Domus Iunia - Trauerfeier

  • Domus Iunia


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    Das Unkraut hatte die Einfahrt zum Großteil überwuchert. Schwarze Tauben, Stilos Geschenk, saßen auf den moosigen Dachschindeln. Als er vorbeiging, stürzten sie sich in den Herbstwind, der Schwarm zog eine Kurve und schraubte sich hinauf in den grauen Himmel. Der Taubenschlag war völlig verdreckt, kein Wunder, dass die Tiere inzwischen lieber unter den Dachschindeln brüteten. Brombeergestrüpp und Brennnesseln breiteten sich im Garten aus, die Wiese stand hüfthoch. Brummelnd drehte Stilo den Schlüssel im rostigen Schloss. Die Tür knarrte in den Angeln, als er sie öffnete, im Inneren der Domus Iunia herrschte Grabesstille und es stank nach Staub. Hier regierten nur noch Spinnweben und Verfall. Das Haus war mit seiner Besitzerin gestorben.


    Iunia Sanga, geborene Seia Sanga, war nicht mehr.


    Stilo war der Erste, der in Mantua eingetroffen war, um die letzten Angelegenheiten seiner Schwester zu ordnen. Ein paar Hühner, die trotz der mangelnden Fürsorge erstaunlich gesund wirkten, gackerten über das Grundstück und folgten ihm nach drinnen, als er die Tür offen stehen ließ, um frische Luft hineinzulassen. Die Sklaven hatte seine Schwester offenbar schon lange vor ihrem Tod verkauft, hier hatte seit Ewigkeiten niemand mehr sauber gemacht oder für Ordnung gesorgt. Stilos eigene kleine Reisegesellschaft wartete samt Carruca an der Poststation, weil er zunächst allein sein wollte, um seiner älteren Schwester zu gedenken.


    Allein strich er durch das Haus, sah sich alles an, trauerte, dachte nach, bis er sich schließlich an dem verdreckten Schreibtisch niederließ und seinen Reisesack öffnete, aus dem er das Schreibzeug nahm, um einige Briefe aufzusetzen.

  • Mit lautem Federrascheln zog der Schwarm seine Kreise. Die schwarzen Tauben hätte Zmertorix fast mit einer Schar Krähen verwechselt. Er hob sein dunkelgrünes Kleid über den Knien an, als er den Weg hinauf stapfte, damit es sich nicht im Unkraut verfing. Dies betraf zwar nicht seine Familie und er war auch nicht als offizieller Priester hier, dennoch hielt er es für ein Zeichen von Anstand, gedeckte Farben zu tragen und hatte sich entsprechend gewandet. Auch einen Großteil seines Schmuckes hatte er abgelegt und das lange Haar in eine schwarze Palla gehüllt. Obwohl die Tür offen stand, betrat er das Haus noch nicht, um Stilo, der vorangegangen war, die Zeit zu geben, die er brauchte. Stattdessen vertrat Zmertorix sich auf dem verwilderten Anwesen die Füße und schaute, ob es sich hier noch lohnen würde, irgendetwas zu retten. Die Vergänglichkeit war greifbar auf diesem Grund und Boden. Die letzten Verluste dieses Zweigs der Gens Iunia waren tragisch und verfrüht. Erst Iunius Priscus, dann seine Frau ... und keiner von beiden war eines natürlichen Todes gestorben.

  • Stilo brachte die beiden Briefe zur Postannahmestelle des Cursus Publicus. Er hatte registriert, dass Zmertorix sich den Garten besah und ließ ihm Zeit, mit den Göttern Zwiesprache zu halten oder was auch immer der Priester da bei den Brennesseln trieb. Stilo blieb bei der Rückkehr aus der Stadt auf dem Weg stehen und blickte zurück. Langsam hatte er genug von der Einsamkeit dieses toten Hauses. Es wurde Zeit, dass die anderen eintrudelten.

  • Ein verfallenes Haus, dass schon bessere Tage gesehen hatte. Es war scheinbar so tot, wie seine verstorbenen Besitzer. Der Anblick versetzte Cimber einen Stich. Natürlich hatte er im Dienst schon ganz andere Dinge gesehen, aber dies hier war einst ein Zuhause gewesen. Erfüllt von Leben, Lieben und Lachen. Nun lag es brach. Eigentümlich war es anzusehen, so als war das Haus bar jeden Lebens.


    Ganz stimmte dies natürlich nicht, denn wo der Mensch nicht mehr Hand an die Natur legte, holte diese sich Stück für Stück das einst urbar gemacht wurde zurück. Dementsprechend sah der Garten des Hauses verwildert aus. Schwarze Tauben stoben plötzlich auf und ließen Cimbers Hand zu seinem Dolch zucken. Die Tauben waren noch hier, ebenso eine Handvoll Hühner.


    Stilo war nach Hause zurückgekehrt um ein trostloses, verwildertes Gebäude vorzufinden. Seit geraumer Zeit war er darin verschwunden und Cimber erkundete die direkte Umgebung samt dem Garten. Er sah eine bekannte Gestalt durch das verwilderte Grün wandern, Zmertorix. In gedeckten Farben und mit einem dunkelgrünen Kleid bekleidet verschmolz er fast mit der Umgebung.


    Cimber schloss zu dem Priester auf.


    "Salve Zmertorix, Du schlenderst genauso wartend durch das wilde Grün des Hauses wie ich. Lass uns gemeinsam durch den Garten streifen. Das Haus wirkt finster und verlassen, nicht nur die Menschen scheinen sich von dem Gemäuer abgewandt zu haben. Was sagst Du dazu?", fragte Cimber freundlich.

  • Zmertorix hatte in all dem Unkraut das Rascheln von nahenden Schritten gehört, blickte aber erst jetzt von den Brennnesseln auf, wo er Fraßspuren von Raupen und Schmetterlingspuppen entdeckt hatte. Was nur sollte er Stilo sagen? Er war der Meinung, dass Seia Sanga ein Recht darauf gehabt hatte, ihrem Leben eigenhändig ein Ende zu bereiten. Doch solche Dinge sagte man keinem Hinterbliebenen und der Priester, der sonst als Seelsorger durchaus gefragt war, fühlte sich überfordert.


    "Salve, Cimber. Setzen wir uns einen Moment? Ich möchte da noch nicht reingehen."


    Er wies auf eine steinerne Bank, die vom Moos grün angelaufen war. Mit der Hand fegte er das Laub hinunter und nahm Platz, ungeachtet dessen, dass sein Kleid hinterher beschmutzt sein würde. Dass auch Stilo auf Cimber wartete, den er Bruder nannte, war ihm bewusst, aber ein paar Augenblicke würde er sich noch gedulden können.


    "Ruinen sind verblassende Erinnerung und Mahnmale für die Lebenden in einem. Carpe diem, sagen sie. Die Zeit schreitet unaufhaltsam voran und je älter wir werden, umso schneller scheint sie das zu tun. Wer seinen Weg gefunden hat, freut sich auf jeden neuen Tag, auch im Alter, und Ruinen bergen für ihn keine Schauerlichkeit. Mir gefallen sie. Das Problem an dieser Ruine ist, dass sie die Vergänglichkeit von Stilos Familie vor Augen führt. Und ich glaube nicht, dass Stilo eine positive Sicht dazu hören möchte. Sonst gelingt mir es mir meist leicht, die passenden Worte zu finden, um Zuspruch zu spenden, aber in dem Fall ... "


    Zmertorix, der die Verstorbene gut verstand, hatte seine eigenen Ansichten dazu. Da er nicht lügen oder heucheln wollte, stand er nun vor dem Problem, aus pietätsgründen sinnleeres Gewäsch von sich geben zu müssen, wie viele Priester es taten, die keine Antwort wussten, was aber nicht seine Art war. Würde Stilo ihm mehr Zeit gegeben haben, sich vorzubereiten, und ihn nicht schon in der Carruca mit seinen Sorgen bedrängt haben, wäre es einfacher.


    "Was sagst du dazu, Cimber? Vielleicht solltest besser du die Rede halten. Oder ein Priester, der Stilo nicht so gut kennt. Was ist mit Carbo?"

  • Carbo hatte vor dem Haus und Garten gewartet. Verfall war das, was beides ausstrahlte. Cimber war in dem Garten verschwunden und Stilo im Haus. Carbo überlegte wem er folgen sollte, entschied sich dann für den Garten. Stilo musste mit sich und seinen Gedanken allein sein. Sobald er Gesellschaft wünschte, würde er ihn kontaktieren. Falls er Beistand benötigte, dann würde er ihm sofort beistehen. So schritt Carbo in den Garten und folgte den Stimmen von Zmertorix und Cimber.


    "Wo seid Ihr beiden? Zwar kann man Euch hören, aber durch das wilde Grün sieht man nichts", rief Carbo freundlich. Allerdings nicht zu laut, um nicht sämtliches Federvieh dass sich im Garten niedergelassen hatte aufzuscheuchen.


    Der Priester des Mars schritt durch den Garten auf der Suche nach seinen beiden Kameraden. Fast einem Irrgarten gleich, dachte er mit einem traurigen wie auch wehmütigem Seufzen. Das ganze Anwesen spiegelte die Stimmung wieder die hier herrschte. Sie durften hier nicht zu lange verweilen, denn auch in einen Garten gehörte Zucht und Ordnung und damit eine klare Linie. Nur wer sie außerhalb zog, konnte sie auch innerlich halten.


    Stilo durfte sich nicht von der Wildnis dieses Gemäuers anstecken lassen.


    "Zmertorix? Cimber?", rief Carbo und schaute zu dem Haus zurück.

  • Anstelle von Zmertorix und Cimber lockte der Marspriester mit seinen Rufen Stilo an, der angegeistert kam, wobei das Laub unter seinen Caligae raschelte.


    "Carbo", grüßte er mit einem respektvollen Nicken. Den Männern der Götter brachte er stets besondere Achtung entgegen. "Wenn du die anderen beiden siehst, wir brechen auf nach Rom. In diesem Haus gibt es nichts mehr zu holen, das meiste wurde schon verkauft, einschließlich aller Sklaven. Die Tauben sehen gesund aus, ich werde mir ein Pärchen samt Gelege mitnehmen, um das Blut meiner Zucht aufzufrischen, und der Rest mag verwildern. Ansonsten kann das Haus verfallen oder die Gens Iunia mag sich darum kümmern, das ist nicht unsere Angelegenheit. Die Trauerfeier für meine Schwester können wir genau so gut woanders und zu einer anderen Zeit abhalten. Der Einzige, der noch fehlt, ist Sabaco. Keine Ahnung, wo der bleibt, dem lasse ich eine Nachricht hier. Wir treffen uns in einer halben Stunde an der Carruca und reisen weiter nach Rom. Ich muss mich um meine Neffen kümmern."


    Damit ließ er Carbo stehen und machte die Nachricht für seinen Kumpel fertig, die er an die Tür nageln würde. Sein Entschluss mochte herzlos klingen, doch Stilo war seit jeher ein pragmatischer Mensch gewesen. Es brachte Sanga nicht zurück, wenn sie hier und heute die Trauerfeier abhielten. Die Lebenden aber brauchten ihn.

  • Cimber hatte sich neben Zmertorix gesetzt und dem Priester zugehört. Genau aus jenem Grund schaute Cimber zu dem Haus zurück.


    "Wahre Worte Zmertorix, aber Ruinen erinnern einen auch an die eigene Vergänglichkeit. Etwas dass sich jeder Soldat bewusst machen sollte. Lebe für nichts oder falle für etwas. Manchmal stecken hinter solchen Sprüchen tiefere Wahrheiten als uns auf den ersten Blick bewusst ist.


    Hat man seinen Platz im Leben gefunden und weiß man wofür man einsteht, hat selbst die schauerlichste Ruine keinen Einfluss mehr auf einen. Dennoch führt sie uns die Vergänglichkeit vor Augen. Je älter man wird Zmertorix, je deutlicher spürt man jede Veränderung.


    Worüber man mit 14 Jahren noch gelacht, darüber lacht man mit 30 Jahren schon lange nicht mehr, da es einen selbst dort zwackt.


    Niemand möchte an die eigene Vergänglichkeit erinnert werden Zmertorix, auch Stilo nicht. Dieses Haus schreit ihm ins Gesicht, was er verloren hat. Etwas wogegen selbst der mächtigste Krieger machtlos ist. Warme Worte sind jetzt nicht angebracht. Und Du verkennst die Macht der Gesten. Du musst nicht alles in Worte packen. Manchmal ist Schweigen gewaltiger als jedes Wort mein Freund. Und wo tausend Worte nicht ausreichen, hilft eine Umarmung.


    Du hast eine andere Meinung zu der Ruine und zu der Vergänglichkeit. Aber zu Stilos Schmerz hast Du keine andere Meinung oder? Siehe es so, ein Freund von Dir leidet. Weshalb ist gleichgültig. Stehe ihm bei, so wie er es benötigt. Deine Meinung, meine Meinung ist in dem Fall völlig uninteressant Zmertorix.


    Hier geht es ausschließlich um Stilo. Nicht um uns. Wir alle werden uns um ihn kümmern. Ich schaue was er benötigt und sage Euch bescheid", antwortete Cimber freundlich.


    Einen Augenblick später rief bereits Stilo nach ihnen. Cimber warf Zmertorix einen fiel sagenden Blick zu.


    "Lass uns zurück zur Carruca gehen, komm abrücken", sagte Cimber, stand auf und zog Zmertorix mit sich hoch. Im Stechschritt marschierte er zurück zur Carruca.

  • "Stilo", grüßte der Priester des Mars respektvoll zurück.
    "Die Lebenden stets vor den Toten Stilo. Bis gleich", sagte Carbo.


    Publius wartete einen Moment ab, bis Stilo verschwunden war. Der Mann benötigte einen Moment für sich allein. Trauern konnte man auch, indem man im Namen der Verstorbenen feindliches Blut vergoss, anstatt Tränen.


    Der Marspriester warf einen letzten Blick auf das Haus, dann ging er zurück zur Carruca. Carbo grüßte Cimber und Zmertorix kurz mit erhobener Hand.


    "Stilo holt sich noch ein Paar Tauben, dann brechen wir nach Rom auf. Ziel sein Neffe", teilte er den beiden mit.

  • "Horch, Carbo ruft."


    Zmertorix verband mit dem anderen Priester noch keine nähere Bekanntschaft, doch wenn sie die lange Reise überstanden hatten, würden sie hoffentlich Zeit finden, sich ihn vertiefenden Gesprächen einander intellektuell anzunähern. Das war etwas, worauf er sich freute. Auch Stilo rief nun und verkündete schneller als erwartet, dass die Zeit des Aufbruchs gekommen war. Nicht einmal auf seinen alten Freund Sabaco beabsichtigte er noch zu warten. Zmertorix legte besorgt die Stirn in Falten.


    "Die Geister jagen ihn oder der Schmerz. Vermutlich hast du Recht, Cimber, und ich denke zu vergeistigt", sinnierte Zmertorix mit Blick in den grauen Himmel. "Was Stilo nun braucht, ist kein Priester, sondern ein Freund."


    Nach einem kurzen Blick in Richtung des Hauses zog Cimber den Gallus auf die Beine. Sonst wagte es niemand, einen Priester zu verfrachten, aber ein wenig zu viel Überschwang war sicher in dieser bedrückenden Situation besser als die vornehme Reserviertheit des Priesters, dem es indes nicht an Herzenswärme mangelte, der jedoch seine eigenen Gründe hatte, Zurückhaltung walten zu lassen.


    "Gehen wir", sprach er freundlich.

  • Mit respektvollem Nicken grüßte Stilo den Priester des Mars, der sich sogleich daran machte, auch Cimber und Zmertorix zurück zur Carruca zu rufen. Während die drei ihren Weg durchs Unkraut bahnten, sammelte Stilo ein Taubenpärchen samt seines Nests ein. Taubenkäfige hatte er stets bei sich, so auch heute, und sie waren, bis auf wenige, befüllt. Ohne einen Vorrat der schwarzen Brieftauben, die er leidenschaftlich züchtete, ging Stilo nirgendwo hin.


    Bald darauf trafen sich alle an der Carruca.


    Stilo war froh, als seine Leute wieder bei ihm waren. Dass Sabaco fehlte, ihr Maskottchen, wie sie ihn nannten, missfiel ihm jedoch. Wo blieb der Mann? Stilo hoffte, dass ihm nichts zugestoßen war. Was musste der Kerl auch den ganzen Weg von Hispania reiten, anstatt sie mit dem Schiff zu begleiten. Jedoch wollte Stilo nicht länger warten. Wenn Sabaco etwas zugestoßen war, konnte er es nicht ändern. Er hatte kurz für sich sein wollen, um seiner Schwester zu gedenken und die notwendigen Briefe zu verfassen, doch nun war es auch wieder genug. Bestattet war Seia Sanga ja längst. Stilo hatte in den Stunden seiner Einsamkeit einen gewichtigen Entschluss getroffen und gedachte diesen schnellstmöglich in die Tat umzusetzen.


    "Brechen wir auf nach Roma. Es gibt eine wichtige Angelegenheit zu klären. Meine Neffen sind nunmehr Vollwaisen und die wenigen lebenden Mitglieder der Gens ihres Vaters sind irgendwo in der Weltgeschichte verstreut oder verschollen. Die beiden sind zu jung und zu ..." Schwierig? "... zu jung eben, um ohne Vater und Mutter auszukommen. Ich will nicht, dass sie auf die schiefe Bahn geraten und möchte ihnen anbieten, sie zu adoptieren. Es ist mir eine Herzensangelegenheit und ich hoffe, dass ihr mir nachseht, dass ich die Trauerfeier und alles andere darum verschiebe."


    Damit stiegen sie ein und die Reisegesellschaft machte sich auf den Weg nach Roma, ohne dass Stilo das Grab seiner Schwester besucht hatte. Das sterbende Haus blieb still und leer in Mantua zurück mit all seinen Erinnerungen, den schönen wie den schmerzlichen, die bald zusammen mit dem Elternhaus von Scato und Fango vom Unkraut überwachsen sein würden.


    Roma - Am Stadttor >>

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