Gespräch zweier Steine - Viridomarus & Satibarzanes

  • Satibarzanes, der den Großteil seines Lebens damit zugebracht hatte, anderen Menschen eine angenehme Zeit zu machen, ohne Rücksicht auf sein eigenes Wohl, genoss es, nun einmal selbst umsorgt zu werden. Die angenehme Stimme von Viridomarus plätscherte dazu wie das Murmeln eines Baches.


    "Berichte mir von Mesembria", bat Satibarzanes, der durch einen kleinen Spalt seiner Lider erfreut feststellte, dass Viridomarus die erste Strähne zur Hand nahm, um die verkokelte Mähne zu verlängern. "Wie lebt man dort, wie sieht es da aus? Und erzähle mir von deinen Eltern und deinen Brüdern. Wie habt ihr gelebt?"


    Da Satibarzanes als Waise aufgewachsen war, obwohl weder Mutter noch Vater tot waren, hörte er gern, wie es war, eine Familie zu besitzen. Er konnte dieses Leben nicht nachfühlen, es blieb ihm fremd, aber er ließ sich diese Geschichten erzählen wie fantasiereiche Fabeln, die man gern hörte, obgleich man wusste, dass es weder Monster noch Helden gab und erst Recht keine Liebe. Es gab nur Dreck und Verrat und zwischendurch, hin und wieder, einen Traum, der alsbald wieder verging.

  • "Mesembria ist eine uralte Stadt die am Meer Pontus Euxinus liegt. Mesembria liegt zudem an der Küstenstraße Via Pontica und nicht weit entfernt vom Haemus Gebirge, auf thrakisch Haimos. Man sagt Mesembria wurde von den Griechen gegründet, angefangen hat alles auf einer kleinen Halbinsel. Aber so stimmt die Geschichte nicht. Ursprünglich war Mesembria eine thrakische Siedlung die einst von den Griechen und später von den Römern eingenommen wurde.


    Der Ortskern Mesembrias befindet sich auf einer kleinen Halbinsel. Die bewegte, uralte Geschichte hat tiefe Spuren im Stadtbild hinterlassen. Die alte Festungsmauer, die kopfsteingepflasterten schmalen Gassen und die altertümlichen Häuser sind Zeitzeugen unserer Vergangenheit.


    Mesembria hat viel zu bieten und zählt zu einer der schönsten Orte Thrakiens. Mesembria ist ebenso die Stadt der zwei Häfen, denn sie verfügt über zwei Häfen. Der Nördliche ist der größere der beiden, von dort aus hast Du einen wunderschönen Blick auf die Stadt.


    Der zweite Hafen ist wesentlich kleiner und von hier aus wird weniger angelandet als gefischt. Am Hafen findest Du auch einige Tabernas, dort kannst Du bei fangfrischem Fisch die Aussicht auf den kleinen Hafen genießen.


    Mesembria hat zwei Strände, genau wie es zwei Häfen hat. Sie setzten sich aus Steinen und angespülten Muscheln zusammen. Von der Insel entfernt, also am Festland gelegen findest Du einen wunderschönen langen Sandstrand.


    Die bergige Region rund um Mesembria ist geradezu prädestiniert für den Bau von Festungen und Schutzwällen, welche die Küstenstraße Via Pontica und die Region vor Eindringlingen aus dem Norden schützen sollen. Neben der Stadtbefestigung findest Du unzählige Festungen, Wach- und Schutztürme sowie Erdwälle.


    In Mesembria lebt man vom Fischfang, der Schafzucht und vom Handel Sati.


    Schutzgott Mesembrias ist Apollon, der Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs. Außerdem ist er Gott der Heilkunst und der Bogenschützen.


    Mesembria war einst Teil Thrakiens nun gehört es zu Rom. Die Thraker sind ein sehr großes Volk, wir unterteilen uns in verschiedene Stämme. Wusstest Du, dass man munkelt, die Griechen würden von uns Thrakern abstammen? Ihre hohe Kultur ist gar nicht rein griechisch, sondern im Grunde thrakisch. Denn die Griechen sind unsere Nachfahren, wie gesagt so heißt es.


    Wusstest Du, dass die Griechen Dionysos, der Gott des Weines, als thrakisch bezeichnen? Singen, Tanzen, Instrumentalmusik und Lyrik gelten als Fähigkeiten der Thraker. Den Römern ist Dionysos als Bacchus bekannt. Das man uns Thraker für ein Volk hält, das zu feiern weiß und alles Schöne liebt, halte ich nicht für einen Makel. Im Gegenteil. Ich selbst bin dem Schöngeistigen sehr zugetan. Alles was das Leben lebenswert macht, sollte man anstreben.


    Thrakien ist zudem die Heimat schneller Rösser, Mutter der Schafe, Lanzenträger und Streitwagenkämpfer und der Rosen. So heißt es und ich kann es Dir bestätigen. Auch wird uns eine Vorliebe für Schmuck nachgesagt, was eindeutig der Wahrheit entspricht, wenn ich mich selbst als Beispiel heranziehen darf.


    Meine Familie, sprich mein Vater Archedemus und meine Brüder Xenagoras und Hermeias sind ebenfalls Händler so wie ich. Meine Mutter Mariamne kümmert sich um das Wohl von uns allen. Meine Brüder sind selbst schon verheiratet und haben Kinder. Ich trödele etwas nach, jedenfalls was die Kinder angeht. Und die Frau naja, ich glaube die behalte ich auch nicht ewig.


    Vielleicht wenn ich eines Tages meine alte Heimat besuche, nehme ich Dich mit. Das heißt, wenn Du mich begleiten möchtest. Du hast noch nicht viel von der Welt gesehen oder? So hättest Du die Chance ein bisschen was kennenzulernen. Aber bis dahin fließt noch viel Wasser den Tiber herab mein Bester. Ein bisschen was muss ich noch schaffen, bevor ich wieder losziehe um neue Waren zu ordern", erzählte Viri gemütlich vor sich hin, während er Strähne um Strähne einnähte und das mit erstaunlich flinken Fingern.

  • "Der Schutzgott von Mesembria ist Apollon, der Gott der sittlichen Reinheit und Mäßigung?", wiederholte Satibarzanes ungläubig. "Kein Wunder, dass du ausgewandert bist."


    Satibarzanes, der nie irgendwelche Erziehung genossen hatte, fand moralisches Gerede suspekt. Für ihn hatte zeit seines Lebens das Gesetz der Straße gegolten. Was sollte ein Sittengott nützen? Wem? Und wie?


    "Dass du mich mitnehmen willst, ist freundlich, aber ich glaube, du blamierst dich mit mir. Ich kenne so ein feines Leben nicht. Außerdem weiß ich nicht, ob ich in der Casa Leonis bleiben darf. Wenn ja, dann kann es sein, dass die Hausherren mich nicht gehen lassen. Und wenn nicht, muss ich auf die Straße zurück, dann sehen wir uns vermutlich nicht wieder."


    Abgesehen davon hielt er das Angebot nur für eine freundliche Floskel, denn was sollte Viridomarus mit einem Barbaren im Gepäck, der nichts konnte, was nicht jeder Edelsklave dieses reichen Mannes hundert Mal besser würde erledigen können? Die Welt brauchte ihn nicht, am allerwenigsten brauchte ihn ein feiner Herr wie Viridomarus. Dass Satibarzanes die Stadt gern besucht hätte, spielte keine Rolle, wenn der Traum unerfüllbar war. Als Viridomarus von seiner Frau sprach, zuckte Satibarzanes mit den Schultern. So gern er hörte, wie es sich in einer Familie lebte, so fremdartig und bizarr erschien ihm das Ganze.


    "Ich wüsste nicht, wozu eine Heirat gut sein sollte. Alles, was man dadurch bekommt, kann man auch einfacher haben. Besonders, wenn man reich ist. Rom ist voll von schlechten Ehemännern und frustrierten Ehefrauen. Da muss man nicht noch mehr Schlechtes in die Welt bringen."


    Oft genug hatte ein Betrunkener Satibarzanes sein Leid geklagt und glückliche Ehemänner kannte er keine, denn die kamen nicht ins Lupanar, weshalb er davon ausging, dass sie nicht existierten. Und auf der Straße hielten Beziehungen nicht lange, oft endeten Auseinandersetzungen blutig. Satibarzanes wusste, wovon er sprach, er hatte all das erlebt. Satibarzanes war trotz seiner Unsicherheit weit davon entfernt, sich schutzsuchend an andere Leute zu klammern, denn wenn es hart auf hart kam, war man allein. Satibarzanes hatte die Augen wieder offen und schaute sich unruhig um.


    "Ich weiß nicht, ob man mich sucht", sagte er leise, "weil ich weggelaufen bin."


    Und wenn die Nacht hereinbrach, war Viridomarus fort, aber Terpander noch im Haus. Drinnen wie draußen war die Nacht voller Gefahr.

  • "Sati Du bist der Erste der mich versteht, ohne dass ich ihm das Problem erläutern muss. Ich habe beruflich zwei Hauptgottheiten, aber der Gott meines Herzens ist Bacchus. Und glaube mir, nicht alle Thraker benötigen sittliche Reinheit. Dies ist ehr was für alte Frauen, die keine Verhütung kennen oder niemals Freude am Akt empfinden konnten. Oder Männer die sich auf ihrer Sittlichkeit ausruhen, da sie keine Frauen abbekommen haben und weshalb auch immer nicht ins Lupanar gehen. Wobei mein Lieber, gerade jene die ihre Moral so hoch halten, treiben es hinter verschlossenen Türen wilder und hemmungsloser als die Tiere.


    Niemand sollte sich selbst die Freuden versagen, die die Götter uns schenken. Sei unbesorgt, meine Heimat hat mehr zu bieten. Aber leider auch nicht derart viel, dass sie mich halten könnte. Sollte ich dorthin reisen, werde ich Dir meine Famie vorstellen und Dir ein Stück Thrakiens zeigen. Auch die Thraker wissen zu feiern.


    Was die Ehe anbelangt kann ich nur sagen, die wenigsten suchen Erfüllung in der Ehe. Meist geht es um den Verbund zweier Familien zu ihren Vorteil. Es geht dabei um Geld, Macht, Namen, Ansehen und Stand. Zuneigung und Liebe findet man selten in Ehen. Respekt wohl ehr. Das was beiden fehlt, suchen sie sich ausser Haus. Wobei der Mann es da leichter hat und die Frau oft das Nachsehen. So ist es Sitte in Rom, aber das heißt nicht, dass es keine Ehe samt Zuneigung und vielleicht sogar Liebe gibt. Meine jetzige Ehe wurde auch als Zweckehe geschlossen. Aber wie gesagt, ich plane gerade um. Dazu später mehr, wenn ich selbst mehr weiß Sati.


    Wer bitte sollte Dich verfolgen? Was ist geschehen? Wo oder wem bist Du weggelaufen?", fragte Viridomarus besorgt.

  • "Bündnisse kann man auch mit Verträgen schließen, jemanden bestechen oder sich adoptieren lassen. Manche Leute verkaufen sogar Adoptionen."


    Was er genau so unsinnig fand wie eine Heirat, aber danach musste man wenigstens nicht im selben Haus wohnen und Zuneigung heucheln, sondern hatte nur einen neuen Namen, zumindest stellte er sich das so vor. Zu der Behauptung, es gäbe Zuneigung und Liebe, sagte er nichts, weil ihm bewusst war, dass seine Begrifflichkeiten da nicht mit denen anderer Leute übereinstimmten. Wenn Liebe das war, was er so alles unter diesem Wort erlebt hatte, fragte er sich, wo der Unterschied zu Abneigung war. Leute, die sich liebten, stritten mehr als Leute, die es nicht taten. Leute, die ihr Herz an jemanden verloren hatten, behandelten denjenigen schlimmer als seinen ärgsten Feind. Er hatte erlebt, dass ein Freier eine Lupa erwürgt hatte, weil er sie liebte und eben diese Lupa hatte zuvor jedes Jahr ihr geliebtes Baby erwürgt und dann zu den anderen Kindern in die Latrine geworfen und das im Vollrausch jedem unter Tränen mitgeteilt, der es nicht hören wollte - auch Satibarzanes, der dann den nächsten Liebesschwur abbekam, weil er so einfühlsam und ein guter Zuhörer wäre, ganz anders als die anderen Männer. Am nächsten Tag kannte sie nicht einmal seinen Namen. Vermutlich war es Satibarzanes, mit dem etwas nicht stimmte, weil er diese Dinge nicht im Mindesten verstand. Er konnte sie nur verwundert zur Kenntnis nehmen. Wobei Viridomarus ihm da noch verhältnismäßig logisch erschien, er sprach von einer Zweckehe und nicht von Liebe, auch wenn der Zweck für Satibarzanes verschlossen blieb.


    "Hast du schon mal jemanden geliebt? Es ist freundlich, dass du mich nach Thrakien mitnehmen wirst", sagte Satibarzanes, ohne daran zu glauben, dass Viridomarus es ernst meinte. "Ich freue mich darauf." Ja, Thrakien würde ihm gefallen, könnte er jemals dorthin gelangen, denn die Thraker waren den Eraviskern recht nah. "Und Persien oder Parthen oder wie das heißt würde ich auch gern mal sehen." In seiner Vorstellung lag das ganz in der Nähe von Thrakien. Er legte den Kopf etwas in den Nacken und schaute nach oben zu Viridomarus, der an seinen Haaren arbeitete.


    "Haben sie dir das nicht gesagt? Ich bin ... war ... ein Lupo." Mit 23 war er für diesen Beruf steinalt und sein Übergewicht und seine Körperbehaarung passten auch nicht in das Bild, das man gemeinhin von dieser Berufsgruppe hatte. Genau darauf legte er es ja auch an. "Ich bin aus dem Ganymed weggelaufen, falls du das kennst. Ich glaube nicht, dass Kyriakos das gut findet."

  • "Diese Bündnisse, die Ehebündnisse sind mehr als einfache Verträge Sati. Sie beziehen das Leben der Nachfahren mit ein. Ob das gut oder schlecht für den Einzelnen ist, interessiert einen Römer nicht. Es zählt die Familie, deren Stand und deren Macht. Es ist ein festes Gefüge, wo sich jeder auf den anderen verlassen können sollte. Ob man dazu Zuneigung braucht oder einfach nur ein gemeinsames Ziel? Vielleicht wäre beides nicht schlecht.


    Bei Kindern ist eine Adoption gar nicht schlecht, man sieht was man bekommt. Bei einem selbst gezeugten Kind, ist das immer ein bisschen Glücksspiel. Welche Eigenschaften wird es erben? Man selbst vererbt ja nicht nur gute Eigenschaften", antwortete Viri und dachte gut über die Frage der Liebe nach.


    "Geliebt? Wenn sich diese Liebe nicht auf reine Zuneigung bezieht, sondern begehrende Liebe gemeint ist, dann lautet meine Antwort nein. Entweder habe ich jemanden geliebt oder begehrt. Also eine Partnerschaftliche Liebe habe ich noch nie empfunden. Das hat aber nicht die Freude geschmälert, die ich mit der Person genossen habe.


    Es ist nicht freundlich, dass ich Dich nach Thrakien mitnehmen würde Sati, sondern Eigennutz ist auch dahinter. Ich hätte einen unterhaltsamen Begleiter, der meine Meinung teilt. Die Geschäfte, der Hafen, die Strände, all das würde Dir ganz gewiss gefallen. Alles andere blenden wir aus, oder besuchen es erst gar nicht.


    Persien oder Parthen? Persien ist die Heimat von wunderschönen Pferden sagt man. Mich würden dort die Pflanzen, Öle und anderen Duftzutaten interessieren. Es wäre eine Reise wert.


    Nein man hat mir nicht gesagt, dass Du ein Lupo gewesen bist. Das spielt für mich auch keine Rolle. Was gewesen ist, ist vorbei. Und macht Dich dieser Beruf zu einem schlechteren oder besseren Menschen? Du bist Du Satibarzanes, lass Dir nichts anderes einreden. Was Du in Deinem ehemaligen Beruf vermutlich durchgemacht hast, hätte keiner der edlen Herren auch nur einen Tag ertragen, die es wagen über Dich die Nase zu rümpfen.


    Was der Mensch alles tut und erträgt um zu überleben Sati, dass ist kaum vorstellbar. Das Leben bettet nicht jeden auf Rosenblüten, für die meisten gibt es nur die Stacheln.


    Wundere Dich nicht, Rosen haben Stacheln, Du kannst sie abknipsen. Tatsächliche Dornen stammen direkt aus dem Holz der Pflanze. Eine kleine Wissensanekdote für Dich nebenbei.


    Überlege ich es so, dann hast Du vermutlich mehr Menschenkenntnis als ein anderer. Du siehst hinter die Masken, die hässlichen Fratzen die sich hinter dem hochmütigen Gebaren verstecken. Und für die Zeit, wo Du diese Personen bedienen musst, sind sie nett, zugetan. Kaum haben sie erhalten was sie wollten, setzen sie die Maske wieder auf und würden Dich auf der Straße nicht erkennen. Diese Blöße würden sie sich niemals geben. Aber ist das nicht die wirkliche Blöße?


    Das aus meinem Mund nicht wahr? Du könntest sagen, ein Argument von dem Mann der Masken verkauft? Aber nein, ich maskiere niemanden, ich nutzte das, was schon da ist und versuche die Person selbst strahlen zu lassen.


    Du bist also aus dem Ganymed weggelaufen und Kyriakos findet das nicht gut. Wer mein Lieber ist Kyriakos? Du bist ein freier Mann, vergiss das bitte nicht. Schuldest Du ihm etwas? Hat er Dich mit Schulden an der Hand? Berichte und ich überlege mir, wie ich Dir helfen kann. Manchmal hilft schon ein Sechs-Augen-Gespräch", lächelte Viri.

  • "Ich meinte doch nicht, dass du Kinder adoptieren sollst", erklärte Satibarzanes, dessen Blick durch halbgeschlossene Lider auf der Tür ruhte. Er hatte das Gefühl, jeden Moment würde sie sich öffnen und die Zwillinge stünden darin. "Manche Römer lassen sich als Erwachsene adoptieren, um Teil einer einflussreichen Familie zu werden. Das geht. Dann spart man sich die Hochzeit und hat trotzdem das Bündnis."


    Er fand seine Variante unkomplizierter und weniger fehleranfällig. Als Viridomarus klarstellte, er würde ihn keineswegs aus Freundlichkeit mit auf die Reise nehmen, sondern aus Eigennutz, lächelte Satibarzanes. Über die unverblümte Ehrlichkeit freute er sich.


    "Danke, dass du mich nicht belügst. Parthien, meinte ich, ich hatte mich versprochen. Ich weiß fast nichts über Persien und Parthien, leider. Aber ich würde gern einmal dorthin, um zu spüren, ob ich dort mehr zu Hause bin als hier. So etwas weiß man nicht, bevor man nicht dort war. Wir könnten erst nach Thrakien reisen, die Rosen anschauen und dann weiter nach Parthien oder Persien. Hast du eine Landkarte? Ich habe noch nie eine gesehen."


    Einen Moment lang vergaß er die Bedrohung von draußen, als sie so plauderten und ihm sanft das Haar gemacht wurde, doch als draußen ein Hund anschlug, war die Angst wieder da.


    "Kyriakos ist der Besitzer des Ganymed. Ich habe für ihn gearbeitet. Aber wir kennen uns schon länger. In Aquincum haben wir eine zeitlang Familie gespielt. Nach all den Jahren und was wir zusammen erlebt haben, habe ich ihn am Ende doch sitzen lassen. Es kann sein, dass er mir das krumm nimmt."


    Er blickte kurz nach oben zu Viridomarus und dann wieder zur Tür.

  • "Man kann sich selbst adoptieren lassen? Auch in meinem Alter? Das ist eine interessante Möglichkeit, die ich überdenken muss. Was weißt Du genaues darüber? Nicht alle Sitten Roms sind mir geläufig, obwohl ich schon länger hier lebe. Manches bleibt einem dann doch verschlossen.


    Warum sollte ich Dich belügen? Für eine Lüge oder ein Betrug muss ein guter Grund vorliegen. Und selbst bei dem besten Geschäft ist Betrug niemals angesagt Sati. Bedenke eines, betrügen kannst Du einen Kunden einmal. Aber ein zufriedener Kunde kehrt stets wieder. Also was hättest Du von einem Betrug?


    Das heißt natürlich nicht, dass Du als Geschäftsmann weich wie Puls sein solltest. Gewisse Härte und Biss gehört zum Leben dazu. Wer seine Wünsche nicht durchsetzt, bekommt sie nicht erfüllt. Und in der Welt ist es nun einmal so, wer am lautesten schreit, findet zuerst Gehör. Manche Dinge hingegen, darf niemand hören, aber sie müssen geschehen.


    Ebenso muss ich Dich nicht bei der Reise belügen. Ich bin keiner dieser christlichen Wohltäter der grundlos alles verschenkt. Aber ich bin auch kein Geizkragen, der sich an jede Münze klammert. Geld muss man haben, dass ist korrekt. Aber was hat man von seinem Geld, wenn man keines ausgibt? Man muss sich selbst auch etwas gönnen, denn sonst kann man sich das mit dem Geldverdienen auch sparen. Das Leben muss lebenswert sein, es muss vergnüglich sein und Freude schenken. Und damit es so ist, benötigst Du Geld.


    Eine einfache Formel, die doch in der Realität sehr schwer umzusetzen ist. Du musste Dich von Deiner Konkurrenz abheben, eine Sonderstellung einnehmen und Du wie auch Deine Waren müssen für Dich sprechen.


    Die Reise wäre zur Unterhaltung und zum Genuss. Und was ist schlimmer als eine Reise, wo man seine Erlebnisse nicht mit jemanden teilen kann? Abends bei einem guten Glas Wein und einer köstlichen Mahlzeit die Erlebnisse des Tages nochmal an dem geistigen Auge vorbeiziehen lassen und darüber zu sprechen. Das ist ein Vorteil für uns beide, ich habe eine Begleitung samt Unterhaltung, Du bekommst die Reise.


    Da gibt es nichts zu lügen, denn würde ich Dir die Reise ganz uneigennützig schenken, würdest Du alleine reisen und wo bliebe da ich?", fragte Viri lachend.


    "Eine Landkarte? Nein eine Karte von Parthien oder Persien besitze ich leider nicht. Aber wir könnten uns eine in einer Handlung anschauen. Ob wir sie lesen können? Nun der Verkäufer wird uns schon behilflich sein. Falls wir ganz wonanders ankommen, war es der Wille der Götter oder die Unfähigkeit des Kartenzeichners", grübelte Viridomarus.


    Als Satibarzanes von dem Lupanar Ganymed und dessen Besitzer sprach, hörte Viridomarus ihm aufmerksam zu.


    "Du verkennst die Situation Sati. Du hast all die Jahre dieses Lupanar durch den Verkauf Deines Körpers am Leben erhalten. Lust zu befriedigen ohne selbst welche dabei zu empfinden, ist ein knallhartes Geschäft. Du hast Dich selbst verkauft Satibarzanes und vermutlich dabei mehr verloren, als nur bestimmte Säfte die Deinen Körper verließen. So manch einer bleibt dabei auf der Strecke, aber Du hast es hierher geschafft.


    Sollte dieser Kyriakos nur einen Funken Anstand im Leib haben, wird er Dich ziehen lassen. Du bist ein freier Mann und Du entscheidest selbst wo und als was Du arbeitest. Deine Entscheidung war, dass die Zeit im Lupanar vorbei ist. Nun wie ich hörte ist es doch auch abgebrannt. Was erwartet der Mann dann von Dir? Dass Du an einer Familie festhältst, die es nie gegeben hat?


    Wie Ihr zueinander gestanden habt, musst Du mir nicht erklären. Allein dass Du die Rache dieses Mannes fürchtest, sagt mir dass die Familie eine Lüge war. Er hat Dich verkauft und damit seinen Lebensunterhalt verdient. Das ist weder von ihm noch von Dir etwas Verwerfliches, solange beide mit offenen Karten spielen und jeder weiß woran er ist.


    Sollte er Dir krumm nehmen, dass Du gegangen bist Sati, dann wirst Du ihm krumm nehmen, dass er Dich verfolgt.


    Jener Mann sollte sich überlegen, ob er sich mit Dir anlegt. Ich weiß wie man einen Mann tötet Satibarzanes. Dazu muss er nicht einmal sterben. Ich werde seinen Ruf und sein Ansehen derart ruinieren, toter kann dieser Mann dann nicht mehr sein. Er wird sich wünschen abtreten zu dürfen, aber dieses Vergnügen wird ihn nicht ereilen. Er wird in Schande existieren, da er nicht in Vernunft leben wollte.


    Allerdings gehen wir mal nicht gleich von dem Schlimmsten aus. Trifft es dennoch ein, werden wir uns auch dem Schlimmsten bedienen. Nun Kopf wieder hoch mein Guter, Deine Mähne ist fast fertig. Gleich geht es an die Perlen. Oh und halte die Ohren offen, wir müssen gleich los. Wir haben eine Verabredung mit Terpander und seinem Ritual. Ich glaube das wird heute noch ziemlich spannend", lächelte Viridomarus versonnen und nähte fleißig weiter.

  • "Mehr weiß ich über Adoption nicht! Nur was man so hört." Für solche Dinge würde Viridomarus jemanden fragen müssen, der gebildeter war. "Manche Leute lügen, weil es bequem ist", meinte Satibarzanes. "Wenn man nichts erklären will, sagt man einfach irgendwas. Dir habe ich zum Beispiel als Erstem gesagt, wie kompliziert meine Abstammung ist. Den anderen sage ich einfach: Ich bin Illyrer. Was gelogen ist. Falls sie wegen meinem Namen fragen, antworte ich: Ich bin halb Perser, halb Kelte. Was ja ungenau ist. Für die meisten Leute ist die Wahrheit Zeitverschwendung."


    Es war nicht so, dass sich viele Menschen für die Details des Lebens von Satibarzanes interessierten, weshalb er sie mit Scheinantworten abspeiste. Wenn jemand aufrichtig interessiert wirkte, gab er jedoch ehrliche Antworten. Er kratzte sich die Tunika über dem Bauch. Er musste sich noch daran gewöhnen, dass er nicht mehr Oberkörperfrei herumlief, der Stoff juckte an seinen Körperhaaren.


    "Meine Arbeit ist ... war gar nicht so schlimm. Außer wenn ich Kunden hatte, die mir mit Absicht weh getan hatten. Der eine wollte mich immer würgen, das war vielleicht ein Arsch. Ich weiß nicht, was Kyriakos noch von mir erwartet, wo das Ganymed abgebrannt ist. Aber ich weiß, was er sich erhofft. Er hätte gern, dass ich zurückkomme, auch wenn ich nutzlos bin. Wir haben fünf Jahre jeden Tag miteinander verbracht. Ich war immer für ihn und für seinen Sohn da, Tag und Nacht. Und nun bin ich weg. Ich fürchte seine Rache nicht. Weil er mir nichts tun wird, egal, wie sehr er meckert. Aber die Zwillinge, die er losschickt, um mich zu holen! Die fürchte ich!"


    Erneut legte Satibarzanes den Kopf in den Nacken um Viridomarus anzusehen. "Terpander will ein Ritual durchführen? Sind Flüche nicht verboten?"

  • Viridomarus fasste die Haare von Sati zusammen und zog ihm etwas den Kopf in den Nacken um ihn so anschauen zu können.


    "Manche Leute sind weder die Wahrheit noch Dein Vertrauen wert. Manchen hingegen habe ich ins Gesicht gelogen oder versäumt etwas zu sagen, wo es angebracht gewesen wäre. Dort die richtige Wahl zu treffen ist manchmal ein ein Balanceakt und gleich wie sehr man sich bemüht am Ende strauchelt man doch.


    Siehst Du Personen nur einmal, wozu solltest Du Dich da mit einer großen Erklärung belasten Sati? Oder schlimmer noch, weshalb solltest Du Fremden grundlos vertrauen? Das ist einer der schlimmsten Fehler den Du machen kannst. Er kostet Dich gewaltiges Lehrgeld. Du gehst die Sache schon richtig an.


    Ich erzähle Dir auch etwas. Früher vor ungefähr gut vier Jahren, hatte ich es privat mit der Wahrheit nicht so genau genommen. Ich habe mich bei jemanden als Römer ausgegeben und mich als Venox vorgestellt. Der Zufall führte uns zusammen, wir hatten eine sehr schöne, anregende und wundervolle Zeit und der Zufall beendete diese Freundschaft auch wieder.


    So dachte ich jedenfalls. Für mich war diese Freundschaft genau das, Freude die ich mit einer anderen Person die ich mochte teilte. Er war jünger, wir teilten die alltäglichen und die besonderen Freuden. Und wir teilten auch die Freuden im Bett.Wir lebten gemeinsam den Genuss des Lebens, wenn wir uns trafen. Ich brachte ihm alles bei, alles was mir wichtig war und was ich für lehrenswert hielt. Ich war sogar sein erster Bettgefährte und auch da unterrichtete ich ihn in Sachen Genuss und Leidenschaft.


    Gut zwei Jahre waren wir befreundet, dann lernte ich meine Frau kennen und ich hatte vor sie zu heiraten. Ihre Familie ist wohlhabend und man muss sehen wo man bleibt. Ich sagte ihm also, dass für ihn kein Platz mehr in meinem Leben ist.


    Selbstredend wollte ich es mir nicht mit der Frau verscherzen. Was nach der Hochzeit noch möglich wäre, hätte ich herausfinden müssen. Aber solange die Hochzeit nicht in trockenen Tüchern war, wollte ich keine Gefahr eingehen.


    Als ich ihm sagte, dass für ihn kein Platz mehr in meinem Leben ist und wir uns nicht mehr treffen, schaute er mich an als hätte ich ihn geschlagen. Erst da dämmerte mir, dass er es anders aufgefasst haben musste. Ich wollte ihm die Sache erklären, aber er schüttelte nur knapp den Kopf, drehte sich wortlos um und ich sah ihn nicht wieder.


    Das dieser junge Mann wirklich etwas ganz anderes in mir sah, war mir bis dato nicht bewusst. Erst als wir uns vor Kurzem wiedertrafen. Er hat mich geliebt Sati, seltsam aber er hat mich wohl geliebt.


    Manchmal ist es besser etwas zu verschweigen und manchmal sollte man auch das aussprechen, was scheinbar Dein Gegenüber zu wissen scheint. Denn es kann sein, es scheint tatsächlich nur so.


    Ihm hätte ich damals erklären müssen, worum es ging. Aber die erste Liebe ist wohl immer mit mehr Einbildung als Tatsachen verbunden. Sogar was mich betrifft, ganz so glorreich wie ich errscheine bin auch ich nicht", sagte Viri und drückte Sati kurz.


    "Die Zwillinge, die Häscher Deines ehemaligen Freundes. Wenn er klug ist, wird er selbst mit Dir sprechen. Alles weitere wäre nach Eurem engen Zusammenhalt gleichzusetzen mit Verrat. Er kann Dir keine gedungenen Meuchler auf den Hals hetzen, weil er Dich vermisst.


    Wo gibt es denn sowas?
    Außer in Rom.


    Richtig Terpander will ein Ritual durchführen. Wollen wir doch hoffen, dass es ein verbotenes Ritual ist, dann haben wir den Guten so richtig hart an den Eiern. Glaub mir, aus dem Löwen der Casa Leonis wird dann unsere persönliche Schmusekatze. Wenn der Kragen sitzt Sati, dann sitzt er. Wir müssen Terpander heute Nacht nur noch anleien. Und ich weiß schon wie wir den Titanen in die Knie zwingen", raunte Viri verschwörerisch.

  • "Oh, verstehe", sagte Satibarzanes, der, als sein Kopf ins Genick gezogen wurde, mit großen Augen zu Viridomarus hinaufsah. "Wer war dieser Mann? Liebe bringt nur Schmerz, so ist das bei allen. Dir tat die Trennung nicht weh, ihm Gefährten schon. Du warst der Klügere von euch und er hatte das Nachsehen. Am besten ist es, überhaupt nicht mit so etwas anzufangen. Genutzt hat Liebe noch niemandem, es gibt nichts, was man nicht auch ohne sie haben könnte. Eine Ehe, Kinder, Sex ... und was man halt sonst noch so haben will."


    Was auch immer das sein mochte. Wenn es um Liebe ging, war das für Satibarzanes, wie über eine Familie zu sprechen - er konnte sich nur auf Hörensagen berufen. Ihn hatte nie jemand geliebt und er liebte auch nicht zurück. Wenn er davon sprach, dass Kyriakos ihn mochte, machte er sich nicht die Illusion, das mit etwas Tieferem zu verwechseln.


    Terpander eins auszuwischen, das gefiel Satibarzanes allerdings. Warum Viridomarus Macht über den alten Mann hatte, wusste er nicht, aber er fand es lustig, wenn Terpander zitterte. "Terpander eine Schmusekatze", wiederholte er grinsend. "Und ich der Löwe. Was für ein merkwürdiger Gedanke. Was willst du mit ihm anstellen, wenn er dir aus der Hand frisst? Und kann ich meine Haare schon mal im Spiegel sehen?"

  • Viridomarus schaute sich um, als erwartete er jeden Moment einen Dolch im Rücken. Sein Blick wanderte zurück zu Sati und er schien zu überlegen, ob er sich dem jungen Mann anvertrauen sollte. Es war nur Recht, denn Sati hatte auch frei von seinen Sorgen und Nöten gesprochen. Und hätte er keine Nachfragen bezüglich dieser Geschichte gewünscht, so hätte er sie Satibarzanes nicht erzählen dürfen.


    Viri straffte sich etwas ehe er ein Wort flüsterte.
    "LURCO".


    "Man kann alles ohne Liebe haben Satibarzanes, da hast Du völlig Recht. Die Frage ist nur, möchte man das auch? Ich kann Dir die Frage nicht beantworten, da ich genauso empfinde wie Du. Ich war nie in eine andere Person verliebt. Begehren und Liebe haben nie bei mir zusammengefunden. Natürlich gibt es auch Personen die ich von Herzen mag, aber ob das tatsächlich Liebe ist? Ich glaube nicht.

    Auf der anderen Seite fragst Du schon zu Recht, muss es denn überhaupt Liebe sein? Kann man das Leben nicht einfach so genießen und annehmen was es einem bietet? Doch ich finde schon. Weshalb sollte man auf etwas verzichten, nur weil ein Bestandteil fehlt? Das wäre ja so, als würde man auf ein Bankett verzichten, nur weil der Gastgeber keine Kissen hat. Damit würde man sich mehr entgehen lassen, als das was eben zur Vollkommenheit fehlt.


    Vollkommen ist nichts im Leben Sati, es ist das was wir daraus machen, oder was wir bereit sind zu ertragen. Zu meinem jetzigen Leben und ein Leben voller Liebe habe ich zudem auch keinen Vergleich. Ich rede da wie ein Fisch vom Fliegen", antwortete Viri freundlich.


    "Glaube mir mit den richtigen Mitteln ziehst Du selbst Löwen die Krallen und für die Schmusekatze Terpander habe ich genau die richtige Medizin parat. Was ich mit ihm anstellen werde? Das was er ständig mit anderen macht, ich werde ihn wie einen dressierten Affen nach meiner Pfeife tanzen lassen. Dafür habe ich ihn schließlich gezähmt", grinste Viri verschwörerisch und zückte zwei Spiegel aus seiner Tasche. Einen drückte er Sati in die Hand, den anderen hielt er hinter dessen Kopf.


    "Schön oder sehr schön?", fragte Viri.


    Viridomarus hatte die Haare von Sati hinten bereits verlängert, die Zöpfe waren fest eingenäht und rund geflochten. So das selbst das Flechtwerk ebenfalls ein Hingucker war.

  • Satibarzanes ließ sich nicht anmerken, dass es ihn dieser Name überraschte. Die beiden passten doch überhaupt nicht zusammen. Der eine ein Lebemann, der andere ein Soldat. Der eine freiheitsliebend, der andere anhänglich.


    "Zum Glück bist du den los", meinte Satibarzanes. "Er ist zwar sehr nett, ich mag ihn, aber du und er - nein. Er würde dich nur stören mit seinem Geklette. Und ich glaube, auch Lurco kann froh sein, inzwischen nicht an den Falschen geraten zu sein. Er scheint jemand zu sein, der sehr viel gibt. Manche nutzen so etwas schamlos aus."


    Er überlegte, ob Scato nicht genau das tat. Zumindest machte der dünne Kerl es sich auf Lurcos Kosten ziemlich gemütlich in der Casa Leonis und ließ es sich fürstlich gut gehen. Alles, was Scato beisteuerte, war ein feindseliger alter Sklave, den er nicht einmal selbst gekauft hatte, während Lurco bereit war, sogar noch Satibarzanes einzustellen, damit Scatos heiliger Terpander auch keinen Finger zu viel krumm machen musste. Aber manche Dinge sprach man nicht aus. Es ging Satibarzanes nichts an, er war froh darüber, dass Lurco so war, wie er war. Allenfalls tat ihm der Mann irgendwo leid. Als Viridomarus mit zwei Spiegeln sein Werk präsentierte, lächelte Satibarzanes das erste Mal. Seine feisten Wangen traten hervor.


    "Das sieht wunderschön aus, Viri", flüsterte er. "Das ist kein Handwerk, das ist Kunst! Wie lange wird es noch dauern? Mir tut langsam der Rücken weh."

  • "Lurco ist ein ruhiger, lieber Kerl der Großzügigkeit mit Zuneigung verwechselt. Er selbst ist nicht geizig, sondern verwöhnt seine Lieben. Seine Art jemanden zu zeigen, dass er ihn mag. Manchmal quatscht er zuviel, sagt aber dabei nichts. Er klettet immer, da hast Du Recht. Da wo es wichtig ist und er mal was sagen sollte, sagt er auch nichts. Als ich ihm sagte dass wir uns nicht mehr treffen können, hatte ich mir ein paar Argumente überlegt, damit er meine Gründe nachvollziehen kann. Lurco wollte die Gründe nicht hören. Ich sagte ihm dass er keinen Platz mehr in meinem Leben hätte und er antwortete ruhig "verstanden" drehte sich um und ging davon. Meine Erläuterung wollte er nicht mehr hören.


    Irgendwann wird er mal explodieren, niemand kann alles runterschlucken oder zur Seite schieben gedanklich.


    Du hast es erfasst, er liebt die Nähe und ich liebe meine Freiheit. Ich bin ein offener Typ, er ist verschlossen. In meinen Augen hatten wir Spaß, in seinen eine Beziehung. Wir sind zu unterschiedlich als das es hätte klappen können.


    Danke für das Kompliment, dann trägst Du von mir ein Kunstwerk auf dem Kopf. Noch ein kleines bisschen Geduld, dann bist Du fertig. Wir können gerne kurz eine Pause einlegen", bot Viri an.

  • "Ich brauche keine Pause, ich jammer nur vor mich hin", sagte Satibarzanes, der in der Tat überdurchschnittlich viel zum Jammern neigte. Das war ihm antrainiert worden von einem Mann, der kleine Jungs gern tröstete. Von diesem Soldaten, seinen Freunden und anderen zweifelhaften Gestalten hatte Satibarzanes alles gelernt, was er heute war. Und von Kyriakos, der vielleicht der Einzige gewesen war, der es je gut mit ihm gemeint hatte. Das Resultat all dieser wirren Erziehung saß nun auf diesem Stuhl mit einer Lebensweisheit, die sein junges Alter Lügen strafte, während andere Dinge, die den meisten Menschen selbstverständlich erschienen, ihn überfordern wie ein Kleinkind.


    Satibarzanes suchte im Spiegel den Blick von Viridomarus. "Ist Lurco schon mal explodiert? Ist er dann gefährlich oder schreit er nur rum?" Rumschreiende Leute, die aus Verzweiflung irgendwas kaputt machten, kannte Satibarzanes zur Genüge. Das störte ihn nicht, sollten sie toben. Angst machten ihm nur jene, die ihre Wut nicht gegen die Welt richteten, sondern gegen Menschen. "Ich bin noch nie explodiert", meinte Satibarzanes.

  • Viri grinste gut gelaunt.
    "Dann jammere und gedulde Dich dabei, gleich hast Du es geschafft. Lurco ist nie in meiner Gegenwart explodiert. Aber eines Tages, so vermute ich, wird er es. Wer alles in sich reinfrisst hat keine andere Wahl. Der Tropfen der das Fass zum Überlaufen bringt Sati. Möglicherweise ist er auch so, dass er alles abschütteln. Aber das glaube ich nicht.


    Gleich hast Du Deine Mähne wieder und trägst damit die passende Frisur zum Hausnamen. Ich denke das wird nicht nur Dir gefallen", freute sich Viri und nähte weiter an Satibarzanes Haarverlängerung.

  • "Aber was frisst Lurco denn in sich hinein?", fragte Satibarzanes. "Er wirkt immer so zufrieden. Er hat doch alles, was man sich nur wünschen kann. Ein Haus, eine gute Arbeit, regelmäßiges Essen und sogar einen Scato."


    Sofern der nicht ausgerechnet der Anlass des In-Sich-Hineinfressens war, was Satibarzanes sich durchaus vorstellen konnte. Er selbst hielt sich lieber Lurco als Hausherren, weil Scatos Fröhlichkeit im manchmal aufgesetzt oder sogar boshaft erschien, wie ein grinsender Faun. Das machte es schwierig, ihn einzuschätzen. Dass nun aber ausgerechnet der harmonieliebende Lurco zum Explodieren neigen sollte, missfiel Satibarzanes.


    "Lurco kann bei Terpander explodieren", meinte er.

  • "Seinen Ärger, seine Sorgen, seine Nöte, die müssen nicht immer materieller Natur sein Sati. Vielleicht ist er im Moment ja auch absolut glücklich. Nur mir machte er damals eben immer den Eindruck. Das er nicht mit allem rausrückt was er wirklich denkt. Entweder versteckt er es hinter Gesabbel oder hinter Schweigen. Aber das ist eine Sache die er mit sich selbst klären muss. Ich bin da wohl der schlechteste Ansprechpartner. Denn ich war wohl unbewusst der Grund für Ärger. Wir hatten einfach andere Vorstellungen.


    Von mir aus kann er gerne bei Terpander explodieren, er soll nur etwas von ihm übrig lassen. Wobei der gute Terpander sich zu wehren weiß, jedenfalls wenn er seine Murmeln wieder findet. Denn scheinbar verliert er sie immer dann, wenn er sie ganz dringend braucht", lachte Viri leise und schüttelte gut gelaunt den Kopf.


    Der Thraker befestigte die letzte Haarsträhne indem er sie annähte und widmete sich den Perlen, die schnell auf die Haare gefädelt und befestigt waren.


    "Fertig Sati und ich muss mich selbst loben, Du siehst fantastisch aus", freute sich Viri.


    "Bereit um Dich mit neuer Mähne in den Kampf zu stürzen? Die Schatten werden uns decken und Verschwiegenheit wird unsere Waffe sein. Wir verfolgen, horchen und beobachten und dann wenn der Tag der Tage kommt, heben wir unseren wohlgeformten Fuß um unseren Feinden einen Tritt zu geben. Schau Dich an", forderte Viridomarus Satibarzanes auf und hielt den Spiegel so, dass Sati sich in seinem Spiegel sehen konnte.


    "Löwenmähne wie gewünscht", sagte er freundlich.

  • Satibarzanes sagte einige Zeit gar nichts. Er starrte nur in den Spiegel und staunte. Seine Mähne war schöner als je zuvor und niemand hätte sagen können, dass dieses Haar eingenäht war. Mit seinen Speckhändchen befühlte er die langen, dicken, braunen Flechtsträhnen, die ihm wieder bis zum Steiß reichten. Er befühlte die Knochenperlen, er befühlte die Übergänge, alles fügte sich zu einer eindrucksvollen Frisur. Mehr noch ... Satibarzanes hatte das Gefühl, dass Viridomarus ihm mit der Mähne auch ein Stück Identität geschenkt hatte. Denn Satibarzanes fühlte sich nun nicht mehr wie ein Mischling, wie ein Nichts, sondern wie ein Eraviscus.


    "Danke, Viri", hauchte Satibarzanes unmännlich. "Ich bin ... schön!" In seinem ganzen Leben hatte Satibarzanes sich noch nie schön gefunden.


    Das erste Mal im Leben mochte er seine hellgrauen Augen, die er sonst als glotzende Fischaugen empfunden hatte, während er neidvoll auf die braunen Augen von Kyriakos geschaut hatte, die in der Sonne rötlich zu glühen schienen, während seine immer kalt und tot wirkten. Nun aber schien aus seinem Blick der Nordwinter zu sprechen. Sein Körperhaar, das er hatte wachsen lassen, um vorsätzlich die Freier abzuschrecken, die Kyriakos ihm aufbürdete, schien auf seinem dicklichen Körper nun plötzlich eine Daseinsberechtigung zu haben, ein Erbe uralter Wildnis, genau wie sein Dreitagebart. Nichts davon wirkte mehr ungepflegt, alles fügte sich.


    "Ich benötige passende Kleidung! Eine farbige Tunika, dazu einen karierten Überwurf. Aber welche Farben?"


    Satibarzanes fürchtete, mit einer falschen Entscheidung den ganzen Effekt wieder zunichte zu machen. Und er freute sich gewaltig auf den Tag, wenn er das erste mal mit Viridomarus in den fernen Süden reiste, um auch den anderen Teil seines Blutes auf den Prüfstand zu stellen. Im Moment fühlte er sich dermaßen keltisch, dass er nicht glaubte, dass das Perserblut seiner Mutter irgendeine Chance hätte, sich noch einmal zu Wort zu melden. Hoffnungsvoll sah er Viridomarus an.


    "Wirst du mich eines Tages wirklich mit auf die Reise nehmen? Oder hast du das nur so gesagt?"

  • "Natürlich bist Du schön, jede Person trägt Schönheit in sich lieber Sati. Aber leider ist es nicht jedem vergönnt, diese auch nach außen hin verkörpern zu können. Dafür gibt es Spezialisten wie mich. Deine Schönheit kehre ich hervor, dass was sie unterdrückt verstecke ich. Und genau dass ist mein täglich Brot, nehmen noch einigen anderen Dingen.


    Passend zu Deiner Optik sind Erdtöne. Vielleicht ein buntes, sagen wir leicht farblich sich abhebendes Teil. Der Rest muss satt und gediegen aussehen. Karriert trägst Du nichts. Karriert macht alt und Du bist nicht alt. Ein anderes Muster, etwas das den Perlen entspricht. Aber einfache Karos? Ich bitte Dich, bist Du ein Spielbrett Sati? Nein wir werden Dir gemeinsam eine Tunika und einen passenden Überwurf aussuchen. Zudem einen Gürtel.


    Ich sage kaum etwas einfach nur so Sati. Und was heißt eines Tages? Hast Du etwas Wichtiges vor? Die Taberna wird vermutlich nicht sofort eröffnet. Und ich könnte einige neue Waren gebrauchen. Was spricht dagegen, dass wir die Reise nicht eines Tages, sondern jetzt antreten?


    Zuvor müssen wir nur Terpander ein bisschen erschrecken und dann reisen wir ab. Was sagst Du?", schlug Viri gut gelaunt vor und zupfte Satibarzanes Mähne zurecht.

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