kontakte, den Namen und das Geld seiner Familie nutzen und einen Händler finden der nach Mogontiacum reiste und sie mitnehmen würde.

  • Als der Römer erklärte, dass er derzeit nichts für sie tun könnte, senkte sie betreten den Blick. Im Grunde genommen verstand sie das ja auch. Was war ihre Vergangenheit auch sein Problem? Sie war entführt worden und sie hatten sich zufällig in der Gefangenschaft der gleichen Männer befunden, das war auch schon alles, was sie an Gemeinsamkeiten hatten. Sein Angebot, sie mit nach Rom zu nehmen, war eigentlich sogar ein Glück für sie. Er hätte auch einfach beschließen können, dass ihre Wege sich hier nun trennten. Dann wäre sie schutzlos in einer völlig fremden Gegend zurückgeblieben - und was dann? So hatte sie wenigstens eine Perspektive, die zwar nicht zufriedenstellend, aber eben doch eine Perspektive war. Sie wollte nach Hause. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte sie damit gerechnet, an irgendeinen schmutzigen Römer verkauft zu werden, der sie quälen würde, im schlechteren Fall. Im besseren Fall wäre sie immer noch als normale Sklavin geendet. Dieser Römer bot ihr immerhin seinen Schutz an, was im Endeffekt zur Folge hatte, dass erst einmal noch überhaupt nichts verloren war.


    All diese nüchternen Erkenntnisse führten allerdings nicht unbedingt dazu, dass sie sich getröstet fühlte. Seit Wochen haderte sie mit ihrem Los, aber da hatte sie daran nichts ändern können. Jetzt könnte sie es wenigstens theoretisch und trotzdem führte ihr Weg sie weiter von zuhause fort, als sie jemals freiwillig gegangen wäre. Ihre Augen füllten sich stumm mit Tränen, welche sich ihren Weg über ihre Wange bahnten und schlussendlich auf dem Boden landeten. So ging es ein paar Schritte lang, ehe sie auch ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken konnte.


    "Es... es tut mir leid." erklärte sie dann mit angestrengter und verweint wirkender Stimme, dem ein hilfloses Lächeln in seine Richtung folgte. "Ich verstehe. Dass du nicht helfen kannst. Ich verstehe nur nicht... was nun mit mir sein war." So verwirrt in ihren Gedanken fiel es ihr noch schwerer, die Sprache der Römer vernünftig zu formulieren und entsprechend stockend kamen die Worte über ihre Lippen. Sie sah wieder nach vorne und zog sich das Fell ein wenig fester um den Leib. Es war nicht unbedingt so, dass sie fror. Oder wenn, dann war es eher eine innere Kälte und Hilflosigkeit, vor der sie nun Schutz suchte. "Danke für die Hilfen. Ich komme mit." Sie wusste, dass es erheblich an Floskeln fehlte, aber die kannte sie schlichtweg nicht und gerade fielen ihr nicht einmal die grundlegendsten Höflichkeiten im Lateinischen ein.

  • Als ihr leises Schluchzen an sein Ohr drang und sie danach zu sprechen begann, tat Eldrid Marcellus unglaublich Leid. Es schmerzte ihn sich vorzustellen wie das alles für sie sein musste. Verschleppt aus ihrer Heimat, gefangen gehalten und die Aussicht vor Augen als Sklavin zu enden... das ganze über Wochen hinweg. Und nun war sie frei und alles was sich ihr eröffnete war ein Weg noch weiter von Zuhause fort, sowohl tatsächlich wie auch sinnbildlich. Sie bekundete, dass sie mitkommen würde und es war ihm klar, dass sie kaum eine andere Wahl hatte. Hier, alleine und auf sich gestellt, würde sie sterben oder auf schlechte Menschen treffen.


    Dennoch fiel es Marcellus unglaublich schwer nichts für sie tun zu können. Ihre Trauer rührte ihn tief in seiner Brust und schließlich blieb er stehen um sich zu der jungen Frau umzudrehen. Nun, wo sie sich etwas im Gesicht gewaschen hatte, wirkte sie sehr viel hübscher als noch in der Höhle. Sie hatte ein rundes Gesicht, eine kurze, leicht nach vorne stehende Nase und schöne Augen. Ihr blondbraunes Haar hing ihr in zerzausten Locken den Kopf hinab und eine dieser Strähnen nahm er nun und strich sie hinter ihr Ohr. Ihre Augen waren tränennass und glitzerten noch vor Feuchtigkeit. Ihr Blick wirkte gebrochen und verzweifelt. Dann nahm er sie in den Arm und drückte sie fest an sich.


    "Ich verstehe deinen Kummer. Aber sei dir sicher, dass ich kein schlechter Mann bin. Ohne dich wäre ich niemals aus dieser Höhle entkommen. Ich werde dich nicht im Stich lassen. Du musst dich weder um Unterkunft, noch um Nahrung sorgen." begann er. Ihre Nähe fühlte sich gut an, durchaus auch für ihn tröstlich nach all den traumatisierenden Erlebnissen der letzten Wochen.


    "Und sobald ich eine Möglichkeit finde, werde ich dich persönlich in deine Heimat bringen. Das verspreche ich dir bei meinem Ahnen." setzte er dann noch hinterher. Er wusste nicht wie er das machen sollte und vielleicht wäre es ihr ja auch lieber einfach bei irgend einem Händler mit zu reisen? Marcellus wusste es nicht, aber was er wusste war, dass er selber sie nicht einfach so irgendjemandem mitgeben wollte. Er würde danach nie erfahren ob sie gut angekommen war und würde ihn dieses Wissen jemals loslassen? Nie zu wissen wie es ihr ging, ob sie als Lohn für ihre Hilfe tatsächlich ihre Heimat wieder sehen durfte? Oder ob sie von einem zwielichtigen Händler nicht doch irgendwohin verkauft worden war? Eldrid war ihm wichtig und er würde zu seinem Wort stehen. Durch ihre Hilfe hatte sie sich diese Bemühungen verdient!

  • Ein leichtes Zucken fuhr ihr unweigerlich durch den Leib, als er eine ihrer Strähnen aus dem Gesicht strich und fast schon erschrocken sah sie zu ihm auf. Im Leben hatte sie nicht mit irgendeiner Form der Annäherung von seiner Seite her gerechnet und es war fast ein wenig unheimlich, auch wenn es eine freundliche und tröstende Geste war und sie das auch entsprechend einzuordnen wusste. Fragend war ihr Blick, während er sie genau musterte und obwohl sie von ihrem Kummer abgelenkt war, schluchzte sie noch einmal merklich auf. Ihr war das alles zu viel geworden. Diese weite Distanz von daheim, die Anstrengungen der letzten Wochen und nun auch noch dieser rätselhafte Römer, der...

    Als er sie plötzlich in seine Arme schloss versteifte sie sich im ersten Moment merklich, ehe sie sich wieder entspannte und den Trost einfach zuließ. Er roch vollkommen fremd (und augenblicklich, ehrlich gesagt, ähnlich wie sie auch nicht sonderlich appetitlich) und nichts an alledem hier fühlte sich natürlich an. Dennoch fiel es ihr nicht schwer, die Umarmung wider ihres Anstandsgefühls zuzulassen und nach wenigen Augenblicken lehnte sie sogar ihre Stirn gegen seine Schulter. Er war groß. Nicht so groß wie einer ihrer Brüder, welche regelrechte Hünen waren, aber dennoch groß.


    Von seinen Worten verstand sie tatsächlich etwas mehr als die Hälfte, was zum einen an ihrer Geborgenheit suchenden Haltung lag, wodurch sich seine Stimme ein wenig verzerrte, was aber eben auch an der fremden Sprache und den wirbelnden Gedanken beeinflusst wurde. Es reichte trotzdem, um im großen und ganzen zu erkennen, dass er eben seiner Dankbarkeit Ausdruck verlieh und Mitgefühl für sie erübrigte. Außerdem schien er ihr helfen zu wollen, warum auch immer. Hatte er gesagt, dass er sie persönlich begleiten wollte? Warum sollte er das tun, vor allem, wenn er eine so wichtige Person war? Vermutlich hatte sie da nur wieder etwas missverstanden. Trotzdem war es etwas unangenehm, nicht so richtig zu wissen, was nun die richtige Antwort war, weil man die Ausgangssituation nicht mit Sicherheit erfasst hatte.

    Sie schluckte schwer und legte leicht ihre Arme um seinen Körper, um auch ihn einmal kurz zu halten. Es war eine etwas mehr als nur höfliche Geste. Vermutlich war dieser Römer ebenfalls ein wenig durcheinander und wusste nicht so richtig, wo ihm gerade der Kopf stand. Männer hatten schließlich genauso Gefühle wie Frauen, auch wenn sie diese meistens anders zeigten.


    "Wir kommen nach Hause." sagte sie und war sich sicher, damit bestimmt nichts Falsches gesagt zu haben. Sie löste sich nun von ihm und wischte sich noch einmal die Tränen aus den Augen, um anschließend ein schwach Zuversicht ausstrahlendes Lächeln zu präsentieren. Tapferkeit. Sie dachte an diese Tugend, die schon immer von ihr und vor allem von ihren Brüdern verlangt wurde und beschloss, genau diese nun zu zeigen. Sie war jung und, ehrlich gesagt, zur Zeit auch reichlich hilflos, aber deswegen musste sie sich ja nicht völlig bloßstellen. "Du bist wirklich nett. Ich fühle Dank." erklärte sie und sah in die Richtung, in die sie eben noch gegangen waren. "Da lebst du?" Es war, mehr oder weniger, die Aufforderung weiterzugehen.

  • Es fühlte sich gut an ihre Nähe zu spüren, einfach die Nähe eines Menschen mit dem man sich gut verstand, der kein Fremder oder Feind war, sondern... ein Freund? Sie waren zusammen aus diesem Elend geflohen und das, so fand jedenfalls Marcellus, verband sie doch ziemlich. Dazu kam noch, das konnte er nicht bestreiten, dass er sie dass er sie aufgrund ihrer Herkunft faszinierend fand. Schon immer hatte er sich für das interessiert was jenseits der nördlichen Grenzen lag, für das wilde ungebändigte Land, für die Menschen dort... Sie stammte von dort, aus diesem Land. Es war ihre Heimat. Wenn er sie zurückbringen würde, würde auch er dieses Land kennen lernen. Zumindest ein wenig. Aber bis es soweit war dauerte es noch. So richtig wusste Marcellus ohnehin nicht wie er das alles bewerkstelligen sollte.


    Er lächelte bei ihren Worten. "Mein Zuhause ist noch ziemlich weit fort. Aber wir werden reiten, sobald wir die nächste Stadt erreicht haben." was sie wohl denken würde sobald sie Rom sah? Rom war der Mittelpunkt der Welt. Es war die größte und prächtigste Stadt die jemals gebaut wurde. Wie würde das auf sie wirken, die nur das wilde Germanien kannte?


    "Lass uns weiter gehen. Wer weiß ob die nicht immernoch nach uns suchen." sagte er dann und sah sich um. Bald würde es dämmern und es wäre gut wenn sie noch einige Meilen hinter sich bringen würden bis es hell war. Marcellus war sich ziemlich sicher, dass sie nach ihm intensiv suchen würden, spätestens wenn ihr Anführer zurück käme. Also mussten sie sich sputen. Leider war ihm nicht bewusst in welcher Richtung nun als nächstes eine Ansiedlung zu erwarten war, also würden sie einfach nach Süden laufen. Immer weiter und weiter, bis sie die Berge hinter sich hätten und auf irgend eine Form der Zivilisation stießen.

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