Schwein muss man haben

  • Am vierten Tag nach seiner Rückkehr in die Urbs Aeterna erhielt Agricola endlich das Zeichen, um das er Iuno unter Aufwendung einiger Perlhühner so eindringlich gebeten hatte. Das Zeichen hatte die Gestalt einer stattlichem Sau, die mit großem Getöse direkt neben ihm in den Schanktisch krachte, just in dem Moment, als er sich aus dem eben erst kredenzten Weinkrug, dem dritten an diesem Tag, hatte nachschenken wollen.


    Er hatte das Vieh nicht kommen sehn. Das aufbrandende Geschrei aus der Menge der rückströmenden Marktbesucher war ihm zwar in’s Bewusstsein gedrungen, Bedeutung hatte er ihm allerdings nicht zugemessen. Um diese Tageszeit war Radau in der Gasse völlig normal. Irgendwas war immer. So war ihm auch nicht genügend Zeit geblieben, sich Krug und Becher zu schnappen, bevor die breite Anrichte unter der Wucht des Einschlags knirschend wegsackte und Krüge, Becher und Schüsseln mit Gegartem und Gebratenem mit sich in die Tiefe riss.


    Der grölende Pulk vor der Caupona wurde schnell dichter. Drinnen in der Gaststube schrie der Wirt nach einem langen Messer. Durch die eng gedrängten Schaulustigen versuchten sich zwei mit Ruten bewaffnete Männer zu quetschen, schnaufend, verschwitzt "Da ist sie! Haltet sie auf!" brüllend.


    Die Sau selbst schien sich unterdessen von der Kollision erholt zu haben, und wühlte mit noch unsicherem Gang aber augenscheinlicher Lust in den am Boden verstreuten Speisen. Agricola blickte sinnend auf sie hinab. Sollte er nun der Sau danken oder nur Iuno? Am besten beiden, beschloss er, jeder auf ihre Art.
    Beseelt von dieser Erkenntnis bedachte er die schmausende Sau mit einen kraftvollen Fußtritt. Die quietsche auf und hastete mit wütendem Grunzen davon. Gefolgt von den keuchenden Häschern mit den Ruten, diese wiederum verfolgt vom lauthals fluchenden Wirt. Nach nur wenigen Augenblicken verschwanden Jäger und Gejagte in der wogenden Menschenmenge.


    Agricola blickte noch eine Weile gedankenverloren die Gasse hinunter, dann trat er aus dem Trubel in den friedlivollen Innenraum der Caupona, um bei einer der Küchenhilfen eine weitere Bestellung aufzugeben. Zitronenwasser diesmal. Er war ja nicht blöd.

  • Es war nicht viel los in der Wirtsstube. Gerade mal ein langer Tisch im Halbdunkel der rückwärtigen Mauer war dicht besetzt mit redseligen Kerlen und ein paar kichernden Weibern. Unnützes Gesindel, befand Agricola. Wer zu dieser Tageszeit, es ging gegen die neunte Stunde, im Dämmerlicht einer Caupona herumhing, hatte nichts Vernünftigeres zu tun. Für ihn galt dies selbstredend nicht, er hatte nachzudenken, seine Gedanken zu sortieren, nichts Geringeres als das.
    Um sich diesem Prozess ungestört widmen zu können, wählte er einen Ecktisch im vorderen Bereich. Hell war die Ecke auch nicht, aber das kam ihm nicht ungelegen. Mit einem verdrießlichen Seufzer ließ er sich nieder und wäre am liebsten gleich wieder aufgesprungen. Verzehrende Flammen schienen an seinem Hintern empor zu schlagen, kaum, dass dieser den Stuhl auch nur berührt hatte. Agricola biss leise stöhnend die Zähne aufeinander. Genau deswegen bevorzugte er es, draußen seine Getränke und Imbisse zu sich zu nehmen. Im Stehen.


    Behutsam und möglichst unauffällig versuchte er, eine angenehmere Sitzhaltung einzunehmen, rutschte vorsichtig auf dem knarrenden Stuhl herum und stieß gemurmelte Verwünschungen aus. Dieser von allen Göttern verfluchte Gaul! Nur drei Tage hatte er das Mistvieh geritten, von Cumae bis Tarracina, weit genug, um sich das Hinterteil und die Innenseiten der Oberschenkel wund zu scheuern. Dass die lindernde Salbe, die er in Tarracina erworben hatte, inzwischen aufgebraucht war, machte die Sache nicht gerade besser. 'Du musst es fühlen' hatte sein Begleiter ihm geraten, 'du musst seine Bewegungen aufnehmen'. Das fehlte noch. Der Gaul war nun Agricolas’ Eigentum, der hatte gefälligst die Bewegungen seines Besitzers aufzunehmen, nicht umgekehrt.


    Endlich schlurfte die Küchenhilfe herbei und bedachte ihn mit einem kleinen Krug Zitronenwasser, einem Becher und einem zahnlückenhaften Lächeln.
    "Bittesehr, Herr. Wenn du etwas essen möchtest, muss ich dich leider um Geduld bitten. Die Speisen für die Cena werden noch vorbereitet und der Vorfall draußen hat den Betrieb ein wenig durcheinander gebracht."
    Dabei wies sie auf die breite Durchreiche zur Gasse hinaus, wo sich zwei verschwitzte Köchinnen redlich mühten, den ramponierten Schanktisch wieder zum Stehen zu bringen. Vom Wirt war weit und breit nichts zu sehen. Je nach Kondition der Sau und ihrer Verfolger würde seine Rückkehr wohl noch eine Weile auf sich warten lassen.


    "Kein Essen."
    Agricola winkte ab, klatschte seine noch immer gut gefüllte Crumina auf den Tisch, wühlte darin und fingerte schließlich ein paar Asse für das Zitronenwasser heraus. Im gleichen Moment erstarb der Lärm am hinteren Tisch. Er hätte sich ohrfeigen können. Lernte er es denn nie? Wieder einmal hatte er den Beutel auf den Tisch gelegt, anstatt sich das Geld vorher abzuzählen oder zumindest nur eine Handvoll Münzen herauszufischen. Er war einfach nicht recht bei der Sache, und daran war letztlich nur dieser verdammte Gaul schuld. Der und die von Iuno gesandte Sau.


    Kaum war die Küchenhilfe davongeschlurft, kam auch schon eines der eben noch kichernden Weiber an seinen Tisch stolziert. Eine bemerkenswerte Erscheinung, durchaus. Langes glattes blauschwarze Haar, die Haut dunkel wie poliertes Nussbaumholz. Ihre rostrote Tunica war an der Hüfte eng geschnürt und verbarg nicht das geringste. Die Brüste klein und rund, die Knospen reif und spitz. Die Taille schmal, das Becken breit, ein Traum aus Verheißung schien sich da aus dem Schummerlicht zu lösen.


    "Einsam stirbt, wer alleine trinkt." hauchte sich rau. "Chaire Fremder. Ich bin Kira aus Thyrus."


    Agricola nahm eine tiefen Schluck aus dem Becher. Das Zitronenwasser war kühl und erfrischend. Am liebsten hätte er sich den ganzen Krug über den Hintern gegossen. Nach ausgedehntem Rülpsen schenkte er der dunklen Schönheit ein gelangweiltes Lächeln.


    "Verschwinde."

  • Kira aus Thyrus machte zunächst keine Anstalten zu verschwinden, glotze vielmehr auf Agricola hinab, als habe der einen kolossal witzigen Scherz gemacht, dessen Sinn sich ihr noch nicht recht erschloss. Es war interessant, zu beobachten, welche Vielfalt an Gemütsregungen in kürzester Zeit an ihrer Mimik zerrte. Erst gespielte Überraschung, dann echte Verblüffung, dann Erkenntnis, gefolgt von Zorn, Abscheu und Hass. In nur wenigen Augenblicken hatte sich das ebenmäßige dunkle Antlitz in eine zerfurchte Fratze verwandelt.


    Mit einer Stimme, die nun gar nichts Verheißungsvolles mehr hatte, begann sie heiser herumzukrähen.
    "lotiolentus! Cacator! Prodigium!"
    Dabei präsentierte sie dem Iunier ihren zwischen die Finger geklemmten Daumen.
    "Pathicus! Cinaedus! Spado!"


    Agricola ließ sie toben. So lange sich keiner der anderen Gäste einmischte, und danach sah es nicht aus, hatte er mit dieser Coa kein Problem. Er wollte seine Ruhe haben, sonst nichts. Irgendwann würde der Schlampe die Puste ausgehen, und wenn sie erst realisiert hatte, dass es hier nichts für sie zu holen gab, würde er sich wieder in Ruhe mit seinen noch nicht sonderlich weit gediehenen Zukunftsplänen befassen können.


    So kam es denn auch. Nach einem guten Dutzend weiterer Schmähungen hatte sich der Wortschatz der rasant gealterten Schönheit offenbar erschöpft und sie trat schließlich schnaufend den Rückzug an. Allerdings nicht, ohne Agricola zuvor noch ihr Hinterteil entgegen zu recken und eine gedehnten Flatus zurückzulassen. Ihr Hintern, das musste er zugeben, konnte sich wirklich sehen lassen. Wenngleich er natürlich nur eine weiche Ahnung von Wonne war, verglichen mit dem göttlich straffen Gesäß der iunischen Coqua Aesara, das auch in Misenum regelmäßig durch seine Träume gegeistert war. Agricola seufzte tief und guckte dann versonnen in seinen Becher. Mit der Erinnerung an Aesara waren seine Gedanken wieder dort angekommen, wohin er sich selbst noch zu begeben hatte. Die Domus der Iunii auf dem Quirinal.


    Fast vier Jahre waren vergangen, seit er die Domus Iunia verlassen hatte, um sich mit den diversen Betrieben und Gütern seiner Gens vertraut zu machen. Jahre, in denen viel passiert- und in denen er ein anderer geworden war. Vor allem die Zeit in Misenum, bei seiner Großmutter Helia, hatte ihn verändert. Dort hatte er die Toga Virilis angelegt, sich versuchsweise den ersten Bart stehen lassen, erstmals ungehemmt seinen Begierden gefrönt und, wie ihm anfangs schien, einen wahren Freund gefunden. Der alte Sparsus hatte ihm Lektionen im Umgang mit dem Gladius erteilt und ihn Tag für Tag körperlich herausgefordert. Alles hätte gerne so bleiben dürfen, wie es war. Doch aus der Mündigkeit erwuchsen ihm Verpflichtungen. Niemand musste ihn darauf hinweisen, niemand ihn daran erinnern. Er fühlte es. Täglich deutlicher. Nicht nur seiner Gens war er verpflichtet sondern darüber hinaus auch Kaiser und Reich und ebenso sich selbst. Bücher zu prüfen, Berichte zu verfassen und Bibliotheken zu aktualisieren war keine Lebensaufgabe und Müßiggang keine Option.
    In den vergangenen drei Tagen hatte er versucht, Zeit zu gewinnen, das Gefühl der wachsenden Verantwortung mit Wein zu betäuben. Vergeblich, wie er nun einsah. Zeit konnte man nicht gewinnen, nur verlieren. Er war Iuno zutiefst dankbar dafür, dass sie seiner Lethargie Einhalt geboten hatte. Ein Zeichen hatte er gebraucht und bekommen. Was er jetzt brauchte, war Salbe.

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