Hortus | Wie jede Blüte welkt und jede Jugend dem Alter weicht

  • Blinzelnd trat Gracchus in die Sonne des Frühlings hinaus, die bereits jetzt heiß vom Himmel brannte. Doch der Flavier genoss diese Wärme auf seiner Haut, in diesem Augenblicke gänzlich vernachlässigend, was dies für die vornehme, patrizische Blässe würde bedeuten. Er war ohnehin schlichtweg zu alt, noch auf solcherlei gesellschaftlichen Firlefanz zu achten. Zu alt. In der Tat.

    Du trägst zu viel kalte Feuchtigkeit in deinen Knochen, Herr. Das kommt mit dem Alter. Dies hatte Kosmas ihm wahrhaftig ins Gesicht gesagt. Ausgerechnet Kosmas, welcher als Medicus zwar bereits seit Jahrzehnten im Dienste der Flavier stand, indes doch selbst nicht jünger war als Gracchus! Er glaubte nicht daran - nicht an das Alter, noch daran, dass dies der Auslöser für seinen schwächlichen Zustand über die Wintermonate hinweg gewesen war. Es war ... schlichtweg kein guter Winter gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Der Flamen Dialis Ovius Lyso war alt. Die Senatoren Tullius und Trebonius waren alt. Doch er, Flavius Gracchus, war in den besten Jahren, und höchstens ein wenig aus der Form! Mit einem Schnauben quittierte er diesen Gedanken und folgte dem Rundweg durch den Hortus vorbei an den lieblichen Statuen der Musen, vorbei an dem kleinen Faun und den Rosenbüschen des Felix, an seinem liebsten Mandelbaum, unter welchem die Bank aus schwarzem Marmor stets ein schattiges Plätzchen gewährte, an dem Springbrunnen mit dem kecken Pan vorbei und zurück zum Haus. Dort nahm er zur Erfrischung ein Glas Wein zu sich - welch eine Wonne nach all den Wochen warmer Brühe und warmen Gewürz - und Kräuteraufgüssen, welche ihm auf Geheiß Kosmas' waren serviert worden! Allein dies schon ein Grund, schnell wieder zu Kräften zu kommen. So gestärkt fühlte der Flavier sich bereit, sich wieder seinen Pflichten zu widmen, denn er hatte sie viel zu lange vernachlässigt - im Haus, in der Regia und im Senat.

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  • "Nein, Quintus, vier. Vier!"

    Ein wenig barsch schob Gracchus einen Spielstein zurück, besann sich doch im nächsten Augenblicke, deutete mit dem Finger die Sprünge an und versuchte sich an einer sanfteren Klangfarbe.

    "Sieh doch, eins, zwei, drei, vier. Somit landet der Stein auf diesem Feld."

    "Da soll er hin!"

    Trotzig schob Quintus den Stein auf das benachbarte Feld.

    "Das Spiel folgt den Regeln, Quintus. Du kannst die Regeln nicht deinen Wünschen anpassen."

    "Warum nicht?"

    "Weil ..."

    Gracchus stockte. Warum eigentlich nicht?

    "Weil es im Grunde nicht um das Spiel geht, sondern um das Leben. Auch das Leben folgt Regeln, doch diese sind weitaus größer als du. Es steht nicht in deiner Ma'ht sie zu ändern."

    Er schob den Stein zurück.

    "Wohl! Ich mache die Regeln!"

    In aufbrausender Wut fegte der Junge mit seiner kleinen Hand alle Spielsteine vom Brett, dass sie klackernd auf dem steinernen Boden landeten, sprang behände von seinem Stuhl und rannte in Richtung des Hauses davon, das strenge

    "Quintus!"

    seines Vaters ignorierend. Matt sank jener auf seinem Stuhl zusammen und begann mit der Linken sich die Nasenwurzel zu kneten. Gracchus hatte keinen Nerv für Kinder, er verstand nicht ihre Reaktionen und undurchschaubaren Emotionen, und mochte sich erst dann mit ihnen beschäftigen, wenn sie bereit waren, die Ideenlehre Platons oder das Vermaß der Ilias zu diskutieren. Doch seit Prisca sich auf das Land hatte zurückgezogen und die Zwillinge in Rom zurückgelassen, hatte der Flavier das Gefühl, er müsse mehr auf die beiden Acht geben. Selbstredend hatten sie eine Amme und Hauslehrer, und wurden - wie alle Bewohner des Hauses - umsorgt, und doch dünkte es den Vater, es mangelte ihnen an etwas. Oder an jemandem. Er selbst war noch jünger als Quintus und Prisca gewesen als sein Vater ihn nach Achaia hatte gesandt, allfällig wäre dies eine Option. Achaia. Oder Baiae, zu ihrem Bruder und in die Obhut ihres Vetters. Ein Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, das er mit einem Schluck Wein herunterspülte. Weshalb nur hatte Prisca sich zurückgezogen? Weshalb redete sie nicht mehr mit ihm? Weshalb mochte sie ihre Kinder nicht mehr sehen? Stets war sie eine perfekte Matrone gewesen, doch bald nach der Geburt hatte ein Schatten sie befallen. Beinahe wie der alte Fluch seines Lebens, welchen Gracchus beinahe hatte vergessen, respektive verdrängt über die letzten Jahre hinweg. Doch die Regeln des Lebens waren weitaus größer als er, und sie änderten sich nicht, nur weil er sie eine Weile ignorierte.

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  • "Ist es nicht allmählich etwas zu heiß, um hier draußen zu sitzen? Du wirst noch Farbe annehmen und aussehen wie ein Landarbeiter!"

    Mit einem verschmitzten Lächeln trat sein alter Freund Scapula über den Gartenweg heran.

    "Sorge dich nicht, ich habe lange genug an meinem Ruf gefeilt. Jedes Kind in Rom, und zweifelsohne auch weit darüber hinaus, weiß doch, dass Flavius Gracchus nicht einen Finger rührt, es sei denn, es ist derjenige, um die Opfer mit Mola Salsa den Göttern zu weihen."

    Auch wenn der Flavier durchaus scherzte, so lag doch ein wenig Wahrheit in seinenWorten, welcher er lange nicht sich bewusst gewesen war. Jahrelang war er in das Gefüge einer konservativen, patrizischen Familie hineingewachsen, in welcher die Sklaven nun einmal ihre Rolle in traditioneller Weise ausfüllten, später dann waren seine eigenen Einschränkungen hinzugekommen, und erst viel später im vertrauten Umgang mit Serapio war ihm bewusst geworden, dass es noch eine gänzlich andere Welt dort draußen gab.

    "Wenn du es präferierst, können wir in das Atrium gehen."

    "Nein, lass nur, seit zwei, drei Jahren habe ich das Gefühl, dass die Sonnenwärme meinen Knochen sehr gut tut. Und den Feldarbeiter wird auch mir wohl kaum jemand abkaufen."

    Als der Cornelius sich neben Gracchus auf die marmorne Bank setzte, war ein leises Knacken zu hören.

    "Du solltest deinen Knochen augenscheinli'h öfter ein wenig Sonne gönnen."

    Scapula lachte.

    "Oh, lass uns nicht über Knochen und Gebrechen sprechen! Dafür bin ich nicht gekommen, dieses Thema kann ich genügend mit meiner Gemahlin erörtern!"

    Ein kleiner Stich durchzog Gracchus' Herz. Er wäre froh, seine Gemahlin würde mit ihm über irgendetwas sprechen, selbst wenn es Knochen und Gebrechen wären. Rasch wollte er das Thema in eine andere Richtung lenken, fort von Gemahlinnen, doch der Cornelier setzte bereits nach.

    "Wie geht es Prisca?"

    Gracchus sackte ein wenig in sich zusammen. Gleichwohl ihre Freundschaft während des Bürgerkrieges einen Dämpfer hatte erhalten, kannte Scapula ihn gut genug, als dass er ihm etwas hätte vormachen können. Darüberhinaus pflegte seine Schwiegertochter, Scapulas Nichte und Mündel, einen engen Kontakt zu ihrem Oheim, ob dessen er ohnehin bestens über die flavischen Familienverhältnisse unterrichtet war. Es war daher auch keine Frage der Höflichkeit - denn diese hätte geboten, zu schweigen -, sondern aufrichtiger Anteilnahme.

    "Sie befindet sich noch immer auf dem Land, möchte weder die Kinder, noch mich em..pfangen, duldet auch nicht, dass ich ihr Kosmas sende, sondern nur ihren eigenen Medicus. Und Antworten auf meine Na'hrichten lassen immer länger auf sich warten, werden immer kürzer, immer nichtssagender. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll"

    , gestand er ein.

    "Ich habe das Wesen der Frauen nie ver..standen, doch durch Priscas offene Art hatte ich zumindest den Eindruck, ich wusste, was zu tun war. Aber nun... "

    Ratlos schüttelte er den Kopf.

    "Vielleicht solltest du dich scheiden lassen. Ohne eine Frau in Rom wirst du nicht mehr weiter kommen."

    Ein wenig energischer schüttelte Gracchus erneut den Kopf.

    "Nein, das kommt nicht in Frage! Solange sie die Familie nicht kompromittiert, kann nur der Tod diese Verbindung lösen. Ich bin ein wenig empört, dass du diesen Gedanken auch nur er..wähnst."

    "Wir leben in modernen Zeiten, mein Freund, gleichwohl sollte keine Frau je deine Zukunft behindern."

    "Nein, ausgeschlossen. Die Zeiten mögen modern sein, doch es gibt Grenzen. Würdest du selbst so weit gehen?"

    "Nein, das würde ich nicht. Ich versuche nur, dir alle Möglichkeiten aufzuzeigen.

    Gracchus nickte zufrieden.

    "Darüberhinaus stellt sich mir ohnehin die Frage welch eine Zukunft dies noch sein soll. Hier in Rom scheint mir alles nur noch zäh und dröge, ver..worren und unwahrhaftig. Sicher, so war es schon immer, und ich habe mich noch nie daran erfreut, geschweige denn es durchschaut. Doch ich habe keine Verve mehr mich durch dieses Gewirr zu bewegen wie durch zähflüssigen Honig."

    "Was willst du dann tun? Dich nach Baiae zu deiner Familie absetzen?"

    "Nein, so verzweifelt bin ich nicht. Ich erwäge ernst..haft eine Reise. Seius berichtet in so farbenfrohen Bildern und klingenden Melodien von seiner Heimat Cappadocia, dass mich eine Ahnung quält, dass ich viel zu wenig von der Welt gesehen habe. Cappadocia, Aegyptus, Hispania, Gallia, Germania, ..."

    "Germania! Ha! Rom ist die Welt! Ich glaube, du warst doch zu lange in der Sonne! Was ist mit dem Flavius Gracchus passiert, dem schon die Wege zu seinen Landsitzen um Rom zu weit sind? Der Reisewagen verabscheut und ein Pferd höchstens zwei Tage lang erträgt?"

    Gracchus lachte auf.

    "Vermutlich ist er einfach alt geworden. Wie viel Zeit bleibt uns noch, um na'hzuholen, was wir unser Leben lang versäumt haben?"

    "Du hast nichts versäumt, mein Freund. Die Provinz ist die Provinz, glaube mir, ich habe genug davon gesehen. Entweder ist sie zu heiß, zu trocken, zu kalt oder zu nass. Entweder ist sie voll ungastlicher Wüste, voll finsterem Wald, voll karger Berge oder voll barbarischer Eingeborener. Entweder es gibt keine ordentlichen Thermen, nichts Ordentliches zu Essen, keine Straßen oder keine Kultur - oder nichts von alledem. Rom, Gracchus, nur Rom ist die Welt, nur Rom zählt!"

    Der Flavier mochte nicht widersprechen, es war ihm zu heiß für einen Disput.

    "Vermutlich hast du recht. Genug Sonne für heute, Iass uns hineingehen, und etwas Kühles trinken."

    Doch war er nicht überzeugt, und der Gedanke ließ ihn noch lange nicht wieder los.

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