[Mare Nostrum] Die Schwingen der Nut

  • Abschied aus Alexandria


    Es war früher Morgengrauen, als ich mit meinem Bruder Verax im Hafen Alexandrias ankam. Trotz der frühen Stunde war es bereits geschäftig ab dem Moment, wo man die Hand vor Augen sehen konnte. Vater war tot und Mutter...ich wollte nicht darüber nachdenken. Über gar nichts wollte ich nachdenken in diesem Moment, so schwer war mir das Herz. Wir mussten Alexandria verlassen und am besten weit weg gehen, so weit es nur ging. Zuerst hatten wir an Rom oder Tarraco gedacht, aber selbst das war nicht weit genug weg.


    Letztendlich hatten wir uns für ein Schiff Richtung Osten entschieden, das den klangvollen Namen Schwingen der Nut trug. Es trieb Handel entlang der Küste bis nach Antiochia, von wo aus wir uns über Land durchschlagen konnten. Wohin genau wusste ich in diesem Moment nicht. Ich war nur froh dieser Stadt zu entkommen. Wir hatten das Haus unserer Eltern verkauft, die Möbel, das Geschirr, eine Kette mit Bernsteinen ihrer Mutter, Gewänder und Stiefel, die ihnen nicht passten und alles andere, das nicht in eine einfache Tasche passte. Alles was ich noch bei mir hatte war in einem Leinenbeutel, den ich mir über die Schulter geschlungen hatte. Ein paar Kleider und wichtige Habseligkeiten wie ein Messer, einen Kamm, einen Becher aus Holz und dergleichen. Nichts Aufwendiges, keinen Schmuck, keinen Tand, nichts das schön duftete oder schön aussah. Ich seufzte, aber es musste sein.


    Ein letztes Mal blickte ich zurück auf Alexandria und dann betrat ich das Deck der Schwingen der Nut. Ich schwor, dass ich ab jetzt nicht mehr zurückschauen würde oder Unglück möge mich befallen. Ich lächelte Verax an, der auch in seinen Gedanken versunken schien. Über was er wohl dachte? Ich war ein offenes Tor, jedes Gefühl und jeder Gedanke standen mir ins Gesicht geschrieben. Er konnte immer lesen, was ich dachte oder fühlte. Aber umgekehrt war es meist ganz anders. Ob er an Mutter dachte? Ich hoffte, mein Lächeln würde ihn überzeugen, dass dies ein guter Schritt - ein notwendiger Schritt - sein würde. Überall war es besser als hier in dieser Stadt.

  • Die Schwingen der Nut


    Das Schiff war mit der Flut ausgelaufen, nachdem es mit allen Möglichen Handelsgütern beladen wurde. Ich wusste nicht, welche Art Schiff dies war. Es war aus Holz, hatte Segel und Ruder, ein Deck und einen Laderaum. Mein Vater hätte bestimmt gewusst, welche Art Schiff dies war, aber mich hatten Worte nie wirklich interessiert. Ich hatte meinen Leinenbeutel mit meinen wenigen Habseligkeiten an Deck verstaut, wo es keinem im Weg war und ging dann zum Bug des Schiffes.


    Mit jedem Meter, den wir uns von Alexandria entfernten, fühlte ich mich freier und besser. Der Himmel über mir, die See unter mir und der Wind in meinen Haaren. Ich hätte diesen Moment für alle Ewigkeit erleben können. Wie eine Mutter ihr Kind wiegten mich die Wellen und vereinzelte Wolken zogen über den Himmel, die wie flauschige Ziegen und Schafe aussahen. Wie lange wir wohl unterwegs sein würden? Der Wind stand günstig und ich konnte das Salz in der Brise schmecken. Ich durfte nur nicht zurücksehen, bis diese verdammte Stadt vollends vom Horizont verschwinden würde.

  • Abschied aus Alexandria

    Alles war so unsäglich schief gegangen. Vater hatte damals Wunden in einem Scharmützel davongetragen, die eigentlich nicht hätten passieren dürfen. Er wurde aus der Armee entlassen, das Geld, das er bekam, war mehr als angemessen, aber es ging dann stetig bergab. Er schien die Lust am Leben verloren zu haben und gab sich, vollkommen unrömisch, dem Alkohol hin. Und eines Tages verschlimmerten sich die Wunden, sein Bein musste abgenommen werden. Ab da wurde es noch schlimmer. Zumindest hat Mutter das so erzählt. Vater starb vor einigen Jahren, sie zog uns dann alleine groß. Die Ersparnisse waren zum Glück vorhanden, Mutter hatte immer etwas beiseite gelegt. Aber sie ging an alle dem seelisch zugrunde. Vor ein paar Monaten starb auch sie...


    Es war nicht leicht für Iunia Proxima und mich. Die Pläne hatten anders ausgesehen, Proxima sollte heiraten, aber als Mutter starb befiel sie - verständlicherweise - eine große Trauer und der Verlobte machte sich aus dem Staub. Ich dagegen war ohnehin immer etwas unentschlossen, ich arbeitete mehr oder weniger als Tagelöhner mal hier und mal dort. Ich habe ein paar Dinge aufgeschnappt und habe eine gute grundlegende Ausbildung zu Hause genossen, aber...


    Wir haben uns entschieden allem ein Ende zu setzen und Alexandria zu verlassen. Zu viele böse Erinnerungen, zu viel Leid und Mitleid. Was wir nicht verkaufen konnte und nicht behalten wollten, hatten wir verschenkt; zumeist an die Ärmsten der Armen in der Stadt. Den Rest, unsere verbliebenen Habseligkeiten, hatten wir zusammengepackt und eine Reise organisiert, die uns von hier wegführen sollte. Erst einmal gen Antiochia und von da aus... mal sehen. Das Reich ist groß, irgendwo werden wir einen Platz finden...


    Wir stehen an Deck des Schiffes, das uns auf der ersten Etappe aushalten sollte. Proxima lächelt mich an. Ich lächle zurück. Es ist die richtige Entscheidung...

  • Die Schwingen der Nut

    Ich weiß, wie es meiner Schwester geht. Sie will nicht mehr zurückblicken, sie will nur noch weg aus Alexandria. Das Schiff entfernt sich von der Stadt, aber sie ist immer noch zu sehen. Ich stelle mich vor Proxima, damit sie keinen Grund sieht, sich umzudrehen.

    "Alles wird gut. Wir finden eine neue Heimat. Du findest einen neuen Mann. Wir finden Frieden."

  • Männer? Naja...hoffentlich nicht einen wie meinen Vater. Ich hob leicht die Augenbraue bei der Bemerkung, aber ich wusste, Verax wollte mich nur aufheitern. Er wollte immer nur das Beste für mich, auch wenn er mich manchmal piesakte und neckte. Ich musste nicht mehr dazu sagen und genoss einfach nur den Moment.


    Es dauerte gefühlt Tage bis Alexandria verschwunden war und die mir bekannte Welt hinter mir lag. Es waren einige Stops auf dem Weg nach Antiochia geplant an Orten, von denen ich nichts wusste. Das Schiff hatte allerlei Zeug geladen und lag tief im Wasser deswegen. Trotz gutem Wind verlief die Reise langsam, was mich aber nicht störte.


    Sie würden wohl gute zwei Wochen bis Antiochia brauchen, hatte der Kapitän gesagt - wegen der ganzen Stops und so. Für mich hätte es auch viel länger sein können. Ich freute mich aber auf den nächsten Zwischenstopp. Vielleich ergab sich dann die Gelegenheit für ein anständiges Bad.

  • Einige Tage glitten sie mit dem Wind dahin die Küste entlang Richtung Osten und einen Stopp hatten sie bereits erledigt in Iudaea. Ich hatte kein Interesse an einem Landgang gezeigt und wollte lieber auf eine bessere Gelegenheit warten. Es hätte auch nur einen Tag oder zwei bis zum nächsten Stopp dauern sollen, aber eine Flaute machte sie fast regungslos.


    Das Rudern ging noch langsamer voran und es dauerte fast drei Tage von Iudaea nach Tyrus. Als die Stadt endlich in Sicht kam, sagte ich kur knapp, dass ich an Land gehen würde. Wir hatten ohnehin eine Weile Zeit bis zur nächsten Flut und ich würde baden, etwas essen und mich ausstrecken können. Verax würde bestimmt mitkommen wollen, auch wenn ich auf mich selbst aufpassen konnte.

  • Es wäre mir lieber gewesen, wenn wir nicht immer wieder so lange hätten warten müssen. Die Fahrt auf dem Schiff gefiel mir nicht sonderlich, also war ich erfreut als Proxima einen Landgang vorschlug. Das Schiff würde ein wenig hier liegen und unser letzter verbliebener Sklave, Demetrios, konnte auch alleine auf unsere Sachen aufpassen. Er war uns ergeben, schon ewig in der Familie und hatte keinerlei Ambitionen.

  • Intermezzo in Tyrus


    Es war ein gutes Gefühl wieder Land unter den Füßen zu spüren, auch wenn mir die Seefahrt bisher ganz gut gefiel. Verax schien recht erleichtert zu sein, das Schiff zu verlassen. Tyrus sah alt aus fand ich...es erinnerte mich an Alexandria. Trotz der Abneigung ging ich im Hafen spazieren. Wo sollte ich zuerst hin? Fragend sah ich Verax an.


    "Zuerst essen oder baden?" fragte ich meinen Bruder

  • "Essen. Das hat weniger mit Wasser zu tun..."


    Tyrus war eine alte Stadt, die Geschichten, die über sie erzählt wurden waren fast genauso alt. Wir waren im Hafen angekommen und ich war froh, dass sich der Boden unter meinen Füßen nicht mehr bewegen würde, aber der Boden bewegte sich auch weiterhin. Ich bin nicht für die Seefahrt gemacht und ich werde mich nie wieder an Bord eines Schiffes begeben, wenn unsere Reise ein Ende in Antiochia findet.


    "Ich glaube nicht, dass genug Zeit für beides ist. Wir sollten bald nach dem Essen wieder zurück zum Schiff. Und wir dürfen nicht zu viel Geld ausgeben, du weißt, dass wir es noch brauchen werden, wenn wir nicht in drei Monaten am Hungertuch nagen wollen."

  • Ich verzog verstimmt das Gesicht. So gerne wäre ich in ein Badehaus gegangen, aber ich wusste nicht einmal ob es hier eines gab oder welche Sprache die Leute hier sprachen. Naja, es gab ja immer Latein.


    Nach einigen Augenblicken nickte ich, denn Verax hatte Recht. Unsere finanziellen Mittel waren sehr begrenzt. Ich würde mir einen Waschplatz suchen, wo ich mir zumindest Gesicht und Arme waschen konnte. Aber zuerst etwas essen.


    Es gab einige Stände mit Kleinigkeiten und Leckereien, die aber viel zu teuer waren. Sie mussten erschwingliches Essen finden, das den Bauch füllte.


    "Vielleicht finden wir Brot oder Datteln oder so etwas. Wir können aus den öffentlichen Brunnen trinken." erwiderte ich nüchtern.

  • "Wir können schon einen Wein trinken. Es würde mich auch interessieren, was sie hier unter Wein verstehen. Aber beeilen müssen wir uns leider trotzdem."


    Gemeinsam streifen wir durch die Stadt, immer in der Nähe des Hafens, aber doch weit genug weg, um nicht ständig das Meer zu sehen. Es dauert auch nicht lange bis wir ein kleines Gasthaus finden, das recht leer wirkt. Das Essen wird also nicht lange brauchen.

  • Ich zuckte mit den Schultern. Ich brauchte keinen Wein und mochte auch den Geschmack nicht. Vielleicht gab es ja Bier?


    "Bier wäre gut."


    Nach ein paar Minuten wurde uns eine Art Eintopfbrei vorgesetzt, dessen Bestandteile ich nicht identifizieren konnte. Ich glaubte Hirse und Linsen zu schmecken kenne, aber sicher war ich mir nicht. Schlecht schmeckte es nicht, auch wenn die Konsistenz komisch war.


    Es dauerte eine Weile, aber ich begann mich zu entspannen. Es gab anscheinend kein Bier hier, aber Wein und Wasser. Wie lange wir wohl noch Zeit hatten bis zur Flut?

  • "Wenn wir angekommen sind, wo auch immer das sein wird, dann kann Demetrios uns ein wenig Bier nach dem alten Rezept brauen, das er früher schon immer gemacht hat. Und dann bekommen wir sicher auch etwas besseres zu essen als... das hier."


    Mein Blick geht gen Himmel, die Sonne verrät, dass wir noch ein wenig Zeit haben, aber nicht genug für ein ausgiebiges Bad. Wenn wir auf dem Schiff sind, sollten wir uns überlegen, wohin wir eigentlich wollen. Und wie weit wir überhaupt kommen mit dem Geld, das uns geblieben ist...

  • Ich erinnerte mich an das Bier, das Demetrios unter Mutters Aufsicht gebraut hatte. Ich hatte nur wenig aufgepasst und mochte den Geruch nicht, aber mochte den Geschmack schon als Kind.


    "Wir sollten Demetrios auch etwas zu essen mitbringen" erwiderte ich tonlos.

  • "Such du ihm etwas aus."


    Ich stehe auf und warte vor der Tür auf meine Schwester. Tyrus ist nett, aber es ist auch am Meer. Ich will nicht mehr ans Wasser. Ich werde Proxima überzeugen, dass wir ins Landesinnere gehen.

  • Nunja, den Brei konnte ich ja nicht mitnehmen, aber ich kam mit den Händen voll Brot zurück von einem Stand um die Ecke. Davon konnten wir alle drei heute und morgen essen. Ich drückte Verax einen der beiden Brotlaibe in die Hand und blickte auf Tyrus zurück. Viel zu sehr wie Alexandria...


    "Lass uns zum Schiff zurückgehen. Ich mag diese Stadt nicht."

  • Auf hoher See


    Wir verließen die Küste Syrias und segelten aufs offene Meer. Der nächste Zwischenstopp schien eine Stadt namens Salamis zu sein, die auf einer großen Insel im Meer lag. Der Wind war günstig und wir machten gute Fahrt, auch wenn die Wellen wesentlich höher waren und das Geschaukel sehr intensiv. Trotzdessen, dass es noch früh im Jahr fürs Segeln war, hatten wir sehr gutes Wetter laut der Besatzung. Wenn ich in Verax' Gesicht schaute, dann war ich mir nicht so sicher, ob er das auch glaubte. Mich störte der Seegang nur wenig, aber Verax schien keine Liebe für die Seefahrt zu hegen.


    Mit dem guten Wind brauchten wir ein bisschen mehr als einen Tag bis nach Salamis. Der Anblick der Stadt war sehr ähnlich zu Tyrus und Alexandria. Ich hatte kein Interesse daran an Land zu gehen. Ich wollte erst wieder an Land gehen, wenn wir Antiochia erreichten, aber das war noch weit. Sie würden noch in Tarsus anlegen, bevor es nach Antiochia ging. Ich blieb lieber auf See. Ich fand die Wogen immer noch sehr tröstlich.


    "Willst du an Land gehen, Verax? Du kannst meinen Leinensack nehmen und Essen kaufen?"

  • Der nächste Hafen. Ich hasse ihn jetzt schon. Salamis, das sagen die Matrosen, ist das hier, eine Stadt auf einer Insel, die Kypros heißt. Ich hasse Salamis. Ich hasse Kypros. Ich hasse das Meer.


    "Ja, ich will an Land gehen, aber nicht hier", sage ich zu Proxima. "Ich will so weit weg vom Meer wie möglich, wenn wir von diesem Schiff runter sind. Lass uns eine Stadt im Inland suchen. Ein Fluss ist in Ordnung, aber auch da werde ich nicht drauf fahren. Schick Demetrios, wenn unsere Vorräte nicht mehr reichen sollten..."

  • Ich nickte und sprach das Thema nicht weiter an. Ich würde Demetrios los schicken, der zuverlässig etwas besorgen würde. Verax schien so unglücklich zu sein, dass dies wohl die erste und letzte Schifffahrt sein würde.


    "Keine Küstenstädte mehr, hm? Das wäre auf jeden Fall Abwechslung. Wir könnten auch schon in Tarsus die Fahrt beenden. Aber wohin danach?"

  • Ich gehe die Reiseroute im Kopf durch, man hatte sie uns genannt und erklärt. Aber ich kann mich partout nicht erinnern, wo Tarsus liegt und ob es wirklich klüger ist, dort von Bord zu gehen. Ich vertraue Proxima an der Stelle einfach... das oder mehr Seefahrt, die Entscheidung ist recht einfach.


    "Keine Küstenstädte mehr. Nur noch Tarsus, wenn du meinst, dass das geht. Hören wir uns dann da einfach um, irgendjemand wird bestimmt etwas sagen können..."

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!