Neues Familienmitglied?

  • „Blöder Gaul!“ Iring grummelte mal wieder vor sich hin. Und sah dann ruckartig hoch, als er meinte, aus dem Stall ein unterdrücktes Lachen zu hören. „Das machst du mit Absicht, Leif, glaub ja nicht ich wüsste das nicht!“ rief er hinein, und diesmal war tatsächlich ein Lachen zu hören. Iring fluchte unterdrückt und widmete sich dann wieder dem Pferd vor ihm. Das Tier, das er immer noch am liebsten nutzte, war gerade nicht verfügbar, Leif hatte irgendwas gemurmelt von Fuß vertreten, und ihm einfach ein anderes gegeben. Eines, das deutlich... lebhafter war, so nannte es Leif, bockiger war das Wort, das Iring bevorzugte. Weswegen er Leif von Anfang an gesagt hatte, er solle ihm ein anderes Pferd geben, aber der Vorarbeiter der Hros hatte nur gemeint, die anderen, die da seien, seien genauso. Und Iring hatte daraufhin verzichtet weiter zu argumentieren. Er verschwendete seine Zeit nicht gern mit unnötigen Diskussionen, und das Funkeln in Leifs Augen hatte ihm gezeigt, dass er den Kürzeren ziehen würde, es sei denn er entschied einfach zu Fuß zu gehen. Das war das Problem, dass er sich für Pferde so gar nicht interessierte: er kannte vielleicht zwei, drei, von denen er wusste, dass ihr Wesen ihn am wenigsten nervte, aber bei den anderen hörte es auch schon auf. Rhaban oder Dagny könnten jetzt durch den Stall gehen und ihm auf Anhieb wahrscheinlich ein halbes Dutzend nennen, deren Temperament ihm entgegen käme, aber er halt nicht. Wenn sein Standardreittier und dessen Ersatz nicht verfügbar waren, musste er sich auf die Stallburschen verlassen, und wenn Leif da war und sich in den Kopf gesetzt hatte, dass er mal wieder was anderes ausprobieren sollte, saß der Vorarbeiter am längeren Hebel.


    Es war ja nicht so, dass er nicht auch mit einem temperamentvollen Tier umgehen konnte. Er mochte es nur nicht. Wenn er schon reiten musste, dann doch bitte mit einem ruhigen, das keine Probleme machte. Der Gaul vor ihm aber schien erpicht darauf, heute ein Problempferd zu sein. Oder er witterte, dass Iring ihn nicht mochte. Wie auch immer: das Herrichten gestaltete sich gerade schwierig. Genauer gesagt das Prüfen und Auskratzen der Hufe. Entweder das Tier lehnte sich mit vollem Gewicht auf genau das Bein, das Iring gerade anheben wollte – oder es tänzelte quer durch die Gegend, so weit das Seil es zuließ, mit dem es angebunden war, so dass Iring hin und wieder sogar ausweichen musste. Er hatte das schon verkürzt, aber der Gaul fand trotzdem noch genug Spielraum dafür, und zwischendurch stampfte er mit den Hufen auf, so heftig, dass Dreck in Irings Gesicht schleuderte. Was gerade mal wieder passierte.

  • Tariq hatte die letzten zwei Tage genutzt, um sich auszuruhen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen solchen Luxus genossen zu haben. Das Bett war bequemer als alle Orte, an denen er bisher seine Nachtruhe hatte verbringen können oder müssen. Und er … na ja, er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals einen Punkt in seinem Leben gegeben hatte, an dem er absolut nichts tun MUSSTE. Es gab keinen festen Tag, an dem er sich bei der Ala zu melden hatte, so wie es bei Hadamar und der Legio gewesen war, weshalb er theoretisch einfach hier dem süßen Nichtstun frönen könnte, bis er keine Lust mehr hatte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er schon jetzt, zwei Tage nach der Ankunft, keine Lust mehr. Die Müdigkeit der anstrengenden Reise war gewichen und er war das Nichtstun einfach nicht gewohnt. Es machte ihn unruhig. Hadamars Familie hatte ihn freundlich willkommen geheißen und war immer da und ansprechbar, wenn er etwas wissen wollte, aber sie alle hatten ihr Leben und ihren Alltag. Er wollte ihnen nicht immer auf die Nerven fallen. Deshalb hatte er beschlossen, ein wenig allein über das riesige Grundstück zu streifen und sich die Pferde anzusehen, von denen Hadamar ihm erzählt hatte. Vielleicht konnte der Vorarbeiter dort ihm ein bisschen was dazu erzählen!


    Man konnte die Pferdeställe schon von weitem riechen – und auch die Geräusche der Tiere hören. Tariq ging auf das große Gebäude zu – und entdeckte Iring, einen von Hadamars Brüdern, der sich offenbar mit seinem Pferd herumschlug. Ohne nachzudenken ging Tariq so auf das Pferd zu, dass es ihn sehen konnte und nicht erschreckte, und packte es am Geschirr. „Hey, ganz ruhig“, begann er beschwichtigend auf es einzureden und tätschelte ihm den Kopf und Hals. „Salve“, sagte er zu Iring, der ein bisschen Dreck im Gesicht hatte, was bei ihm irgendwie … unpassender aussah als bei anderen Leuten. „Soll ich helfen und das Pferd festhalten?“

  • Iring verbiss sich einen Fluch, als Dreckspitzer sein Gesicht trafen – und einen weiteren, als er eine Stimme hörte. Nicht Leifs Stimme, sondern jemand, den er nicht sofort zuordnen konnte. Was nichts anderes hieß, als dass das der Bursche sein musste, den Hadamar mitgebracht hatte, den jeden anderen hier hätte er sofort erkannte. Mit einem unterdrückten Seufzen richtete er sich auf und betrachtete den Kerl für einen Moment. Er wusste nicht so recht, was er von ihm halten sollte. Wobei: das war ja klar, er kannte ihn gar nicht. Richtiger war: er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, dass Hadamar ihn mitgebracht hatte. Was für eine Art Beziehung hatten die beiden? Wieso war die so eng, dass sein Bruder den Jungen mitnahm, und dass der wiederum mitkam, seine Heimat verließ, die quasi am anderen Ende des Reichs und damit der mehr oder weniger bekannten Welt lag? Er hatte Hadamar immer gemocht, er war sein großer Bruder, und es war eigentlich immer lustig mit ihm, darauf konnte man sich verlassen. Man konnte ihn auch ganz gut verarschen, auch wenn man dann aufpassen musste – oder hatte müssen, früher –, dass er einen nicht in den Schwitzkasten nahm. Aber so eng war ihre Beziehung nicht, wie sie wohl die von Hadamar und Tariq sein musste, wenn er eben das bedachte: dass der Junge aus Cappadocia mitgekommen war.


    Iring unterdrückte ein Seufzen. Er hatte sich ja mehr oder weniger damit abgefunden, das Mittelkind zu sein. Sich zwar mit all seinen Geschwistern zu verstehen, aber zu keinem von ihnen die enge Beziehung zu haben, die Hadamar und Eldrid auf der einen und Rhaban und Dagny auf der anderen Seite zueinander hatten. Am nächsten stand ihm selbst wohl noch Rhaban, nicht zuletzt aufgrund ihrer engen Zusammenarbeit. Aber das Hadamar am anderen Ende der Welt jemanden gefunden hatte, der ihm jetzt wohl näher stand als sein eigener Bruder, das... stach ein bisschen, wenn er ehrlich war.


    Und es nervte, dass der Junge das Pferd mit quasi einem Griff beruhigte. Dieser blöde Gaul! Er sollte in den Stall marschieren und Leif die Leviten lesen, was ihm einfiel, ihm das Vieh anzudrehen! Aber dafür war er dann doch zu stolz – da würde er noch lieber zu Fuß laufen, und auch das war nicht wirklich eine Alternative. Da war es dann wohl wieder gut, dass Tariq offenbar ein Händchen dafür hatte. „Salve“, erwiderte er, sich ohne nachzudenken an die Sprache anpassend, die sein Gegenüber gewählt hatte, und wischte sich jetzt endlich den Dreck aus dem Gesicht. Bevor er losritt, würde er wohl noch mal kurz zur Sicherheit das Gesicht waschen müssen. „Gerne, ich hab nicht ewig Zeit mich damit herum zu schlagen, und bei mir bleibt er nicht ruhig.“ Tatsächlich ging es mit Tariq um ein Vielfaches einfacher. Zwar stemmte sich das Tier noch ab und zu dagegen, aber damit kam Iring klar. „Und, hast du dich von der Reise ein bisschen erholen können?“ Er fragte sich ja, wie Hadamar das machte: eine solche Reise, und dann direkt ins Castellum und mit seinem Dienst weitermachen, ohne sich wenigstens mal einen Tag ausruhen zu können.

  • Tariq bemerkte wohl, dass Irings Laune nicht die beste war, brachte das aber mit dem widerborstigen Pferd in Verbindung und nicht mit seiner Person. Er fragte sich, warum sich Iring nicht einfach ein anderes nahm, wenn er mit diesem hier nicht zurechtkam, aber die Frage stellte er natürlich nicht laut. Das war die Art von Frage, die nach einer Maulschelle rief. Nicht, dass Hadamars Bruder der Typ zu sein schien, der diese freigiebig verteilte, aber trotzdem. Man sollte sein Glück nicht herausfordern und sich auch nicht gleich kurz nach der Ankunft bei der Gastgeberfamilie unbeliebt machen.


    Als Iring das Hilfsangebot schließlich annahm, hielt Tariq das Pferd fest und sprach immer wieder beruhigend auf es ein. Mit der Zeit ließ der Protest des Tieres auch nach. „Ja, schon. Danke“, antwortete er auf die Frage. „Es war ein ziemlicher Gewaltmarsch, aber ich hatte ja die letzten zwei Tage sehr viel Ruhe und konnte mich erholen.“ Zu viel Ruhe für seinen Geschmack. So viel Ruhe, dass sie langsam in Unruhe umschlug. Von Hadamar hatte er seit jenem ersten Abend auch nichts mehr gehört. „Ich bin sehr dankbar für den freundlichen Empfang und die Gastfreundschaft, aber ich denke, dass ich bald zur Castra der Ala aufbrechen werde.“ Er wollte besagte Gastfreundschaft auch nicht überstrapazieren. Wenn es wenigstens etwas gäbe, was er hier tun könnte – aber es wurde ihm im Gegenteil ja noch Arbeit abgenommen. Er fragte sich, was reiche Leute eigentlich den ganzen Tag machten.

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