Das Geschäft "Caesareas dufter Viri"

  • Mit einer gewissen Spannung betrat Tariq den Laden. Es war das erste Mal, dass er über die Schwelle trat, bisher hatte er lediglich in der Nähe der Tür herumgelungert und beobachtet, wer hier alles ein- und ausging. Als erstes umhüllte ihn ein Duft verschiedener Kräuter, Öle und anderer Mixturen, die er nicht gleich zuzuordnen vermochte. Nachdem seine Augen sich an den – zumindest im Vergleich zum grellen Tageslicht – dunklen Innenraum gewöhnt hatten, glitten sie über die Pracht edler Waren, die Tariq in der Vielfalt bisher nie auf so engem Raum gesehen hatte. Bei Soufian ging auch das eine oder andere teure Einzelstück über die Theke (oder stellenweise auch unter der Theke her), aber hier türmten sich Ballen edler Stoffe in deckenhohen Regalen, standen diverse Flaschen und Tiegel in Wandschränken, die selbst kleine Kunstwerke waren und verbargen Truhen ihre zweifellos wertvollen Inhalte vor den Augen der Kundschaft.


    Tariq wäre gern zu dem Regal mit den Stoffen gegangen, hätte die Finger ausgestreckt und sie berührt. Er hatte noch nie so wertvolle Stoffe angefasst, geschweige denn aus ihnen gefertigte Kleidung getragen. Aber es war, als habe der römische Iuppiter oder Hadamars Donar einen Blitz auf ihn geschleudert. Er stand eine Weile wie erstarrt mitten im Raum, überwältigt von dem, was er sah und unschlüssig – oder unfähig, so genau wusste er es selbst nicht – einen Schritt in eine bestimmte Richtung zu machen. Er fingerte nur nach dem Geldbeutel, den Hadamar ihm mitgegeben hatte, um sich zu versichern, dass er noch da war.

  • Ein junger Mann betrat das Geschäft und schaute sich mit großen Augen staunend um. Der Blick allein war schon ein Kompliment an den Laden und Viri selbst. Ein klein wenig erinnerte optisch an Charislaus, der einst für Viri tätig gewesen war und nun einem anderen Herrn diente. Viridomarus gab dem jungen Mann einen Moment Zeit sich umzuschauen und sich zu sammeln. Dann löste er sich von seiner Theke und schwebte mit seiner volluminösen Gestalt geradezu auf den neuen Kunden zu.


    Der Griff des jungen Mannes gilt zu seinem Geldbeutel, was Viri wohlwollend feststellte. Auch Nubius sah die Bewegung, aber seinen Zügen war nichts zu entnehmen. Wie immer war der große Wächter von Viri die Ruhe selbst. Wie eine schwarze Statue stand er neben der Tür und bewachte alles und jeden im Laden.


    "Salve junger Kunde, wie kann ich Dir behilflich sein? Deinen staunenden Blick werte ich als Kompliment, vielen Dank. Wonach hältst Du Ausschau oder was interessiert Dich?", fragte Viri freundlich und leichthin, um dem Kunden die Scheu zu nehmen.

  • Tariq zuckte zusammen, als ihn plötzlich jemand ansprach. Auf ihn trat ein Mann zu, der sich trotz seines beachtlichen Leibesumfangs mit einer tänzerischen Leichtigkeit bewegte. Das ließ ihn zumindest in Tariqs Augen fast ein wenig überirdisch wirken, so als sei er kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein Djinn, der sich aus einer der kunstvoll verzierten Öllampen manifestiert hatte. Vermutlich war er aber der Besitzer all dieser Schätze, die sich um ihn herum präsentierten – Viridomarus.


    „Salve … Viridomarus, nehme ich an?“ grüßte er höflich zurück, sich aus seiner Erstarrung lösend. Da sein Gegenüber sehr freundlich war, lächelte er nun ebenfalls, immer noch etwas zurückhaltend. „Ja, das stimmt, du hast viele sehr schöne Sachen hier, was mir meine Aufgabe nicht leichter macht.“ Sein Blick wanderte ein weiteres Mal durch den Raum – und dieses Mal nahm Tariq den zweiten Mann wahr, der einer Statue gleich in einer Ecke verharrte. Fast wäre er wieder zusammengezuckt, dieses Mal aber nicht aus Überraschung über das plötzliche Erscheinen des Mannes, sondern weil sein Anblick seinen Fluchtinstinkt weckte. Dabei hatte er nichts Unrechtes getan – und auch nicht vor, einen dieser schönen Gegenstände in seinen Taschen verschwinden zu lassen, immerhin hatte er Hadamars Geldbeutel dabei. Er war ein ganz normaler Kunde und hatte demzufolge nichts zu befürchten! Das musste er sich selbst immer wieder vorbeten.


    „Ich heiße Tariq und ich bin von einem Freund, einem römischen Offizier, ausgeschickt worden, um Geschenke für seine weiblichen Verwandten zu kaufen.“ Kurz hatte er überlegt, Hadamar als seinen Herrn zu bezeichnen, weil das weniger Verwunderung hervorrief, aber er hatte sich dann doch entschieden, bei der Wahrheit zu bleiben. Ebenso fällte er spontan die Entscheidung, Viridomarus das ganze Ausmaß seines Dilemmas zu präsentieren. Wenn jemand wusste, was man römischen Damen schenken könnte, dann wohl der Besitzer eines solchen Ladens. „Nur habe ich das Problem, dass ich die Damen nicht kenne, und deshalb nicht so recht weiß, was ihnen gefallen würde.“ Nun huschte ein Grinsen über sein Gesicht. „Bei den vielen schönen Dingen fällt die Auswahl noch schwerer. Und die Münzen hier reichen leider nicht, um den ganzen Laden zu kaufen.“

  • "Ganz Recht ich bin Viridomarus. Willkommen im duften Viri Tariq. Geschenke sind, wie Du vermutlich weißt, oft eine heikle Angelegenheit. Was viele Frauen erfreut sind erlesene Düfte. Aber so groß wie die Freude sein kann, so sehr kann man als Schenkender auch mit der Wahl des Duftes daneben liegen. Deshalb würde ich von einem Duft abraten. Ein wahrer Duft muss der Person auf den Leib geschneidert werden, wie ein gutes Kleidungsstück.


    Leichter fällt es hier also bei Zubehör, mit welchem man Kleidung aufwertet wie Schals oder Tücher. Und selbstverständlich Geschmeide. Mit Schmuck liegt man niemals falsch, solange man ein klein wenig über die Dame weiß. Da es sich um eine Verwandte und keine Herzensdame handelt, sind wir schon einmal ein Stück weiter. Bei einer Herzensdame hätte ich zu einem Tuch oder Schal aus wertem Stoff geraten. Sozusagen die Umarmung des Schenkenden für Unterwegs.


    Bei einer Verwandten, der man seine Wertschätzung ausdrücken möchte, würde ich zu Ohrringen oder Haarschmuck raten. Wertig aber nicht zu pompös. Denn bedenke, Du möchtest dieser Frau ein Geschenk machen und sie nicht durch die Schenkung bloßstellen. Denn auch dies ist zu beachten, ist das Geschenk zu wertvoll, kann es einen üblen Beigeschmack erhalten. Was möchte der Schenkende tatsächlich?


    Ein Geschenk muss wohlüberlegt und geplant sein.


    Demzufolge rate ich Dir zu einer Haarspange. Entgegen Ohrringen kann man sie in vielen Situationen tragen und zu sehr vielen Anlassen, wie auch Frisuren. Das Geschenk verbindet Schönheit, Wert und es ist praktisch. Du hättest also alles in einem vereint. Da Du die Verwandte nicht kennst und vermutlich weder etwas über ihre Haarfarbe noch Ihr Alter weißt, würde ich zu schlichten und dennoch schönen Silber raten.


    Lass uns zu den Spangen gehen und Du schaust Dir an, was Dir gefällt. Davon lassen wir uns leiten. Falls Du die Spange einmal im Haar einer Frau sehen möchtest, lasse ich selbstverständlich eine meiner Sklavinnen die Spange tragen, damit Du sie nicht nur in der Auslage, sondern auch im Haar bewundern kannst.


    Bitte folge mir Tariq", bat Viri freundlich und führte den jungen Mann zur Auslage von Haarschmuck.


    Eine große Anzahl von reich verzierten bis schlichten Haarspangen war zu sehen. Die Materialien reichten von Gold, Silber, über Bronze und sogar Bein-Schnitzarbeiten. Auch geölte Hölzer waren darunter und sahen ebenfalls sehr ansehnlich aus. Viri ließ Tariq alle Zeit die er benötigte um alles in Ruhe zu betrachten.

  • Tariq nickte, als Viridomarus erläuterte, dass Geschenke eine heikle Angelegenheit seien. Genau deshalb hätte er es vorgezogen, wenn Hadamar selbst hergekommen wäre, um eine Wahl zu treffen … aber Hadamar, schlitzohrig wie er nun mal sein konnte, war sich dieser Tatsache wohl allzu bewusst gewesen. Wahrscheinlich verziehen die Damen Tariq, der sie gar nicht kannte, eher eine falsche Wahl als Hadamar. Auch beim Thema Parfüm sagte Viridomarus ein paar weise Worte. Tariq war auf dem Gebiet wahrlich kein Experte – immerhin hatte es bisher allein aus finanziellen Gründen außer Frage gestanden, einer Frau ein solches Geschenk zu machen – aber wenn, dann müsste es schon eine Frau sein, die er kannte. Oder vermutlich sogar eine, die er umwerben wollte oder die auf andere Art etwas Besonderes für ihn war.


    Dann wurde es kompliziert. Es sollte wertig, aber nicht zu teuer sein. Tariq staunte, worüber sich Viridomarus den Kopf zerbrach … Andererseits war das vielleicht das Geheimnis seines nicht zu bestreitenden Erfolges: Er schenkte jedem Detail Aufmerksamkeit, die anderen auf den ersten Blick nicht wichtig erschienen. So wie ein guter Geschichtenerzähler seine Geschichten mit scheinbar nebensächlichen Einzelheiten bestückt, die am Ende ein perfektes Wortbild zeichnen.


    Tariq folge Viridomarus zu der Auslage mit den Haarspangen, die allesamt sehr hübsch aussahen. „Also, die Haarfarben kenne ich zumindest“, warf er schließlich hilfreich ein – und war erleichtert, dass er zumindest diese abgefragt hatte. „Und es sind Geschenke für drei Damen. Eins für die kleine Schwester, die zwar noch jung, aber auf jeden Fall schon erwachsen ist. Die ist rothaarig. Und die Tante und die Schwägerin haben beide braune Haare.“ Deren Alter kannte er nicht, aber vermutlich waren sie schon alt – so wie Hadamar. Das sprach er aber dann doch lieber nicht laut aus.


    Er griff nach einer der silbernen Haarspangen, sehr filigran, mit einem Schmetterlingsmotiv. Dann fiel sein Blick auf einen goldenen leicht gebogenen Kamm, den man sich ins Haar stecken konnte. Aus dem oberen Teil waren zwei Vögel herausgearbeitet – einer sitzend und einer mit ausgebreiteten Flügeln. Er deutete mit der Spange, die er in der Hand hielt, darauf. „Der ist sehr schön. Aber es wäre vermutlich nicht so klug, wenn man einer Dame etwas aus Gold schenkt und der anderen nicht, oder?“ Er musterte Viridomarus fragend, der ihm sehr wissend auf diesem Gebiet schien. „Vielleicht doch unterschiedliche Geschenke: für eine den Haarschmuck, für eine ein schönes Tuch und für die dritte Ohrringe oder einen Armreifen?“

  • Viridomarus nickte erfreut.


    "Die Haarfarbe ist bereits eine große Hilfe für die Auswahl an Schmuck. Rotes Haar ist etwas besonderes. Wenn ich es anmerken darf, in meiner Heimat kommt es sehr häufig vor. Aber in Rom und auch in Cappadocia habe ich rote Haare nur sehr selten zu Gesicht bekommen. Wir beide gehen jetzt einmal davon aus, dass die zu beschenkende junge Dame, gerne warme Töne trägt. Denn derartige Töne unterstreichen besonders rotes Haar. Silberschmuck wirkt stets kühl, Goldschmuck wirkt stets warm. Ebenso verhält es sich mit Bronzeschmuck. Er mag vielleicht nicht den Wert von Silber- oder gar Goldschmuck haben, aber er macht durch seinen warmen, schmeichelnden Farbton beides wett.


    Und Bronzeschmuck hat noch einen weiteren Vorteil. Gerade durch seine schlichte, warme Eleganz und auch durch seine erschwingliche Schönheit, kann die junge Dame diesen Schmuck jeden Tag tragen und sich daran erfreuen. Sind wir ehrlich Tariq, wertvolles Geschmeide wird nur zu besonderen Anlässen getragen. Aber Schmuck lebt davon, getragen und nicht in einer Schatulle verwahrt zu werden.


    Bei Deiner Frage muss ich eine Gegenfrage stellen Tariq. Werden alle drei Frauen gleichzeitig beschenkt? Dann müssen auch die Geschenke gleichwertig sein. Andernfalls hofierst Du eine und brüskierst mindesten eine der beiden anderen. Deshalb würde ich dazu raten, entweder allen drei Frauen Haarspangen aus Bronze oder vielleicht auch aus Messing zu schenken. Je nach Alter mit anderer Verzierung.


    Der jungen Dame wurde etwas wie der Kamm mit den Vögelchen sehr gut stehen, oder ein florales Muster. Hier ist in der Verzierung etwas Verspieltheit erlaubt, ja sogar erwünscht um ihre Jugend zu unterstreichen. Bei den beiden älteren Damen würde ich zu einem reinen Muster raten. Edel und gediegen soll es rüberkommen.


    Sollte es sich Dein Herr leisten können, dann kannst Du selbstverständlich auch alle drei Damen mit Goldschmuck bedenken. Dennoch rate ich Dir dazu, werden die Damen zeitgleich oder im gleichen Hause beschenkt, wähle gleiche und gleichwertige Geschenke um von vornherein eine Enttäuschung oder gar Beleidigung einer der Frauen unbedingt zu vermeiden.


    Es muss natürlich keine Haarspange sein, es kann auch ein Kamm sein. Was gefällt Dir persönlich denn sehr gut? Lass Dich von Deinem Geschmack in eine Richtung weisen Tariq", bat Viridomarus freundlich. Es machte Viri Freude den jungen Kunden zu beraten und er hoffte, falls dieser denn etwas bei ihm kaufte, dass sie beide mit ihrer Wahl der Geschenke Freude und Schönheit weitergeben würden.

  • „Woher stammst du denn, wenn ich fragen darf?“ erkundigte sich Tariq ehrlich interessiert. Er musterte sein Gegenüber kurz genauer und überlegte, ob er vielleicht Grieche war. Genau einschätzen konnte er es nicht, er war sich auch nicht sicher, ob Rothaarige dort häufiger vorkamen. Hier kamen sie in der Tat nicht sehr oft vor. Hadamar hatte rote Haare – aber erstens stammte er nicht von hier und zweitens war es eben nur Hadamar und keine schöne Frau. Aus diesem Grund hatte Tariq dessen Haarfarbe, abgesehen von ihrer ersten Begegnung, nie sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt. „Die Damen leben in Germanien und sind auch germanischer Abstammung, zumindest die Schwester und die Tante“, erläuterte er noch. Das spielte vielleicht keine Rolle, aber Viridomarus hatte ein Auge fürs Detail, sodass eventuell doch jede zusätzliche Information von Bedeutung sein könnte.


    „Das stimmt“, nickte Tariq, als Viridomarus die Vorzüge von Gold gegenüber Silber aufzeigte. Ihm selbst gefiel Goldschmuck auszunehmend gut, was hauptsächlich daran lag, dass Gold für ihn den Reichtum repräsentierte, den er nie gehabt hatte. Tariq legte die Silberspange beiseite. „Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich denke, dass sie die Geschenke gleichzeitig bekommen. Deshalb macht das, was du sagst, sehr viel Sinn … ich möchte auf keinen Fall jemanden vor den Kopf stoßen und Had… Duccius Ferox mit Sicherheit auch nicht.“ Hadamar hatte von Anfang an darauf bestanden, dass Tariq ihn mit seinem germanischen Namen ansprach. Aus diesem Grund vergaß er schnell, dass das nicht der offizielle Name war, den auch Hadamar selbst außerhalb des Familien- und Freundeskreises verwendete.


    Also … Gold oder Bronze? Tariq gefiel der Bronzeschmuck, der hier auslag, ebenfalls sehr gut. Aber Gold war nun einmal etwas Besonderes – und es wäre doch schön, wenn Hadamar seinen Verwandten etwas Besonderes aus Kappadokien schicken würde. Die würden Augen machen, welche Schätze dieser Teil der Welt zu bieten hatte! Und so trieben Tariq seine persönliche Vorliebe zum Gold sowie der Wunsch, seiner Heimat einen exklusiven und eloquenten Anstrich zu verleihen, dazu, zu sagen: „Soweit ich weiß, darf es ruhig etwas mehr kosten.“ Das hatte Hadamar ihm zumindest versichert, denn er verdiente als langjähriger Offizier anständig und gab im Gegenzug nicht viel aus. „Deshalb würde ich gerne für alle drei goldenen Haarschmuck kaufen.“


    Der Aufforderung, selbst etwas auszuwählen, leistete Tariq teilweise Folge, in dem er schließlich aus dem vielfältigen Sortiment für die rothaarige Schwester einen filigranen Haarkamm mit Blätter- und Perlenverzierungen auswählte und für eine der anderen Verwandten eine ebenfalls goldene Spange mit einem etwas dezenteren Muster. Den dritten Haarschmuck ließ er Viridomarus aussuchen. „Wie viel würde mich das denn kosten?“

  • "Natürlich darfst Du fragen Tariq, ich stamme aus Trakien. Die Thraker sind ein sehr großes Volk, wir unterteilen uns in verschiedene Stämme. Die Griechen sind ein Volk für sich. Einerseits sagt man, dass sie von uns abstammen. Zeitgleich lassen es sich die Griechen nicht nehmen, uns als Schimpfwort zu nutzen. Vermutlich ist es ihnen peinlich, dass ihre hohe Kultur gar nicht rein griechisch ist, sondern dass sie im Grunde thrakisch ist. Denn die Griechen sind unsere Nachfahren, wie gesagt so heißt es. Die guten Griechen sagen uns nach, wir wären trinkfeste und raubeinige Haudegen. Er trinkt wie ein Thraker ist ein beliebter abfälliger Spruch. Wusstest Du, dass die Griechen auch Dionysos, der Gott des Weines, als thrakisch bezeichnen?


    Singen, Tanzen, Instrumentalmusik und Lyrik gelten als Fähigkeiten der Thraker. Den Römern ist Dionysos als Bacchus bekannt. Das man uns Thraker für ein Volk hält, das zu feiern weiß und alles Schöne liebt, halte ich nicht für einen Makel. Ich selbst bin dem Schöngeistigen sehr zugetan. Alles was das Leben lebenswert macht, sollte man anstreben. Leben heißt erleben und genießen, sonst wäre es pure Existenz.


    Thrakien ist die Heimat schneller Rösser, Mutter der Schafe, Lanzenträger und Streitwagenkämpfer und der Rosen. So heißt es und ich kann es Dir bestätigen. Zudem wird fest behauptet, die meisten Tharker wären rothaarig. Das nicht alle aber doch viele Thraker rothaarig sind, kann ich Dir versichern. Auch wird uns eine Vorliebe für Schmuck nachgesagt, was eindeutig der Wahrheit entspricht, wenn ich mich selbst als Beispiel heranziehen darf.


    Den Griechen gelten die Thraker neben den Pelasgern, Lelegern und Karern als die Alten schlechthin. Wir treten in den Geschichten, Legenden, Mythen, ja sogar in Ortsnamen im gesamten Griechenland auf. So verwundert es nicht, dass manchmal auch nichtthrakische alte Stämme von den Griechen als thrakisch angesehen werden. Die Zahl der thrakischen Stämme wird auf um die Neunzig geschätzt. Genau kann man das nicht sagen, da Stämme auch miteinander verschmelzen. Thrakern liegt das Handeln im Blut.


    Der Handel verband uns schon seit jeher mit den Griechen, Persern, Skythen und weiteren Steppenvölkern, auch mit Kelten, Römern und sogar Ägypten. Die thrakische Kunst sucht ihres Gleichen und wird sehr hoch geschätzt. Bei diesem Lobeslied auf Thrakien könntest Du zu Recht fragen, was sucht der gute Viridomarus dann überhaupt in Cappadocia? Das verrate ich Dir. Wer erfolgreich sein will, muss etwas von der Welt gesehen haben, auch wenn Rom der Nabel der Welt ist. Gleich wo ich mich befinde Tariq, ich verkaufe dass was mir am Herzen liegt, um etwas zu bekommen was mir am Herzen liegt.


    Meine Heimat in Thrakien ist Mesembria, ein wundervoller Ort direkt am Meer Pontus Euxinus gelegen", beantwortete Viridomarus ausführlich die Frage von Tariq, da er gerne über seine Heimat sprach. Die Damen die beschenkt werden sollten, stammten aus Germanien wie Tariq erläuterte. Viri hörte dem jungen Mann aufmerksam zu. Er selbst war noch nie in Germanien gewesen.


    "Das Du Dir nicht sicher bist, ob die Damen zeitgleich beschenkt werden, macht nichts Tariq. Wir gehen der Sicherheit halber einfach von dieser Tatsache aus. So bist Du auf der sicheren Seite und musst keine Verärgerung fürchten. Und ich denke, damit handelst Du auch im Sinne Deines Freundes. Sei unbesorgt.


    Eine vortreffliche Wahl, fein und edel zugleich. Der Goldwert liegt bei 100 Denar pro Gramm Gold zuzüglich des Verarbeitungswertes. Durch die feine Ziselierung bei der Bearbeitung sind diese Schmuckstücke mit den fein gearbeiteten Blättern hervorragend hervorgehoben und zeitgleich sind sie nicht all zu schwer. Die florale Spange kostet 2000 Denare. Die schlichtere kostet 1500 Denare und hier schau, jene die ich auswählen würde kostet Dich 1800 Denare. Ein gehobener Preis, aber ebenso eine wundervolle Wertanlage die optisch ihres gleichen sucht Tariq", sagte Viridomarus freundlich.

  • Viridomarus hatte nichts gegen seine Frage und antwortete sehr ausführlich. Tariq lauschte interessiert, denn er wusste zwar ein bisschen was über Thrakien, aber eben nicht sonderlich viel. Beziehungsweise eher unvollständige Bruchstücke, die ihm kein so vollständiges Bild zeichneten, wie die detailreiche Erzählung von Viridomarus es tat. Bei der Erwähnung von Dionysus – beziehungsweise Bacchus, Tariq kannte tatsächlich beide Namen, weil hier sowohl Griechen als auch Römer herumliefen – und der vermeintlichen Trinkfestigkeit der Thraker musste er grinsen. Prinzipiell ließ das, was Viridomarus erzählte, sein Volk sehr sympathisch erscheinen. Natürlich war das keine neutrale Beschreibung, der Händler war offensichtlich stolz auf seine Herkunft. Und warum auch nicht? Tariq konnte sich Schlimmeres vorstellen, als von einem Volk abzustammen, das den schönen Dingen des Lebens zugeneigt war, gut handeln konnte und zu feiern verstand. Er wollte gerade fragen, ob Viridomarus seine Heimat dann nicht sehr vermisste, als dieser die Antwort darauf quasi vorwegnahm.


    „Ich habe viel gelernt, ich wusste bisher wenig über dein Volk,“ erwiderte Tariq. „Und deine Heimat klingt nach einem guten Ort, den es sich zu besuchen lohnt.“ Vermutlich war dieses Unterfangen für ihn ein unrealistisches, aber man würde ja noch träumen dürfen. „Dann hoffe ich für dich, dass du eines Tages dorthin zurückkehren kannst, wenn du genug von der Welt gesehen hast.“


    Als die Sprache schließlich auf den Preis für die von Tariq ausgewählten Schmuckstücke kam, musste er sich arg beherrschen, dass ihm nicht die Kinnlade herunterklappte. Er überschlug die Summe schnell im Kopf und kam auf über 5000 Denare, was den Inhalt seines mitgebrachten Geldbeutels weit überstieg. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Hadamar so viel Geld ausgeben wollen würde, selbst wenn er ihm eine entsprechende Summe mitgegeben hätte. Es würde also auch nicht viel bringen, den Handel zu vertagen und noch einmal wiederzukommen beziehungsweise Hadamar selbst gehen zu lassen. Tariq wurde vor Augen geführt, dass er diese Art von exklusivem Geschäft normalerweise nicht besuchte – und nicht die geringste Ahnung hatte, wie teuer Goldschmuck war.


    Er blickte Viridomarus zerknirscht an. „Es tut mir leid, aber da hat mich die Schönheit deines wundervollen Schmuckes wohl ein wenig geblendet.“ Das hatte sie in der Tat. Er hatte noch nie so schöne Schmuckstücke gesehen … und sich dann ohne nachzudenken in der Vorstellung verrannt, wie beeindruckt Hadamars Verwandte von dem Schmuck aus Kappadokien wären. „Das ist doch weit mehr als ich mir leisten kann. Du hattest wohl den richtigen Riecher, als du mir den Bronzeschmuck angeboten hast.“ Es tat ihm leid, hier zurückrudern zu müssen, aber selbst wenn Viridomarus den Preis absichtlich hoch angesetzt hatte, um zu handeln und ein bisschen runtergehen zu können, hätte Tariq nicht genug dabei, um die goldenen Spangen bezahlen zu können. Dann würde der Händler nur ein Verlustgeschäft machen – und er wäre kaum so (erfolg)reich, wenn er dazu neigte. „Ich würde also doch lieber drei Spangen aus Bronze auswählen.“

  • Viridomarus nickte erfreut, als Tariq sich so über die Information freute. Ein wahrlich vortrefflicher Kunde, bei dem das Verkaufsgespräch sogar dann Spaß machte, selbst wenn er nichts verkaufen würde. Denn darum ging es nicht immer. Wer heute nicht kaufte, der kaufte vielleicht morgen. Man musste den Kunden das Gefühl von Geborgenheit geben. Sie mussten sich gut aufgehoben und willkommen fühlen. Und dieses Gefühl wurde hier nicht geheuchelt und war Teil einer Verkaufsstrategie, nein Viri lebte dieses Gefühl wirklich. Er war Händler mit Leib und Seele und das was er verkaufte, dass war seine Leidenschaft, seine Passion.


    "Du hast völlig Recht Tariq, Thrakien ist ein Land das sich zu bereisen lohnt. Aber Rom ist der Nabel der Welt und Rom muss man gesehen und erlebt haben. Bevor ich eines Tages in meine Heimat zurückkehre, möchte ich noch etwas von der Welt sehen. Viele Länder habe ich schon bereits und bereise sie noch heute um mich mit passenden Waren für mein Geschäft einzudecken.


    Aber weißt Du was? Es ist stets etwas anderes, ob Du vor Ort einkaufst und weiterziehst, oder ob Du Dich mit einem Geschäft niederlässt und Land und Leute kennenlernst. Du quasi Ihr Leben vor Ort mit ihnen lebst. Das ist es, was den wahren Reiz ausmacht. Deshalb kam ich nach Cappadocia Tariq und aus dem gleichen Grund werde ich es eines Tages wieder verlassen und mir ein neues Land aussuchen, indem ich mir eine weitere Existenz aufbaue.


    Was den Schmuck angeht Tariq, Du hast einen edlen Geschmack mein junger Freund, einen vorzüglichen Geschmack erster Güte. Aber leider noch nicht den Geldbeutel danach. Mache Dir nichts daraus, träumen ist erlaubt und das Erlesene zu erkennen und zu genießen muss jederzeit möglich sein. Du stehst ehrlich dazu, dass Du Dir diesen Schmuck nicht leisten kannst, dass ist keine Schande Tariq. Ein Mann weiß was er kann und was er nicht kann. Von daher betrachten wir die Wahl doch einfach als wunderbare Gelegenheit, wo wir beide über Schmuck und Schönheit fachsimpeln können. Der Goldschmuck wird es also vom Preis her nicht sein. Wenden wir uns dem Bronzeschmuck zu.


    Bronze ebenfalls warm und weich in der Optik, weiß auf seine ureigene Art der Trägerin zu schmeicheln. Und Tariq, die Handwerkskunst mit der man Bronze in derartige Formen bringt, ist die gleiche Geschicklichkeit die Du für Gold benötigst. Lasse Dir dies gesagt sein, damit Du weißt auch diese Wahl wird vortrefflich. Lass uns nach ähnlichen Spangen in Bronze Ausschau halten", sagte Viri freundlich und schaute sich direkt nach passenden Spangen um.


    Als er einige wunderschöne Spangen aus Bronze gefunden hatte, die in der Optik ähnlich jenen aus Gold waren, legte er sie für Tariq auf den Tresen, so dass dieser sie in Ruhe begutachten konnte.


    "Nur zu, nimm sie ruhig zur Hand", munterte er den jungen Mann auf.

    "Woher stammst Du, wenn ich Dich fragen darf?", hakte Viri neugierig nach. Vielleicht kam er aus fernen Landen und hatte ebenso viel über seine Heimat zu berichten wie er selbst. Und vielleicht war dies das nächste Land, dass er aufsuchen würde.

  • Tariqs Augen leuchteten ein wenig, als er sich vorstellte, durch die Welt zu reisen und immer woanders seine Zelte aufzuschlagen – und so verschiedene Länder und Kulturen kennenzulernen. „Warst du schon einmal in Rom? Wie ist es da?“ Rom war das Zentrum der Welt – zwar nicht bei allen beliebt, aber niemand bezweifelte ihre Bedeutsamkeit. Da es ihm an Vorstellungskraft nicht mangelte, hatte Tariq sich die ewige Stadt schon des Öfteren vorgestellt, aber die Bilder, die vor seinem geistigen Auge entstanden, waren mit östlich-orientalischen Elementen garniert, die das echte Rom in der Fülle wohl kaum zu bieten hatte.


    Tariq war erleichtert, dass Viridomarus ihm aufgrund seines Rückziehers nicht böse war und sogar verständnisvoll reagierte. Der Händler beschrieb seinen Entscheidungsumschwung in blumigen Worten. „Das hast du sehr schön gesagt, das werde ich mir merken.“ Es war immer gut, eine passende Erklärung an der Hand zu haben. „Und erlesen ist der Schmuck tatsächlich. Das werde ich mir merken, ebenso die gute Art, wie du mit Kunden und ihren Wünschen umgehst.“ Was so viel hieß, dass er Viridomarus‘ Geschäft weiterempfehlen würde, wenn sich die Gelegenheit ergäbe. Interessiert betrachtete er nun den Bronzeschmuck, der zwar matter schimmerte als das Gold, aber andererseits doch irgendwie … mehr Wärme ausstrahlte. Tariq war sicher, dass er stundenlang Spangen betrachten und Viridomarus‘ gesamtes Sortiment durchstöbern könnte, und dabei immer wieder neue Schätze entdecken würde. Die Entscheidung erleichtern würde ihm eine solche Suche jedoch nicht, also war er froh, dass der Händler eine gewisse Vorentscheidung getroffen und ähnliche Modelle bereits ausgewählt hatte. Tariq nahm einige auf und drehte sie im Licht der Lampe hin und her.


    „Ich?“ Selten fragte ihn jemand solche Dinge, weshalb Tariq fast ein wenig überrascht war. „Ich bin hier in Caesarea aufgewachsen und wohne jetzt in Satala, als Mündel von dem Centurio, für den ich die Spangen kaufen soll,“ berichtete er freimütig. „Ich kenne bisher nur Cappadocia … genauer gesagt, eigentlich auch nur die Gegend hier. Seit wann bist du denn hier? Und wie gefällt dir Cappadocia?“ Tariq hatte keine wirkliche Außensicht auf sein Volk, weil er nie fortgewesen war. Er fragte sich kurz, ob er eines Tages seine Heimat auch so würde beschreiben können, wie Viridomarus es getan hatte.


    Schließlich hatte er alle Spangen ausführlich genug gemustert. Er legte schlichtere Spange mit einem Schlangenmuster, einen kleinen Kamm, den man ins Haar stecken konnte, mit einem schlichten Kreismuster sowie einen zweiten kleinen Kamm mit Blüten und Blättern beiseite. „Diese drei würde ich nehmen. Was würden die kosten?“

  • Viridomarus lehnte sich leicht zurück und lächelte gut gelaunt, als Tariq fragte ob er bereits einmal in Rom gewesen war.


    "Oh ja Tariq, ich war bereits in Rom. Mehr sogar, dort auf einem der bekanntesten Märkte habe ich heute noch mein Geschäft "den duften Viridomarus". Auch dort verkaufte ich Luxusgüter in Sachen Düfte, Stoffe, Schmuck und vieles mehr aus allen Herrenländern der Welt. Rom ist tatsächlich der Nabel der Welt. Nirgendwo Tariq erlebst Du unvorstellbaren Reichtum und unvorstellbare Armut nebeneinander. Die einen wissen kaum wohin mit ihrem Geld, andere wiederum können vor Hunger kaum Puls sagen. Es gibt Orte die so wundersam und schön sind, dass Du fast nicht glauben kannst, dass sie real sind. Aber sie sind es. Römer sind vortreffliche Baumeister und sie wissen wie man etwas in Szene setzt.


    Ebenso gibt es aber auch Orte, die Du besser in Rom meidest, die Subura zum Beispiel. Nicht das die Leute dort generell kriminell wären, nein. Sie sind schlicht arm Tariq. Und wer keine Chance hat, muss einen anderen Weg finden sich und seine Familie zu ernähren. Das macht kriminelle Taten nicht besser oder entschuldigt sie, aber es erklärt einiges. Würde mehr gegen ein derartiges Gefälle getan, gäbe es mehr Einsatz gegen die Armut, würde man so auf völlig friedlichem Wege Kriminalität bekämpfen. Nicht alle, wohlgemerkt. Aber jene die durch Hunger geboren wird, sehr wohl.


    In Rom selbst wird Dir noch etwas begegnen, nicht nur wundersame Gebäude, reiche Römer, wundervolle Parkanlagen und Straßen die den Namen wert sind, nein Dir wird etwas begegnen das sie Bürokratie nennen. Ein Römer ohne Wachstafel, Schriftrolle oder dergleichen ist eine Seltenheit Tariq. Wie uns das Handeln im Blute liegt, so liegt den Römern die Bürokratie im Blute. Sie müssen alles notieren, verwalten und aufheben. Sie haben alles fein säuberlich notiert, ob das nötig ist oder nicht, spielt keine Rolle. Oft notieren sie nur Dinge und halten sie fest, um sie notieren und festhalten zu können. Für alles benötigst Du eine Genehmigung. Fast jeder Römer ist von einem höheren Römer Klient. Der höher heißt Patron und erweist ihnen ihre Gunst. Stell es Dir wie Seilschaften vor, denn genau das sind diese Verhältnisse.


    Ohne Kontakte bist Du in Rom ein Niemand, dass muss ich leider so hart sagen. Ich selbst habe derartige Erfahrungen gemacht. Du benötigst immer jemanden, der wen kennt der einen anderen kennt. Und oft musst Du Dich mit einigen Szesterzen in gute Erinnerung rufen, um in Rom Fuß fassen zu können. Mehr noch, Du musst auf sehr vieles achten, Deinen Ruf und auch Deine Kontakte.


    Rom ist gleichermaßen schön wie gefährlich und berauschend wie ernüchternd. Solltest Du je nach Rom reisen Tariq, wird Dich allein die Größe der Stadt erschlagen. Mir ging es jedenfalls so. Derart viele Menschen auf einem Fleck, hatte ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen. Und die Märkte dort, sind kleine Welten für sich, mit Speisen aus allen Ländern, lebenden Tieren, Gewürzen und allem was Du Dir nur vorstellen kannst.


    So manch einer findet dort sein Glück, andere kommen unter die Räder. Selbst Nachts Tariq, schläft Rom nicht. Dort poltern die Fuhrwerke durch die finsteren Straßen, denn tagsüber dürfen sie das nicht. Ein wundersamer Ort im guten wie im schlechten Sinne. Sollte es Dich jemals nach Rom verschlagen, besuche meinen Laden. Auch wenn Du nur Salve sagst, auf ein Rosenwasser mein Freund.


    Aber vielleicht treffen wir uns auch schon bald an einer anderen Stelle auf der Welt wieder. Wer weiß dies schon?", antwortete Viri freundlich.


    Als Tariq Viri für seine lieben Worte lobte, machte dieser eine wegwerfende Handbewegung.

    "Jedes Wort war so gemeint Tariq. Du hast einen sehr guten Geschmack, aber nicht das Geld. Dies ist keine Schande. Und eines kann ich Dir versichern, mit allem Geld der Welt, kannst Du Dir keinen Geschmack kaufen. Also bist Du schon im Besitz eines kleinen Schatzes. Mit Kunden musst Du immer pfleglich umgehen Tariq, lass Dir dies gesagt sein. Ein guter Kunde ist mehr wert, als das Geschäft das Du mit ihm machen kannst. Er ist eine Investition und manchmal ist er noch weit mehr, er so schlicht es klingen mag Deine Freude. Empfindest Du keine Freude bei Deinem Beruf kannst Du noch so hart lernen, Du wirst es nie zu etwas bringen.


    Also versuche stets bei dem was Du tust Freude zu empfinden. Natürlich gibt es auch im schönsten Beruf, den Alltag, den Trott und Dinge die wir nicht mögen. Hier musst Du das Schöne in Deiner Tätigkeit finden und bei mir ist es die Beratung der Kunden. Ein gutes Gespräch erfreut beide und Du nimmst bestimmt etwas mehr mit, als nur die Ware die Du gekauft hast nicht wahr? Mir wird es ebenso ergehen, auch ich werde etwas aus unserem Gespräch mitnehmen und gelernt haben. Und das bereitet mir Freude.


    Du bist also durch und durch Einheimischer. Oh so lange bin ich noch gar nicht in Cappadocia Tariq. Erst im Frühjahr dieses Jahres habe ich Cappadocia erreicht und hier meinen Laden eröffnet. Nur Gutes habe ich über dieses Land gehört. Ein Land in dem sogar Feuer aus dem Boden lodern soll und andere Dinge die Eure Natur bietet. Ebenso wurde mir von Tempelfürsten berichtet, guten Pferden und Männern die den Römern in nichts nachstehen. Dein Land hat meine Neugier geweckt und nun bin ich hier Tariq.


    Rom so nah es politisch auch liegt, ist immer noch sehr weit entfernt von Cappadocia und das macht seinen ganz besonderen Reiß aus. Hier lernt man Cappadocia kennen und keine Provinz die ein Abklatsch eine ferne Kopie von Rom ist. Dein Land Tariq ist wunderschön, lass Dir von niemandem etwas anderes einreden.


    Die Bronzespangen kosten zusammen 210 Sezterzen Tariq", erklärte Viridomarus gut gelaunt.

  • Tariq lauschte mit leuchtenden Augen den Erzählungen des Viridomarus, als er die Ewige Stadt beschrieb. Tariq würde sie gern einmal sehen, mit all ihren Facetten. Vor allem ihre Größe faszinierte ihn. Rom sollte viel größer sein als Caesarea … und auch, wenn Tariq letztere sehr gut kannte und sie ihn allein deshalb nicht mehr mit unerforschten Straßenzügen überraschen konnte, fand er doch, dass Caesarea bereits eine große Stadt war. „Das alles klingt wunderbar und faszinierend. Außer der Bürokratie.“ Tariq grinste kurz. Er hatte die Römer hier auch schon mit Tafeln hantieren sehen – und die Frage, was sie wohl darauf herumkritzelten, hatte kurz seine Gedanken gestreift. Genauso wie die, warum sie überhaupt Dinge aufschrieben und sie sich nicht einfach merkten. „Ich hoffe wirklich, dass ich dort eines Tages mal hinkomme – und dann werde ich dich auf jeden Fall in deinem Laden besuchen und hoffen, dass du dann dort bist und nicht irgendwo anders in der Welt.“ Wer wusste schon, ob und wann es ihn nach Rom verschlagen würde und wo Viridomarus dann sein würde. Er hatte so geklungen, als sei er noch lange nicht fertig mit seinen Reisen in verschiedenste Länder. Aber wie er selbst gesagt hatte: Vielleicht traf man sich andernorts … oder, was wahrscheinlicher war, hier. Tariq ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ihn das Schicksal, die Götter oder in dem konkreten Fall vielleicht doch schlicht und ergreifend Hadamar demnächst weit weg bringen würde von Kappadokien.


    Tariq lächelte, als Viridomarus sagte, dass guter Geschmack ein Schatz war, den man sich für kein Geld der Welt kaufen konnte. Auch das war schön gesagt, und löste ein warmes Gefühl stiller Freude in ihm aus – vielleicht, weil seine Vergangenheit nicht mit Komplimenten und netten Worten garniert gewesen war. Er hatte auch nicht das Gefühl, dass es nur eine Schmeichelei war, um etwas zu bekommen, wie das viele Händler auf dem Basar taten. Die hätten ihn vermutlich längst rausgeschmissen, spätestens, als er sagte, er könne das, was er ausgewählt hatte, nicht zahlen. Nein, Viridomarus schien wirklich einfach gern das zu tun, was er tat. Vermutlich war das nicht der einzige Faktor seines Erfolges, aber mit Sicherheit einer davon. „Danke für den guten Ratschlag, das werde ich mir merken. Ich hoffe, dass ich eines Tages auch etwas tun werde, an dem ich so viel Freude habe, wie du an den Gesprächen mit deinen Kunden.“ Noch wusste er nicht, was das sein würde, aber Hadamar hatte ihm zumindest eine Option aufgezeigt.


    „Oh ja, die Feuer musst du dir anschauen! Einige kannst du von der Stadtmauer aus sehen … das ist sicherer als rauszugehen nachts. Wegen der Gesetzlosen, die sich da draußen rumtreiben.“ Er traute Viridomarus eine Menge zu, aber dass er sich gegen Bewaffnete zur Wehr setzen konnte, gehörte nicht dazu. Andererseits hatte er dafür ja auch den Mann, der in der Ecke stand und den Tariq während des Gesprächs völlig vergessen hatte. „Einige der Römer hier behaupten, dass die Feuer zur Schmiede des Vulcanus gehören. Aber das stimmt nicht“, bemerkte Tariq im Brustton der Überzeugung. So groß konnte doch selbst die Schmiede eines Gottes nicht sein! „Wie jeder weiß, werden sie von den djinni entfacht, die jenseits der Siedlungen in unterirdischen Höhlen und Felsspalten hausen. Am besten bringt man ihnen hübsche Steine oder was zu essen mit, dann freuen sie sich“, ergänzte er noch hilfreich. Viridomarus war noch nicht so lange hier, da wusste er das vielleicht noch nicht. „Und die Basare hier werden dir bestimmt auch gefallen. Die sind vielleicht nicht so groß wie die Märkte in Rom, aber die Handelskarawanen aus und in den Osten kommen hier hin und wieder durch.“


    Als der Händler schließlich den Preis für die Bronzespangen nannte, nickte Tariq. Für ihn war es immer noch viel Geld, aber Hadamars Geldbeutel würde das hergeben. Und die Spangen waren auszunehmend schöne Arbeit. Normalerweise hätte er trotzdem gehandelt, denn der erste genannte Preis war nie derjenige, den man letztendlich zahlte. Aber in dem Fall ließ er es bleiben und zählte einfach die Münzen aus. Das war im Grunde der Dank für das Gespräch und die vielen Lebensweisheiten, die ihm Viridomarus mit auf den Weg gegeben hatte. „Dann nehme ich die mit. Danke für das Gespräch und die vielen Einblicke in die Welt, die du mir gegeben hast. Mögen die Geister deinen Unternehmungen stets hold bleiben.“

  • Viridomarus lachte gut gelaunt, sein junger Kunde hatte es auf den Punkt gebracht.


    "Tariq, da geht es Dir wie dem Rest der Welt. Ausnahme natürlich die römischen Beamten. Rom ist wirklich eine Reise wert, aber im Bürokratiegeflecht möchte sich niemand verstricken. So die Götter wollen, werden wir uns eines Tages wiedersehen. Möglicherweise nicht einmal in Cappadocia oder in Rom, vielleicht irgendwo anders auf der Welt und wir beide haben uns dann eine Menge zu berichten. Das wäre doch etwas oder?


    Du musst an Dich selbst glauben Tariq, sonst wird dies nichts. Das mag altklug klingen, aber wie möchtest Du andere von etwas überzeugen, wenn Du nicht von Dir überzeugt bist? Also tue alles aus dem Herzen der Überzeugung. Selbstverständlich wird es dadurch nicht immer leichter, aber Du weißt wofür Du kämpfst. Und ist es eine Herzensangelegenheit, wirst Du auch nicht aufgeben, wenn der Wind Dir einmal hart ins Gesicht bläst. Ich wünsche Dir, dass Du eines Tages eine Arbeit findest, der Du mit gleicher Freude nachgehst wie ich. Du bist mehr als nur ein Kunde, Du bist ein Gast.


    Weißt Du, es gibt Leute die kommen nur, schauen und können sich auf nichts einlassen. Sie wissen selbst nicht was sie wollen. Soweit ist das nicht schlimm, denn dafür stehe ich beratend zur Seite. Aber manche möchten nicht einmal eine Beratung, Du verstehst? Sie selbst sind dann das Problem. Der Verkäufer oder die Auswahl nicht. Eine Wahl wäre auch, sollte jemand zu dem Entschluss kommen hier nichts gefunden zu haben. Damit muss ich dann leben. Aber er traf eine Entscheidung. Wobei als guter Verkäufer fragt man nach, was der Kunde gesucht hat, damit man es zukünftig im Sortiment führt.


    Du hingegen hast den Verkauf sehr angenehm gemacht und wir beide hatten Spaß daran. Deshalb bist Du wie gesagt nicht nur Kunde, sondern auch Gast in diesem Haus".


    Viridomarus strich sich über die Tunika und seinen dicken Bauch.

    "An die Gaben für die Djinn werde ich denken, also ich bin auch morgens viel besser gelaunt, sobald ich einen Happen gegessen habe. Deshalb sollen auch die Djinn nicht darben. Sobald ich die Feuer besuche, werde ich selbstverständlich auch etwas Köstliches für sie dabei haben. Hast Du schon einmal einen Djinn gesehen?


    Warte ich verpacke Dir die Spangen noch schön, dass ist im Preis inbegriffen für einen Kunden wie Dich", sagte Viridomarus und verpackte jede der Spangen in eine kleine Holzschatulle. Alle drei reichte er Tariq.


    "Es war mir eine Ehre Tariq, auf bald mein Freund", sagte Viri herzlich.

  • „Das wäre was, das stimmt.“ Im Moment konnte Tariq sich noch nicht so recht vorstellen, woanders zu sein als in Kappadokien – beziehungsweise vorstellen konnte er sich das schon, aber gleichzeitig hielt er diese Vorstellung für unrealistisch. Andererseits, wer wusste, was die Zukunft für einen bereit hielt? Es war ja nicht so, dass sein Leben nicht schon einmal eine unerwartete Wendung genommen hatte.


    Bei Viridomarus' nächsten Worten schaute er nachdenklich. An sich selbst glauben. Das klang so einfach aus dem Mund des Händlers, aber für Tariq war es das nicht. Er war nicht so aufgewachsen, dass jemand ihm Selbstvertrauen eingeflößt hatte – und abgesehen von Hadamar hatte ihn auch niemand jemals gefragt, was ER überhaupt machen wollte. Andererseits … meinte Viridomarus es vielleicht andersherum. Nämlich nicht, dass er sich genau überlegen sollte, was er tun wollte, sondern das, was er irgendwann mal tat, eben gerne tat. Tariq verstand schon, was der Händler an seinem Beruf schätzte und spürte ja auch an der Behandlung, die ihm selbst zuteil wurde, was er meinte. Aber es fiel ihm schwer, das auf sich selbst und sein eigenes Leben zu übertragen. Somit war der Ratschlag gleichzeitig einfach und kompliziert. Vielleicht würde Tariq es besser verstehen, wenn er ein wenig Lebenserfahrung gesammelt hatte. Deshalb beließ er es beim einer leichten Verneigung, untermalt von den Worten: „Freut mich, dass du auch eine gute Zeit hattest. Ich werde mir deine weisen Worte zu Herzen nehmen.“


    Bei der Frage nach den djinni schüttelte sich Tariq kurz. „Nein, ich hab noch keinen gesehen.“ Er wusste selbst nicht recht, ob er darüber enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Einerseits wäre das eine tolle Geschichte, die er dann zum Besten geben könnte, andererseits waren die djinni sehr unberechenbar. Und eben nicht menschlich. „Es gibt verschiedene Erzählungen darüber, wie sie aussehen. Manch einer sagt, dass sie Tieren gleichen, andere sagen, sie seien unsichtbar. Dritte behaupten, dass sie aus Feuer oder Fels oder gar Luft bestehen. Ich habe mal einen alten Mann gefragt, der viele Geschichten kannte – und er sagte, dass sie vermutlich ihre Gestalt wandeln können und deshalb niemand so genau weiß, wie sie aussehen. Aber es ist immer gut, ihnen etwas zu geben und sie auf deine Seite zu bringen.“


    Dankbar nahm er die hübschen Holzschachteln an sich, in die Viridomarus den Schmuck gepackt hatte. „Auf bald, Viridomarus – hier oder anderswo“, verabschiedete er sich mit einer weiteren leichten Verbeugung und verließ schließlich den Laden.

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