Who let the dogs out?

  • Nach dem Gespräch mit Octavena verließ Tariq das Haus. Noch immer war die Sonne nur andeutungsweise hinter weißen Wolkenschleiern zu erkennen – so als habe sie beschlossen, dass es während des germanischen Winters nicht angemessen sei, ordentlich zu scheinen. Sehr viel Wärme spendete sie auch nicht, Tariq war froh um den Wollumhang, den er sich eng um den Leib zog. Aber die Sonne war trotz allem da, ihre Silhouette war hinter der milchig-weißen Wand zu erkennen. Tariq musste nach der relativen Dunkelheit des Hauses ein wenig die Augen zusammenkneifen. Er ließ das Haus linker Hand liegen und ging zielstrebig Richtung Fluss, der ihn faszinierte, seitdem er ihn heute Morgen von seinem Zimmerfenster aus erblickt hatte. Wie ein silbriges Band wandte er sich durch das platte Gras, und je näher Tariq kam, desto besser hörte er ein leises murmelndes Rauschen, das fast so klang als würden Stimmen leise flüstern. Es war nicht schwer, sich die Flussgeister vorzustellen, die Octavena eben erwähnt hatte. Auch, wenn sie ja gar nicht germanisch waren.


    Hadamar hatte ihm erzählt, dass Flüsse und Seen in Germanien im Winter zufrieren konnten, dann schlief das Wasser unter der Eisschicht. Dieser Zeitpunkt war aber offenbar noch nicht erreicht, denn der Fluss murmelte und bahnte sich einen Weg über Steine, die man auf dem Grund erkennen konnte. Tariq hockte sich hin und versuchte einen der Steine aus dem Wasser zu greifen, aber die Augen schienen ihm einen Streich zu spielen. Von seiner Perspektive sah der Stein nah aus, und doch erreichte seine Hand ihn nicht. Er neigte sich weiter herunter, erreichte den Stein aber immer noch nicht. Frustriert zog Tariq die Hand zurück. Sie war eiskalt und der Ärmel seiner Tunika leicht durchnässt. Er erhob sich, steckte die Hand unter seinen zweiten Arm, um sie wieder aufzuwärmen und betrachtete das sich bewegende Wasser mit gerunzelter Stirn. „Euch scheint die List auch zu liegen, was?“ meinte er leise, nun in seiner Mutmaßung gestärkt, dass etwas in dem Fluss hausen musste, das Illusionen wob und die Sinne verwirrte.


    Nachdem er eine Weile dagestanden und dem Wasser gelauscht hatte, wandte er sich um. Er fand es schade, dass er beispielsweise Soufian nicht von diesem Fluss erzählen konnte. Der Händler würde das genauso faszinierend finden wie er, dessen war Tariq sich sicher. Vielleicht könnte er ihm schreiben, aber seine Schreibfähigkeiten waren rudimentär und er würde es niemals schaffen, etwas so aufzuschreiben, wie er es erzählen könnte.


    Er kehrte zum Haus zurück und beschritt den Weg, der ihn zum Eingangstor zurückbrachte. Nachdem er den Fluss gesehen hatte, wollte er auch den Hunden einen Besuch abstatten – obwohl das weniger aus Faszination geschah, denn aus einer seltsamen Form von Pflichtbewusst heraus. Octavena hatte gesagt, dass sie wahrscheinlich in der Nähe des Tors zu finden waren, also ging er dort zuerst hin. Und blickte sich dabei aufmerksam um. Er wollte garantiert nicht von den Wachhunden überrascht werden.

  • Während Tariq losgezogen war, um das Gelände der Villa zu erkunden, war Octavena ihrerseits zunächst im Haus verschwunden, um Ilda zu suchen, und dann kurz auf dem Hof erschienen, um nach ihren Kindern zu sehen. Farold hatte wie versprochen Ildrun gefunden und ihr den Mantel gebracht, den sie auch angezogen hatte, aber als Octavena nach draußen gekommen war, hatte Ildrun sich trotzdem noch aus dem Staub gemacht, bevor Octavena auch nur mit ihr sprechen konnte. Stattdessen war Farold auf seine Mutter zugelaufen und hatte sie plappernd zurück ins Haus gelotst. Das war Absicht gewesen, so viel hatte auch Octavena begriffen, aber trotzdem mitgespielt. Ildrun trug den Mantel, das war Octavenas Sieg für diesen Morgen und das musste fürs erste reichen.


    Während Octavena also mit Farold zurück im Haus verschwand, lief Ildrun in die entgegen gesetzte Richtung. Sie hatte keine Lust, mit ihrer Mutter schon wieder über irgendetwas zu diskutieren. Wenn es nicht der Mantel war, dann würde sie sicher als Nächstes mit einem Schal anfangen, dann damit, dass es ja eigentlich sowieso zu kalt war, um draußen zu sein, oder was auch immer ihr sonst gerade so an Übertreibungen einfiel. Farold ließ das noch meistens mit sich machen, aber der musste auch - anders als Ildrun - nur richtig gucken, um ihre Mutter um den Finger zu wickeln. Nicht, dass Ildrun das nicht ab und zu nutzte und ihn vorschickte, wenn sie wollte, dass Octavena besser mit Farold beschäftigt war, statt Ildrun selbst auf die Nerven zu gehen, aber das änderte nichts daran, dass sie sich ihrer Mutter nur entziehen konnte, wenn sie nicht streiten wollte. Also lief sie stattdessen nach vorne zum Tor, um nach Asper und Papias zu sehen. Um diese Uhrzeit waren die beiden schon lange gefüttert und damit würde es eine Weile dauern, bis es irgendjemandem auffiel, wenn Ildrun sie mitnahm, um mit ihnen eine Weile übers Gelände zu ziehen. Und wenn doch, war das wahrscheinlich erstmal nur Leif, der in der Regel Besseres zu tun hatte als schnurstracks zu Octavena zu laufen, um ihr davon zu erzählen und so die nächste Diskussion zwischen Mutter und Tochter vom Zaun zu brechen.


    Sie wollte sich gerade mit den beiden Hunden in Richtung Garten verdrücken, da fiel ihr Blick auf einen Fremden, der ihr entgegenkam, und sie hielt inne. Sie kannte sonst jeden Bewohner der Villa, die meisten sogar schon ihr ganzes Leben oder wenigstens so lange sie sich erinnern konnte. Was umgekehrt bedeutete, dass das wohl der Junge war - auch wenn er doch ein ganzes Stück älter als Ildrun wirkte - von dem Farold schon erzählt hatte. Das bedeutete dann wohl, dass er inzwischen doch auch aufgestanden war, nachdem Farold den halben Morgen scheinbar vor seiner Tür herumgelungert hatte. Zuerst war Ildrun versucht, beiläufig mit den Hunden das Weite zu suchen, ehe er sie bemerken konnte, doch dann siegte ihre Neugier. Statt zu verschwinden, ging sie deshalb nur im Schatten des Tors in die Hocke, um die beiden Hunde abwechselnd hinter den Ohren zu kraulen, und beobachtete dabei über die Köpfe der Tiere hinweg, wie Tariq sich näherte.


    "Suchst du jemanden?", fragte sie schließlich von ihrem Platz im Schatten aus, als er in Hörweite war, teils um einfach nur auf sich aufmerksam zu machen, ehe sie sich langsam erhob und ihn mit einem neugierigen Blick bedachte. "Du bist Tariq, oder?", fragte sie rundheraus. "Der Gast, der gestern mit meinem Onkel gekommen ist." Der Onkel, den sie bisher verpasst hatte und an den sie sich auch nur bestenfalls vage erinnerte, weil er so lange weg gewesen war. Aber bei einer großen Familie wie ihrer machte ein Onkel mehr oder weniger auch keinen Unterschied mehr. Zumal ihr ihre Familie in letzter Zeit sowieso oft genug vor allem auf die Nerven ging. "Ich bin Ildrun."

  • Da Tariq bewusst Ausschau hielt nach den Hunden, bemerkte er im Schatten des Tores drei Schemen, von denen zwei die Hunde sein mussten und der dritte eine Person, die sich bei ihnen aufhielt. Unwillkürlich war Tariq erleichtert, dass jemand da war, der die Hunde irgendwie im Zaum halten würde. Zwar war er nicht unrechtmäßig hier, aber er war ein Fremder. Zu seiner Erleichterung blieben die Hunde entspannt liegen, als er näher kam – vermutlich wegen der anwesenden Person, die sich nun zu Wort meldete. Obwohl Octavena ihm gesagt hatte, dass ihre Tochter immer gern mit den Hunden herumlief, war Tariq doch ein wenig überrascht, dass es ein junges Mädchen war, das sprach.


    Er war kurz stehengeblieben, als sie angefangen hatte zu sprechen, nun trat er einige Schritte heran. „Freut mich, Ildrun. Ja, ich bin Tariq“, erwiderte er und lächelte ihr zu. „Wenn du mit deinem Onkel Hadamar meinst, ja, wir sind gestern gemeinsam angekommen.“ Trotz des Stammbaumes, den Farold ihm gezeigt hatte, hatte Tariq Schwierigkeiten, die komplexen Verwandtschaftsverhältnisse der Duccier zu durchblicken. Andererseits wusste er, dass es sich in seiner Heimat ähnlich verhielt. Auch dort gab es große weitverzweigte Familien, die ähnlich funktionierten wie bei den Römern oder auch offensichtlich hier in Germanien. Wer zu einer Familie dazugehörte, hatte dieser gegenüber zwar Verpflichtungen, profitierte im Gegenzug aber auch von deren Verbindungen und hatte allgemein ein Auffangnetz, sollte er eines brauchen. Von den persönlichen engen Verbindungen, die die Familienmitglieder untereinander pflegten, mal ganz abgesehen. Und wenn der Mensch so etwas nicht hatte, so wie Tariq, dann suchte er meist eine Alternative – bei ihm war das Duroks Bande gewesen, der er tatsächlich hauptsächlich deshalb den Rücken gekehrt hatte, weil er keine anderen Wahl gehabt hatte. Ansonsten wäre er vermutlich dabei geblieben, trotz der schlechten Behandlung, die Durok und einige der älteren Jungen ihm hatten zuteil werden lassen. Weil das eben das soziale Umfeld war, das er kannte.


    „Ich war gestern ziemlich müde nach der langen Reise und habe nicht so viel mitbekommen. Deshalb schaue mich heute ein bisschen um. Dein Bruder und deine Mutter haben mir das Haus gezeigt, gerade war ich am Fluss und jetzt wollte ich die Hunde mal sehen“, erzählte er und war selbst ein wenig überrascht, wie leicht es ihm fiel, mit ihr zu reden. Vielleicht, weil sie ihm altersmäßig am nächsten war. Sie war offensichtlich etwas jünger als er, aber kein richtiges Kind mehr, so wie Farold, und auch keine Erwachsene, so wie alle anderen hier, denen er bisher über den Weg gelaufen war. Selbst Hadamars jüngste Schwester hatte, abgesehen von der ersten Begrüßung Hadamars, schon recht erwachsen gewirkt, als sie sie gestern empfangen hatte. Das hatte ihn, wie er im Nachhinein feststellte, überrascht, weil sie in Hadamars Erzählungen irgendwie jünger gewirkt hatte, als sie sich dann in Wirklichkeit entpuppt hatte.


    „Sind die beiden gefährlich?“ fragte er mit einem Kopfnicken in Richtung Hunde, von denen einer sich nun erhoben hatte und ihn … nun ja, zumindest aufmerksam anblickte. Tariq hielt auf jeden Fall vorsichtshalber Abstand.

  • Duccia Camelia (Ildrun)

    Bei Tariqs Antwort legte Ildrun den Kopf ein wenig schief. Was glaubte er denn, wie viele lang abwesende Familienmitglieder mit Gästen im Schlepptau normalerweise so bei ihnen aufschlugen? Natürlich meinte sie Hadamar. "Ja, den meine ich", sagte sie trotzdem schlicht, ging aber nicht weiter auf die Verwandtschaftsverhältnisse ein, sondern versuchte, sich einfach nur unbeeindruckt zu wirken. Das hätte bedeutet, zu erklären, wie genau sie mit Hadamar und seinen Geschwistern verwandt war, und das wiederum hätte bedeutet, über ihren Vater zu sprechen, was das letzte Thema war, das sie einfach so mit einem Wildfremden anschneiden wollte. Abgesehen davon verstand sie sowieso nicht ganz, warum man Verwandtschaft so aufdröseln sollte. Am Ende war sowieso alles einfach Familie. Ob ein Onkel jetzt ein Onkel war, weil er ein Vetter zweiten oder dritten Grades ihres Vaters gewesen oder doch wieder anders verwandt war, war dann auch schon egal.


    Tariq schien allerdings ohnehin in Redelaune zu sein, denn er fuhr direkt damit fort, ihre erste Frage zu beantworten. Ildrun hörte ihm zu und streckte dabei beiläufig wieder die Hand nach Papias aus, der weiter neben ihr stand und zwar kurz zu Tariq hinübersah, aber wohl mehr auf Streicheleinheiten aus war als sich um den Fremden zu kümmern. So vorsichtig wie Tariq die beiden Tiere beobachtete, glaubte Ildrun zwar nicht, dass er Hunde unbedingt mochte, aber damit war er nicht der erste, der den beiden mit vorsichtiger Skepsis begegnete. Und auch nicht der erste, bei dem ihr das ihrerseits weitgehend egal war.

    "Kommt drauf an, wen du fragst", erwiderte sie stattdessen auf seine Frage und zuckte mit den Achseln. "Meine Mutter hat Angst vor ihnen." Weil ihre Mutter wie immer mit allem maßlos übertrieb und auch sowieso nicht besonders gut mit Tieren konnte. "Aber mich mögen sie." Ildrun strich Papias weiter sanft über den Kopf, während Asper nun neugierig in Tariqs Richtung guckte und dabei ein wenig mit der Nase schnupperte, als er versuchte, den Geruch des Fremden aufzunehmen. Die Andeutung eines Grinsens erschien auf Ildruns Zügen, als sie nun auch bewusst registrierte, wie vorsichtig Tariq seinerseits Abstand zu dem Tier hielt. Er wirkte zwar auf jeden Fall ein ganzes Stück älter als sie, aber den Gedanken, dass er sich trotzdem vor den Hunden fürchten könnte, während sie nicht im Geringsten Angst hatte, fand sie irgendwo lustig. Da redete ihre Mutter immer endlos davon, dass Ildrun noch ein Kind sei und die Hunde kein Spielzeug, und dann war sie jetzt diejenige, die jetzt mit den beiden Hunden vollkommen entspannt war. Wobei es sowieso wenig gab, das Ildrun wirklich Angst machte, dafür war sie sowieso inzwischen zu alt. Jedenfalls sagte sie sich das selbst. "Meistens sind sie harmlos", fuhr sie dann aber fort und war froh, dass ihre Mutter nicht hier war, um ihr schon wieder darin zu widersprechen. "Wenn du sie in Ruhe lässt, lassen sie dich auch in Ruhe." Ildrun lächelte, als Papias einen zufriedenen Laut von sich gab, als sie ihn weiter kraulte. "Aber man muss nur wissen, wie man mit ihnen umgehen muss." Sie ließ Papias los und nickte in Aspers Richtung, der gerade ein paar träge Schritte auf Tariq zu machte. "Probier es aus, wenn du willst. Wenn du ihm die Hand hinhältst, kann er deinen Geruch aufnehmen. Dann erkennt er dich später wieder." Sie sah zu ihm hinüber und ihre Augen blitzten herausfordernd auf, während sie nun wirklich grinste und sich dabei bewusst ein wenig größer machte. Eigentlich gab es keinen Grund, weshalb sie ihn hätte herausfordern müssen, aber so etwas kümmerte sie ohnehin selten. Besonders nicht, wenn sie neugierig war oder versuchte, aus jemandem schlau zu werden. So wie jetzt. "Oder hast du Angst?"

  • Tariq beobachtete interessiert, wie vertraut Ildrun mit den Hunden umging. Scheinbar verbrachte sie tatsächlich viel Zeit mit ihnen. Er hatte immer gedacht, dass reiche Mädchen sich ihre Zeit anders vertrieben und so wie Octavena reagiert hatte, war dieses Verhalten wohl ungewöhnlich. Andererseits machte das Ildrun interessant. Tariq hätte kaum gewusst, was er mit ihr reden sollte, wenn sie sich nur über Frisuren und Stoffe hätte unterhalten wollen.


    Er musste ein Grinsen unterdrücken, als sie behauptete, Octavena habe Angst vor den Hunden – er bezweifelte, dass das stimmte, hütete sich aber, ihr zu widersprechen. Octavena wollte einfach nur nicht, dass Ildrun mit ihnen draußen herumlief, aber auch das sprach Tariq nicht laut aus. Er hatte mittlerweile mitbekommen, dass das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ziemlich angespannt war. Warum, konnte er nicht so genau nachvollziehen, er hatte keine Eltern und konnte somit nicht sagen, ob das normal war, oder ob irgendetwas vorgefallen sein musste. Es ging ihn wohl auch nichts an.


    Als Ildrun aber fragte, ob er Angst vor den Hunden hatte, blitzten seine Augen wütend auf. Er? Angst? „Ich? Angst? Quatsch!“ Natürlich hatte er Angst, aber er würde sich lieber die Zunge abbeißen als das zuzugeben. Schon gar nicht vor einem Mädchen! Das auch noch jünger war als er. Der Hund, der auf ihn zu tapste, wirkte auch nicht sonderlich bedrohlich, was sollte schon passieren? Vorsichtig streckte Tariq die Hand aus und handelte damit entgegen all seiner Instinkte. Die Hunde, die er bisher kennengelernt hatte, schnappten nach einer Hand oder bissen sogar zu. Ein Junge seiner Bande hätte sogar fast mal eine Hand verloren. Tariq spürte, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn zu bilden begannen. Lediglich sein Stolz hielt ihn davon ab, die Hand ruckartig wieder nach hinten zu ziehen, als sich die schnüffelnde Hundeschnauze seinen Fingern näherte. Leicht beschämt stellte er fest, dass seine Hand leicht zitterte. Hoffentlich bemerkte Ildrun das nicht! Am liebsten hätte er zumindest das Gesicht abgewandt, um sich das Drama nicht ansehen zu müssen, aber zu seiner grenzenlosen Überraschung passierte … nichts. Der Hund schnupperte eine Weile, wedelte er mit dem Schwanz, wandte sich ab und trottete wieder in Richtung Torschatten. Tariq sah ihm leicht verblüfft hinterher. Dann starrte er seine Hand an, als sei ihm gerade ein sechster Finger gewachsen.


    „Das … war … ja ganz einfach!“ Die grenzenlose Erleichterung war ihm anzumerken und auch das Lächeln auf seinem Gesicht drückte diese aus. Er versuchte, routiniert zu klingen, was aber gehörig misslang.

  • Duccia Camelia (Ildrun)

    Ildrun grinste selbstzufrieden, als Tariq sich von ihr provozieren ließ. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie damit voll ins Schwarze getroffen hatte und er das jetzt nur nicht vor ihr zugeben wollte. Trotzdem stichelte sie nicht weiter, schließlich gab es für sie keinen Grund, Streit zu suchen. Sie fühlte sich nur für den Moment noch ein klein wenig selbstbewusster als ohnehin.


    Als Tariq dann tatsächlich ihrem Vorschlag nachkam und Asper die Hand hinhielt, um den Hund daran schnuppern zu lassen, sah Ildrun ihm sowieso ganz genau an, dass er sich mehr vor dem Tier fürchtete als er gerade behauptet hatte. Ildrun dagegen beobachtete vollkommen entspannt, wie Asper sich genau so verhielt, wie sie erwartet hatte: Er schnupperte einen Moment an Tariqs Hand und verlor dann schnell wieder das Interesse und machte kehrt, um zurück in Richtung Torschatten zu trotten. Was Ildrun schon vorher gewusst hatte, schien Tariq dagegen ehrlich zu überraschen und das wiederum ... wunderte Ildrun dann doch. "Was hast du denn erwartet?", fragte sie und runzelte die Stirn. Nicht, dass er mit seiner Vorsicht gegenüber den Hunden vollkommen falsch gelegen hätte, das wusste sogar Ildrun, auch wenn sie das gerne leugnete. Asper und Papias waren gerade vollkommen ruhig und entspannt, weil sie wiederum entspannt war und sie wussten, dass dann im Moment keine Gefahr von Tariq ausging, auch wenn er ein Fremder war. Hätten sie ihn als Eindringling oder Bedrohung wahrgenommen, hätte diese Begegnung aber auch anders ablaufen können. Aber so, mit Ildrun direkt in der Nähe? Da gab es eigentlich nichts zu befürchten. "Haben die Leute da, wo du herkommst, keine Hunde?" Das erschien ihr zwar merkwürdig, aber es hätte immerhin erklärt, warum er sich jetzt für die Hunde der Villa interessierte, obwohl es nicht so wirkte, als ob er sie tatsächlich mochte. Und Ildrun wusste tatsächlich sehr wenig über Cappadocia und hatte auch ihrem Bruder bei seinem Geplapper nicht wirklich zugehört, mit dem er ihr schon brühwarm mehr oder weniger alles weitererzählt hatte, was er bisher so über Tariq und dessen Heimat aufgeschnappt hatte. Nachdem Farold aber auch irgendetwas von Feuer erzählt hatte, das aus dem Boden kam, wäre ein Land, in dem die Leute keine Hunde hielten, vermutlich noch verhältnismäßig unspektakulär gewesen. Zumindest, wenn seine Fantasie nicht schon wieder mit ihm durchgegangen war oder er irgendetwas falsch verstanden hatte.

  • Tariq konnte sein Glück, dass die Begegnung mit dem Wachhund so glimpflich abgelaufen war, immer noch nicht fassen. Deshalb stieg seine Laune beträchtlich, obwohl er den leisen Verdacht hegte, dass Ildrun sich heimlich ein wenig über ihn amüsierte. „Die Reichen haben oft Wachhunde, aber die sind in der Regel ziemlich unfreundlich. Und die Straßenhunde sowieso. Die betrachten dich als Konkurrenz um Nahrung“, teilte er deshalb auskunftsfreudig mit. „Wenn ich einem von denen die Hand hingehalten hätte, wäre die weg gewesen.“ Gut, ‚weg gewesen‘ war vielleicht ein wenig übertrieben, aber Tariq fand nichts Schlimmes daran, sein Leben gefährlicher und dadurch schillernder zu beschreiben, als es eigentlich gewesen war. Es hatte auch genug Straßenhunde gegeben, die Angst vor den Kindern gehabt und ziemlich schnell das Weite gesucht hatten. Aber davon, den nicht eben zimperlichen Konkurrenzkampf auf der Straße einem hundeliebenden Mädchen wie Ildrun zu beschreiben, sah er mal lieber ab.


    „Warum bist du so viel draußen bei den Hunden? Ist es dir drinnen zu langweilig?“ Tariq hatte nur wenige Erfahrungen mit Mädchen und Frauen gesammelt – und denen zufolge waren Frauen oft drin und mussten sich heimlich rausschleichen, es sei denn, sie waren Bäuerinnen oder sowas.

  • Duccia Camelia (Ildrun)

    "Das könnte dir mit Asper und Papias wohl auch passieren", erwiderte Ildrun auf Tariqs Ausführungen über die Hunde in seiner Heimat, grinste aber dabei breit, um deutlich zu machen, dass sie das nur halb ernst meinte. An sich stimmte natürlich, was sie sagte: Die beiden konnten gefährlich sein - sie waren es nur eben nicht gerade jetzt, wo sie es sich gerade träge auf dem Boden bequem machten und sonst weder Tariq noch Ildrun im Moment viel Beachtung schenkten. "Jedenfalls, wenn du sie ärgern würdest." Die Erklärung, dass er sonst einfach vor allem mit deutlich gefährlicheren Tieren zu tun gehabt hatte, ergab allerdings schon mehr Sinn als die Vorstellung, dass er einfach aus einem Land kam, in dem es keine Hunde gab. Wahrscheinlich hatte Farold auch bei dem Rest, den er so geplappert hatte, irgendetwas falsch verstanden und Cappadocia war gar nicht so viel anders als Mogontiacum.


    Bei seiner nächsten Frage hielt Ildrun kurz inne und sah ihn prüfend an, konnte aber keine Kritik in seinem Tonfall oder seinem Blick erkennen. "Ich bin gerne draußen", erwiderte sie dann wahrheitsgemäß. "Und ich mag die Hunde. Eigentlich die meisten Tiere." Sie zögerte erneut, als ihr klar wurde, dass das vermutlich eine ziemlich nichtssagende Erklärung war, wenn man das Leben in der Villa nicht kannte. "Ich war einfach schon immer viel draußen und außer meiner Mutter hat da auch nie jemand etwas dagegen gehabt", erklärte sie und zuckte dazu beiläufig mit den Achseln, so als ob sie über die normalste Sache der Welt redete, denn tatsächlich tat sie das ja auch, jedenfalls in ihrer Welt. "Das war schon immer so und na ja ... ist eben auch so geblieben. Ich kenne das gar nicht anders." Natürlich wusste Ildrun auch irgendwo, dass sie damit deutlich anders aufwuchs als die meisten anderen Mädchen - ihre manchmal dann doch sehr römische Mutter mit manchmal doch sehr römischen Erziehungsvorstellungen erinnerte sie da ja schließlich oft genug daran - aber das änderte nichts daran, dass für Ildrun diese Freiheiten, die sie hier genoss, schlicht selbstverständlich waren. Seit sie laufen konnte war sie immer zuerst nur durch die Villa und später über das gesamte Gelände getobt, sei es allein oder mit den Kindern der Angestellten. Sie kannte jeden Winkel hier, jedes Versteck. Die Villa und das Gelände drumherum waren nun einmal ihr Zuhause. Sie grinste verschwörerisch. "Und draußen ist es leichter, den Regeln meiner Mutter aus dem Weg zu gehen."

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