[Mare Nostrum] Die dunkle Ferne

  • Vor Monaten war Tiberios mit der Nereis Alexandrina und ihrem freundlichen Kapitän nach Alexandria gekommen, nun sollte er sich auf dem gleichen Weg zurück begeben. Wie bei der Hinreise nach Alexandria auch schon, schickte man den furischen Maiordomus voraus; der Rest des Haushaltes sollte ihm folgen.


    Kapitän Alkibiades erwartete ihn schon.

    „Na, pais, die Ferien zu Ende?“, fragte er gutmütig. Er ließ sich von Tiberios seine Bulla und die Erlaubnis, dass er alleine so weit fort von seiner Herrin unterwegs sein durfte, zeigen und die drei Aurei geben, die er für die Fahrt verlangte.


    Einer der Matrosen wies Tiberios im Unterdeck einen freien Raum, in dem er schlafen konnte; wie auch das letzte Mal bekam er keine Kajüte, sondern nur einen trockenen Platz hinter einer großen Rolle Tau.


    Kaum hatte der junge Sklave sein Bündel abgelegt, hielt es ihn nicht mehr und er sprang an Deck. Er wusste schon, dass er wieder mit den Seeleuten und den anderen Passagieren reden und sich alles erklären lassen würde; besonders jedoch hatten es ihm die Seekarten des Steuermanns angetan.

    Während die Nereis Alexandrina das letzte Mal Gefäße aus Glas und mehrere Dolia mit blondem Frauenhaar aus Germania für die alexandrinischen Perückenmacherinnen geladen hatte, waren die Dolia diesmal voll mit verschiedenen Farbpigmenten wie feingemahlenem Kreidepulver aus der Hafenstadt Paraetonium, rötlichem kassiteros, Zinnstein, grünem Malachit und blauem Lapislazuli gefüllt; außerdem hatte die Corbita noch Papyri verschiedenster Qualität aufgenommen.

    Tiberios stand an Deck und sah zu, wie der Pharos im Frühnebel verschwand, während die Nereis Alexandrina ablegte.


    Als Alexandria hinter ihm lag, begab sich Tiberios unter Deck, um sich hinzulegen und etwas auszuruhen.


    Überraschenderweise freute er sich darauf, Roma wiederzusehen.

    Das lag daran, dass in Alexandria niemand mehr lebte, den er liebte. Diejenigen, nach denen er gesucht hatte, hatte er nicht wiedergefunden.

    Doch in Roma, da wartete sein altvertrautes Leben auf ihn.

  • Erst als Tiberios zur Ruhe kam und die Augen schloss, zogen vor seinen geschlossenen Lidern bunte Bilder vorbei, die sich größtenteils um Alexandria drehten: Der Pharos, die Casa Sergia in der Neapolis, der Anblick des Museion, das offene Meer und das Hinterland, dass er zuvor nicht gekannt hatte, weil er selten aus der Stadt gekommen war, erfüllten sein Gemüt immer noch mit Stolz, denn ein wenig war die strahlende Schönheit von Alexandreia auch Teil von ihm.


    Philippos, seine große Liebe aus der Zeit, als er noch kaum das Ephebenalter erreicht hatte, hatte er nicht versucht, wiederzusehen. Er war mittlerweile ein geachtetes Mitglied der Alexandriner Bürgerschaft, vermutlich mit eigener Familie, denn damals war er schon verheiratet gewesen.
    Tiberios hatte ihn nicht in die Verlegenheit bringen wollen, ihn mit einer Jugendsünde zu konfrontieren. Philippos hätte ihn nicht
    anders als abweisend behandeln können, denn ein Sklave war niemand, der ihm Ehre einbrachte.


    Einmal war Tiberios auch zu der Villa des Palmyreners, seines ehemaligen Herren Athenodoros, in Delta gegangen, oder viel mehr, er war um sie herumgeschlichen. Er wusste nicht, was genau machen. Athenodoros zur Rede stelle? Was

    hätte er ihm sagen können?

    "Hier bin ich, von dem du gehofft hast, dass er zu Schaden kommt. Aber ich lebe und habe das Vertrauen meiner optima domina, besten Herrin, gewonnen. Schau auf mich, denke an meine arme Mutter. Was haben wir dir jemals getan?"


    Aber das war Tiberios dann doch zu theatralisch.

    Außerdem nahm er an, dass Athenodoros wie Iason im Stück Medea reagieren würde - wenn er ihn überhaupt empfing:; Ausflüchte würde er bringen, abwiegeln, heuchlerisch sagen, dass er sich freue, ihn in so guten Umständen zu sehen…


    Dann erfuhr Tiberios, dass die Familie seines ersten Dominus nicht mehr in ihrer Alexandriner Villa lebte, sondern nach Palmyra zurückgekehrt war.

    Auf der einen Seite war Tiberios froh darum, dass ihm die Begegnung mit Athenodoros erspart blieb.

    Wenn er ehrlich war, hielt er seinen Erzeuger für einen Feigling, der ihn und seine Mutter hatte loswerden wollen. Und wie alle Feiglinge war er grausam, wenn sich ihm die Möglichkeit dazu bot.

    Aber auf der anderen Seite würde er nun niemals erfahren, was aus seiner Mutter geworden war.

    Ob Tyche ihr beigestanden hatte, wie sie es bei ihm tat? Oder war es nicht viel wahrscheinlicher, dass ihr Leichnam schon seit langem in den Abfallgruben der kleinasiatischen Schwefelminen lag?


    Tiberios erlaubte sich jedoch nicht, über diese Dinge betrübt zu sein, galene strebte er an, die Heiterkeit eines ruhigen Gemütes.

    Schon richtete er seine Gedanken fort von der Vergangenheit hin zur Zukunft: Roma...


    Er war eingeschlafen… da wachte er er auf, als ein fürchterlicher Ruck durch die Nereis Alexandrina ging; ein Ächzen und Stöhnen und das Geräusch brechenden Holzes.

    Das sanfte Schaukeln der Fahrt hatte aufgehört, die Corbita schien sich aufzubäumen und zu trudeln; das Geräusch war wohl darauf zurückzuführen, dass ein Seitenruder gebrochen(?) abrasiert (?) worden war.

    Oben auf dem Deck entstand Tumult.

    Tiberios wollte nach oben gehen, um zu fragen, ob er etwas helfen konnte, da kletterte eine Frau zu ihm hinunter, im Dämmerschein erkannte der Furiersklave das Weiße ihrer weitaufgerissenen Augen: „Piraten!“, rief sie: „Piraten!“,
    mit gellender Stimme, wahnsinnig vor Angst.


    Piraten. Trotz aller Bemühungen des römischen Staats immer noch zumindest ab und zu eine Plage des Mare Nostrum. Die großen Piratennester waren schon Jahrzehnte vor Tiberios Geburt ausgehoben und die Rädelsführer auf möglichst abschreckende Weise hingerichtet worden. Aber das Pack wuchs nach wie die abgeschlagenen Köpfe der Hydra. Zu sehr lockte der Reichtum, den die dickbäuchigen Corbitae von einer Ecke des Imperiums in die andere transportierten; es gab viel zu gewinnen und wenig zu verlieren für die kühnen, räuberischen Seevölker aus dem Norden Afrikas, wenn auch ihre große Zeit schon länger vorrüber war.


    Tiberios schaute sich um, sich zu verstecken, er nahm die Hand der Frau: „Komm schnell mit mir!“, aber es war zu spät. Männer mit Prügeln und Schwertern drängten die Stiege herab, schauten sich um und stießen die Passagiere grob an Deck.


    Oben herrschte ein Bild der Zerstörung: Zerschnittene Seile, Holzsplitter,aber überraschenderweise keine Toten. Alkibiades, der
    Kapitän hatte sich ziemlich schnell ergeben, er und seine Männer wurden in einer Ecke bewacht.


    Ein zweites Schiff lag an der Längsseite der Nereis Alexandrina wie ihr blutiger Schatten; eine Vielzahl Männer waren am Arbeiten, sie gingen rasch und geschickt und zielstrebig vor. Sie schienen auch nicht an überbordender Brutalität interessiert zu sein – sofern niemand Widerstand leistete wie dies ein junger Römer, der sich lautstark darauf berief, römischer Bürger zu sein und dazu einen Dolch zückte, versuchte. Die Piraten ließen ihn sofort gehen und sofort bedeutete, dass sie ihn ins Meer warfen, wo er elend ertrinken musste.

    Der Rest der nun eingeschüchterten Bürger Roms oder Alexandrias wurde separiert „Mal sehen, ob ihr euren Familien wert seid, dass sie Lösegeld für euch bezahlen“, desgleichen die älteren von den Jüngeren bis ungefähr ins fünfundzwanzigste Jahr.


    Tiberios kam unter die Gruppe der Jüngeren und Kinder, die alle so schreckenstarr waren, dass nicht einmal einer der beiden Säuglinge in den Armen ihrer jungen Mütter weinte.

    „Uns wird man in die Sklaverei führen“, sagte eine junge Frau leise, es war diejenige, die mit Tiberios zusammen unter Deck ergriffen worden war.

    Tiberios erschrak zutiefst, obwohl er sich dieses Vorgehen der Piraten hatte denken können.

    Er trat auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, denn er hatte den Befehl gegeben, den jungen Römer über Bord zu werfen, zu. Er verbeugte sich:

    „Verzeihung, Herr, ich bin ein Sklave der edlen und einflussreichen Furier aus Roma….“, begann er, da unterbrach ihn der Piratenkapitän: „Na, dann weißt du ja schon, wie es geht….“

    „Aber meine Domina wird nach mir suchen lassen….“, sagte Tiberios, der merkte, wie ihn Angst überkam.

    Der Kapitän starrte auf Tiberios Bronzetafel, doch bevor er sie herunterreißen konnte, zog der Sklave sie über den Kopf und streckte sie ihm entgegen.

    Daraufhin brüllte der Pirat auf schlechtem Koiné nach dem graféas, dem Schreiber. Tiberios starrte den Mann, der nun angehinkt kam, entsetzt an; nur Haut und Knochen war er, denn man gab ihm nur genauso viel Nahrung, dass er nicht verhungerte; schmutzige Lumpen bedeckten seinen Leib.

    „Es stimmt, was der Junge sagt“, sagte er, nachdem er die Bulla des Furiersklaven gelesen hatte.

    Der Kapitän kam Tiberios näher und ergriff ihm im Nacken. Tiberios rührte sich nicht. Der Kapitän tastete seinen Haaransatz ab, betrachtete dann seine Arme: „Keine Tätowierung, kein Brandmal.“, sagte er: „Also taugst du. Geh zu den anderen zurück, bevor du Fischfutter wirst. ….Was…?“, er musterte Tiberios näher: „Was hast du in dem Beutel an deinem Gürtel? Geld?“

    Tiberios hatte seine Sesterze für die Schiffsreise schon bezahlt und Proviant eingekauft. Er besaß in der Tat noch einen Aureus, den er aber in den Saum seines Chitons eingenäht hatte. In seinem Beutel hatte er keine Münzen:

    „Nur Schreibzeug, Dominus, nichts was einem anderen nützt….“

    „Du bist ein Schreiberling?“

    Tiberios zögerte mit der Antwort. Eine Ausbildung erhöhte seinen Wert, somit konnte er seines Lebens sicher sein, solange die Piraten ihn für wertvoll erachteten, anderseits würden sie ihn dann umso lieber weiterverkaufen wollen...aber schließlich straffte er die Schultern:“Ja, Dominus, das ist richtig.“

    „Hmmm…. Du bist rund und gutgefüttert, vielleicht sollte ich den da dem Römer Gesellschaft leisten lassen und dich bei uns behalten….“

    Beide, der Schreiber der Piraten und Tiberios schauten den Piratenkapitän verzweifelt an.

    „O bitte nicht, Herr“, heulte der Schreiber, aber da winkte der Anführer schon ab. Mit einem Ruck riss er Tiberios Beutel vom Gürtel und warf ihn dem Mann zu.

    „Danke...danke“, sagte dieser, während Tiberios die Lippen zusammenpresste. Er war machtlos, so sehr ihn der Verlust auch schmerzte. Seine calami, darunter ein besonders schöner aus Bronze, seine stili, das feine Messerchen zum
    Anspitzen, die tabulae, ...nun musste er mitansehen, wie die schmutzigen Hände des anderen darin herumwühlten: „Oh danke...“, sagte dieser nochmals.


    Auch wenn Tiberios sich die Worte des Philosophen Bias von Priene: Omnia mea mecum porto, all meinen Besitz trage ich bei mir, vorsagte und zu denken versuchte, es sei eines Stoikers nicht würdig, an weltlichen Gegenständen zu hängen – der Verlust seines Beutels mit seinem Handwerkszeug hinterließ eine Lücke in seinem Leben.


    Tiberios fühlte sich seines Schutzes beraubt, als hätte ihn seine Tyche, seine Fortuna schnöde verlassen.

  • Delos


    Und die junge Frau behielt Recht: Die jungen Leute und Kinder, die die Piraten zum Verkauf als Sklaven ausersehen hatten, wurden zusammen mit der Ausbeute an Waren auf das Piratenschiff verbracht und kamen unter Deck. Es wurde mit Wasser und Essen für sie gesorgt; dennoch saßen sie in Fesseln da, beklagten ihr Geschick und weinten, da sie ihre Familien und ihre Heimat wohl nie wieder sehen würden. Ansonsten ließ man sie in Frieden.

    In welchem Teil des Schiffes die Geiseln untergebracht worden waren, wussten sie nicht.

    Auch nicht was aus den Menschen geworden war, die die Piraten als unnütze Esser erachteten. Vielleicht hatte man sie auf der der beiden Ruder beraubten Nereis Alexandrina zurückgelassen oder getötet. Nur zwei der älteren Frauen hatten die Piraten für sich mitgenommen, die jungen Mädchen und Knaben rührten sie nicht an.
    Für diese Leute waren sie Ware – und Ware minderte man nicht mutwillig im Wert.

    Die Dunkelheit im Laderaum und der ewig währende Seegang – Tiberios verlor die Orientierung.

    Sie waren wohl mehrere Tage unterwegs, bis das Schaukeln aufhörte, sie vernahmen das Eintauchen des Ankers und das
    Schaukeln ging in jenes typische Kreiseln und sanfte Wippen über, das ein Schiffskörper aufwies, wenn man ihn zur Stille zwang.

    „Wo sind wir?“, fragte Tiberios. Er drehte den Oberkörper und presste sein Auge an eine Ritze hinter ihm, doch außer gleißendem Sonnenlicht, das ihn fast in den Augen schmerzte, war nichts zu sehen.

    Die Kinder um ihn her wussten es auch nicht.

    Wie immer erwarteten sie die Schritte des Mannes, der sie mit Puls und Wasser versorgte, das er aus einem Holzeimer in eine große, niemals gereinigte Schüssel schüttete: „Esst!“.

    „Verzeihung Herr, wo sind wir gelandet, bitte?“, fragte Tiberios so höflich wie er nur konnte.

    Der Pirat blieb stehen und kratzte sich: „Iss!“, befahl er: „Wir sind jetzt vor Delos, freut euch". Ein hässliches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, doch das konnte Tiberios nur erahnen. Der Mann verschwand und nahm den Holzeimer wieder mit.

    Delos, heilige Insel von Apollon, dachte Tiberios, wie gerne hätte er dieses Heiligtum unter anderen Umständen erblickt.

    Auch wenn die alte Macht und Größe längst vergangen waren, das Apolloheiligtum gab es noch immer.

    Piraten jedoch liebten Delos, weil es flach wie ein Floss war, leicht anzusteuern – und noch leichter zu fliehen.

    Früher einmal war die Insel der zentrale Sklavenmarkt der bekannten Welt gewesen, aber nachdem sie Opfer der römischen Bürgerkriege des vorletzten Jahrhunderts und Korinth wieder neugegründet wurde, hatte sie diesen Rang verloren.

    Dennoch wurden hier immer noch Sklaven gehandelt, besonders exotische Ware für den Orient.


    „Ist Delos so schön, dass wir uns freuen sollen?“, fragte eines der Kinder.


    „Ich erzähle euch die Geschichte von Leto, der Mutter von Apollon und Artemis und der schwimmenden Insel Delos, wenn ihr aufgegessen habt.“, versprach Tiberios und deklamierte:


    „Als Leto dich gebar, die gebietende, König Apollon,

    Während ihr zierlicher Arm fest um die Palme sich schlang,

    Aller Unsterblichen Schönsten, am Bord des gerundeten Landsees,

    Da ward Delos erfüllt rings, die unendliche Flur,

    Voll ambrosischen Duftes, es lachte die riesige Erde,

    Und laut jauchzten des Meers grauliche Wogen im Grund.“*


    Das klang nach etwas Wunderbarem, und die Kinder lauschten.

    Aber Tiberios Herz war so schwer wie seine Worte leicht waren.


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    SKLAVE - IUNIA PROXIMA

    Einmal editiert, zuletzt von Tiberios ()

  • Aus der Richtung von Rom kommend tauchte die Corbita von Tarkyaris am Horizont auf. Nach mehrtägiger Reise ankerte sie kurz darauf vor Delos.


    Die Sklavenhändler hier hatten von ihrer lebenden Ware vor einigen Jahren einen Landungssteg bauen lassen, sodass für die Besatzung der Händlerschiffe kein Beiboot erforderlich war, um ans Ufer zu gelangen. Das Wetter war frisch, der Himmel wolkenverhangen. Während die Mannschaft die Corbita versorgte, packte Tarkyaris sich Tigranes und ging mit ihm polternden Schrittes über den Steg an Land. Die Insel wimmelte von Menschen, nicht nur Händler und traurig dreinblickende Sklaven gab es hier, sondern es wurden auch Speisen und Getränke ausgeschenkt, es gab Barbiere (in Gestalt von zu diesem Zwecke mietbaren Sklaven), Zahnreißer, Ärzte und Huren (ebenfalls allesamt Sklaven), Musik und Akrobatik und alles, was zu einem Markt sonst noch dazu gehörte. Hier war heute ziemlich viel los, es schienen mehrere Schiffe von Händlern und Käufern frisch eingetroffen zu sein.


    Es mochte ungewöhnlich anmuten, doch Tarkyaris hatte Befehl gegeben, das Unterdeck zu öffnen und der lebenden Beute zu gestatten, sich frei in Sichtweite des Schiffes zu bewegen und die Beine zu vertreten. Sie konnte hier nirgendwo hin, dies war eine karge kleine Insel. Es gab hier keine ehrbaren Bürger ... nur Sklavenhändler und Käufer mit einem besonderen Interesse an oft illegaler Ware.

  • Es war am dritten Tag, als man sie an Deck schaffte und eine große Schüssel mit Wasser gefüllt zwischen sie stellte. Ein schon etwas ausgefranster Schwamm dümpelte darin.

    Wascht euch!, befahl der Pirat, der ihnen an anderen Tagen das Essen gebracht hatte.

    Als Tiberios die Leiter hochstieg, brannte die Sonne dermaßen in seinen Augen, dass er sie schließen musste; dennoch rollten Tränen seine Augen hinunter. Auch die Kinder reagierten so; die kleineren jammerten. Sie setzten sich, wo es ihnen angewiesen worden war und wuschen sich behelfsmäßig Gesicht und Hände; der Schwamm taugte dazu, ihn über den Haaren auszudrücken. So entfernten sie wenigstens die Spuren der schlimmsten Strapazen, und am Ende war das Wasser grau und glänzte von trüben Schlieren.

    Der Mann entfernte die Schüssel, und ließ die jungen Leute wenigstens eine Weile in der Sonne sitzen. Tiberios, dessen Augen sich mittlerweile wieder etwas an die gleißende aegaeische Helligkeit gewöhnt hatte, zählte mehrere corbitae, dickbäuchige Handelsschiffe; die auf den Wellen schaukelten. Vor ihnen lag flach wie ein Floss im blauen Dunst Delos.

    Die Schiffe brauchten nicht in einen Hafen einzufahren - ein Landungssteg verband den Ankerplatz mit der Insel. So konnte man sehr schnell an - und wieder ablegen.


    Ein schriller Pfiff durchbrach das Leben an Bord; der furische Sklave wusste schon, was das bedeutete - der Kapitän suchte den Scriba. Tiberios wandte auch den Kopf, immerhin hatte der Mann seine theca calamaria, sein Schreibzeug. Wenn er nur daran kommen könnte. Vielleicht ließ sich jemand erbarmen, Nachricht an die Casa Sergia in Alexandria oder an die Furier in Roma zu überbringen, wenn es ihm gelang, einen Hilferuf zu kritzeln.


    Die etwas ungleichmäßigen Schritte des Zerlumpten waren nicht zu verkennen - der Scriba zog ein Bein nach. Irgendetwas tuschelte der Kapitän mit ihm, der Schreiber zog aus dem Beutel eine Tafel und einen Stilus und begann zu schreiben. Dann kam ein anderer Mann, dunkel, groß und vielleicht hätte man ihn sogar von malerischer, verwegener Anmut nennen können, wäre er nicht über und über von Schwären bedeckt gewesen.

    Der Kapitän gab ihm die Tafel und deutete auf eine Corbita: "Bring das zum Rex? ..."

    Rex - der König? Wer wurde so genannt von diesen Männern? Tiberios hätte zu gerne den Inhalt der Nachricht erfahren, aber

    er war nur einer der jungen Gefangenen und hatte keine Chance.



    Der Bote


    Während die Mannschaft die Corbita versorgte, packte Tarkyaris sich Tigranes und ging mit ihm polternden Schrittes über den Steg an Land. Die Insel wimmelte von Menschen, nicht nur Händler und traurig dreinblickende Sklaven gab es hier, sondern es wurden auch Speisen und Getränke ausgeschenkt, es gab Barbiere (in Gestalt von zu diesem Zwecke mietbaren Sklaven), Zahnreißer, Ärzte und Huren (ebenfalls allesamt Sklaven), Musik und Akrobatik und alles, was zu einem Markt sonst noch dazu gehörte. Hier war heute ziemlich viel los, es schienen mehrere Schiffe von Händlern und Käufern frisch eingetroffen zu sein.


    Der Dunkle nannte sich Baraq; sein Kampfname mit der punischen Bedeutung "Blitz", hatte er je einen anderen Namen besessen, so war er vergessen. Er wusste, nachdem er Ausschau hielt, und zunächst suchte er die Corbita des Tarkyaris auf, doch als er fragte, war der Kapitän dort nicht zu finden, also setzte er sich wie ein Spürhund auf die Fährte.

    Es dauerte nur eine Weile, bis er des schlanken Tempelfürstes ansichtig wurde, so machte er seinem Kampfnamen alle Ehre. Baraq näherte sich vorsichtig und grüßte, in dem er seine Stirn und Kinn berührte; denn der Gesuchte war bestimmt nicht alleine.

    "Ave Rex Tarkyaris", sagte er, und er gebrauchte dem Cappadocier gegenüber das alte lateinische Wort für König. Eine beinahe abergläubische Furcht vor dessen grünen Augen ließ ihn den Blick senken. Er streckte nur seine Wachstafel hin, wie es ihm sein Kapitän aufgetragen hatte:



    Salve Rex Tarkyaris

    Kapitän Doniy grüßt dich.

    ich kann dir anbieten: X

    Herkunft: Alexandria

    keiner älter als zwanzig

    Verhandlungspreis: M Drachmen

  • Weder Tarkyaris' Aufmachung noch sein Gefolge ließen auf seinen wahren Wohlstand oder seinen Status in der Heimat schließen. Allerdings machte er auch kein Geheimnis darum, da es ihm zu aufwändig war, eine falsche Identität mit allen Konsequenzen zu führen. Wer sich in Kreisen wie jenen auf Delos bewegte, wusste auch so, dass er kein kleines Licht war, da er so gut wie alles besorgen konnte, ganz gleich, wie teuer oder verboten es schien. Wer sich darüber hinaus mit der kappadokischen Kultur vertraut machte, der wusste, um wen es sich bei Tarkyaris handelte, sobald sein Name erklang, und dass das unscheinbare und bescheidene Auftreten nichts als Masche war. Daheim gab er sich völlig anders.


    Es gab keine Tabus, die er nicht brach, wenn nur die Kasse klingelte. Tarkyaris würde seinen eigenen Vater verkaufen, wenn der Preis stimmte und manche sagten, er hätte das bereits getan. Zahllose Fäden schmutziger Geschäfte liefen am Ende bei ihm zusammen.Wer wollte ihn anklagen? Einen König gab es nicht mehr und der Kaiser war tausend Meilen weit fort. Was die Tempelfürsten im entlegenen Cappadocia trieben, kümmerte Rom nicht, so lange sie es damit nicht übertrieben. Tarkyaris' einzige ernsthafte Sorge war die Beziehung zu den anderen Tempelfürsten und ihren Verhältnissen untereinander, die sehr schwierig waren und sich ständig änderten.


    "Kapitän Doniy, soso. Manieren hat er ja, der gute Mann. Bringe mich zu deinem Herrn. Ich möchte mir sein Angebot ansehen."


    Begleiten würden ihn nur Tigranes und sein großer Name, der hier im Osten und in jenen Kreisen ein besserer Schutz war als alles andere. Vor allem aber war Tarkyaris klug genug, niemandem Anlass zum Hass zu geben, der ihm oder seinen Geschäften gefährlich werden könnte. Namhaften Geschäftspartner konnten sich auf ihn verlassen. Umgekehrt war es wenig ratsam, sich seine Abneigung zuzuziehen, denn sein Arm war sehr viel länger, als manch einer ahnen mochte. Mit dem hässlichen kleinen Patriziertölpel hatte er seit Neustem sogar Kontakte in das stadtrömische Patriziat. Er würde schauen, inwieweit sich sein Netzwerk von dort weiter ausbauen ließ.

  • Der Bote


    Baraq, hin und hergerissen zwischen der ihm innewohnenden Unverschämtheit und der Furcht, die ihm dieser unheimliche Tarkyaris einflößte, erwiderte:

    „Kapitän Donyi hat Gründe, Delos nicht zu betreten, Rex. Wir bringen sie auf dein Schiff und wen du nicht kaufen möchtest, den schmeißen wir gleich über Bord. Oder du und dein Begleiter kommen mit mir zur Kabir, so nennen wir unser Schiff und wir verfahren auf die gleiche Weise.
    Oder wir bringen sie hin, wo du es wünschst.“


    Damit sagte er auch aus, dass der Piratenkapitän so verrufen war, dass er nur dort ankerte, von wo er jederzeit wieder fliehen konnte und nicht einmal das zu Roms Sklavenmarkt degradierte Delos selbst betrat.


    An Bord des Piratenschiffs



    Kapitän Doniy besah sich die kleine Gruppe, die nun einigermaßen manierlich aussah. Das X auf der Tabula, die dem Tempelfürsten übereicht worden war, stand für die zehn unglücklichen eingefangenen Jugendlichen und Kinder, die auf der Nereis Alexandrina mitgefahren waren.


    Tiberios tat es gut, sich das erste Mal seit Tagen wieder waschen zu können, er hätte nicht geglaubt, wie sehr ihm das Hoffnung gab. Denn selbst Piraten würden doch Leute, die man töten wollte, nicht erst einmal herrichten oder füttern, oder?


    Nun hatte die Sonne sie getrocknet, und noch immer machte niemand Anstalten, sie unter Deck zu befördern. Sie saßen da und warteten. Die beiden jungen Ehefrauen wiegten ihre Kinder. Einige der Kleinen schliefen oder spielten herum, soweit es ihre Fesseln zuließen.

    Ganz in der Nähe hinkte der Scriba vorbei, und Tiberios beschloss, ihn anzurufen:

    „Du da Scriba, sag was geschieht mit uns?“, fragte er: „Wir sind nicht nach Delos verbracht worden, warum nicht? Auf was warten wir?“

    Der Zerlumpte sah ihn aus blutunterlaufenen Augen an und legte den Finger auf den Mund.

    Ängstlich blickte er sich um: „Rede nicht so viel! Ihr seid für ….“ Im gleichen Moment flog ein Holzscheit nur um Haaresbreite am Kopf des Alten vorbei, gefolgt von brüllendem Gelächter.

    Der Scriba wimmerte auf und hinkte schnell weiter.

    Tiberios sah sich um, da war schon Kapitän Danyi nähergekommen und richtete den Zeigefinger auf ihn wie einen gezückten
    Dolch:

    „Du quatschst gerne, nicht? Lass das oder...“ Er machte die Bewegung des Zungeabschneidens. Ein stummer Schreiberling
    war so viel wert wie ein sprechender, ja vielleicht noch mehr, weil er niemandem mehr auf die Nerven gehen konnte.

    Tiberios sah zu Boden, sofort nahm er eine völlig defensive Haltung ein; die Arme ausgebreitet, den Kopf gesenkt.


    „Wenn du Schnauze hälst, findest du vielleicht einen neuen Herren.“, fuhr der Kapitän fort: „Wenn nicht - Fischfutter. Du frisst dich hier nicht länger satt als nötig...“, sein Blick glitt über die vor Schreck versteinerte Kinderschar, und er grinste:

    „Keiner von euch Bälgern!“

  • Die nervöse, unterwürfige Art des Mannes war Tarkyaris gewohnt aus der Heimat, dennoch rang sie ihm ein Lächeln ab. An so etwas fand er Gefallen. Seine Neugier aufgrund der mitschwingenden Botschaft war geweckt. Wer dermaßen verrufen war, mochte ein interessantes Angebot haben.


    "Geleite mich zum Schiff deines Herrn."


    Er verspürte wenig Interesse daran, eine Sklavenschar, deren Zustand er nicht kannte, auf sein privates Handelsschiff verbringen zu lassen und sich eine Seuche in den Bestand zu holen oder gar selbst befallen zu werden.

  • An Bord des Piratenschiffs

    Baraq neigte den Kopf, was fast einer wirklichen Verneigung gleichgekommen wäre, wenn er nicht von unten nach oben den Tempelfürsten und seinen Begleiter angeschielt hätte. "Sehr wohl", murmelte er und ging an den beiden Männern vorrüber, damit sie ihm über den Steg folgen mochten.


    Das Schiff des Doniy hatte selbst im hellen Licht der Sonne Apolls etwas Düsteres, Schäbiges an sich, als brächte es Dunkelheit aus dem Orcus selbst mit sich.

    Baraq sprang an Bord, der Kapitän wartete schon und rieb sich die Hände beim Anblick des illustren Gastes:

    "Rex!", röhrte er und deutete eine Verbeugung an: "Was für Freude, dich zu sehen! Hast du die Dummköpfe abgezockt, die sich Herren der Welt nennen?! Nun komm und schau dir an, was ich für dich habe: Zehn wahre Goldstücke aus Alexandria; gerade gewachsen, gutgenährt, gesund und munter und noch so jung, dass man sie für alle möglichen Arbeiten ausbilden kann."

    Er wies auf die Gruppe der Kinder und jungen Leute.


    Tiberios hatte, da die Sonne warm schien, auch angefangen, vor sich hinzudösen und einen schönen Traum geträumt: Er saß mit Terpander im Garten der Casa Leonis und sah dem Pfau- Narcissos - zu, wie er sich spreizte.

    Nichts weiter geschah, kein Wort fiel und doch schien das Bild für alles zu stehen, was Tiberios gerade verlor: Sein Leben in Roma, seinen Dienst für Domina Stella in der Casa Furia; die Menschen, die er kennen gelernt hatte, und den Römer, in den er sich verliebt hatte, und da diese Liebe dermaßen aussichtslos und ein schlechter Scherz von Tyche war, dass er nicht einmal wagte, seinen Namen zu denken; all das erschien dem Griechen gerade im schönsten Licht und er sehnte sich so zurück, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen.


    Aber dann war der Traum vorüber, und die Realität wartete.


    Ein Fremder war an Bord gekommen.

    Noch während das Traumbild schwand, sah Tiberios ihn: schlank und hochgewachsen, jemand von Rang oder zumindest natürlicher Autorität, denn die Piraten, selbst dieser Kapitän, benahmen sich unmerklich anders in seiner Gegenwart.


    Einer der beiden Säuglinge, die zu den beiden jungen entführten Ehefrauen gehörte, spürte wohl ebenso etwas, denn er begann zu weinen und wollte sich nicht beruhigen, obwohl die Mutter ihn hektisch hin- und herwiegte.


    Der Piratenkapitän bemerkte nur: " Hier überlasse ich dir sogar zwei zum Preis von einem, wie du hörst, sind die Lungen in Ordnung."


    Nun wussten alle, was der Fremde war: Ein Käufer.

  • "Aber, aber." Tarkyaris lächelte dem Kapitän zu. "Abgezockt, was für ein unschönes Wort. Mangelnde Aufmerksamkeit und fehlendes Verhandlungsgeschick hat sich jeder Kunde selbst zuzuschreiben. Wir sind alles erwachsene Menschen."


    Tarkyaris besah sich die Sklaven mit wohlwollender Miene. Sein erfahrener Blick brachte ihn rasch zu einem Ergebnis. Bei dieser Ware lohnte sich eine nähere Untersuchung.


    "Tigranes, einmal allesamt überprüfen. Die Kleinen auch."


    Der Mann trat nach vorn. Er ließ sich die Zähne zeigen, überprüfte den Mundgeruch und betastete die Lymphknoten. War alles in Ordnung, besah er sich jedes Exemplar nackt, um versteckte Hauterkrankungen, Verletzungen oder Geschwüre finden zu können, doch da war nichts. Er nickte Tarkyaris zu, welcher sich seine Zufriedenheit nicht anmerken ließ. In der Tat war keiner der Sklaven Ausschuss. Tausend Drachmen für zehn Sklaven, dazu zwei Säuglinge gratis. Das entsprach einem Preis von hundert Drachmen je Sklave, wobei Drachme und Denar fast eine identische Kaufkraft besaßen. Das machte 400 Sesterze je Kopf. Ein gutes Geschäft für augenscheinlich brauchbare Ware.


    "Ich gebe dir 750 griechische Drachmen. Diese besitzen eine höhere Kaufkraft als die römischen.* Dafür nehme ich die Sklaven wie gesehen im Zehnerpaket und verzichte auf das Rosinenpicken. Ein sicheres Geschäft für beide Seiten und ich werde deinen Namen positiv im Gedächtnis behalten."


    Tatsächlich hatte Tarkyaris das Augenmerk auf einen Jüngling mit blonden Locken gerichtet. Sollte sein Gegenüber allzu hartnäckig bleiben, würde er versuchen, zumindest diesen für einen guten Preis zu erwerben. Blonde Jünglinge von so hübscher Gestalt gehörten zu den Exemplaren, die zuerst weggingen. Jedoch vermied er es, sein Interesse für den Burschen zu offenbaren und blickte ihn nicht weniger oder öfter an als jeden anderen Sklaven.


    Sim-Off:

    Zu dieser Zeit hatten griechische Drachmen einen Silbergehalt von etwa 4,6-6 g Silber, römische Drachmen etwa 4,5 g Silber.

  • Als sich der Mann näherte, der Tigranes gerufen wurde, und anfing, die jungen Leute zu begutachten; ihnen in den Mund sah, die Lymphknoten befühlte und auch den gesamten Körper musterte, um ihn auf Krankheiten zu prüfen, war es so, dass sich Tiberios aus alter Gewohnheit so hinstellte, dass Tigranes es leichter hatte bei seiner Arbeit; er mochte keine Umstände machen. Aber besonders die Mädchen und die jungen Frauen weinten heiße Tränen; sie waren fast alle zuvor freie Menschen gewesen und solch eine Beschau nicht gewöhnt.

    Manche der Kinder waren noch viel zu klein, um zu verstehen, was mit ihnen geschah; sie lachten, weil Tigranes Hände sie kitzelten.

    Tiberios selbst schwieg, während er einfach tat, was man ihm sagte, weil er vorhatte, all dies hier zu überleben.


    Auf gewisse Weise hatte er sogar Glück: Viel schlimmer wäre es gewesen, der Piratenkapitän hätte ihn als Scriba behalten wollen. Dann hätte er in Kürze ausgesehen wie jenes alte, in Lumpen gehüllte Wrack, das halb am Verhungern war und zudem das Opfer der bösartigen „Späße“ der Piraten.

    Das jener Käufer sie alle kaufte, rettete ihn – vorläufig.


    „Siebenhundertfünfzig Drachmen he? Die Mädchen sind fast alles noch Jungfrauen, weißt du?“,knurrte Kapitän Donyi : „Aber du schaffst sie doch in die östlichen Provinzen, oder? Das ist immer das Beste für alle. Daher: Ja, ich bin einverstanden, Rex“


    Der Pirat streckte seine Hand dem Tempelfürsten entgegen, und der andere, sein Kumpan Baraq machte mit der gespreitzten Hand ein flüchtiges Abwehrzeichen;


    Tiberios beobachtete die Szene mit gesenkten Lidern, um nicht aufzufallen; tatsächlich aber wendete er kaum den Blick von dem schlanken,fast anmutigen Tarkyaris, der dem dunklen Baraq solch Grauen einjagte.


    Weshalb nannten die Piraten ihn König? Was war er eigentlich und woher kam er? Und wohin würde er sie bringen?

  • "Sie kommen nach Cappadocia. Wohin sie dereinst von dort gelangen werden, liegt nicht in meiner Verantwortung. Das Risiko ist stetiger Begleiter in unserem Gewerbe. Nichts, was dich schrecken wird. Sonst wärst du niemals zur See gefahren."


    Tarkyaris sprach ohne Hohn. Mochte sein, dass Doniy nervös war für den Augenblick, doch würde er kein Feigling sein als Seefahrer und sich beruhigt haben, sobald bare Münze klingelte.


    "Tigranes, wenn ich bitten darf."


    Während Tarkyaris und der Kapitän sich noch ein wenig unterhielten, holte Tigranes die Bezahlung. Sie mussten sich nicht lange gedulden. Tigranes kam mit Begleitung zurück, zum einen, um das Geld zu eskortieren, zum anderen, damit die Sklaven leichter kontrolliert werden konnten. Allerdings rechnete Tarkyaris nicht damit, dass sie Probleme machten. Es waren hilflose Menschen, die verloren waren, wenn sie die Flucht ergriffen. Hier auf der Insel war das ohnehin ausgeschlossen, doch auch später - wie sollten sie überleben? Wohin sich wenden? Die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen jemand half, den langen und gefährlichen Weg zurück nach Hause zu finden, war gering. Bei den neuen Herren hingegen war es sicher, man schützte sie vor Übergriffen, gab ihnen Speis und Trank, kleidete sie. Besonders für Mütter mit Kindern war diese Sicherheit in der Regel ausreichend Anreiz, eventuelle Gedanken an eine Flucht beiseite zu wischen.


    "Auf die Beine. Wir gehen. Kapitän - es war mir eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen. Wir werden uns sicher noch einmal begegnen."


    Sein Blick strich sehr langsam über den Jüngling mit den blonden Locken. Er würde ihn später näher in Augenschein nehmen.


    Wenn Kapitän Doniy die Drachmen zählte, würde er feststellen, dass Tarkyaris sich zu dessen Gunsten um 50 Drachmen "verzählt" hatte, als Dankeschön für den unkomplizierten Handel. Kleine Geschenke erhielten die Freundschaft.


    Mit seinen neuen Errungenschaften kehrte er zurück an Bord seines Schiffes.

  • Die Gruppe junger Neu- Sklaven schaute still und beinahe schicksalsergeben zu Boden.

    Die Mütter, die begriffen hatten, dass man sie nicht von ihren Babies trennen würde – zumindest vorläufig nicht – verstummten und gaben sich alle Mühe, dass ihre Kinder nicht weinten. Auf Gedeih und Verderb waren sie nun dem fremden Käufer ausgeliefert, das wussten sie.

    Nur die ganz Kleinen grinsten Tigranes zu. Der Mann hatte sie während seiner Untersuchung gekitzelt, und sie hielten es daher
    alles für Spaß.


    „Vale bene, Rex. Eine Freude mit dir Geschäfte zu machen.“, sagte der Kapitän. Cappadocia war gut. Auch unter den Kindern konnte ja noch ein römischer civis oder ein alexandrinischer polites sein; je weiter weg von den Verwandten sie verschleppt wurden, desto besser. Aus der Sklaverei heraus war es so gut wie unmöglich, sein Bürgerrecht zu beweisen. Auch

    Piraterie und Menschenraub waren einer der Quellen für den unerschöpflichen Bedarf des Imperiums nach Sklaven.

    Doniy fürchtete die Römer nicht. Er war nicht zu fassen und mit der Beute und dem Kaufpreis für die Sklaven würde es wieder eine Weile dauern, bis sein Schiff an der Seite eines anderen Schiffes auftauchen würde – unerbittlich und tödlich wie das Meer selbst.

    Und doch – dieser grausame Mann fürchtete Tarkyakis, der selbst in der Unterwelt einen gepfefferten Ruf hatte . Er hätte nie gewagt, ihn auf irgendeine Weise zu betrügen.



    Tiberios inmitten der verkauften Ware schloss einen Moment die Augen. Er hatte den Fehler gemacht, Tarkyaris zu beobachten, so wie Sklaven und Strafgefangene das taten, unter gesenkten Lidern und ohne den Kopf zu drehen. Dennoch war dieser war wohl feinfühlig oder besser gesagt wie ein wildes Tier und schien zu wittern, wenn man ihn länger ansah. Denn auch sein Käufer schaute ihn nun länger an.


    Der Grieche überlegte: Was für eine Art Dominus war dieser Mann? War es besser, hervorzustechen aus der Schar der Sklaven oder unauffällig mit dem Strom zu schwimmen?

    Er musste eine Gelegenheit finden, ihn zu überzeugen, dass er, Tiberios, überaus nützlich sein konnte. Wie beim ersten Mal, als er verkauft worden war, hatte er nur ein Ziel: Zu überleben.

    Wieder schaute er zu Tarkyaris herüber, diesmal doch wesentlich auffälliger, so dass dieser es bemerken musste, und diesmal mit einem scheuen Lächeln.

  • Mit Menschenliebe hatte es nichts zu tun, dass man die Sklaven auf der Corbita recht freundlich empfing, sondern mit der Erfahrung, dass sich Sklaven leichter bändigen ließen, wenn sie sich in ihrer hilflosen Situation beschützt und geborgen fühlten. Jeder durchschnittlich funktionierende Verstand würde zu dem Schluss kommen, dass Fügsamkeit die besser Wahl bedeutete, denn hier lagen in der einen Waagschale Schutz und Nahrung, Fürsorge und Unterkunft, in der anderen jedoch Gewaltanwendung und Nahrungsentzug bis hin zur Tötung.


    Die neuen Sklaven verbrachte man in den Rumpf der Corbita. Unten war es dunkel, denn an Bord des Schiffes war Feuer Tabu. Nachts war es stockfinster, man ankerte, schlief und verließ sich bei der Seefahrt rein auf das Tageslicht. Momentan war es auf Deck noch hell, doch nicht im Rumpf, in den nur das Licht der zur Zeit geöffneten Luke drang. Die Luft stand stickig, Fliegen surrten, es war heiß und roch nach Vieh. Die nicht verkauften Pferde, Maultiere und Esel waren noch an Bord, ebenso zahllose Kisten, die gut vertäut waren. In der Nähe der Treppe blieb genügend Platz für die Sklaven, die es sich auf Segeltuch und Tauen bequem machen konnten.


    Tarkyaris zog sich hingegen in seine Kajüte zurück. Der Blick des Jünglings war ihm nicht entgangen. Er reagierte nicht sofort darauf, denn wer jede Sorte von Mensch kaufen konnte, nach der ihm zumute war und dem gewohnheitsmäßig die Leute Demut entgegenbrachten, ließ sich nicht um den Finger wickeln. Jedoch weckte der hübsche Bursche mit seinem Lächeln aus einem anderen Grund die Neugier des Cappadox. So ließ er diesem Sklaven eine Waschschüssel mit Wasser und einem Schuss Milch bringen, damit er seine Haut reinigen konnte, während er selbst in der Kajüte etwas Leichtes speiste. Das weiße Waschwasser konnten die übrigen Sklaven hinterher trinken oder die Kinder damit waschen.


    Die Vorgänge überwachte niemand, denn das nautische Personal hatte das Schiff für die Fahrt vorzubereiten. Nachdem der Jüngling sich gereinigt hätte, sollte er hinauf zu Tarkyaris kommen.

  • Die Sklaven, die den Umständen entsprechend ohne Grausamkeit behandelt wurden, ertrugen ihre Unterbringung im Bauch der Corbita, obwohl die Hitze und die Finsternis ihnen viel abverlangte. Eine Lethargie hatte sich selbst der Muntersten unter ihnen bemächtigt; meist schliefen sie oder starrten ins Leere. Die Präsenz der Tiere unter Deck, ihr Schnauben, ihre animalische Wärme, ja selbst ihr Geruch, hatten etwas Tröstliches, als wäre man nicht ganz alleine auf der Welt. Und auch sie, die jungen Gefangenen rochen, wie Menschen rochen, die man tagelang ohne Bad eingesperrt hatte.


    Als man eines Tages Tiberios eine Schüssel mit Wasser und Milch brachte und ihm mit kurzen Worten befahl, sich zu waschen und danach zum Kapitän zu kommen, war sein erstes Gefühl Dankbarkeit.

    Wie lange hatte er sich nicht waschen dürfen, es war eine Wohltat.

    Er wusch sich Gesicht und Hände und mit der flachen Hand was er sonst noch konnte; danach reichte er den Müttern das Milchwassergemisch für ihre Kinder. Ein wenig vermisste Tiberios sein Badebesteck, um sich Haare auszuzupfen, aber er tröstete sich damit, dass er zu jenen hellen Typen gehörte, die nicht zu allzuviel Körperbehaarung neigten.


    Nach dem Waschen stieg der Grieche die Treppe hinauf, und wieder musste er mit der Hand die Augen schützen, so sehr blendete ihn die Sonne, und auf diese Weise ging er halbblind ein paar Schritte weiter. Als er undeutlich die Schemen eines Mannes erkannte, sprach er ihn an: „Salve, mir wurde befohlen zu Tarkyaris kommen. Bitte wo finde ich ihn?“

    Der Mann nahm ihm am Arm und bugsierte ihn in die Richtung, in der sich der Genannte befand. Tiberios blinzelte. Allmählich gewöhnte er sich an das Tageslicht, tief sog er die frische Luft in die Lungen, allein das war wunderbar.


    „Du stehst vor Tarkyaris, Sklave“, brummte sein Begleiter und legte ihm die Hände auf die Schultern, um ihn etwas zu drehen.


    „Salve Dominus Tarkyaris, du hast mich rufen lassen.“, sagte Tiberios und verbeugte sich tief. Dabei klopfte ihm das Herz bis zum Halse.

    Ob vielleicht Lösegeld von den Furiern gekommen war?...Vielleicht würde man ihn zurück schicken nach Roma? .. Doch wie sollte jemand erfahren haben, wo er ….


    Der Grieche rief sich zur Ordnung. Die Vergangenheit war vergangen und musste es so lange bleiben, bis sich eine Möglichkeit bieten würde. Er selbst war in seiner Gegenwart angekommen, die unerbittlich und ungewiss war, es gab kein Vorwärts, es gab kein Zurück. Sein Schicksal hing dem Mann, der ihn hatte rufen lassen: Tarkyaris,sein neuer Herr war er; schlank und anmutig, und seine Augenfarbe wie die trügerische See.



    Sim-Off:

    Tiberios wurde zwischenzeitlich von seiner Domina freigelassen, wovon er aber sim on keine Ahnung hat. Und es würde, da er in die Hände von Piraten fiel, auch nichts an seiner Situation ändern.

  • Seine Mahlzeit hatte Tarkyaris in der Zwischenzeit beendet, der Tisch war freigeräumt, seine Hände sauber. Mit einem beiläufigen Wink schickte er Tigranes nach draußen, der die Tür hinter sich schloss und davor Stellung bezog. Aller Wahrscheinlichkeit eine überflüssige Maßnahme, doch man würde sehen. Tarkyaris nahm sich Zeit, den Sklaven zu betrachten, der im durch das Fenster einfallende Licht wie eine Alabasterstatue aussah.


    Er registrierte ansprechende Zartheit, wenngleich sie nicht mehr lange vorhalten würde, doch vermutete er weitere Qualitäten, die den Makel des relativ fortgeschrittenen Alterungsprozesses wieder auszugleichen vermochten. Der Blick des Sklaven wirkte klug, kontrolliert und das verheißungsvolle Lächeln ließ manipulative Neigungen erahnen. Je nach Einsatzbereich eine durchaus vorteilhafte Eigenschaft. Manche sprachen euphemisierend von Menschenkenntnis oder Verhandlungsgeschick.


    „Erzähl mir ein bisschen von dir, Sklave.“


    Die Aufforderung erfolgte im wohlwollenden Ton. Es gab keinen Grund, den Jüngling einzuschüchtern - seine Zukunft lag in der Hand von Tarkyaris und seiner Fügsamkeit war zu entnehmen, dass er sich dessen vollumfänglich bewusst war. Absichtlich präzisierte Tarkyaris nicht, welche Dinge ihn besonders interessierten. Er wollte sehen, welche Themen der Sklave von sich aus wählte.

  • Tiberios hatte lange keinen Tisch mehr gesehen, auch keinen Schreibtisch.

    Er fühlte die seltsame Regung, dass er gerade Calami und Wachstafeln vermisste und Tarkyaris um die Tatsache beneidete, dass dieser an einem Tisch sitzen konnte. Denn die ganze Reise hatte der Grieche ja auf dem Boden zugebracht.


    Er wusste schon, dass er begutachtet werden sollte.

    Im Gegensatz zu den anderen jungen Gefangenen war er als Sklave geboren worden und daher erschien es ihm normal, dass sein neuer Herr erkunden wollte, für was er taugte.

    Das er es aber gerade jetzt wollte, war vermutlich seinem, Tiberios, Lächeln zu verdanken, mit dem er um Aufmerksamkeit geworben hatte.

    Tarkyaris schien ein aufmerksamer Beobachter zu sein. Er hatte nicht nur registriert, was, sondern vor allen Dingen warum seine Neuerwerbung das getan hatte.


    Tiberios hob den Blick nicht, das würde er tun, wenn er die Erlaubnis dazu bekam, seinen neuen Herren direkt anzusehen.

    Es gab einiges zu bedenken, und das tat er auch: Tarkyaris sollte wissen, dass er kein Arbeiter war, sondern in gehobener Position gedient hatte, dass er vertrauenswürdig war, und seine frühere Herrin ihm auch völlig vertraut hatte.

    Desweiteren, dass er Grieche war und paideia besaß, die entsprechende Bildung. Außerdem war er ein epistolográfos, ein Scriba; diese Ausbildung in Kombination mit seinem Alter würden hoffentlich verhindern, dass man ihn an irgendein Lupanar weitergab oder an jemanden, der nur einen Lustknaben suchte.

    Diese Gedanken jagten durch Tiberios Kopf, während er vor dem Fenster stehen blieb und seinem Gegenüber Muse gab, ihn eingehend zu betrachten.

    Er würde auch näher kommen, wenn Tarkyaris das wünschte. Es ging ihm gerade nicht um Moral, sondern um ein gutes Leben, nachdem die Frage des Überlebens zumindest vorläufig geklärt schien. Es gab aber einfach zu viele Gräber von jungen Sklaven, denen ein schlechtes Leben beschieden worden war.


    Dann hörte Tiberios Tarkyaris wohlwollende Stimme: "Erzähl mir ein bisschen von dir, Sklave.“


    „Mein Name ist Tiberios, Dominus Tarkyaris, ich wurde in Alexandria geboren und stehe nun in meinem neunzehnten
    Jahr. Ich bin ein im Haus geborener Sklave. Ich bekam eine gute Erziehung, wurde zum Scriba ausgebildet und beherrsche alles Erforderliche. Ich bin aber auch geschult im Vortragen von Gedichten oder philosophischen Werken.
    Im Hause meiner römischen Herrin hatte ich als Hausvorsteher eine Vertrauensstellung. Wenn es etwas zu lernen gibt, so bemühe ich mich, es zu lernen, Herr.

    Kapitän Donyi …. entwendete mich auf der Reise nach Roma.“, nach römischem Recht war Tiberios eine Sache, was aus seiner
    Entführung einen Diebstahl werden ließ.


    Er machte eine Pause. Er sagte nichts davon, dass er zurück wollte zu den Furiern oder nach Roma.

    Es war als hätte er sein früheres Leben vollkommen vergessen. Er beschwerte sich nicht noch versuchte er sein Los zu verbessern, auch fragte er um keine Vergünstigung.

    Es ging darum, dass er, Tiberios, Dominus Tarkyaris, je nachdem was dieser in ihm sehen wollte, ansprechend, gescheit, diensteifrig und vor allen Dingen nützlich erschien.

  • Der Miene von Tarkyaris war nichts anderes zu entnehmen als Aufmerksamkeit. Das maskengleiche Gesicht konnte Irritation bei Menschen verursachen, die es gewohnt waren, dass ihr Gegenüber seinem Mienenspiel freien Lauf ließ. Tarkyaris hatte aufgrund seiner Abstammung von klein auf gelernt, dass Mimik als Kommunikationsmittel ebenso bewusst eingesetzt werden musste wie Worte. So konnte er mitunter teilnahmslos wirken, doch könnte dieser Trugschluss falscher nicht sein. Er analysierte und betrachtete seine Umgebung unentwegt, wertete aus, erwog Möglichkeiten.


    Und diese Möglichkeiten offerierte der Sklave soeben wie eine ausgebreitete Warenauslage. Der Jüngling wollte handeln - um sein kleines Leben, das dennoch das einzige war, was er besaß. Tarkyaris hatte Sklaven nie als wertlos bezeichnet oder ihre menschlichen Bedürfnisse in Abrede gestellt. Bedürfnisse waren der Schlüssel zur Kontrolle, indem man sie stillte oder schürte, bei Sklaven wie Freien. Jeder hatte Bedürfnisse, auch der Jüngling, der ihm gegenüberstand und Tarkyaris meinte, den Kern seines Wesens zu erfassen. Er würde seine Überlegungen auf den Prüfstand stellen.


    Er nickte wohlwollend. "Tiberios ist ein schöner Name. Du darfst ihn vorerst behalten."


    Ein Stückchen seiner Selbst, dass dem Jüngling erhalten blieb, ein Stück Vertrautheit, ein Brotkrumen, der dem Sklaven mitteilen sollte, dass Tarkayris das Angebot annehmen würde - er würde mit ihm um seine Zukunft verhandeln. Im Falle dieser wandelnden Goldgrube war sorgfältige Kalkulation keine Zeitvergeudung, sondern Gewinnmaximierung.


    "Du bist als gut ausgebildeter Scriba ein kluger Kopf. So weißt du auch um die Möglichkeiten, die sich einem Sklaven offerieren, der in der Lage ist, mit dem nötigen Ehrgeiz zu handeln. Es gibt Sklaven, die für ihre Herren diplomatische Verhandlungen in anderen Ländern führen, die ihn bei seinen Regierungstätigkeiten unterstützen und Freie befehligen, als wären sie selbst ein Herr. Auf dem Zenit ihrer Macht spielt es für solch pflichtbewusste Sklaven keine Rolle mehr, dass sie unfrei sind - denn sie leben in größerem Luxus als so manch freiem Mann, der bis ins hohe Alter dem kargen Boden in Wind und Wetter ein paar knorrige Feldfrüchte abringen muss. Hast du je Palastsklaven erlebt? Sie sind in Gold kaum aufzuwiegen, ihr wahrer Wert ist nicht weniger als unbezahlbar. Sie sind nichts Geringeres als lebende Schätze. Man belohnt sie reich für ihre Treue, sie werden geschätzt für ihre Leistung, verehrt für ihre Macht und sie werden geliebt."


    Tarkyaris hob in einer bedauernden Geste beide Hände.


    "Freilich ist dies der Lohn der Tüchtigsten, der Treusten, kurzum: der Besten. Doch was tun, wenn die Treue eines Sklaven voller Potenzial bereits einer Herrin gilt, deren Diensten er entrissen wurde?"

  • Tiberios verneigte sich kurz, als Tarkyaris ihm gestattete, seinen Namen zu behalten: „Ich danke dir, Herr“

    Es war ungewöhnlich, dass sein Name gefiel; in Alexandria hatte man sich über diese offensichtliche Anbiederung an die Römer durch seinen ehemaligen Herren eher lustig gemacht.

    Aber er gehörte ihm, und er war gerade das einzige, was er an Eigentum besaß. Das Tarkyaris ihn ihm ließ, empfand er als unerwartetes Privileg.


    Als sein neuer Eigentümer nun weitersprach, hob Tiberios für einen Moment den Kopf und schaute sein Gegenüber mit glänzenden Augen an.

    Auch er war im Geiste von aien aristeuein* aufgewachsen und den Willen eines solchen besten Herren auf so makellose Weise zu verkörpern, dass sie quasi ununterscheidbar wurden, erschien wie die Vision des Morgensterns an seinem geistigen Horizont.

    Das Bild, das Tarkyaris heraufbeschwor, rührte an einer Seite von ihm, so wie ein geschickter Lyraspieler seinem Instrument die gewünschten Töne entlockte: Die Möglichkeit der Wirksamkeit in dieser Welt…ein Wort von ihm, ein Zugriff, und sie konnte Wirklichkeit werden. Und Tiberios würde geliebt werden.....


    Tarkyaris kühnes Gesicht zeigte keine Regung.

    Dann hob er die Hände, und auch seine folgende Bemerkung traf den Griechen ins Mark, doch diesmal traten ihm Tränen in die Augen.

    Sein erster Herr hatte ihn verkauft, daher fühlte Tiberios keinerlei Verpflichtung ihm gegenüber, aber alles, was er sonst war, war er nur durch die Furier im fernen Roma. Sie hatten ihn beschützt, erhoben; sie vertrauten ihm, und er war Teil der familia.


    Würde man ihn zwingen, sein altes Leben zu vergessen, würde er das aus dem einfachen Grund heraus, keine andere Wahl zu haben, tun.

    Auch einem neuen Herren würde er mit all seinen Kräften dienen.


    Aber dem Tempelfürsten schien es nicht um Zwang zu gehen. Er forderte eine Entscheidung ein.


    Und so sehr Tiberios überleben wollte und so sehr ihn die strahlende Zukunft lockte, er brachte es nicht über das Herz, seine Domina zu verraten.

    Ja, er war oft eigenmächtg gewesen in seinem Handeln, er hatte nicht immer die Wahrheit gesagt, er hatte Dinge verheimlicht, aber seine Treue und seine Hingabe waren von eigener innerer Wahrheit.


    „Es liegt bei dir, was du mit einem solchen Sklaven tun willst.“, flüsterte er traurig.

    Es war ihm, als würde das herrliche Bild, das ihm der Tempelfürst gemalt hatte, verblassen und eine gewaltige Eisentür donnernd ins Schloss schlagen; und er glaubte sich verloren.



    Sim-Off:

    * stets der Beste sein

  • Die ausgebreiteten Hände von Tarkyaris fielen nach innen, kreuzten sich auf dem Tisch wie zwei Speere vor einem Eingang. Die Tür fiel ins Schloss, der Weg in eine Zukunft in Perlen und Seide war verschlossen.


    "Die Hand wird nur einmal gereicht. Ziehe dich nun zurück zu deinesgleichen."


    Tarkyaris gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verhehlen. Niemand, der nach exquisitem Sklavenmaterial suchte, konnte ein Exemplar gebrauchen, welches aus Sentimentalität seiner alten Herrin nachtrauerte, anstatt sich an die neue Familie zu binden. Schade für Tarkyaris, Schade für sein Geschäft und schade für den Sklaven, würde er sein unnötiges Unglück begreifen. Den nun würde er als gewöhnlicher Scriba an einen ebenso gewöhnlichen Herrn verkauft werden.

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