[Auf den Straßen Roms] Das Ende eines gescheiterten Abenteuers

  • Als die Vororte der ewigen Stadt in Sicht kamen und man dann am Horizont auch langsam die großen Gebäude erkennen konnte, sandte Marcellus ein Dankgebet an die Götter. Er hatte die Schnauze gestrichen voll von Pferden! Seit drei Wochen waren sie nun unterwegs und war der Hinweg noch der aufregende Beginn eines Abenteuers gewesen, welches er mit seinem eigenen Gepäck, seinem eigenen Pferd und seinen Bediensteten begonnen hatte, so war der Rückweg einfach nur eine nicht enden wollende Tortur an deren Ende unweigerlich stand, dass er seiner Familie, allen voran seiner zynischen Schwester und seinem Großvater, den er doch eigentlich beeindrucken wollte, berichten musste wie schief sein närrisches Unterfangen gegangen war. Anstatt nach Germania zu reisen und die wilden Lande an der Grenze zu erleben, war er noch hier in Italia, gerade am Rande der Berge, von Räubern überfallen, ausgeraubt, festgehalten und fast getötet worden. Nein, er hatte genug von all dem hier...


    Der einzige Lichtblick war seine Begleitung. Er mochte Eldrid sehr gerne und hatte während der Reise viel mit ihr geplaudert. Ja, er mochte sogar sagen, dass sie so etwas wie Freunde waren. Seit ihrer Flucht hatte sich einiges ereignet. Mehr schlecht als Recht waren sie nach Mediolanum gekommen. Bis dorthin hatte man ihm seinen Namen nicht wirklich geglaubt, oder vielmehr hatte man damit nicht viel anfangen können. Nirgendwo hatten sie mehr Hilfe erhalten als Nahrung und ein Dach über dem Kopf, selbst eine kleine, römische Garnison war nicht willig gewesen ihn zumindest nach Mediolanum zu bringen, oder ihm ein Pferd zu überlassen! Marcellus Vertrauen in den Wert des eigenen Namens hatte einen Knacks bekommen. In Mediolanum aber war es besser gewesen, denn dort kannte er immerhin mehrere Menschen! Unter anderem hatte er einen alten Freund der Familie aufgesucht, welcher ihn natürlich erkannt hatte und welcher dann endlich dafür gesorgt hatte, dass Marcellus wieder standesgemäß unterwegs sein konnte! Er hatte sich und auch seiner Begleitung neue Kleidung gekauft. Eldrid war nun gekleidet wie eine Römerin der Mittelschicht und Marcellus hatte sich ebenfalls mit recht bescheidener Kleidung begnügt. Sämtliche Kleidung musste immerhin noch einer langen Reise standhalten können. Wichtig waren also vor allem gute Schuhe und zwei dichte, lange Mäntel gewesen. Ebenso Decken und natürlich: Zwei Pferde. Mit dem Geld des Bekannten hatte Marcellus sich nun kein so gutes Pferd kaufen können oder auch wollen, wie er es gewohnt war. Normalerweise taugten für ihn nur die besten Pferde, wohingegen dieser große Fuchs hier eher auf einen Acker als unter einen Sattel gehörte. Trotzdem mochte er das treue Tier irgendwie auch und überlegte es zu behalten.


    Von Mediolanum also waren sie dann los geritten. Zwanzig Meilen pro Tag, manchmal mehr manchmal weniger. An den Abenden hatten sie meistens recht einfache Gasthäuser aufgesucht und am nächsten Tag war es weiter gegangen. Bei sich hatten sie einen recht muskulös gebauten Sklaven, eine weitere Leihgabe des Freundes aus Mediolanum. Jenem Mann schuldete Marcellus nun sicherlich schon... er hatte keine Ahnung. Eine Menge Geld wohl, wobei es relativ war, was man als "eine Menge" bezeichnete.


    Obwohl also Marcellus niemals gedacht hätte dass er so ein Jammerlappen war, wollte er gerade eigentlich nichts anderes als ein warmes Bad, ein wenig Komfort, vielleicht eine Sklavin die ihm die Schultern massierte und danach ein weiches Bett und... hach.


    "Wir sind da. Dort vorne, das ist Rom!" es hatte natürlich nun nicht den Effekt, den man sich vielleicht vorstellen würde. Es war nicht so, als hätte er nun Eldrid, die Barbarin, aus den Wäldern Germaniens gepflückt und direkt vor die ewige Stadt gesetzt. Sie war gewissermaßen langsam an Rom heran geführt worden. Sie kannte Mogontiacum, sie kannte Mediolanum und sie hatte auch andere römische Städte gesehen. Der Anblick Roms mit seinen großen Tempeln, seinen abertausenden Häusern, seinen Mauern und Säulen war also nichts vollkommen neues für sie. Aber trotz allem war Rom einfach anders, es war... riesig. Und dabei so wunderschön.

  • So viel wie in den letzten Wochen war Eldrid in ihrem ganzen Leben nicht geritten. Richtig reiten konnte sie nicht einmal. In ihrem Dorf hatten sie eigentlich alles auf den eigenen Füßen stehend und gehend erledigt. Eldrid hatte allerdings manchmal auf ihrem geliebten Esel gesessen und war auf ihm geritten. Sarolf hatte ihn dann geführt - oh, wie sehr sie doch auch ihren Bruder vermisste. Insgesamt hatte sich ihre Stimmung durchaus gehoben, denn der Römer, Marcellus hieß er, war ein recht angenehmer Reisegefährte. Ihre Aussprache hatte sich erheblich verbessert, da sie eigentlich immer nur in der römischen Sprache redeten. Zu wahnsinnig komplexen Sätzen war sie noch immer nicht in der Lage, aber sie suchte auch nicht mehr ganz so verzweifelt nach den Worten, die sie äußern wollte. Außerdem musste sie weniger lange überlegen und konnte wesentlich intuitiver antworten.

    Manchmal war sie auf der Reise einfach vom Pferd abgestiegen und hatte es hinter sich hergeführt. Ziemlich unumwunden hatte sie erklärt, dass ihr Hintern allmählich wehtat und sie einfach auch mal wieder laufen musste. Sehr viel Zeit verloren sie dadurch nicht, da die ganze Reise ohnehin nicht so sehr auf Schnelligkeit, als auf Ausdauer ausgelegt war. Sie machte sich nichts daraus, sich selbst anstrengen zu müssen, eigentlich war es ihr sogar lieber. Ihre Gliedmaßen wirkten sehr viel entspannter und auch das Pferd war sicherlich dankbar für die kleinen Auszeiten. Sie ritt auf einem dunkelbraunen, ziemlich alten Pferd zu dem sie inzwischen Freundschaft geschlossen hatte. Allgemein neigte sie zu Freundschaften mit Tieren. Sie hatte eigentlich alle Tiere gern und konnte es nicht einmal leiden, wenn eine Fliege oder eine Spinne unwillig zerquetscht wurden. Sarolf hatte sich ziemlich darüber belustigt. Sie sah ein, dass man Tiere tötete, um sie zu essen oder um sich mit ihren Fellen zu wärmen, aber einfach nur des Tötens wegen? Das fand sie doof. Egal, ob Mensch oder Tier. Sie war sehr friedliebend.

    Entsprechend ungehemmt unterhielt sich Eldrid nicht nur mit ihrem römischen Begleiter, dessen patrizische Abstammung für sie immer noch nicht ganz verständlich war, sondern auch mit dem Sklaven. Die Gespräche verliefen meist relativ einseitig, was sie jedoch nicht davon abhielt, es immer wieder zu probieren. Weswegen er zu vermeiden versuchte, mit den Herrschaften zu sprechen, verstand sie nicht. Ihr war das Konzept von Sklaven und Herren natürlich geläufig, aber die Umsetzung hatte sie anders und wesentlich weniger distanziert kennengelernt.


    "Ah." erklärte sie also vorerst nur, während sie die Stadt betrachtete, die sich da vor ihnen auftat. Sie war tatsächlich nicht so beeindruckt, wie Marcellus es wohl von ihr erwartete und das war ihr schon auch bewusst. Rom war halt einfach eine Stadt. Natürlich größer als alles was sie bisher gesehen hatte, aber dennoch hatte sie es noch größer und pompöser erwartet, nach allem, was Marcellus so berichtet hatte. Sie konnte mit diesen riesigen Steinbauten ohnehin nicht so viel anfangen, ihr fehlte dort einfach die Gemütlichkeit. Sie hatte es viel lieber, wenn der Boden um sie herum nicht nach Exkrementen, sondern nach feuchtem Moos roch, nach Wildblumen und saftigem Gras. Je weiter sie in Richtung Rom kam, desto seltener erlebte sie diese Eindrücke. Auch hier gab es schöne Landschaften, aber sie waren anders und nicht ganz so heimelig. Ja, und nun diese Stadt. Rom, das vermeintliche Zentrum der Welt. Der Ort, dem sich alle Völker unterwerfen sollten - oder wenigstens anschließen. Was, wenn Rom nicht so groß wäre? Wäre es dann nicht so weit um die Welt gekommen? Oder war es andersherum? Sie wusste es nicht. Sie verstand von diesen Dingen auch nicht so viel, fand es auch nicht wichtig.


    "Das ist wirklich sehr groß." meinte sie dann, um ihm noch ein bisschen entgegenzukommen und sah lächelnd in seine Richtung, während sie aktuell wieder ihr Pferd hinter sich her führte, das immer mal wieder versuchte, mit den rauen Lippen nach Gras zu schnappen. Die Kleidung indes, die sie aktuell trug, nun... Es fühlte sich an wie eine Leihgabe und entsprechend wenig warm wurde sie mit ihr. Darüber hinaus war es einfach schon noch anders geschnitten und insgesamt anders als das, was sie sonst trug und auch immer noch mit sich führte. Sie konnte sich von alledem nicht trennen.

    Ja, Rom schien wirklich groß zu sein. Nicht auch nur ein geringer Vergleich zu allem was sie bislang kannte. Trotzdem berührte der Anblick sie nicht, anders als ihn. Die germanischen Wälder und Moore waren sehr viel größer - und faszinierender, wie sie fand. Sie hatte kein Interesse, die ewige Stadt kennenzulernen, ja, spürte fast so etwas wie Ablehnung in sich. "Da kann man ja niemals jeden kennen, der dort wohnt." stellte sie fest.

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