• Es war ein angenehm warmer, aber nicht zu heißer Sommertag, an dem Octavena sich wieder einmal auf den Weg in die Stadt und aufs Forum machte. Das allein war nichts Ungewöhnliches, sie mochte schließlich diese regelmäßigen Marktbesuche, das hatte sie schon getan als sie noch bei ihrem Onkel gelebt hatte. Doch heute hatte sie sich das erste Mal auf den Weg gemacht seit sie einerseits gemeinsam mit Venusia beschlossen hatte, demnächst einmal ein Fest in der Villa Duccia zu veranstalten, und seit sie andererseits Adalheidis eingestellt hatte. Beides waren gute Entwicklungen gewesen, besonders weil Octavena langsam spürte, dass sie sich unter anderem auf diesem Weg die Kontrolle über das Chaos zurückeroberte, das der Tod ihres Mannes in ihr Leben gerissen hatte. Nicht, dass ihre Probleme plötzlich verschwunden wären, ganz im Gegenteil. Gerade das Verhältnis zu ihrer Tochter war nach wie vor kompliziert, aber Octavena hatte dennoch auch das Gefühl, nicht mehr so allein mit ihren Problemen zu sein wie noch vor ein paar Wochen und so hatte sie sich nun vorgenommen, diese Energie vernünftig zu nutzen und sich voll in die Vorbereitungen für die Idee mit dem Gartenfest zu stürzen.


    "Dann wollen wir doch mal sehen", murmelte sie halb zu sich selbst, halb zu Adalheidis, die sie gebeten hatte, sie heute zu begleiten, als die beiden Frauen das Forum betraten. "Wir müssen zum Tuchhändler und uns ein paar Stoffe ansehen, um zu entscheiden, welcher am besten geeignet ist, um ihn für zusätzlichen Schatten zwischen den Bäumen im Garten zu spannen. Dann müssen wir ein paar Vorräte besorgen und wenn wir ohnehin hier sind, können wir auch kurz beim Goldschmied vorbeigehen, der sollte eine meiner Ketten reparieren und müsste damit inzwischen auch fertig sein. Ach, und wir dürfen nicht vergessen, ein paar von diesen Honigkuchen zu besorgen, die Ildrun so gern hat." Octavena lächelte kurz ein wenig selbstironisch und fuhr in einem ähnlich unbeschwerten Tonfall fort, um deutlich zu machen, dass sie ihre Worte nicht so schwer meinte wie sie sonst wahrscheinlich geklungen hätten. "Vielleicht bekommt sie davon ja mal wenigstens kurz gute Laune, selbst wenn ich gerade mit im Raum bin."

  • Adalheidis trug einen Cophinus, einen Tragekorb auf dem Rücken, der den Vorteil hatte, dass die Hände frei blieben.


    Bei Petronia Octavenas Worten horchte sie auf. Ihrer Ansicht nach hatten sich in Mutter und Tochter zwei Dickköpfe gefunden, wobei bei Ildrun noch dazu kam, dass sie noch mit sich im Unreinen war, wer oder was sie einmal sein wollte.

    Das sie sich beide sehr liebten, machte die Sache vermutlich noch schwieriger. Adalheidis konnte da viel gleichmütiger sein, wenn Octavenas Tochter aufbrausend war.


    "Ildrun hat deinen starken Willen geerbt, Frau Octavena.“, sagte sie lächelnd:

    „Und sie mag die kleinen Honigkuchen hier vom Markt wirklich sehr. Und Farold wäre über etwas Hausenblasenleim glücklich."

    Dieser sehr gut klebende Leim, wurde aus großen Stören gewonnen, die die Römer in den Donaugewässern fischten und war ideal für die filigranen Bastelarbeiten des Jungen geeignet.


    „Das Olivenöl erster Qualität und das Garum aus Hispania gehen langsam zur Neige.“, erinnerte Adalheidis:

    „Und an welche Speisefolge hattest du bei unserem Gartenfest gedacht? Wenn ich etwas vorschlagen darf, so braucht es dreierlei: Gebackenes, Gebratenes und Gekochtes.“, zählte sie an den Fingern auf:

    "Für Süßspeisen wären Mandeln gut, und Rosenblätter für dieses Getränk, was die Kinder und Damen so gerne mögen: Rhodomel - i.“

    Honig hatten sie durch ihre Bienenstöcke selbst.

    Ein wenig stolz war Adalheidis darauf, dass sie römisch kochen konnte, aber in Germanien waren nicht immer zu jeder Jahreszeit alle gewünschten Zutaten auch erhältlich, und dann musste sie improvisieren.

  • Octavena lächelte schief angesichts von Adalheidis' Bemerkung über Ildrun und nickte. "Sie hat mehr von mir als sie sieht oder jemals zugeben würde", erwiderte sie zustimmend mit einem leicht amüsierten Unterton. "Und ich war einmal genauso wie sie jetzt, auch wenn ich damals ein paar Jahre älter war." Dass auch bei ihr der Tod eines Elternteils das Verhältnis zum anderen verkompliziert hatte, verschwiegen sie allerdings. "Aber der Leim für Farold ist eine sehr gute Idee. Wahrscheinlich bereue ich das, sobald er damit irgendetwas zusammenklebt, was er nicht zusammenkleben sollte, aber ich bin froh, dass er in letzter Zeit so viel bastelt. Er hat ganz offensichtlich Spaß daran."


    Als Antwort auf Adalheidis' Vorschläge für das Gartenfest nickte Octavena dann anerkennend. "Der Speiseplan steht noch nicht, aber deine Vorschläge klingen gut. Und du wirst sowieso auch viel mit den Vorbereitungen zu tun haben, da ist es nur sinnvoll, wenn du bei der Planung mithilfst." Sie begann, über den Markt zu schlendern und ließ dabei ihren Blick über die Stände und Waren gleiten, an denen sie vorbeigingen. "Eigentlich ist es ja nichts unglaublich Besonderes, aber es wird schön sein, mal wieder das Haus - oder viel mehr den Garten - voller Gäste zu haben. Das letzte Mal ist länger her als ich es mir gewünscht hätte." Sie seufzte etwas melancholisch und bog dann zwischen zwei Marktständen ab, als sie den Stand mit dem Olivenöl entdeckte, das Adalheidis erwähnt hatte. "Und? Hast du dich gut in den Haushalt einfinden können? Ich weiß, es ist nicht immer einfach, in der Villa zu arbeiten, so hektisch wie es trotz allem an manchen Tagen dort zugehen kann, aber ich hoffe du bist trotzdem zufrieden bisher. Farold schwärmt jedenfalls noch immer von dem Schiffchen, das du mit ihm gebastelt hast."

  • "Und wie wäre es mit einem ganzen Ochsen?", fragte Adalheidis: "Er muss stundenlang in eine Bratgrube, und ja, es ist Arbeit für kräftge Männer, ihn zu drehen, aber das Ergebnis lohnt doch, wenn das Fleisch dann so butterweich ist, dass es von den Knochen fällt...."


    Sie brach ab und sah gen Himmel, weil ihr etwas ungewöhnliches auffiel. Ein schwarzer Vogel, der immer mehr an Höhe verlor, wurde von einem Adler gejagt. Der Raubvogel benutzte den Aufwind, sich höher zu schrauben, und es fehlte nicht viel, dass er sich dann fallen lassen würde, um nieder zustoßen und mit seinen Fängen sein Beutetier zu reißen. Das tat er, erwischte den Schwarzen und flog erneut nach oben, doch dann ließ er das Erbeutete plötzlich fallen. Wie ein Stein stürzte seine Beute... ein Rabe war es....nach unten.

    Rasch öffnete Adalheidis ihre Tunika mit beiden Händen, und das blutüberströmte Federbündel plumpste so hinein, dass einzelne Blutstropfen ihre Arme und ihr Gesicht benetzten.

    Die Germanin beugte sich über das, was in ihrem Schoss gelandet war, und als sie sich wieder aufrichtete, war ihr Gesicht ungewöhnlich düster:

    "Wodans Vogel getötet von einem Adler.", sagte sie:

    "Graius - was tust du denn hier? Was ist in Rom geschehen?"

    Ihre Hand streichelte kurz das schwarze Köpfchen von Maximillas zahmen Raben und schloss ihm die Augen. Er konnte ihr nichts mehr sagen.

    "Frau Octavena, ich muss sofort nach Hause in die Civitas Aquensis.", sprach sie dann: "Ich muss mich mit Lucius bereden. Und vielleicht müssen wir danach nach Rom reisen."

    Unwillig blickte sie drein, als sie das sagte. Sie hatte sich geschworen, jenes Sommerland nie zu betreten. Doch man sollte nie nie sagen, die Nornen spannen das Schicksal, nicht die Menschen.

    Aber dann sprach sie:

    "Du hast gute Kinder mit edlen Herzen, Frau Octavena. Noch sind sie nicht das eine, noch das andere. Wenn sie Zeit haben werden, zu wachsen, wird jeder von ihnen auf seine Weise das Beste von zwei Welten verkörpern."

    Sie wollte die Petronia nicht beunruhigen, doch sie dachte: Und wenn es keinen Krieg gibt! Wenn es nur keinen Krieg gibt!

    "Lebt wohl!", sagte sie. Es fiel ihr diesmal schwer, zu gehen, da sie fühlte, dass sie hätte länger bleiben sollen. Einen Teil ihres Herzens ließ sie bei Ildrun und Farold zurück


  • In einem Moment waren Octavena und Adalheidis noch fröhlich am Reden, im nächsten verstummte die Germanin abrupt. Stirnrunzelnd wandte Octavena sich um, nur um zu sehen, wie sich Adalheidis über ein blutiges Bündel - einen Vogel? - beugte und mit einem Mal einen untypisch grimmigen Gesichtsausdruck annahm und verkündete, dass sie gehen musste.

    "Aber ... Was-", setzte Octavena noch an, doch verstummte noch im selben Moment wieder als sie die Entschlossenheit im Blick der anderen Frau erkannte. Es ergab keinen Sinn, denn eigentlich war Adalheidis doch gerade erst angekommen und Ildrun und Farold hatten gerade erst begonnen, sich der alten Frau und ihrer freundlich-bestimmten Art zu öffnen, aber Octavena spürte dennoch vage, dass was auch immer es war, das die andere nun wieder fortzog, zu wichtig war, um sie zum Bleiben zu bewegen. "Leb wohl", sagte sie stattdessen leise und nickte knapp. "Ich wünsche dir eine sichere Reise, vielleicht kreuzen sich unsere Wege eines Tages wieder."

    Damit ließ Octavena Adalheidis ziehen und wandte sich schweren Herzens wieder ihren eigenen Problemen zu, die sie nun wieder allein zu bewältigen hatte.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!