Kyriakos kam zu Fuß und mit leichtem Gepäck aus der Nacht. Der Gipfel ragte hoch vor ihm auf, als die Sterne verblassten. Hinter Kyriakos lag mehr als eine nächtliche Wanderung. Dies war die vorletzte Etappe einer langen Reise, die ihn fort von Roma führte, wo er in Schande lebte und seine Hoffnung auf Rache aufgab, eine Reise zurück zu sich selbst. Der steinige Boden des Peloponnes war seine Schlafstatt gewesen, der rote Wollmantel sein einziger Schutz.
Von Arkadien her stieg er über den Taygetos. Am Horizont, kaum mehr als eine Ahnung, zeigte sich ein Streifen kalten Lichts. Seine verkrüppelten Füße setzte er bedächtig über den langgestreckten Rücken des Gebirgsmassivs. Der kahle Grat, vom ewigen Wind geschliffen, bildete die Grenze zwischen Laconia und Messenia. Ein Wanderstab, der Speer zugleich ihm war, sicherte die Schritte des Kyriakos und gleichsam sein Leben. Nährte ihn mit Wild und Fisch, denn ein geschickter Jäger brauchte nicht zu rennen. Bei ihm ging, viel leichtfüßiger, sein Sohn Nymphis. Er hatte den Boden der Heimat nie betreten. Sie hatten die zerklüfteten Passagen überwunden, die von den Spartanern für ihre Invasionen nach Messenia benutzt worden waren. Die Erinnerung der Steine war spürbar gewesen und des Bodens, der Blut gekostet hatte. Ob Nymphis gespürt hatte, was sein Vater spürte?
Ein zarter Schleier aus Schneekristallen wehte von der Gipfelpyramide. Der Taygetos trug eine Krone aus Eis. Sie leuchtet im ersten Sonnenlicht wie Kristall. Kyriakos hat den Aufstieg ohne Schuhe bewältigt. Unter dem roten Mantel war er trotz der Winterkälte nackt. Auch sein Sohn trug nichts anderes. Nymphis war in Rom aufgewachsen, doch sein Vater hatte ihn nicht verzärtelt, er trug nie Schuhwerk und musste der Witterung mit wenig mehr als dem Körper und dem Willen trotzen. Nymphis war geklettert, wie eine Gams von Stein zu Stein gesprungen. Doch nun, da sie den Gipfel sahen, ergriff ihn Ruhe. An der entbehrungsreichen Reise war er körperlich und charakterlich gereift.
Als sie den höchsten Punkt erreichten, steigt die Sonne über den Horizont. Die Wanderer rasteten, ohne sich zu setzen. Der Lohn ihrer Mühen waren Kälte und Einsamkeit. Sie nahmen sich Zeit, hielten schweigend inne, während der Wind an ihren schwarzen Locken und den gegürteten Mänteln riss. Der Schatten des Gipfels bildete im Westen eine perfekte Pyramide über der Bucht von Messenia. Es schälten sich im Dunkel, strahlend, die Berge Kretas aus der Morgendämmerung. Im Osten aber schlief die Polis in der Finsternis wie ein altes Untier, narbig und besiegt. Erste Morgennebel zogen über das Land, das zu ihrer Zeit nur ein Schatten seiner alten Größe war.
Nymphis blickte an der Seite seines Vaters in den Abgrund. Vor ihren Füßen fiel der Hang jäh in die Ebene von Sparta ab.