Nachdem ein paar Tage zuvor ein Fremder aus Rom in der Villa Duccia aufgetaucht war, um Octavena zu sprechen und sie darüber aufklären, dass es drei Grundstücke in Italia gab, die ihr als Teil von Witjons Erbe gehörten, mit denen es aber Probleme gab, hatte Octavena selbst sich zunächst einmal den Unterlagen ihres Mannes gewidmet. Die Ländereien hatten ihr in der Situation rein gar nichts gesagt, was aber auch nicht sonderlich überraschend war, wenn man bedachte, dass Octavena die letzten Monate weitgehend damit verbracht hatte, sich vor diesem Thema zu drücken. Sie fühlte sich auch jetzt noch immer leicht unwohl bei dem Gedanken, teils weil sie noch immer dabei war, mit der Hilfe des Rests der Familie alle Details dieses Erbes zu verstehen, teils, weil es eben um ihren Mann ging, der ihr noch immer fehlte. Sie tat sich zwar jeden Tag ein wenig leichter und die Zeiten, in denen man ihr deutlich anmerkte, wie sehr sie sein Verlust getroffen hatte, waren inzwischen vermutlich weitgehend vorbei, aber er war nun einmal trotzdem noch nicht einmal ein ganzes Jahr tot und Octavena spürte ganz genau, dass sie schlicht selbst auch noch nicht ganz darüber hinweg war.
Trotzdem hatte sie sich zusammen gerissen und seine Unterlagen gewälzt, um Selenus' Angaben zu überprüfen. Was schonmal stimmte, war, dass Witjon tatsächlich Land besessen hatte, das direkt an das des Annaeus angrenzte, und es dauerte nicht lange bis Octavena auch ihre eigene Vermutung bestätigen konnte, dass der Grund für seine schlechte Pflege des Besitzes vermutlich nicht nur an ihrer eigenen Trauer lag. Scheinbar hatte Witjon seinerseits die drei Grundstücke von Audaod geerbt und damit war für Octavena der Fall sowieso klar gewesen. Sie hatte aus nächster Nähe miterlebt, wie hart ihren Mann der Tod seines Erstgeborenen getroffen hatte, und es hätte sie nicht gewundert, wenn er es selbst eine Weile aufgeschoben hatte, sich mit Audaods Besitz auseinander zu setzen. Er hatte ja nicht ahnen können, dass er sich nicht mehr selbst darum würde kümmern können und dass danach Octavena ihrerseits die Sache aus ähnlichen Gründen nur weiter verschleppen würde. Mit dieser Erkenntnis im Kopf hatte Octavena sich dann ein paar Tage Zeit genommen und überlegt, wie sie nun weitermachen sollte. Der Gedanke, Teile von Witjons Erbe zu verkaufen, widerstrebte ihr grundsätzlich, weil es in ihrem Kopf eben das war und blieb, sein Erbe. Etwas, das sie am ehesten für ihre gemeinsamen Kinder und natürlich ihren Sohn zu verwahren hatte. Gleichzeitig brachte es nichts, sich mehr schlecht als recht um irgendwelchen Streubesitz weit weg zu kümmern, der einmal Audaod, der ja im Gegensatz zu ihr immer vor Ort gewesen war, gehört hatte.
Nach ein paar Tagen und ein paar eingeholten Meinungen aus der Familie aber hatte sie dann ihre Entscheidung getroffen: Sie würde das Land verkaufen. Jedenfalls sofern Selenus wirklich der war, für den er sich ausgab. Das war noch ein anderer Punkt, den sie vorher würde klären müssen. Aber dazu würde sie zunächst einmal mit ihm reden müssen. Also schickte sie ihm eine Nachricht, dass sie einen Verkauf in Erwägung ziehen würde, und gab dann in der Villa Anweisung, dass er, wenn er wieder hier auftauchte, direkt ins Kaminzimmer geführt werden sollte. Der Raum war repräsentativ genug für so ein Gespräch, auch wenn das Arbeitszimmer vermutlich die näherliegende Wahl gewesen wäre, aber Octavena hatte wenig Lust, dieses Gespräch an dem Ort in der Villa zu führen, den sie mit am meisten mit ihrem Mann verband. Abgesehen davon kam sie so Iring und Rhaban nicht in die Quere, die zwar sowieso von dem Gespräch wussten, bei denen Octavena aber trotzdem davon ausging, dass sie vermutlich auch so genug zu tun hatten. Also schickte sie die Nachricht, ließ Getränke in Kaminzimmer bringen und erwartete ihren Gast.