Hortus | Bestattungen und andere Sorgen

  • Stella war durch den alternden Haussklaven Diogenes informiert worden, dass sich ein procurator vom kaiserlichen Hofe angekündigt hatte. Scheinbar hatte der Kaiser ihre Nachricht erhalten. Dennoch war Stella ungehalten darüber, dass der Kaiser sich nicht einer Audienz stellte und lieber einen Handlanger schickte. Nicht unbedingt einen rangniedrigen Handlanger aber eben nur einen Handlanger, der unmittelbar von des Kaisers Gnade abhängig war. Zudem war es nur wieder ein Vermittler und keine unmittelbare Kommunikation. Stella glaubte sogar, dass sich der Kaiser vor ihr verstecken wollte. Grimmig hatte sie den Sklaven zurück zur Tür geschickt, um die Delegation hinein zu lassen. Demonstrativ nahm sie auf einer Bank im Zentrum des immer noch eleganten Innengartens platz. Sie übte noch schnell eine elegante Pose ein, indem sie ihre Beine übereinander schlug, den Kopf anhob und mit einem kalten Ausdruck Richtung Portal blickte. Doch der Glanz des Gartens mit seinen Rosen, Buschreihen und großen Bäumen (ungewöhnlich in einem Stadthaus) verblasste schnell gegenüber dem schlechten Zustand der Innenwände. Deren Putz bröckelte bereits und aufgestellte Werkzeuge deuteten auf eine nahe Sanierung hin. Doch Stella musste dies alles in Eigenregie überwachen, da fast kein Personal mehr im Hause weilte, so dass einige Arbeiten schneller und andere langsamer erledigt wurden. Die Innenwände des hortus waren wohl als nicht so wichtig eingeschätzt worden. Ein fataler Irrtum, da der Garten doch für viele Römer auch gerne ein Ort der Ruhe aber auch der Machtdemonstration war. Ein schöner und edler Garten war teuer, aufwendig und verschwendete Platz. Und genau jenen Platz zu verschwenden, war ein Zeichen für Luxus und Macht, denn in Rom gab es wenig Platz. Platz war ein echter Luxus. Stella wusste dies und nahm diese Gelegenheit gerne auf, um dem kaiserlichen Büttel zu zeigen, dass noch immer Würde in diesem domus herrschte. Oder zumindest ein wenig Würde. "Noch Wein und Datteln," rief sie einem vorbeilaufenden Sklaven zu, der nickend verschwand. Er würde wohl bald mit dem Gewünschten auftauchen. Stella selbst war unangenehm nervös, konnte dies aber geschickt überspielen, indem sie einfach ihre herrische Pose beibehielt, die sie sich von anderen Damen von Stand abgeschaut hatte. Die Pose war gleichzeitig erhaben, elegant und auch ein wenig feminin. Gespannt waren ihre Augen fest auf den Eingang gerichtet.

  • Zielstrebigen Schrittes folgte ich dem alten Sklaven durch atrium und tablinum in den hinteren Bereich der Villa, wo ein großflächiger und prächtig inszenierterhortus die Altehrwürdigkeit und den Einfluss der einst so mächtigen Gens Tiberia zum Ausdruck brachte, während die bröckelnden Fassaden gleichzeitig einen Blick auf die Wirklichkeit darboten. Im Schlepptau folgte mir der schmächtige Notarius Carpinatius, der verstohlen nach links und rechts blickte, als wolle er wie ein gemeiner Straßengauner potentielles Diebesgut ausfindig machen - was mir natürlich verborgen blieb, spielte sich dies doch alles hinter mir ab. Hätte ich es gesehen, hätte ich ihn wohl tadelnd darauf hingewiesen, dass es hier nichts mehr zu holen gab - die Villa war wie ausgestorben und schon alleine das streitige Verhalten der Tochter des Tiberius Verus im Hinblick auf die Geltendmachung ihres Erbes ließ erahnen, wie schlecht es um die edle Patrizierbrut bestellt war. Eigentlich hatte ich nichts gegen Patrizier per se - mein jüngst arrangiertes Bündnis mit Flavius Gracchus war dafür sicher ein ausreichender Beleg - allerdings war von mir auch kein Mitgefühl und Bedauern zu erwarten. Falsche Entscheidungen führten zu oftmals bitteren Konsequenzen und ich fühlte im Angesicht der in der Villa Tiberia verbildlichten Niederlage Genugtuung, noch auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Inmitten des hortus bot sich mir dann eine weitere Illustration des Gegensatzes von Vergangenheit und Gegenwart: Zwischen Rosen, Sträuchern und sanierungsbedürftigen Innenwänden fand ich eine junge Frau vor, deren wohlerzogene Haltung sie eindeutig als Hausherrin entlarvte. Unter anderen Umständen wäre dieses beinahe groteske Bild geeignet gewesen, mich zu amüsieren und dies auch offen kund zu tun, doch ich wahrte, nicht aus Respekt oder Ehrfurcht gegenüber den Tiberiern, sondern vielmehr meines kaiserlichen Auftrags wegen, die höfische Maske des Anstands. "Tiberia Stella, Tochter des verdienten Trecenarius Tiberius Verus, es ist mir eine Ehre", begrüßte ich die Hausherrin in eben jener höfischen Manier und positionierte mich unmittelbar vor ihr und ihrer Bank. "Ich bin Cnaeus Fabius Torquatus, Procurator a memoria des Augustus." Ich schenkte ihr ein vertrauensvolles Lächeln und fixierte sie, um vielleicht schon jetzt einen Blick hinter ihre aristokratische Fassade zu erhaschen. Gleichwohl hatte ich mich darauf eingestellt, dass ich es nicht mit einer verzogenen Göre, sondern mit einer ernstzunehmenden jungen Dame zu tun hatte, die sich ihrer Ausstrahlung sicher bewusst war und darob mit Hartnäckigkeit und wohl auch mit einer gewissen Listigkeit bearbeitet werden musste.

  • In der Tat tauchte der procurator auf und stellte sich vor. Mit einem kurzen Seitenblick versuchte sie den Gefolgsmann des Fabius zu identifizieren, der sich sehr schweigsam zeigte und sich selbst nicht vorstellte. Das mochte Stella nicht, denn Schweigen verbarg oft etwas. Das hatte sie bei ihrem Vater gesehen und erlebt, dass Schweigen oft schlechte Dinge verbarg. "Hat dein Begleiter auch einen Namen?" Wenigstens das musste sie wissen. Niemand würde incognito ihr Haus betreten. Es fiel ihr noch immer schwer, diesen Umstand zu akzeptieren, dass dies nun ihr Haus war und sie somit die volle Verantwortung trug. Für die traurigen Reste einer langen Familiengeschichte. Manchmal glaubte Stella sogar, dass es besser gewesen wäre, mit dem Vermögen einfach zu gehen und in weiter Ferne erneut zu beginnen. Doch die junge Tiberia verwarf diese Gedanken immer wieder, da sie es ihrer Familie schuldig war. Wenigstens etwas sollte erstrahlen, wenn schon die Welt um sie herum verdunkelt war. "Ob mein Vater so verdient war, kann ich leider nicht beurteilen, da der geliebte Imperator nicht mit mir darüber gesprochen hat. Doch er war ein Soldat unseres geliebten Roms," sagte sie und gab damit sehr wohl zu, dass sie kein Interesse an falschen Höflichkeiten hatte. Der Mann vor ihr, dieser Fabius, brauchte sich nicht mit falschen Masken schmücken und schöne Worte wählen. Schöne Worte brauchte Stella nicht. "Hat der Augustus also einen procurator entsandt, um das Protokoll einer Bestattung zu erörtern?" Mehr eine rhetorische Frage, die Stella leicht schnippisch ausdrückte, da sie immer noch sehr ungehalten darüber war, dass der Kaiser sich nicht ihren Fragen gestellt hatte. Noch dazu versteckte er sich in seinem Palast und wollte einer Tochter, die trauerte, nicht wirklich helfen, sondern erfüllte nur seine Pflichten aus Versprechen und Tradition. Selbstbewusst blickte sie den Fabius an, wobei ihre gemachten Wimpern schwer wogen. Mit einer eleganten Bewegung erhob sie sich und trat dem kaiserlichen Beamten direkt entgegen, dabei bewegten sich ihre Hüften schwungvoll und der Schmuck an ihren Handgelenken klimperte in einer reichen Melodie. Die Bühne war eröffnet und Stella fühlte dieses gefährliche Selbstbewusstsein, dass sie nichts mehr fürchtete. Nicht einmal ihren eigenen Tod. Pluto hatte sie erlöst und jetzt zählten nur noch die Entscheidungen, die sie treffen würde. Aus tiefer Verzweifelung erwuchs ein wahrlich gefährliches Selbstvertrauen, da sie den Kaiser inzwischen als Feind erachtete, der nicht nur ihr Leben zerstört hatte, sondern noch viele weitere. Das hier war ihr Spiel, so dass sie ein kaltes Lächeln zeigte. Dieser Fabius hatte sich der falschen Frau ausliefern müssen. Stella trat einmal um den Fabius herum, so als ob ein wildes Tier eine Beute betrachtete. Dabei machte sie eine Geste mit ihren Händen, um den Schmuck wieder in Position zu bringen. Zwei Sklaven traten heran, jeweils mit einem Tablett beladen, welches Wein und Datteln trug. Selbstbewusst griff sie nach einem der Becher und bot diesen Fabius höchstpersönlich an. "Willkommen in meinem Haus," sagte sie und verweilte mit einem Höflichkeitsabstand vor dem procurator. Dieses Gespräch gehörte ihr, genau wie ihr Schicksal ihr ganz allein gehörte. "Der Archivar des Hofes, hätte den Kaiser vielleicht daran erinnern sollen, dass Bestattungen zeitnah erfolgen sollen und sich nicht über die Tage ziehen. Mein Vater gilt schon lange als tot und nun soll ich allein die gesamte Planung übernehmen?" Was war schon falsch daran, selbstbewusst zu sein? Das hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die oft schüchtern war aber in den entscheidenen Momenten eine Stärke aufbrachte, die einer Sagengestalt gleich kam. Stella, selbst oft zurückhaltend und eher sensibel, brachte in dieser furchtbaren Situation die selbe selbstbewusste Stärke auf. In dieser Kleidung, in dieser Erscheinung, in diesem Haus, welches ihre Bühne war, fühlte sich Stella überlegen, denn hier war egal, was der procurator sagen würde. Er war nur ein Handlanger, der einem Höheren berichtete. Handlanger waren oft nur Ausgelieferte ihrer Befehle und Anweisungen. Stella spekulierte darauf, dass dieser Mann kein großes Interesse an seiner Aufgabe hatte und nur aus Eitelkeit des Kaisers vorgeschickt wurde, damit dieser seinen Kreisen dienen konnte. Handlanger hatten oft die Angewohnheit kein Interesse an ihren Aufgaben zu entwickeln, da diese alltäglich waren oder sie persönlich nicht berührten. Mit ihren geisterhaften Augen beäugte sie den Beamten und hoffte einen Blick in seine Seele zu erhaschen. Denn die Spiele waren eröffnet. Auch wenn diese selten fair waren.

  • Als die Tiberia den Namen des schmächtigen Schreiberlings wissen wollte, senkte dieser leicht verlegen den Kopf. Ich deutete mit einer beiläufigen Geste in seine Richtung und erklärte: “Das ist Notarius Carpinatius, er begleitet mich für die Schreibarbeit.“ Natürlich trug ich als Procurator die Ergebnisse dieser Unterredung nicht selbst zusammen - ich war ja kein Sekretär! “Du sagst es, er war ein Soldat unseres geliebten Roms. Und allein das gereicht schon um anzunehmen, dass er sich um das Imperium verdient gemacht hat“, stellte ich nüchtern fest, ohne in irgendeiner Form emotional involviert zu sein. Für mich war Tiberius Verus nur ein gestaltloser Name, einer der vielen Soldaten, die zahlreich und tagtäglich ihr Leben verschmutzt und vernarbt im Schlamm der Schlacht ließen. Die besondere Ehre, von der die Soldaten immer sprachen, hatte ich nie empfunden. Für mich war es eher ein Zeichen von Dummheit, es als besonders erstrebenswert zu erachten, ein Leben lang im Dreck zu suhlen und irgendwann im Staub der Schlacht aufzugehen. Deswegen war für mich auch nie in Frage gekommen, über meinen notwendigen Dienst bei der Flotte hinaus ein Tribunat im Exercitus anzutreten. Mein Posten in der Kanzlei schien mir da weitaus erträglicher - vor allem da die Aussicht auf ein langes, luxuriöses Leben mit Einfluss und Bedeutung bestand. Tiberius Verus dagegen als Versinnbildlichung des gemeinen - obgleich auch privilegierten - Soldaten hatte sich für den Dreck entschieden und in der Konsequenz das erhalten, was er wohl Zeit seines Lebens als ehrenvoll erachtete. Dass sich nun überhaupt jemand, abgesehen von seiner engsten Familie, um sein Andenken scherte, war einzig dem Rang geschuldet, den der Tiberier innehatte.


    In der Folge legte die Tiberia das Verhalten offen, über das mir schon der Kaiser berichtet hatte. Sie wurde schnippischer, angriffslustiger und streifte um mich wie ein Löwe um seine Beute. Ich runzelte die Stirn, denn eine ernsthafte Bedrohung konnte ich in ihr nicht sehen. So wie ich es verstand, hatte sie weder einflussreiche Freunde noch Familie in der Stadt und das einzige, was ihr die Aufmerksamkeit des Kaisers zuteilwerden ließ, war ein vermeintliches Versprechen. In meinen Augen sollte die Tiberia also himmelhoch jauchzen, dass der Kaiser - im Gegensatz zu mir - solche Versprechen als verbindlich erachtete. Und ich war auch bereit, ihr das deutlich zu machen. “Ich bevorzuge die Bezeichnung Procurator“, entgegnete ich mit einem selbstgerechten Grinsen und nahm ihr den Weinbecher ab. „Archivar des Hofes“. Früher hätte ich ein solch respektloses Verhalten wohl mit einem Tobsuchtsanfall gestraft, jedoch hatte mir mein Amt und das Bewusstsein meiner Stellung eine gewisse Gelassenheit beschert. Hätte ich gewusst, dass vor mir die Tochter des Prätorianers stand, der mir dereinst Ärger in den Archiven beschert hatte, hätte ich wohl schnell eine hinreichende Erklärung für ihre aufsässige Gangart gehabt. “So wie ich das sehe, solltest du dich demütig zeigen, dass der Kaiser sich weitaus mehr darum bemüht pflichtbewusst und aufrichtig zu handeln, als mir es bei deinem Anliegen jemals in den Sinn käme. Dein Vater hat als Trecenarius ein Leben im Schatten gewählt und so wäre es in meinen Augen einzig konsequent, dass sein Name ebenso im Schatten verblasst. Der Kaiser hat dir jedoch aus reiner Großzügigkeit und Güte eine Möglichkeit der öffentlichen Trauer und des Gedenkens eröffnet - oder eben aus Pflichtbewusstsein“, sprach ich nun deutlicher. “Also lass uns bei den Fakten bleiben. Das einzige, was du vorzuweisen hast, ist ein Brief, der auf ein angebliches Versprechen verweist. Dein Name ist nur noch eine Erinnerung an glorreichere Tage und so wie mir zugetragen wurde, haben bisher auch keine Unterstützer oder Freunde für dein Anliegen den Weg zum Palatin gefunden.“ Ich sah mich kurz theatralisch in der verwaisten und heruntergekommenen Villa um. “Wenn du bereit bist, die Großzügigkeit des Kaisers wertzuschätzen, können wir uns nun über die Rahmenbedingungen des Begräbnisses unterhalten.“ Mit einem Schnipser deutete ich Carpinatius, die Tabula, die den Hof erreicht hatte, bereitzuhalten und trank dann einen tiefen Schluck Wein.

  • Gab es einen Platz für Stella an dem sie eine Kerze entzünden konnte und diese dabei beobachten konnte, wie diese Kerze die ganze Welt in Brand setzte? Die Tiberia fühlte sich, als ob sie an dieser Welt ertrank, denn all das Theater war so bedeutungslos, wenn ein einziges Feuer alles beenden konnte. Und Stella hatte inzwischen die Absicht gefunden, diese Welt brennen zu lassen. Sie war zornig, denn sie hatte nicht nur ihre Familie verloren, sondern der gewonnene Reichtum aus dem Erbe und den Geheimnissen ihrer Familie war so blutig kalt, dass er eher Last als Erlösung war. Sie war inzwischen -nach ihren Gesichtspunkten- unermesslich reich und doch war dieser Reichtum im Angesicht ihres Wunsches, diese Welt des Kaisers brennen zu sehen, unbedeutend. Dieser Fabius hatte diesen Zorn entfacht, da er wahrlich nichts als ein selbstgerechter Handlanger war, der sich stets nach dem eigenen Wohl und Fortkommen ausrichtete. Ehre schien für ihn nichts zu bedeuten. Doch dabei war nur jene Ehre von Bedeutung, da der Tod ohnehin kam und was wollte man der Welt hinterlassen? Man hatte nur sein Andenken. Stella schwieg, manifestierte die brennende Kerze vor ihren Augen, während sie innerlich nach Luft schnappte. Wenigstens hatte der procurator seinen Bediensteten benannt. Ein kleines Ziel. Etwas, in das sich der Beamte gefügt hatte, vielleicht auch nur aus Unachtsamkeit. In ihrem Zorn vergaß Stella nicht, warum sie hier war und nur die Erinnerung an ihren Vater hielt sie zurück, wahrlich alles niederzubrennen. Wenigstens sprach der selbstgerechte Beamte ehrlich. Man hatte diese Höflichkeit überwunden und konnte unbehindert einen Austausch pflegen. Stella hasste diese falsche Höflichkeit und wenigstens war der procuator dem Bild gefolgt und hatte seine Maske fallen gelassen. "Oh, ich bin demütig," konterte Stella. Es war noch nicht vorbei. "Ich kenne Männer, wie dich, procuator. Ich kenne sie leider zu gut," sagte Stella und setzte sich wieder auf die Marmorbank, die trotz ihres Alters noch immer eine gewisse Würde besaß, da Marmor immer noch poliert und perlweiß wirkte. "Du sagst, dass mein Vater ein Leben in den Schatten gewählt hat und darin verschwinden sollte. Trifft das nicht auch auf dich zu? Du wirst immer nur ein Beamter des Kaisers bleiben, austauschbar und am Ende bedeutungslos verschwinden, mit allem, was du glaubst, besessen zu haben." Stella blickte glasig-schimmernden Augen zum procuator, den sie nun einen Augenblick beäugte, um zu verstehen, was diesen Mann bewegte aber wurde noch nicht schlau daraus, dass ein Mensch sich allein einem System anschloss, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Es ergab keinen Sinn für Stella, ein Leben so zu führen, so dass am Ende jede Handlung nicht selbstgewählt war, sondern stets nur aus träger und selbstgerechter Gehorsamkeit geboren war. "Ich bin dem Kaiser dankbar. Sehr sogar, denn er hat mir vieles gezeigt und erlaubt mir nun, etwas für das Rom meines Vaters zu tun," erklärte sie und machte dann eine ausschweifende Geste mit ihrer Hand, die Demut symbolisieren sollte, indem sie ihre Hand zum Himmel wandte und diese kreisförmig bewegte. Es war eine alte römische Geste der Demut und Dankbarkeit. "Ah! Fakten," nahm sie das Wort des Beamten auf und lächelte verbittert. "Diese Familie hat noch Freunde, viele Freunde sogar. Ich habe entschieden, dass ich alleine gehe, procurator. Mein Vater kannte viele Männer von Stand und Ehre," gab sie überzeugt von sich, da sie von den Namen wusste, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte. Darunter Claudius Menecrates und Flavius Gracchus. "Und ihre Geheimnisse," gab sie zu und wollte damit ihrer eigenen Position eine gewisse Stärke verleihen. "Es gibt Dinge, die ich alleine erledigen muss," meinte sie und sprach diese Worte mehr zu sich selbst. "Ja, wir sollten die Sache in die richtige Richtung führen..." Stella seufzte leise und sagte dann: "Ich möchte Rom im Namen meines Vaters eine neue Stadtmauer stiften und vor dieser Stadtmauer soll das Grab meines Vaters liegen. Ich bin bereit, dass gesamte Vermögen der Tiberia aufzuwenden und werde mich dann, sobald die Mauer errichtet ist, aus dieser Stadt zurückziehen. Nachdem auch dieses Haus hier abgetragen wurde. Mein Vater liebte diese Stadt und opferte sich für sie. Es ist nur konsequent, wenn das Vermögen, welches er zum Schluss erheblich vergrößert hatte, der Stadt dient und zwar in einer defensiven Architektur," gab sie die Pläne preis, die schlussendlich auch das Ende der Gens in Rom bedeuten würden. Die Tiberia würden aufhören zu existieren, da sie selbst gehen würde und ohne einen männlichen Nachkommen, würde der Name einfach aussterben und die Tradition dieser Gens einfach enden. "Manchmal müssen Dinge enden. Ohne Vermögen, ohne domus, ohne mich, wird es keinen Tiberius mehr geben und der Name wird einfach enden. Nur das Andenken in Form der Mauer wird bleiben," sagte sie mit leicht eingefärbter Stimme. Sie konnte nicht verbergen, dass dieser Plan sie traurig stimmte. "Die Bestattung am Grab, welches errichtet wird, soll auch den Grundstein für die Mauer legen. Der Geist meines Vaters wird in die Mauer einfahren und sie bis in alle Zeit bewachen," erklärte sie und blickte dann mit ihren nachdenklichen Augen zum Beamten.

  • Diese Tiberia hatte zweifellos Schneid und schaffte es, mir in ihrer eigentümlichen, herausfordernden Art und ihrem bedeutungsschwangeren Gerede mehr Worte zu entlocken, als in dieser eindeutigen Angelegenheit eigentlich notwendig waren. "Ich glaube kaum, dass du Männer wie mich kennst", stellte ich mit eitlem Ton fest, ohne dass mir viel daran gelegen war, dass mir Stella Glauben schenkte. "Im Gegensatz zu dir mache ich mir weniger Gedanken um das Andenken, sondern mehr um das Hier und Jetzt. Ein Nachleben in Bedeutsamkeit erscheint mir weitaus weniger wertvoll als ein Leben in Bedeutsamkeit. Du stehst noch am Anfang deines Lebens und solltest der Vergangenheit nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken", empfahl ich der Tiberia nun, bevor diese ihre Planungen offenlegte. "Eine Stadtmauer?", hinterfragte ich sodann ungläubig und blickte kurz zu Carpinatius, der mir mit einem Kopfschütteln signalisierte, dass diese merkwürdige Idee bisher nicht bis zum Palatin vorgedrungen war. "Eine Stadtmauer, die den Namen deines Vaters tragen soll? Oder zumindest mit ihm in Verbindung gebracht werden soll?" Ich lächelte selbstgefällig und blickte drein, als erwartete ich die Pointe eines großen Scherzes, jedoch wartete ich vergeblich. Anscheinend war es der Tochter des Verus wirklich ernst. "Ich sehe nicht, dass sich dieses...Vorhaben realisieren lässt", entgegnete ich entschieden. Früher hätte ich diesen Größenwahn mit der Zugehörigkeit zum Patriziertum abgetan, meine neuerlichen Bekanntschaften innerhalb dieses Standes hatten meine prinzipielle Abneigung aber signifikant abgeschwächt. Der Größenwahn entsprang also wohl vielmehr dem Individuum, das sich wieder vor mir auf der Marmorbank niedergelassen hatte. "Ich muss wohl noch einmal meinen Standpunkt verdeutlichen: Dein Vater war ein Soldat - meinetwegen ein pflichtbewusster - aber nicht mehr und nicht weniger. Kein Triumphator, der über alle Zeiten den Männern Roms als Vorbild dienen soll", funkelte ich zurück. "Der Geist deines Vaters sollte es sich nun in den elysischen Gefilden gemütlich machen und nicht in irgendeiner Mauer. Und du solltest dein üppiges Erbe nehmen und dafür Sorge tragen, dass dein Name nicht ausstirbt. Das wäre dem Andenken deiner Vorfahren weitaus zuträglicher", gab ich meine Sicht der Dinge tadelnd zum Besten. "Der Kaiser gestattet dir und deiner Familie ein angemessenes Grabmal und wird als Zeichen seiner Anerkennung vor den Trauernden sprechen, so wie er es versprochen hat. Gegen eine großzügige Spende an die Staatskasse, um irgendein gemeinnütziges Straßenbauprojekt oder ähnliches voranzutreiben, ließe sich womöglich auch noch eine Statue errichten", trug ich beschlussartig vor und gab der Tiberia erst gar nicht die Möglichkeit, mich in eine fadenscheinige Debatte zu verwickeln. Daran konnten auch ihre vermeintlichen Geheimnisse nichts ändern, die mir nicht von Belang für den Kaiser schienen. Ohnehin war mir schleierhaft, was Stella mit diesem Pomp bewirken wollte - wohl auch, weil ich mich nur schwerlich in die Rolle der trauernden Tochter hineinversetzen wollte, geschweige denn konnte.

  • Stella hielt ihren Atem an. Nein. Nicht jetzt. Sie wollte nicht zürnen, sich nicht über diesen procurator erheben aber alles, was er sagte, ließ sie verkrüppelt zurück. Alle seine Worten trafen sie, die so viel vom Leben erwartet hatte. Jedes Wort war eine eigene Waffe, die sie von der Klippe stieß und sie allein in die Tiefe ihrer eigenen Hoffnungen verdammte. Dabei hatte sie mühsam ihr eigenes Leben gerettet, es der Vergangenheit entrissen, um an diesem Punkt zu stehen. Ihr Herz wandte sich gegen sie, wollte sie mit aller Macht zu einem Atemzug zwingen, während all das Licht im Garten hell, blendend hell, wurde. Für sie war ein Andenken alles, denn bisher hatte sie im Leben nichts, was sie mit Überzeugung lieben konnte. Das Andenken an ihren Vater war bedeutungsvoll. Das Andenken an ihre Mutter war bedeutungsvoll und so konnte sie nicht verstehen, dass dieser Mann sich nicht um diese Gefühle scherte. Sie fühlte sich eingemauert, verängstigt und trauernd. Stella schmeckte Salz in ihrem Mund, während sie ihre Zähne zusammen biss, um nicht atmen zu müssen. Doch dabei blieb ihr Gesicht wunderschön erstarrt. Die Tiberia konnte nicht antworten, denn was sollte sie diesem Beamten sagen? Was sollte sie ihm gestehen oder antworten? Sie wusste, dass sie etwas sagen musste. Etwas tun musste aber konnte es nicht. Ihre Zeit lief ab. Das Leben in ihren Lungen wollte zurück. Sie musste atmen. Jeder Wille gegen dieses Leben versiegte. Mit einem eleganten Atemzug holte sie Luft, wobei sie demonstrativ vom Beamten wegblickte, um die Blumen unweit zu betrachten. Erst nachdem sie Luft geholt hatte, erst nachdem sie eine Antwort gefunden hatte, blickte sie wieder zurück. Stella verbesserte ihre Sitzposition, indem sie ihre Beine anders anwinkelte und enger an sich zog. "Was wir glauben wollen, und welche Absichten du wirklich hegst, sind unwichtig, weil wir schlussendlich alle sterben müssen. Es ist egal, was ich jetzt fühle und es ist egal, was ich glaube über dich zu wissen, denn allein meine Pflicht bleibt bestehen," sagte sie und gab somit keine klare Antwort. Denn sie hatte keine klare Antwort, sondern nur ihre Gefühle und Träume, die sie ausbreiten konnte. Sie war nicht herzlos, nicht immer objektiv, sondern lebte und vielleicht war genau dieses Leben deshalb so schmerzhaft für Stella. Sie war nicht nur gesegnet mit Augen, die sahen. "Er war mein Vater," erhob sie ihre Stimme und versicherte damit, dass sie immer noch eine enge Bindung zu diesem verspürte. "Er war Aulus Tiberius Verus. Ein Tiberius und ein Diener Roms," forderte sie und öffnete dabei ihre Augen weit, so dass die gemachten Wimpern wütend zuckten, während sie ihre Gesichtsmuskeln anspannte. "Mein Erbe ist mir egal. Es ist nur Geld." Stella stand auf und deutete zum Atrium. "Es steht dort. Unmengen an Gold und Münzen. Generationen von Tiberii haben sich darin verrannt, diese Menge anzuhäufen. Und wofür?" Sie deutete erneut zum Atrium, wo sich die große und gepanzerte Geldtruhe befand. "Willst du es? Willst du es? Ich denke so ein Mann, der so bewusst im Leben steht, kann mit dieser Menge an Reichtum einiges anfangen," meinte sie, während ihre Augen gegen Tränen ankämpften. "Es gibt nur noch mich. Mich allein und ich habe keinen Ehemann. Keine Gelegenheit mehr, diesen Namen weiter zu tragen." Und sie hatte auch kein Interesse daran, diesem Rom zu dienen. Genau diesem Rom, welches einen solchen Mann hervorgebracht hatte, wie er vor ihr stand. Sie kämpfte hier für das Andenken ihres Vaters, welcher Rom geliebt hat. Es war sein Rom. Von ihrem noch lebenden Bruder wusste sie nichts. Noch immer nicht. Der Kaiser hatte es ihr nicht verraten und auch dieser procurator, der möglicherweise Kenntnis als memoria haben würde, hatte es bisher nicht verraten. Unwissend kämpfte sie also allein ihren Kampf, um ein passendes Ende für eine Geschichte. "Es tut mir leid," ließ sie als einen Wortbrocken aus ihrem Mund fallen, während sie sich wieder auf die Bank setzte. Sie musste kurz nachdenken. Ihr Vater hätte sie an dieser Stelle daran erinnert, dass es manchmal besser war, das zu nehmen, was man erhalten konnte. Doch in ihrer Welt war dies nur eine gerechte Forderung. Stella strich über ihre linke Wange, während sie überlegte und die Bereitschaft wuchs, auf die Forderungen zu verzichten. In diesem Rom war nichts weiter zu gewinnen und so musste sie den Vorschlag annehmen, da der Kaiser sich als hartherzig entpuppt hatte und auch dieser Beamte ein gutes Beispiel für ein Kaltherz war. "Ich stimme zu," antwortete sie schließlich mit schwerer Stimme. "Ein Grabmal, eine Trauerprozession mit dem Kaiser und eine Spende von mir an die Staatskasse für eine Statue meines Vaters," fasste sie zur Sicherheit zusammen, damit sie es nicht falsch verstanden hatte. Zumindest war das Andenken bewahrt.

  • Die Tiberia wirkte auf mich nun beinahe etwas konsterniert und wo vorher eine harte, kampfeslustige Fassade war, offenbarte sich mir nun ihre verletzliche, trauernde Seele. Mitleid war von mir trotz alledem nicht zu erwarten und so folgte ich mit unverändert eiserner Miene den kryptischen Worten der jungen Dame. Beinahe echauffierend wiederholte sie noch einmal den Namen ihres Vaters, als würde schon der bloße Klang gereichen, mich zu einem milderen Urteil zu bewegen. Doch dem war nicht so. Und daran konnte auch all das Gold nichts ändern, auf das mich Stella nun aufmerksam machte. Zu einem anderen Zeitpunkt meines Lebens wären mir just einige spitzfindige Ideen gekommen, wie ich mir all den Reichtum zu eigen machen würde, nunmehr jedoch konnte ich der bloßen Münze keine wirkliche Befriedigung mehr abgewinnen. Es war nicht der Reichtum, sondern die Macht und die Möglichkeiten, die mir Befriedigung verschafften. Und so wandte sich mein Blick auch zügig wieder von der Goldtruhe im Atrium hin zur Hausherrin, um sodann das Leidklagen der Tiberia über mich ergehen zu lassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Carpinatius indes blickte im Hintergrund bedrückt und beschämt gen Boden ob der Verzweiflung, die sich im verwelkten Garten breit machte, was mir natürlich verborgen blieb. Ich ertrug den Moment der Stille, nachdem sie sich über ihr Schicksal ausgelassen hatte, und ebenso ihre Entschuldigung mit teilnahmsloser Zurückhaltung und griff erst ihre Zustimmung zu meinem Vorschlag wieder in sachlich-höfischer Manier auf. "Ausgezeichnet. Dann sind wir uns ja einig geworden", erklärte ich und goutierte meine Worte mit einem schelmischen Grinsen, als hätte ich gerade eine schöne Tunika günstig auf den Märkten ergaunert. "Ich werde alles in die Wege leiten und die zuständigen Stellen anweisen, hinsichtlich der Organisation der Beerdigung mit dir in Kontakt zu bleiben. Ich nehme an, du empfängst hier bis auf weiteres noch deine Post?" Beim Zustand der Villa und auch ihrer Hausherrin war es wohl ratsam, vorerst bei einem der vermeintlichen Freunde der Familie unterzukommen. Aber ich hatte genug Ratschläge für heute erteilt und wollte nicht länger als notwendig in dieser verwaisten Gedenkstätte verweilen. "Gibt es noch etwas, dass du mir bei dieser Gelegenheit mitteilen möchtest?", fragte ich sodann, der Tiberia offen lassend, was sie dieser höfischen Höflichkeit entgegenhielt. Für mich war die Causa geschlossen, hatte ich doch nicht nur meine Pflicht getan, sondern vor allem auch Erkenntnisse über die vermeintlich letzte Hoffnung der Gens Tiberia gesammelt.

  • Es war eine Niederlage. Dieser Moment fühlte sich schwer an. Stella konnte nicht glauben, dass sie ihre eigene Position so schnell aufgegeben hatte. In einer anderen Zeit, hätte sie auf dieser Forderung bestanden und diese auch durchgesetzt. Doch nun war hier nichts mehr. Manchmal hatte sie geglaubt, dass es besser war, allein zu kämpfen und nicht enttäuscht zu werden aber nun begriff sie langsam aber beständig, dass sie allein nicht so stark war, wie selbst glauben wollte. Eigentlich wollte sie garnicht alleine kämpfen. Ihr lag der Konflikt nicht. Stella liebte Harmonie und ein friedliches Zusammensein. Dieser Moment war eine von vielen persönlichen Höllen für die junge Frau. Jetzt grinste dieser Mann auch noch schelmisch. Dieser furchtbare Grinsen brannte sich in ihre Augen, so dass sie hektisch diese zusammenkniff, um diesem Anblick für einen Augenblick zu entgehen. Es tat weh, dass solche Männer in Rom zu Macht gekommen waren und nun für den Kaiser sprechen konnten, der nicht minder bösartig war. Sie verkleideten sich nur alle in Würde und Glanz. Wenigstens verbarg dieser Fabius seine Persönlichkeit vor ihr nicht mehr. Eine weitere Person für ihre Liste. Stella kämpfte inzwischen nicht mehr mit dem Moment, sondern viel mehr mit sich selbst. Es kostete sie Kraft, überhaupt weiter mit diesem Mann zu sprechen. Seine Worte hatten inzwischen eine böse und dunkle Farbe angenommen, so dass jedes Wort weiterhin eine gefährliche Waffe war. "Ich diene nur meinem Haus," meinte Stella und machte eine demütige Geste mit ihrer Hand, indem sie diese nach Außen wandte und die andere Hand in diese legte. Eine römische Verbundenheitsgeste. Das hatte sie gelernt. Römer liebten Symbole und Gesten. Jede Handlung hatte auch ihr eigene Geste. Im Schatten hinter dem Beamten meinte sie eine Person ausgemacht zu haben, die schnell vorbei huschte. Dessen Präsenz erahnte sie bereits. Es war Pluto, der stetige unerwünschte Gast. Ein Gast, der sich stets selbst einlud und nicht lange blieb. Ja, es war in ihren Augen, der Gott des Todes, welcher sie stets beobachtete. Oder war es der Geist ihres Vaters? Realitäten veränderten sich schnell und Geister gaben Stella ein Zuhause. Sie sah keinen Grund darin, die Ahnen und ihre Geister zu fürchten, denn alles auf dieser Welt, würde irgendwann zu ihnen gehen. Es gab ihr sogar ein Gefühl von Schutz, wenn sie diese Erscheinungen sah, die vielleicht auch nur aus Verzweifelung und Trauer geboren waren. Sie wollte sie sehen. Und genau diese Entscheidung gab ihr den Mut, jetzt weiter zu machen und nicht einfach vor einem Büttel zu kapitulieren. "Wir bleiben in Kontakt. Ja, ich empfange von nun an Post in diesem Haus. Die domus wird wieder hergestellt werden," entschied sie, obwohl es noch an vielem fehlte und vorallem an Personal aber das konnte man ändern. Irgendwie würde sie dieses Haus schon wieder aufstellen und mit Leben füllen. Stella würde nicht aufgeben und die Ahnen verpflichteten sie dazu, dass zumindest eine Zeit lang, ein wenig Leben einzog. Die Geister der Vergangenheit waren sonst genauso einsam, wie sie es war. "Ja, ich möchte dir noch etwas mitteilen," sagte sie fast leise. "Der Kaiser soll einen passenden Termin für die Prozession und Bestattung festlegen, da ich seine Person nicht unpassend einspannen möchte. Er ist viel beschäftigt und wenn er einen Termin festlegt, können wir mit diesem Termin planen und Einladungen versenden," sagte sie in normaler Tonlage, wobei ihre alltägliche und fast harmonisch-liebliche Stimme zum Vorschein gab, die wenig Arroganz besaß. Ihr war es nun egal, denn der Zorn war verraucht, die Wut verblasst und es blieb nur dieses leere Gefühl. "Ich muss etwas wissen," formulierte sie und blickte mit festem aber sanftmütigen Blick zum Beamten, in der Hoffnung, doch noch etwas Herz zu finden. "Hast du etwas von meinem Bruder Marcus Tiberius Coriolanus gehört?" Der Fabius war der a memoria. Er war der Erinnerungshelfer des Imperators und es war durchaus möglich, dass er etwas wusste, was der Kaiser ihr selbst nicht verraten hatte. Vielleicht, mit etwas Glück, konnte sie ihm dies entlocken. Auch wenn Stella bereits fürchtete, dass ihr Bruder genauso tot war, wie alle anderen. Aber die Unwissenheit, dieses Nicht-Wissen, tat ihr mehr weh. Über Jahre hatte sie sich damit getröstet, ihn bald wieder zu sehen aber dieser Moment war nie gekommen. Auch ein Tod würde schmerzen aber diese Taubheit beseitigen. "Er gilt als verschollen und ich habe seit Jahren nichts von ihm gehört, so dass ich leider annehmen muss, die letzte Tiberia zu sein und hier in Rom weiß auch niemand etwas von ihm. Ich muss annehmen, dass er tot ist aber ich möchte Klarheit...," sagte sie und hoffte inständig auf ein wenig Herz in diesem kalten Menschen. Doch Stella wusste, dass diese Hoffnung vielleicht vergebens war. Selbst wenn er es wusste, bestand die Gefahr, dass er es aus Heimtücke oder Selbstnutz für sich behielt, nur damit Stella es nicht erfuhr. Es tat weh, dass sie wieder in ihrem Stammhaus, ihrem Heim lebte, aber allein war. Sie war so nah an ihren Wünschen gewesen aber doch nun waren sie wieder in weite Ferne gerückt. Dabei wünschte sie sich doch nur eine Familie. "Der Kaiser sprach nicht über ihn," fügte sie an und es wurde ihr sofort wieder bewusst, dass auch dieser Beamte vor ihr, nicht besser als dieser Kaiser war. Es war ein Fehler diese Frage überhaupt zu stellen. Vieles war in dieser Stadt ein Fehler aber Stella lernte langsam dazu.


    Sim-Off:

    Ich hoffe, dass es okay, wenn ich Coriolanus einbaue, da er nun da ist und wir ihn irgendwie verwerten sollten. ^^

  • "Die Administratio wird sich um einen Termin kümmern und ihn dir mitteilen", meinte ich beiläufig. Natürlich würde sich der Kaiser nicht höchstselbst mit diesen Nichtigkeiten befassen, wie die Tiberia offensichtlich annahm, jedoch war ich es leid das Mädchen zu belehren. Ich hatte mich bereits lange genug mit ihr beschäftigt und nun, da ich keinen Nutzen mehr darin sah, meine kostbare Zeit für sie aufzuwenden, auch bereit dieses einsame Nest hinter mir zu lassen. Als meine Gedanken sich bereits gen Ausgang richteten, nahm das Gespräch aber eine neuerliche, unvorhergesehene Wendung. Nun berichtete sie mir über einen Bruder, der genauso wie ihr Vater als verschollen galt. Die Inkongruenz der Aussagen der Tiberia bereitete mir allmählich Kopfschmerzen - nicht, weil ich um sie besorgt war, sondern vielmehr, weil sie mir mit ihrem wirren Gerede die Zeit raubte. Zuerst war da die Villa, die sie abtragen und nun wieder herstellen wollte. Und jetzt erzählte sie mir von einem verschollenen Bruder? "Aha", entgegnete ich in skeptischen Tonfall und suchte in ihren Augen angestrengt nach einer Antwort auf die einzige Frage, die mir noch ungeklärt schien: Hatte sich womöglich die Saat der geistigen Verwirrung in diesem Mädchen breit gemacht? Nach all den Widersprüchen konnte ich ihren Worten kaum vollends Glauben schenken. Dennoch, wenn dieser Bruder tatsächlich existierte, konnte ich ihn womöglich aufspüren. Nicht, um die Tiberia zu beglücken, denn von ihr hatte ich nichts zu erwarten, außer schwülstige Worte. Vielleicht aber war der Tiberius als vermeintlich einziger Sohn des Hauses daran interessiert zu erfahren, was seine Schwester hier in Rom trieb. Recht eng konnte das Verhältnis der beiden ja nicht sein, wenn er, so er denn lebte und tatsächlich existierte, nicht um ihr Wohl besorgt war. Vor Stella wollte ich meine Absichten aber nicht preisgeben, deshalb warf ich ihr einen abschätzigen Blick zu und winkte mit einer Handgeste ab. "Was schert mich dein verschollener Bruder?" Vielleicht mehr als sie denken würde. Aber das war mein Geheimnis. "Wenn du nichts von ihm gehört hast, ist er wohl tot", verlieh ich meiner gespielten Gleichgültigkeit nochmals Nachdruck, obwohl ich vor meinem geistigen Auge bereits die Möglichkeiten einer Verwertung dieser Information für mich auslotete. "Carpinatius, wir gehen", informierte ich meinen Schreiberling und wandte mich dann nur noch kurz zur Tiberia und auch nicht mehr mit jenem höfischen Anstand, den ich sonst allen anderen Damen von solch hoher Geburt und Abstammung entgegenbrachte. "Vale, Tiberia", verabschiedete ich mich und verließ die Villa genauso zielstrebig wie ich eingetreten war.

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