Commentarius de Usucapione
Auli Iunii Taciti
I. Rechtsgrundlage
Die Usucapio wird in Tabula VI, Lex XII Tabularum, grundsätzlich geregelt und in Tabula VIII, Lex XII Tabularum eingeschränkt.
II. Zweck
Die Usucapio dient dazu, eine Ungewissheit des Eigentums an einer Sache nicht unnötig lange oder sogar dauerhaft bestehen zu lassen. Anders ausgedrückt geht es darum, Rechtssicherheit bezüglich des Eigentums an einer Sache herzustellen.
III. Voraussetzungen
Voraussetzung einer Usucapio ist zunächst die wirksame Übertragung einer Sache, mithin also der unangefochtene und unbeschränkte Besitz der Sache.
Die Art der Sache ist nicht eingeschränkt. Es kann sich hierbei also sowohl um eine körperliche, als auch eine unkörperliche Sache, sowohl um eine bewegliche, als auch eine unbewegliche Sache und sowohl um eine Res mancipi, als auch um eine Res nec mancipi handeln. Sachen, die sich in göttlichem oder öffentlichem Eigentum befinden, können hingegen nicht ersessen werden.
Darüber hinaus ist die Sache für eine bestimmte Frist zu besitzen. Das Laufen der Frist ist bedingungsfeindlich für eine Usucapio, was bedeutet, dass eine Ersitzung erst mit Ablauf der Frist wirksam wird. Für bewegliche Sachen beträgt die Frist gemäß Tabula VI, Lex XII Tabularum ein Jahr, für unbewegliche Sachen zwei Jahre. Die Sache muss während dieser Frist grundsätzlich ununterbrochen im Besitz desjenigen sein, der die Sache ersitzt.
Interessant ist die Regelung aus Tabula VI, Lex XII Tabularum, die eine Frau in einer Ehe ad usum nicht in die Manus ihres Mannes kommen lassen will, wenn die Ehe jährlich um drei Nächte unterbrochen wird. Während dieser Zeit hat sie vom Haus ihres Mannes abwesend zu sein. Die Unterbrechung hat ununterbrochen zu erfolgen und dieses Trinoctium hat vor Ablauf eines Jahres stattzufinden, da andernfalls Usucapio eintritt. Zu beachten ist, dass der Ehemann hierbei in diesem Fall von Usucapio kein Eigentum an der Ehefrau erhält, sondern lediglich die Manus als Herrschaftsrecht ersessen würde. Insofern wirkt das Trinoctium einer der Mancipatio der Manus über die Frau wirkungsgleichen Usucapio entgegen. Bei einer kürzeren Unterbrechung der Frist läuft diese weiter.
Fraglich erscheint in diesem Kontext, ob es ein dem Trinoctium entsprechendes Rechtsinstitut für andere Sachen, beispielsweise einen Sklaven oder ein Grundstück, gibt. Dahinter steht auch die Frage, ob das Trinoctium die Übertragung einer im allgemeinen Sachenrecht zur Zeit des Beschlusses der Lex XII Tabularum geltenden allgemeinen Regelung auch auf die Manus-Ehe ist, oder ob es sich um eine Ausnahme ausschließlich für die Ehe handelt. Klar ist, dass die Ehe eine spezielle Institution ist, die nicht wie eine normale Sache, auch nicht wie eine normale Res mancipi, behandelt werden sollte. Dieses lässt aber sowohl die Übertragung eines allgemeinen Sachverhalts auf die Ehe, als auch um eine Spezialregelung ausschließlich für die Ehe als Folgerung zu.
Für eine Regelung ausschließlich für die Ehe würde sprechen, dass eine Frau grundsätzlich geschäftsfähig ist und, insbesondere, wenn sie sui iuris ist, sich gegen einen Vertrag, der sie in die Manus stellt, entscheiden kann. Wäre die Frau gewillt, sich in die Manus des Ehemanns zu begeben, könnte sie sich dafür entscheiden, sich selbst an diesen zu manzipieren und so eine Coemptio-Ehe einzugehen. Entscheidet sie sich dagegen, so wäre dennoch die gesetzliche Regelung der Usucapio und ihre mögliche Anwendung auf die Manus, zu beachten. Durch das Trinoctium würde sich so der Wille der Frau, sich nicht zu manzipieren, erhalten bleiben. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Notwendigkeit des Trinoctiums schon länger im allgemeinen Rechtsgebrauch verneint wird, weil die Manus nach inzwischen allgemeinem Rechtsempfinden nicht ersessen werden kann. Dieser Wandel der allgemeinen Rechtsauffassung spiegelt sich aber zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Kommentars nicht in den geltenden Gesetzen wider.
Gegen eine Regelung ausschließlich für die Ehe spricht, dass die Forderung des andauernden Besitzes nicht immer gewährleistet werden kann. So könnte beispielsweise eine Sache innerhalb der Frist kurz verliehen werden. Aus der Sicht desjenigen, der die Sache ersitzt, wäre dies eine Verwendung wie sein Eigentum, während es sich bei objektiver Betrachtung um eine Unterbrechung der Frist handeln würde. Da aber der Ersitzende faktisch in die Rolle des Eigentümers eintritt, wäre eine wirksame Unterbrechung der Frist bereits bei kurzfristigem Verlust des Besitzes dem Zweck der Beendigung der Unsicherheit bezüglich des Eigentums, mithin der Herstellung von Rechtssicherheit durch Usucapio, abträglich. Insofern könnet auch ein dem Trinoctium entsprechendes Institut vorhanden sein, welches eine analoge kurzfristige Unterbrechung der Frist von weniger als drei Tagen gestatten würde.
Dieses gibt der Wortlaut der Lex XII Tabularum allerdings nicht her. Auch ist zu bedenken, dass der Ersitzende bereits durch die Möglichkeit der Usucapio privilegiert ist. Denn diese ermöglicht ja gerade, dass Sachen durch Besitz in das Eigentum einer Person übergehen, wenn dieser Besitz länger als die Frist anhält. Hier auch noch weitere Erleichterungen des Fristerfordernisses anzunehmen, erschiene als unverhältnismäßige Bevorzugung des Ersitzenden, die so auch nicht dem Zweck der Usucapio entspricht. Denn Zweck der Usucapio ist vorrangig die Herstellung von Rechtssicherheit bezüglich des Eigentums, nicht jedoch die Verschaffung von Eigentum.
Daher ist auch eine kurzfristige Unterbrechung der Frist bedingungsfeindlich für eine Usucapio.
Die Dauer der Frist für die Usucapio beträgt grundsätzlich ein Jahr, für unbewegliche Sachen, zwei Jahre. Die Tabula VI, Lex XII Tabularum, nennt zwar explizit nur das Grundstück als unbewegliche Sache. Da im überlieferten Rechtsgebrauch aber nicht zwischen Grundstück, Haus und Landgut unterschieden wird und Immobilien allgemein unter den Begriff des Grundstücks im Sinne der Lex XII Tabularum subsumiert werden, erscheint eine Erweiterung auf unbewegliche Sachen jedweder Art geboten.
Zu den unbeweglichen Sachen zählen auch Rechte an unbeweglichen Sachen. Dies lässt sich dadurch begründen, dass Rechte als vom Eigentum abgeleitete Sachen zu sehen sind. Ein Auseinanderfallen der Fristen für die Ersitzung der Sache und der davon abgeleiteten Rechte erscheint in diesem Kontext widersinnig.
Von herausragender Bedeutung ist, dass der Erwerb der Sache, also die Übertragung des Besitzes, gutgläubig zu erfolgen hat. Musste der Erwerber von bösem Glauben sein, beispielsweise weil der Veräußerer ein bekannter Hehler ist oder bekannt ist, dass die Sache der Person, die sie veräußert, nicht gehört und diese Person auch keine Vollmacht zur Veräußerung vorweisen kann, so kann unabhängig von der Frist keine Usucapio erfolgen.
Ganz eindeutig wird in Tabula VIII, Lex XII Tabularum, die Usucapio von Diebesgut abgelehnt. Das gilt auch dann, wenn man das Diebesgut gutgläubig erworben hat. Analog ist auch die Usucapio von Raubgut und sonstigen gewaltsam erworbenen Sachen zu sehen.
Ferner kann auch eine ohne Absicht der Eigentumsübertragung zum Besitz überlassene Sache nicht ersessen werden. Beispiele hierfür sind die Vermietung oder der Verleih einer Sache. Im Zweifelsfall gilt der schriftliche oder bezeugte mündliche Vertrag als Beweis.
IV. Wirkung der Usucapio
Die Usucapio verschafft dem gutgläubigen Erwerber einer Sache nach Ablauf von einem Jahr, im Fall von unbeweglichen Sachen von zwei Jahren, das Eigentum an der während dieser Frist dauerhaft in seinem Besitz befindlichen Sache.
Meine Meinung zur Wirkung einer Usucapio im Fall einer Ehe ad usum ist, dass diese dem allgemeinen Rechtsempfinden widerstrebt und deshalb abzulehnen ist.
V. Anfechtung der Usucapio
Die Usucapio kann grundsätzlich nur innerhalb der Frist angefochten werden. Die Laufzeiten der Fristen sind so festgelegt, dass der rechtmäßige Eigentümer ermittelt werden kann und genügend Zeit hat, sein Eigentum zu beanspruchen.
Der rechtmäßige Eigentümer kann die Sache vom Besitzer zurückfordern. Dieses kann er sowohl privat gegenüber dem Besitzer, als auch vor den zuständigen Gerichten.
Grundsätzlich sind die Praetores zuständig, wobei eine Res nec mancipi gemäß Lex Mercatus auch vor den Aediles eingefordert werden kann.
Zunächst wird davon ausgegangen, dass derjenige, der die Sache ununterbrochen besessen hat, auch der Eigentümer ist. Entsprechend hat derjenige, der das Eigentum beansprucht, einen Beweis für seine Eigenschaft als Eigentümer vorzulegen. Gelingt ihm dieses nicht innerhalb der Frist, so geht die Sache nach Ablauf der Frist in das Eigentum des Besitzers über.
Soll eine Anfechtung nach dem Ende der Frist erfolgen, so hat derjenige, der sich auf eine erfolgreiche Usucapio beruft, zu belegen, dass er die Sache zu Beginn und Ende der Frist besessen hat und der Erwerb gutgläubig erfolgte. Ein Beweis des ununterbrochenen Besitzes ist in der Regel nicht möglich, da in diesem Fall für jeden Augenblick des Besitzes ein Zeuge vorhanden sein müsste. Um hier nicht die Regelung der Usucapio ad absurdum zu führen, ist der Beweis des ununterbrochenen Besitzes abzulehnen.
Derjenige, der den Erwerb durch Usucapio anfechten will, hat entweder zu belegen, dass die Frist unterbrochen wurde, so dass diese noch nicht vollständig abgelaufen ist, oder zu beweisen, dass der Erwerb der Sache nicht gutgläubig erfolgt sein kann. Auch der Beweis, dass die Sache gestohlen, geraubt oder sonstwie gewaltsam entwendet wurde, hebt die Usucapio auf.
Im Fall einer Anfechtung einer Usucapio in Verbindung mit einer die Usucapio verhindernden Straftat, beispielsweise Diebstahl, empfiehlt sich die Verhandlung vor dem gleichen Gericht. Dies ist durch den rechtmäßigen Eigentümer oder eine durch ihn bevollmächtigte Person vor dem Praetor zu beantragen.
VI. Bewertung der Usucapio
Die Usucapio ist ein geeignetes Instrument, um Rechtssicherheit in Eigentumsfragen herzustellen.
Ein besonderer Nutzen zeigt sich, wenn quiritisches Recht und prätorisches Recht auseinanderfallen, beispielsweise beim Erwerb einer Res mancipi durch Traditio. Nach prätorischem Recht wird in diesem Fall das Eigentum durch Übergabe übertragen, während es nach quiritischem Recht der Mancipatio bedarf. Verzichtet man dennoch auf die Mancipatio, wie es inzwischen usus ist, so ist nach Ablauf der Frist der Usucapio das Eigentum auch erfolgreich nach quiritischem Recht übertragen.
Ein anderer Fall wäre ein ungeklärtes Erbe, beispielsweise mangels bekannter Erben. In diesem Fall ist auch dann das Eigentum erfolgreich übertragen worden, wenn die Frist der Usucapio abgelaufen ist und zwar auch dann, wenn sich danach doch noch Erben finden sollten.
In beiden Fällen zeigt sich, dass durch Usucapio eine Rechtssicherheit hergestellt wird, die andernfalls auf unbestimmte Zeit nicht gewährleistet werden könnte. Ohne diese Rechtssicherheit wäre die Nutzung des Eigentums faktisch unmöglich, da stets mit einer Entziehung des Eigentums gerechnet werden müsste. Das ist aber nicht im Interesse der Gesellschaft, da Eigentum in der Regel einen Nutzen in Form von Waren oder anderen Nutzungen erbringen soll. Vor allem würden Investitionen in das Eigentum ohne Usucapio auf unbestimmte Zeit verhindert.
Literatur: 1) Gaius, Institutiones, herausgegeben und übersetzt von Ulrich Manthe, 2. Aufl., Sonderausgabe 2015, WBG (Übersetzungen/Deutungen der Originalen Textfragmente durch mich weichen teilweise von der Übersetzung durch Manthe ab). 2) Das Zwölftafelgesetz, Texte, Übersetzungen und Erläuterungen von Rudolf Düll, 1995, Artemis & Winkler.