Der Frühling hatte allmählich den Winter aus Roms Gassen und Straßen verdrängt und fand mehr und mehr auch Einzug in das herrschaftlichen Anwesen der Flavia, insbesondere in Form von mehr hellem Grün, mehr Blüten, mehr Sonne, mehr Insekten und mehr Vögeln im Peristyl. Es war diese Zeit, in welcher Gracchus die Natur wohl am meisten genoss, jene Zeit in welcher die Sonne die Tristesse des Winters vertrieb, indes noch nicht mit der bisweilen regelrecht erstickenden Kraft des Sommers auf die Stadt hinabbrannte. Aus diesem Grunde hatte er sich entschieden, Valerius Flaccus im Peristyl zu empfangen, an einer kleinen Sitzgruppe mit Blick auf den Magnolienbaum, in welchem aus den Knospen bereits blassrosa Blätter hervorspitzen im Ansinnenihr Blütenantlitz alsbald der Sonne entgegen zu recken, wiewohl auch auf die marmorne Melpomene, welche nun im Frühling ebenfalls wieder frisch erstrahlte. Der Flavier indes hatte nur Augen für eine Spinne, welche seit er Platz genommen hatte in einem Rosenstock ein Netz aufspann.
Peristylium | MFG et TVF - Auf Regen folgt stets Sonnenschein
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Gemessenen Schrittes folgte Tiberius dem Bediensteten, der ihn an der Porta abgeholt hatte in das winderbare Peristyl der herrschaftlichen Villa. Wiedereinmal wünschte sich Tiberius, er hätte einen ähnlich ausgeprägten Geschmack, was Innendekoration anging.
Er beschloss, daran bei Zeiten endlich etwas zu ändern. Der Casa Valeria würde eine ordentlich ästhetische Aufrüstung durchaus gut zu Gesicht stehen.
Tiberius fand den Pontifex in die Betrachtung seines Rosenstockes vertieft. Er räusperte sich. "Pontifex. Ich danke dir, dass du mich empfängst."
Dass der Flavier in einer derart angenehmen Umgebung empfing beschloss Tiberius als positives Zeichen zu werten.
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Der Flavier blickte empor und ein Lächeln kräuselte seine Lippen.
"Valerius, gerne doch. Bitte nimm Platz."
Ein Sklave trat sogleich heran dem Gast einen verdünnten Wein zu kredenzen, einen Tropfen aus der Region um Ancona mit angenehm weichem Geschmack, der sich hervorragend in die Leichtigkeit des Tages einfügte, indes nicht der Schwere des ersten Themas ihres Gespräches wurde gerecht, welches Gracchus, der kein großer Freund ennuyanter, nichtssagender Einleitungsfloskeln war, direkt ansprach.
"Lupus' Ableben ist wahrhaft deplorablel! Ein großer Ver..lust für Rom, doch während ich sonstig geneigt bin Roms Interessen vor die meinigen zu stellen, ist es in diesem Falle different, kann Rom doch nicht ermessen, welch weitaus größerer Verlust Lupus' Tod für seine Freunde bedeuted."
Gracchus hob sein Glas und vergoss einen Schluck auf den Boden.
"Auf Sextus Aurelius Lupus, einen wahrhaften Freund und großen Römer!"
Zu Ehren des Toten trank er einen Schluck, blickte sodann fragend zu Valerius.
"Ich spiele mit dem Gedanken, dem Kaiser Lupus' Aufnahme in das Upianum anzutragen. Er war immerhin ein hervorragender Staatsmann, welcher unter anderem die Lex Marcatus grundlegend reformierte."
Zu dieser Gelegenheit war es auch gewesen, dass der Flavier Valerius hatte kennengelernt, welcher damalig ein Tirocinium bei Aurelius hatte absolviert.
"Darüber hinaus ist er auch auf militärischem Gebiet mit einigen bedeutenden Auszei'hnungen bedacht worden, etwa mit einem Clipeus für seine Leistungen im Feldzug gegen Vescularius."
Dies war zugegeben keine Episode der römischen Historie, an welche Gracchus gerne zurückdachte, doch diese Geschichte war nun einmal geschrieben worden, und wenn Lupus schon nicht den Lohn für seinen wahren Anteil an der Geschichte konnte erhalten, so doch zumindest jenen Anteil, welcher festgehalten worden war.
"Was denkst du, Valerius, wäre dieses Unterfangen wohl von Erfolg gekrönt, ist die Reformierung eines Gesetzes bereits ein Zeichen besonderen Einsatzes eines Staatsmanns, ein entscheidender Impuls in der Geschichte des Imperium Romanum - wie es die Richtlinie zur Aufnahme in das Upianum ver..langt?"
Gracchus war in dieser Angelegenheit zweifelsohne befangen und mochte sich nicht vorwerfen lassen nur aus Gunst einen Manne in höchste Ehren zu stellen.
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Tiberius nahm Platz und ein Glas von dem angebotenen Wein. "Auf Sextus Aurelius Lupus in der Tat. Mögen seine Taten weiter leben. Rom mag sich an dem erfreuen, was er geleistet hat, denn es waren stattliche und vorbildliche Leistungen. Seine Freunde mögen sich zusätzlich noch an der schönen Erinnerung erfreuen und dankbar sein für das, was er für sie getan hat."
Der Pontifex beließ es allerdings nicht dabei, in Trübsal zu verweilen, sondern hatte offenbar direkt auch einen praktischen Gedanken, den er mit Tiberius beratschlagen wollte. Das Ulpianum. In vielerlei Hinsicht eine der höchsten Auszeichnungen, die überhaupt erreichbar waren. Entsprechend kompliziert war es, in diese besonders ehrwürdige Halle einzuziehen."Ich würde nichts lieber sehen, als dass Lupus dort seinen verdienten Platz einnehmen könnte." Tiberius versuchte sich das Gesetz zum Ulpianum in Erinnerung zu rufen. Das war keine Materie, mit der er sich jeden Tag auseinanderzusetzen hatte. "Wenn ich mich recht erinnere, müsste Lupus Name von einem gewissen eigens einberufenen Consilium für würdig befunden werden. Dieser Rat wird vom Kaiser selbst einberufen, was ihm natürlich die Möglichkeit gibt, eine gewisse Vorentscheidung herbei zu führen. Es wäre also sicher positiv, könnte man den Augustus in dieser Sache bereits vorher positiv stimmen. Letztlich liegt die Entscheidung über die Auslegung der Richtlinien zum Ulpianum einzig bei dem jeweils einrufenen Consilium. Der Text sagt uns nämlich, wie du ja sicher schon festgestellt hast, nicht besonders viel, er ist vielmehr extra so ausgestaltet, dass maximaler Spielraum für die jeweiligen Consilia entsteht." Tiberius nahm noch einen Schluck von dem exzellenten Wein, bevor er fortfuhr: "Ein Triumph ist ihm ja nun leider verwehrt geblieben. Dass er auf der anderen Seite einen Clipeus erringen konnte - und noch dazu bei der Verteidigung des Staates gegen Vescularius - allerdings ist ein gewichtiger Umstand. Allerdings haben sich in diesem Krieg viele durch Tapferkeit hervor getan.
Die Lex Mercatus nun ist eines der wichtigsten Gesetze, die wir haben und ein solch kontroverses Regelwerk zu reformieren ist juristisch wie politisch sicher eine Leistung für die ihm das römische Volk überaus dankbar sein kann." sagte er und erinnerte sich nicht ohne Stolz an seinen eigenen Beitrag in dieser Sache während des Tirociniums zurück. "Eine Reform, die die praktischen Nöte der Händler auf dem Forum in den Mittelpunkt stellt. Pragmatisch und Praktisch. Und deswegen könnten es einige Leute auch zu... unglamurös finden. Nicht glänzend genug. Ich sehe also vor Lupus' Einzug ins Ulpianum noch einige politische Arbeit. Um den Kaiser wohlwollend zu stimmen und um das Volk daran zu erinnern, was sie Lupus alles zu verdanken haben."
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Während Valerius seine Gedanken erläuterte nickte Gracchus ab und an zustimmend. Er schätzte die Art und Weise wie Flaccus nicht schlichtweg seine Meinung kundtat, sondern die Angelegenheit in belangvoller Analyse durchdachte und zu einer Schlussfolgerung brachte.
"Nun, gleichwohl ein Triumph, wie auch das Consulat Lupus verwehrt blieben, so haben bereits geringere Männer Einzug in das Ulpianum erhalten, man denke nur an Annaeus Florus, der ebenfalls beides nie errecht hatte."
Ein ehrgeiziger Mann indes, der nun an der Seite der bedeutendsten Römer im Ulpianum weilte.
"Doch du hast Recht, eine gut vor..bereitete Einstimmung des Augustus wird zweifelsohne vonnöten sein."
Bei Gelegenheit würde er zumindest vorfühlen wie Aquilius zu Aurelius Lupus stand. War der Augustus überzeugt, so würde das Consilium mitziehen müssen. Er nahm noch einen Schluck Weine und spülte das Thema damit vorerst hinfort.
"Und du, Valerius, welche Pläne hegst du in Hinblick auf Rom?"
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Tja, seine Pläne im Hinblick auf Rom.
"Nun. Ich würde, wie ich dir ja ausch schon geschrieben hatte, die Arbeit, die ich mit Lupus begonnen hatte, fortsetzen. Es gibt noch viel zu tun. Selbst die Lex Mercatus, an der Lupus so hart gearbeitet hat, ist letztlich ein Kompromiss, so wie ihn die politische Arena hervor zu bringen pflegt.
Ich bin Jurist und kann, denke ich für Rom auf diesem Feld am nützlichsten sein. Meine Ambitionen werden durch meine bescheidenere Herkunft erschwert, andererseits ist ein gesunder Ehrgeiz ja durchaus eine römische Tugend. Und wenn mich dieser Ehrgeiz also dereinst auf die Ämterlaufbahn führen sollte, könnte ich dort dem Staat sicher von großem Nutzen sein. Aber das ist sicher ein weiter und steiler Weg, der auch zu anderen Enden führen mag. In jedem Fall wäre auf einem solchen Weg deine Patronage äußerst wertvoll.
Umgekehrt könnte ich dir und den Flaviern schon jetzt von einigem Nutzen sein, solltest du meinem Ansinnen, dein Klient zu werden, positiv gegenüber stehen. Ich denke, ich habe mir einiges Ansehen in der Stadt erarbeitet, einen schönen Landbesitz buchstäblich erredet und die Gens der Valerier hatte zuletzt die Ehre, eine vestalische Jungfrau zu stellen.
Entsprechend war ich zuversichtlich, dass du in einem solchen Arrangement auch einen... gewissen Wert erkennen würdest."
Das Ableben des Aureliers war für Tiberius nicht besonders günstig, aber so spielte das Schicksal. Aber die Zukunft lag vor ihnen und so war sich Tiberius sicher, dass der Flavier die Vorteile einer solchen Abmachung sehen würde. Natürlich hatte Tiberius die Bemerkung über Emporkömmlinge sehr genau registriert, aber Tiberius war nicht an irgendwelchen sozialen Paradigmenwechseln interessiert, sondern machte sich Gedanken darüber, welche Vorteile Flavius und er sich gegenseitig verschaffen konnten. Darauf kam es an.
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Ein feines Lächeln kräuselte die Lippen des Flaviers als Flaccus das erredete Stück Land erwähnte, welches er als Preis beim Wettstreit der Rhetoren sich hatte redlich verdient. In der Tat war der Valerier nicht nur in der Juristerei bewandert, sondern darüberhinaus geschickt in Worten - ein Charakterzug, den Gracchus mehr als schätzte, gleich ob in üppiger Pracht oder nüchterner Klarheit.
"Fürwahr ist mir dieser Wert evident, Valerius. Meine Frage zielte mitnichten darauf ab, eine Apologie deiner Anfrage zu forcieren, sondern schli'htweg deine Pläne zu kennen, um darauf basierend die Art meiner Unterstützung bedenken zu können. Denn es ist mir eine Freude, dich als Klient der Flavia Graccha anzunehmen."
Er reichte Valerius die Hand, um dieses Bündnis zu besiegeln.
"Sofern du Vorschläge hast, die lex mercatus weiter auszugestalten, so wäre Minors Aedilat eine ausgezeichnete Möglichkeit, dies in den Senat einzubringen."
Selbstredend konnte Gracchus als Consular jederzeit Gesetzesänderungen oder Initiativen in den Senat bringen, doch war ihm ebenso daran gelegen, dass Minor sich allmählich ein wenig hervortat.
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Tiberius nahm hocherfreut die angebotene Hand. "Eine Ehre, Patron. Und, darf ich sagen, eine Freude." Nach dem Aurelier hatte er sich nun also den Flaviern verschrieben und er war zuversichtlich die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Noch erfreuter war er, als der Patron direkt eine Einsatzmöglichkeit für Tiberius Fähigkeiten sah. Wann bekam man schon mal die Möglichkeit ein Gesetz neu aufzuschrauben? "Es gäbe in der Tat an der Lex Mercatus einiges nachzujustieren, so wie es sich mit Gesetzen meistens verhält. Sie sind wie delikate Apparaturen, die man von Zeit zu Zeit neu ausrichten und in denen man gelegentlich Ersatzteile einbauen muss.
Was die Juristerei angeht, würde ich sagen, dass ich im traditionalistischen Lager zuhause bin und entsprechend würde meine Beratung ausfallen. Wenn ich noch eine Metapher bemühen darf: Aus dem Baum des Rechts wachsen in wohlmeindem aber gelegentlich zu wildem Enthusiasmus manchmal Zweige hervor, die man nach reiflicher Überlegung so zuschneiden muss, dass die römischen Tugenden, Werte und das Mos Maiorum optimal zur Geltung kommen."
Er nahm an, dass dem patrizischen Pontifex eine solche rückbesinnliche Haltung durchaus zusagte. Allerdings gab sich Tiberius Mühe bei aller Bewunderung für die Veteres nicht in eine gedankenlose Rückwärtsgewandtheit zu verfallen. Eine Verführung, der allzu viele seiner Zunftbrüder manchmal erlagen.
"Ich könnte ohne großen Verzug einige Ideen für die Lex Mercatus präsentieren."
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Als Flaccus die Gesetze mit delikaten Apparaturen verglich hob sich des Flaviers linke Braue ein Stück. Er selbst strebte danach, dass Gesetze von derartig wahrhaftiger Güte waren, dass sie unveränderlich über Jahrzehnte, ja gar Jahrhunderte gültig waren, denn nur so konnten sie die Stabilität und Sicherheit bieten, zu deren Zwecke sie erdacht worden waren. Indes musste auch er eingestehen, dass die Welt nicht stehen blieb, ein Umstand, welcher Gracchus je älter er wurde, um so öfter gewahr wurde und um so weniger gefiel. Valerius' Ergänzung über das traditionalistische Lager wiederum sagte ihm mehr als zu.
"Eine überaus stimmige Metapher - der Baum des Rechts."
Er blickte zu dem kleinen Olivenbäumchen, welches in einem Kübel aus Terracotta im Peristylium gedeihte, und welches selbstredend in akkurater Form geschnitten war.
"Ohne großen Verzug also?"
fragte er mit einem herausfordernden Lächeln.
"Wie wäre es in zwei Tagen? Wäre dir der Vormittag angenehmer, oder arbeitet dein juristischer Verstand auch nach einer Cena noch passabel?"
Politisch tiefgründige Gespräche nach dem Essen waren nicht ungewöhnlich, darob sollte sich durchaus auch über Recht noch beraten lassen.
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Zwei Tage waren mehr als ausreichend. Tiberius hatte die Notizen von damals selbstverständlich aufbewahrt. Weniger aus praktischen Erwägungen heraus - schließlich hatte er nicht gedacht, dass er sie nochmal brauchen würde - als eher aus sentimentalen Gründen. Außerdem war die Lex Mercatus ein Gesetz, das ständig auf dem Marktplätzen in Gebrauch war und deswegen auch ständig einen Gegenstand heißer Diskussionen in den interessierten Kreisen darstellte. Er war also "drin in der Materie".
"Zwei Tage? Gern. Meiner Erfahrung nach werden die juristischen Gedanken nach einer Cena eher besser. Ich weiß nicht warum, aber sie ist was Übersicht und Abgeklärtheit gegenüber der Sache angeht, eine gute Voraussetzung."
Stand man in einem Prozess, hoffte man lieber, dass die Richter vorher ordentlich gegessen hatten. Oder nicht, wenn man es z.B. von einer Anklägerseite betrachtete.
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"Nun, ich würde vermuten, sofern die niederen Bedürfnisse des Menschen gesättigt sind, er sich besser und insbesondere geduldiger auf die interessanten Probleme der Welt fokussieren kann"
, warf Gracchus in Hinblick auf den Nutzen einer Cena vor der Arbeit ein.
"Dann also erwarte ich dich in zwei Tagen zur Cena, inklusive deiner Vorschläge. Gibt es sonstig etwas, das ich für dich tun kann?"
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