Von Leere, Trauer und Tod

  • Als Serena erwachte, benebelte Opium ihren Geist. Trotz hoher Dosis brach die Erkenntnis über sie herein, dass der Alptraum ihres Lebens keinem Traum entsprang. Unmittelbar erfolgte die Erinnerung an das letzte Ausatmen ihres Jungen, das niederschmetternde Urteil des Medicus und ihr Zusammenbruch. Einem Einschlag gleich knallte das Unabänderliche auf sie nieder. Sie trudelte durch einen imaginären kreisrunden Raum ohne Halt und ohne Boden. So oft sie die Arme Halt suchend ausstreckte, sie rutschte ab und stürzte weiter. Angst grassierte in ihr. Nicht um ihr Leben, denn das verlor jeden Sinn. Sie wusste nicht, wie sie den Verlust ertragen sollte.

    Das Entsetzen in ihr besaß ein solches Ausmaß, dass es sie daran hinderte zu weinen. Auch Teile ihres Körpers schienen gelähmt. Die Lunge arbeitete kaum, weil ihr die erlittene Erschütterung den Brustkorb zusammenpresste. Sie gab niemandem Antworten und verweigerte das Essen. Einzig die Notdurft zwang sie, das Bett zu verlassen, aber das Zimmer verließ sie nie.

    Sie schleppte sich zurück ins Bett, rollte sich zusammen und starrte mit aufgerissenen Augen ins Leere.

  • Zwei Tage verbrachte Serena auf ihrem Zimmer, in denen sie wenig schlief, ab und zu etwas trank und mehrfach den Versuch aufgab, etwas Essbares runterzuwürgen. Einer Puppe gleich ließ sie das Waschen und Ankleiden über sich ergehen. Zuweilen kam es ihr vor, als würde sie neben sich stehen, die fahle Hülle ihrer selbst sehen, entkommen den grausamen Gedanken und gerettet in einen Zustand ohne Sorgen, der leider nur flüchtig anhielt, bevor die Wirklichkeit sie wieder zu Boden drückte.


    In ihrer Welt schien keine Sonne mehr, ungeachtet der tatsächlichen Wetterlage. Die gleichen Ängste, die ihr nachts den Brustkorb zudrückten, raubten ihr tagsüber die Kraft. Sie sah sich außerstande zu trauern, weil sie den Verlust verdrängte, um wenigstens zu funktionieren. Die Muskeln, die ansonsten ein Lächeln bewirkten, schienen abhanden gekommen zu sein. Sie wollte nicht lächeln, aber vor allem konnte sie es nicht. Ihr Gesicht fühlte sich an wie ein Stein.

    Die sie umgebenden Sklaven sortierte sie aus. Sobald ein Wort auf den erlittenen Verlust hinwies, hob sie abwehrend die Hände und nahm Reißaus. Sie wollte nicht mit der Tatsache konfrontiert werden, weil ihre Ressourcen nicht zum Standhalten reichten. Ob ihre Stimme noch funktionierte, wusste niemand zu sagen. Sie verständigte sich mittels Gesten und pflegte zu schweigen.


    Heute fochten Pflicht und Rückzugswunsch einen erbitterten Kampf miteinander aus. Minutenlang stand sie vor der eigenen Zimmertür, unschlüssig darin, wem sie nachgeben sollte: sich aus dem Leben zurückziehen, einen Schritt hinein wagen oder einfach auf der Stelle verharren. Es kostete sie Überwindung, in den Gang zu treten. Sie schloss die Augen, um nicht die Tür des Unglückszimmers zu sehen, als sie vorbei in Richtung Lararium ging. Nur wenige Schritte trennten sie vor besagtem Raum, als sie stoppte. In Erinnerung an die Erlebnisse vor Tagen mutierte die ansonsten flache Atmung zu tiefen Zügen, die in ein Hyperventilieren mündeten, bevor sie sich schleppend umwandte. Sie wollte zurück auf ihr Zimmer rennen, aber die Atmung ließ es nicht zu. Sie suchte eine Wand als Halt, japste nach Luft und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Angst bemächtigte sich ihrer.

  • Während zwei junge Sklaven aus Unsicherheit nicht wussten, wie sie reagieren sollten, trat Eubulus an die Kaiserin heran. Er ging davon aus, auch wenn sie seit Tagen nicht sprach, dass ihre Ohren funktionierten.

    "Domina, in Kürze hat der Kaiser Geburtstag. Ich benötige Anweisungen für die Vorbereitungen. In welcher Form soll sein Genius geschmückt werden?" Als er keine Antwort bekam, versuchte er es mit einer Provokation. "Oder soll die Feier in diesem Jahr ausfallen?"

    Anfänglich hörte Serena kaum zu, denn das Beklemmungsgefühl hatte sich in Erstickungsangst gesteigert. Erst die letzte Frage riss sie aus dem Muskelkrampf.

    "Was? Nein!" Immerhin gab es zurzeit für Serena nichts Erstrebenswerteres, als dass wenigstens ihr Gatte noch möglichst viele Wiederholungen des Festtages erleben durfte. Sie stand gebeugt und keuchte weiter, aber ihre Gedanken kreisten nicht mehr ausschließlich um die Opferung vor Tagen.

    Da die Feierlichkeiten zu Ehren des kaiserlichen Genius ebenfalls mit einem unblutigen Opfer begannen, lenkte Eubulus die Aufmerksamkeit der Augusta auf andere Teilbereich der Planung. "Werden denn reichsweite Feierlichkeiten stattfinden?" Wieder blieb eine Antwort aus, aber es lag nicht an der generell gepflegten Wortlosigkeit der Kaiserin und ebenso wenig an ihrem Zustand, sondern sie wusste es nicht. Während sie überlegte, verlangsamte sich ihr Japsen.

    "Wer kümmert sich um die Klärung?"

    Serena hob unwissend die Schultern. "Woher soll ich das wissen? Wer hat sich denn sonst darum gekümmert?" Ihre Aufmerksamkeit lag nun beim Thema, auch wenn Nachdenken schwerfiel. Ihr Brustkorb hob sich noch immer schneller als üblich, daher redete Eubulus weiter.

    "Wenn es wieder Bankette, Paraden oder Spiele geben soll, müssen wir umgehend mit der Organisation anfangen. Oder findet in diesem Jahr nur etwas im kleinen Rahmen statt?" Immerhin gab es den Trauerfall.

    Serena wusste es nicht, versuchte sich aber zu erinnern. Dadurch entschleunigte sich ihre Atmung. "Wir benötigen dringend Informationen darüber, wie viele Gäste geladen sind, denn danach richtet sich der Umfang von Geburtstagskuchen samt Festessen." Der Kuchen wurde abends gereicht, so hielt man es in der Vergangenheit.

    "Ja, ja, ich kümmere mich bei Gelegenheit." Die Kaiserin begann, sich zu ärgern. Sie atmete wieder unverkrampft und achtete nicht auf das Lararium, vor dem sie stand.

    "Bei Gelegenheit wird nicht ausreichen. Wie sieht es aus mit einem Geschenk?" Eubulus blickte ernst, dann fing er an zu grinsen.

    "Ich werde dich auspeitschen lassen." Auch die Kaiserin blickte ernst, dann atmete sie resigniert aus, weil sie Eubulus durchschaute. Ablenken, beschäftigen, nerven lautete seine Devise und sie ging auf.

    "Gern geschehen." Seine Stimme wirkte sanft. Nach einem langen Blickkontakt drehte er sich um und ging.

    Serena atmete einmal durch. Für den späten Nachmittag plante sie ein Gespräch mit Severus. Das erste nach jenem furchtbaren Tag. Es blieb abzuwarten, ob sie das Vorhaben umsetzte oder es vertagte. Noch immer plagten sie Schuldgefühle, obwohl ihr Severus keine Vorwürfe machte. Helfen konnte er ihr trotzdem nicht. Sie musste die erdrückenden Gefühle aus eigener Kraft ablegen.

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