Die Küche der Villa Duccia

  • Die Küche war für manch einen der Wolfrikssippe das inoffizielle Herzstück das Villa Duccia. Zwar nicht als Speiseraum ausgestattet, verfügte sie dennoch über einen großen Tisch, an dem man beieinander sitzen konnte. Darüber hinaus war sie mit allem ausgestattet, was eine Küche brauchte, die eine ganze Sippe mitsamt Muntlingen zu versorgen hatte, und bot auch entsprechend Platz für jene, die darin hantierten. Nach wie vor, trotz ihres inzwischen etwas höheren Alters und der Tatsache, dass ihr von den Duccii die ein oder andere Hilfe zur Seite gestellt worden war, gab es immer noch nur eine, die hier das Sagen hatte: Marga.

  • „Willst du mich verarschen?“ knurrte Rhaban ihn an.
    Iring legte entnervt Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und drückte zu. Die hitzige Diskussion in der Küche hatte nicht gerade eben erst ihren Anfang genommen, sondern begann inzwischen sich im Kreis zu drehen. Er hatte jedenfalls das Gefühl, als hätten sie das schon durchgekaut. Wenn es nur so einfach wäre, die Führung der Freya zu klären. „Was willst du denn bitte dann?“
    „Ganz sicher nicht Procurator werden“, motzte Rhaban. „Das bedeutet nur jede Menge Arbeit, und alles davon langweiliger Verwaltungskram.“
    „Du hörst dich an wie Hadamar“, maulte Iring zurück.
    „Na damit hat er ja auch Recht!“
    „Du wirst aber auch nicht Curator!“
    „Und warum nicht?“
    „Weil ich mir nicht den Arsch aufreiß und die ganze Arbeit mach, während du nur durch die Gegend reist und den großen Macker spielst!“
    „Hee, also erstens mach ich mehr als das, das weißt du! Ich hab allein im letzten Monat zwei neue Partner angeworben, die wir dringend brauchen! Und zweitens: klingt doch gut, warum hast du da was dagegen?“ Rhaban grinste verschmitzt. Und Iring drückte sich diesmal Daumen und Zeigefinger einfach direkt auf die Augen. Er wusste, dass Rhaban auf dem Posten des Procurator wenig verloren hatte, das war einfach nicht sein Ding. Aber auch als Curator war es nicht damit getan, durch die Gegend zu reisen, Geschäfte abzuwickeln, Socii zu besuchen, neue Partner zu finden und was Rhaban sonst noch Spaß machte.

    Und dann kam freilich noch dazu: er wollte seinem kleinen Bruder nicht den Vortritt lassen. Es war nicht so, dass er unbedingt selbst Curator werden wollte – aber er wollte halt auch nicht, dass Rhaban es wurde. Dafür standen sie in der Freya schon zu lange in Konkurrenz zueinander. Aus denselben Gründen wollte Rhaban ihm umgekehrt nicht den Vortritt lassen, das war Iring schon klar, aber hey – er war immerhin der Ältere von ihnen beiden! Und das jetzt nicht nur um ein oder zwei Jahre, zwischen ihnen lagen ein paar mehr, ganz ähnlich wie ein paar mehr zwischen ihm und Eldrid und Hadamar lagen. Die beiden ältesten und die beiden jüngsten waren jeweils recht nah beieinander, aber er, Iring, hing irgendwo dazwischen. Für die Großen war er immer irgendwie der Kleine gewesen, für die Kleinen immer irgendwie der Große. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er das gehasst, weder zu den einen noch zu den anderen so wirklich dazu zu gehören.

  • Marga


    Die alte Marga, die in ihrem gemütlichen Schaukelstuhl neben dem Ofen saß, sah wohlwollend ihrer Enkelin beim Werkeln in der Küche zu. Lange, lange Jahre hatte sie selbst hier gestanden und für das leibliche Wohl der Familie gesorgt, und das machte sie auch heute noch – sie war verantwortlich für die Küche, da brauchte noch keiner kommen und versuchen ihr irgendwas vorzumachen. Eine Zeitlang hatten die Wolfrikssöhne versucht, ihr irgendwen an die Seite zu geben, aber erstens war das eine Beleidigung – so alt war sie nun auch noch nicht! –, und zweitens war niemand, einfach niemand gut genug. Und so hatten sie alle entnervt aufgegeben, weil Marga immer und sehr ausdauernd an ihnen rumgekrittelt hatte. Wenn überhaupt duldete sie Hilfen, aber niemanden, der auch nur annähernd auf den Gedanken kommen könnte, halbwegs gleichberechtigt neben ihr zu sein und vielleicht irgendwann mal von ihr übernehmen zu dürfen. Bis die Wolfrikssöhne ihr schließlich ihre Enkelin präsentiert hatten. Sie war ein Goldstück, ein Schatz, der nichts falsch machen konnte, keine bessere könnte es geben in der Küche, und wenn es jemals jemanden geben würde, der eines fernen Tages das Zepter von ihr überreicht bekommen würde, dann war sie es. Marga achtete seither wie ein Luchs darauf, dass ihr niemand in die Quere kam, was es für die verschiedenen Küchenhilfen nicht einfacher machte.


    Sie schüttelte nur den Kopf, während ihre immer noch guten Ohren dem Gespräch folgten. Das war einer ihrer zahlreichen Vorteile: sie hörte nach wie vor gut, aber sie war alt genug, dass sie sich einfach schwerhörig stellen konnte. Was sie mit großer Freude tat. Hatte nur Vorteile – wenn sie etwas nicht hören wollte, hörte sie es nicht, und weil die Menschen sowieso glaubten, sie würde nichts verstehen, bekam sie unfassbar viel mit. So wie jetzt, wo sie sogar noch extra die Ohren spitzte. Diese Geschwister! Schon als Kinder hatten sie immer in der Küche herumgehangen. Was Marga jedes Mal dazu gebracht hatte sich aufzuregen und ihnen im Zweifel mit einem großen Kochlöffel hinterher zu jagen, aber insgeheim immer gefreut hatte, weil es zeigte, dass die Küche in der Villa Duccia das war, was jede Küche sein sollte: das Herz des Hauses. Deswegen waren die zwei auch jetzt hier: weil wichtige Diskussionen im Herz stattfinden mussten. Marga wusste das. Aber diese Brüder! Es hatte einen Grund gegeben, warum Witjon ihnen zu Lebzeiten keinen verantwortungsvollen Posten in der Freya gegeben hatte, obwohl beide bereits seit Jahren mitarbeiteten, ihm geholfen und durchaus inoffiziell bereits Verantwortung getragen hatten. Weil die zwei sich dann in die Haare gekriegt hätten. Aber wenn Witjon sich noch darum gekümmert hätte, hätte er einfach irgendwann ein Machtwort sprechen können. Und jetzt mussten sie selbst schauen, wie sie das auskartelten, was aber nicht sonderlich von Erfolg gekrönt war bislang. Es sah so aus, als bräuchten sie... einen Schubs. Marga lächelte sachte ein zahnlückiges Lächeln und begann in ihrem Schaukelstuhl zu schaukeln.


    „Jetzt reißt euch mal zusammen! Ich lass euch nicht meine Küche bevölkern, nur damit ihr euch gegenseitig die Köpfe einschlagen könnt, ich dachte das hätt ich euch schon eingebläut, als ihr noch halb so groß wart wie jetzt!“ Sie schüttelte den Kopf und schaute mit exakt dem strafenden Blick, der normalerweise mit einem erhobenen Nudelholz in ihrer Rechten einherging – und genoss insgeheim, wie die beiden jungen Männer kurzzeitig erstarrten und sie mit exakt demselben Blick ansahen, den sie auch früher aufgesetzt hatten, als sie noch Kinder gewesen waren. Manches änderte sich nie, und das war auch gut so, fand sie. Einen Moment ließ sie sie schmoren – dann entspannte sie ihren Gesichtsausdruck. Ein wenig. „Du!“ Ihr Finger stach Richtung Iring. „Nur weil dir von deinen Geschwistern der Papyruskram am meisten liegt, heißt das noch lange nicht, dass du dir darauf was einbilden brauchst. Das ist wichtig, jemand muss es erledigen, aber es ist nicht das einzige, was man braucht, um so etwas wie die Freya am Laufen zu halten. Und sei bloß vorsichtig mit deiner Wortwahl hier in meiner Küche!“ Auf Rhabans Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, aber das verging ihm im nächsten Augenblick, als er selbst dran war. „Und du! Du kannst andere Dinge besser als Iring, das weißt du auch. Ein Curator muss so viel mehr machen als das, was dir in die Wiege gelegt worden ist. Glaubst du ernsthaft, da bleibt keine Verwaltungsarbeit an dir hängen? Glaubst du, du könntest guten Gewissens weiter herumreisen, anstatt hier zu sein und dich um die Geschäfte zu kümmern?“ Sie schüttelte den Kopf. „Und ihr alle beide vergesst außerdem, dass ihr nicht alleine seid. Was ist mit Dagny, die euch jetzt schon seit Monaten hilft? Was ist mit Dagmar, die am längsten schon dabei ist? Was ist mit Octavena, die im Moment all das verwaltet, was Witjon zuvor verwaltet hat? Vielleicht solltet ihr auch mal mit denen reden!“

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