Die Stadtführung im Zentrum der Welt

  • Vom Forum Pacis kommend, erreichten wir das Forum Romanum und standen vor der Basilica Aemilia. Stolz erhoben sich zwei Stockwerke mit je 16 Bögen zwischen marmornen Säulen.


    "Dies ist die Basilika, die vor drei Jahrhunderten von den Censores Marcus Aemilius Lepidus und Marcus Fulvius Nobilior errichtet wurde. Sie wurde stets durch die patrizische Gens Aemilia renoviert. Deshalb benennt man sie inzwischen nur noch nach ihnen. Oder aber deshalb, weil sie im Jahr 739 abgebrannt war und durch Marcus Aemilius Paullus bis zum Jahr 751 wieder aufgebaut wurde. In ihr befinden sich einige Geschäfte. Wie du dir bei der Lage denken kannst, bekommst du hier recht gute Ware. Und wie du dir bei der Architektur denken kannst, handelt es sich um das dritte der drei schönsten Gebäude."


    Während ich sprach, gingen Menschen ein und aus. Es war ein dichtes Gedränge von edlen Damen und Herren, ihren Sklaven und anderen, die hier Waren begutachteten oder kauften. Arme Menschen schien es hier nicht zu geben.

  • Die sorgfältig ausgewählten Materialien und die Liebe zum Detail waren unübersehbar. Der weiße Marmor, der für die Säulen und die Fassade verwendet wurde, schimmerte im Sonnenlicht und verlieh dem Gebäude einen edlen Glanz. Die Architekten hatten es geschafft, die Proportionen und Symmetrie perfekt auszubalancieren, wodurch die Basilica Aemilia eine harmonische und ausgewogene Ästhetik erhielt.

    Wohlhabende Damen und Herren flanierten zwischen den Säulen hindurch, begleitet von ihren Sklaven, während sie die Auslagen der Geschäfte betrachteten. Der Raum war erfüllt von angeregten Gesprächen und dem Klang von Verhandlungen.

    "Vollkommen richtig. Ein wahrlich schönes und imposantes Gebäude", sprach Stilo ehrfürchtig. Er schaute sich genau um und konnte zwischen den Arkaden ein Buchhändler erspähen. "Meinst du, wir können da kurz hinein? Ich möchte kurz schauen, ob die etwas haben, was ich einen geschätzten Freund von mir schenken möchte"

  • Von meiner Seite sprach nichts dagegen.


    "Ja, natürlich können wir das. Und ich würde auch noch zum Weinhändler gehen wollen. Der hat auch einen Ausschank und ich bin langsam durstig. Das Wetter ist doch recht warm und die Toga trägt nicht unbedingt zur Kühlung bei, meinst du nicht?"


    So sehr ich meine Toga mit Stolz trug, zeichnete sie mich doch als Römer aus, so wenig änderte das daran, dass die Toga ein recht unpraktisches Kleidungsstück war.


    So gingen wir zum Buchhändler, der mich kannte und direkt neueste juristische Fachliteratur anbot. Jedoch war keines der Werke für mich interessant. Statt dessen erblickte ich mein Buch 'Commentarius de Bona Fide, Mala Fide et Dolo Malo'. Es sprach nichts dagegen, dass das Buch kopiert wurde, immerhin war es dafür in der Bibliothek und Urheberrechtsschutz existierte nicht. Mich erstaunte vielmehr, dass es scheinbar interessant genug war, bereits seinen Weg in eine Buchhandlung gefunden zu haben. Ich nahm das Exemplar und las es durch. Nicht, dass sich bei der Kopie ein Fehler eingeschlichen hätte. Aber es war eins zu eins kopiert. Zufrieden nickte ich und legte es wieder in die Auslage.

  • Erfreut nickte Stilo, denn die Hitze trug definitiv dazu bei, ein gutes Getränk schätzen zu lernen.
    "Das können wir gerne machen", sagte er und nickte Tacitus zu.


    Beim Buchhändler angekommen, entfernte er sich von Tacitus und ging zu dem Händler. Dieser wirkte souverän und nicht so aufdringlich wie der andere Buchhändler, bei dem Sie heute bereits waren. Sie kamen relativ schnell ins Gespräch und Stilo fand das, wonach er gesucht hatte. Selbst der Preis ließ keine Wünsche offen und so besiegelte er dieses Geschäft mit einem Handschlag und kramte ein paar Münzen aus seinem Beutel heraus. Zudem erklärte er dem Händler, wo den die Schriften hingebracht werden sollen und dieser nahm eine Wachstafel hervor, um alles zu notieren. Zufrieden wendete sich Stilo wieder zu Tacitus, der recht konzentriert ein Buch überflog. Neugierig ging er auf ihn zu..

    "Hast du etwas Interessantes gefunden, Tacitus?", fragte er neugierig.

  • "Nun, das liegt im Auge des Betrachters. Es ist mein neuestes Buch. Ich stelle immer ein paar Exemplare aus, wenn ich ein Buch verfasse. Ein Exemplar für mich, ein Exemplar für das Museion in Alexandreia, sowie zwei Exemplare für die Bibliotheca Annaea de Iurisprudentia hier auf dem Forum. In eine eigene Auflage gehe ich nie, sondern überlasse es den Buchhändlern, Kopien anzufertigen und zu verkaufen. Das Einzige, was mir wichtig ist, ist dass alles exakt wiedergegeben wird und mein Name richtig geschrieben ist. Das ist bei diesem Exemplar zweifelsfrei der Fall. Und es erstaunt mich, dass es so schnell den Weg in eine Buchhandlung gefunden hat."


    Anscheinend hatte ich mir inzwischen einen hinreichend guten Namen gemacht, damit sich meine Bücher verkaufen ließen. Das war durchaus ein gutes Zeichen.


    "Du wirst meine Bücher natürlich niemals kaufen müssen. Es genügt, wenn du bei mir eine Kopie anfragst."


    Ich lächelte freundlich.


    "Und wie sieht es bei dir aus? Hast du etwas Interessantes gefunden?"

  • Stilo's Mund öffnete sich langsam vor Verwunderung.


    "Du meinst, das hast du geschrieben?", fragte er, sichtlich beeindruckt über die Leistung von Tacitus. Dieser musste wahrlich bereits bekannt sein, wenn selbst in Alexandreia seine Werke ausgestellt sind. "Ich bin zutiefst beeindruckt. Mein höchster Respekt gebührt dir. Und es wäre mir eine Freude, eines deiner Werke lesen zu dürfen." Selbst wenn Stilo keine Ahnung von Recht hatte und er wahrscheinlich nicht viel verstehen würde, war es doch selbstverständlich, dass er eines der Bücher gerne lesen wollen würde.


    "Ja, ich habe ebenfalls etwas Gutes gefunden. Es wird heute Abend in die Domus geliefert. Dann werde ich es dir gerne mal zeigen", sagte er leicht grinsend.

    Er blickte sich noch einmal um und nickte zufrieden. "Hier benötige ich nichts mehr, wir können gerne weiterziehen und die Basilica noch einmal bewundern."

  • "Ja, ich habe es geschrieben."


    Meine Antwort war völlig emotionslos, schließlich war es ja eine Tatsache. Inzwischen machte ich mir nicht einmal allzu viel daraus, dass meine Bücher bekannt waren. Bücher zu schreiben war für mich ein normaler Teil meiner Arbeit.


    "Ganz so beeindruckend ist es übrigens nicht. Zumindest nicht, wenn man meine Ausbildung bedenkt. Da ist es eher erwartbar."


    Möglicherweise hatte ich gerade die Ausbildung am Museion in Alexandria auf ein etwas zu hohes Podest gehoben, jedoch war es genau das Podest, welches mein Lehrmeister Alexios stets bei seinen Schülern einforderte, wenngleich nur wenige ihm jemals gerecht wurden.


    "Dann bin ich mal gespannt, was du erworben hast. Komm, wir gönnen uns erst einmal eine Erfrischung."


    So ging ich ein paar Geschäfte weiter zu einem Weinhändler. Die Preise waren eher im oberen Segment und der Händler schien etwas enttäuscht zu sein, als ich für mich Posca bestellte. Doch würde ich später sicher auch eine Amphore Wein in die Domus Iunia bestellen.

  • Sicher, ein gebildeter Mann wie er, ein angesehener Advokat, für ihn nichts Besonderes, - Stilo, der aus einem einfachen Dorf kam, für ihn war die Tatsache faszinierend.

    In seiner Gegenwart spürte er eine Mischung aus Ehrfurcht, Bewunderung und einer inneren Motivation, sich weiterzuentwickeln und die Welt um ihn herum besser zu verstehen.


    Beim Weinhändler angekommen, schloss er sich Tacitus an und bestellte ebenfalls Posca. Ein Blick nach draußen verriet, dass es bald dunkel werden würde und die Sonne langsam am Gehen war. Gedanklich lies er nochmal sein Erlebtes durch den Kopf gehen und hob sein Becher an, "Danke für diesen unvergesslichen Tag Tacitus. Ich werde das nicht vergessen."

  • "Nun, zwei, drei Dinge werde ich dir noch zeigen, bevor die Sonne untergegangen ist. Und dann werden wir in den Mercati Traiani zu Abend essen."


    Ich hob ebenfalls den Becher und trank einen großen Schluck.

  • Stilo freute sich sehr, denn wie es schien war die Führung noch nicht vorbei.

    Sicherlich würde er den heutigen Tag als eines seiner besten Tage abheften und in den nächsten Tagen einen Brief für seinen Vater ansetzen. Dort würde er den heutigen Tag niederschreiben und das erlebte erzählen.

  • Nachdem wir unsere Becher geleert hatten und ich den Händler angemessen entlohnt hatte, verließen wir die Basilica Aemilia zum Forum Romanum hin. Unser Blick fiel direkt auf den Tempel des vergöttlichten Caesar.


    "Dort steht das Templum Divi Iulii. Genau an dieser Stelle wurde der Leichnam des Gaius Iulius Caesar verbrannt. In diesem Tempel wird vor allem der mildtätige Caesar verehrt. Die Clementia Caesaris ist ja bis heute bekannt. Es ist ein schöner kleiner Tempel, finde ich. Und der Flamen Divi Iulii ist meistens recht freundlich und hilfsbereit."


    Der Tempel war nicht so gut besucht, wie die großen Tempel, aber dennoch fand man hier doch einige Menschen, die die Stufen hinaus stiegen. Ganz zu schweigen vom immer noch gut gefüllten Forum um uns herum.


    "Und hinter dem Tempel Caesars siehst du den Tempel von Castor und Pollux. Und der Hügel dahinter ist der Mons Palatinus. Die Gebäude auf dem Hügel gehören alle zur kaiserlichen Palastanlage. Übrigens hatte schon Romulus seine Hütte auf dem Palatin. Sie existiert immer noch. Auch die Wohnräume von Octavianus Augustus und seiner Frau Livia sollen unverändert fortbestehen. Ob das wahr ist, vermag ich nicht zu sagen."

  • Es hatte etwas Ehrenvolles, sich hier zu befinden. Hier, an dem der göttliche Caesar für immer zu den Göttern aufstieg. Der Tempel war im Vergleich nicht allzu groß, seine Bedeutung allerdings war mehr als besonders. Stilo verneigte sein Haupt und atmete tief ein und wieder aus, ehe er sich wieder aufrichtete.

    "Es ist schön hier zu sein," sagte er und zeigte zum Tempel. "Man erzählte mir, dass die Flammen seiner Einäscherung mehrere Tage brannten, da jeder freier Bürger alles tat, damit diese nicht erlosch. Beeindruckend!"


    Die kaiserliche Palastanlage war imposant und erstreckte sich über den gesamten Hügel. Die Aussicht von dort oben müsste atemberaubend sein, dachte sich Stilo. Gerne wäre er mal da oben, aber dies schien nicht realistisch und vielleicht war es auch gut so. Dass Romolus Hütte eins dort stand, verwunderte ihn nicht. Sein Lehrer erzählte ihn, dass früher hier unten alles Sumpfgebiet war und die Hügel der natürliche Schutz gegen die vielen Stechmücken waren, die unten ihr Unheil verbreiteten. "Ob der Kaiser gerade jetzt dort drin ist?", fragte er mit einer jugendlichen Neugier und lächelte dabei.

  • Die Frage meines Vetters ließ mich kurz lachen. Es war ein freundliches Lachen, denn ich mochte diese jugendliche Neugier.


    "Nun, er weilt in Rom und es ist abends, also ist es recht wahrscheinlich, dass er dort ist. Ich fürchte nur, dass wir nicht für einen spontanen Besuch anklopfen können."


    Ich wandte mich nach links und deutete auf einen relativ kleinen, runden Tempel.


    "Dies ist der Tempel der Vesta und der Gebäudekomplex dahinter ist das Atrium Vestae, wo die Vestalinnen leben. Dieser Tempel ist einer der ältesten auf dem Forum. Vermutlich wurde er direkt nach der Trockenlegung des Forums erbaut. Seine Form soll wohl den Hütten, in denen unsere Vorfahren, auch Romulus, lebten, sehr ähnlich sein."

  • Stilo musste darauf hin herzlich lachen.


    "Nun anklopfen um zu sagen : Hallo, hier sind wir, können wir mal den Palast anschauen und vielleicht sogar zum Essen da bleiben...das wäre doch mal ein Erlebnis." scherzte er vor sich hin und fuhr schließlich fort, "nein im Ernst. Ich habe den Kaiser noch nie gesehen, warum sollte er auch soweit reisen und eine unbedeutende Stadt wie Crotona besuchen. Hast du ihn mal gesehen?"


    Der runde Tempel der Vestalinnen war aus Marmor errichtet und hatte eine beeindruckende Säulenveranda an der Vorderseite. Diese Veranda war von sechs korinthischen Säulen gekennzeichnet, die einen tiefen Portikus bildeten. Der Eingang zum Tempel wurde durch eine breite Treppe erreicht, die zu dieser Veranda führte. Innen drin brannte das heilige Feuer der Vesta. Soweit Stilo wusste, durfte dieses Feuer nie aus gehen, da dies der Untergang Roms bedeuten würde. Darauf hin hob Stilo beide Arme und streckte sein Haupt nach oben, schloss die Augen und sprach vor sich hin.

    "Auf dass dieses Feuer nie erlöscht und in tausenden von Jahren weiterhin genährt sein soll."

    Eine Vestalin hatte Stilo ebenfalls noch nie gesehen und leider war jetzt auch keine dort vor Ort. Er hatte Geschichten über Bestrafungen gehört - sollte sich eine Vestalin nicht den Pflichten widmen und stattdessen der Fleischeslust verfallen.

    "Es fühlt sich fast so an, als wäre hier, genau hier", dabei richtete Stilo sein Blick wieder den Tempel zu, "… Rom geboren!"

  • Das kurze Gebet war gut gesprochen und ich freute mich, dass mein Vetter pietätvoll handelte. Das würde ihm sicher das Wohlwollen der Götter sichern.


    "Nun, in gewisser Hinsicht wurde Rom hier geboren. Gewiss, Romulus wohnte mit seinen ersten Gefolgsleuten auf dem Palatinus und es gab auf jedem Hügel außer dem Capitolinus eine Siedlung. Der Capitolinus hingegen war wohl schon damals der Ort der gemeinsamen Verehrung der kapitolinischen Götter. Hier erwarb sich König Numa Pompilius viel Ansehen, weil er den Kult vereinheitlichte. Insofern könnte man den Capitolinus wohl als eine Art Gründungsort sehen, aber diese Sicht lehne ich ab. Es fehlte ein gemeinsames Zentrum für den Alltag und die Politik. Um das Jahr 150 ließ König Lucius Tarquinius Priscus mit dem Bau der Cloaca Maxima beginnen. Vorher war das Tal des Forums ein Sumpfgebiet. Mit der Trockenlegung des Forums wurde ein neuer, weitgehend unbebauter Platz geschaffen. Das Besondere an diesem Platz war es, dass er zwischen den Siedlungen Roms lag. Niemand hatte einen Anspruch darauf und man konnte ein gemeinsames Zentrum schaffen, das zu keiner Siedlung gehörte. Und deshalb glaube ich, dass du ziemlich richtig mit deinem Gefühl liegst, dass Rom genau hier geboren wurde."


    Die mir schon mehrfach aufgefallenen klugen Beobachtungen meines Vetters, gefielen mir. Er formulierte sie nicht unbedingt mit der kühlen Neutralität eines Gelehrten, aber letztlich zählte der Inhalt.


    "Du hast eine gute Beobachtungsgabe und erkennst die Dinge. Das zeichnet dich sehr positiv aus. Ich hoffe, dass du diese Fähigkeit für dein ganzes Leben behältst."

  • Stilo erröte leicht, als er Tacitus wohlgewolltes Lächeln bemerkte. Obwohl er sich selbst nicht als übermäßigen Diener der Götter betrachtete, gebot dies allerdings der Selbstständigkeit und der Ehrfurcht, hier stehen zu dürfen. Als Tacitus über die Könige sprach und über die Zeit, als Rom nicht mehr als ein kleines Bauerndorf war, erinnerte sich Stilo daran, wie seine griechische Gelehrten ihn die Vergangenheit Roms lehrten. Unwillkürlich musste Stilo schmunzeln. Eine Kultur, die Alexander den Großen, die Demokratie und ja selbst Crotona, die Küstenstadt aus die er kam gründeten, nun die Größe und das Ruhm des mächtigen Roms in der Welt lehrten. Eine pure Ironie, dachte er sich und stellte sich vor, wie es wohl vor dem Jahr 150 hier ausgesehen hätte.


    "Wenn die Götter mir doch nur die Gabe schenken könnten, einen Tag in der Zeit zu leben und zu sehen, wie unsere Vorfahren damals gelebt hatten" scherzte Stilo.


    Er nahm einen vollen Atemzug und schloss für einen Moment die Augen. Um sich herum nahm er nur noch die Geräusche war, die das Treiben auf den Straßen widerspiegelten und in einem Augenblick erlosch alles. Seine Vorstellung hatte ihn zurückversetzt und er konnte die Reiher hören, die hier am Sumpf mal gespielt hatten und selbst den Geruch der grenzenlosen Natur. Lächelnd öffnete er wieder die Augen.


    "Ich danke dir Tacitus. Ich hoffe, ich werde später mal so wie du. Nicht ein Gelehrter oder Advokat, sondern einer, der die Welt verstehen will und nicht einer dieser typischen Soldaten, die wirklich nur fürs kämpfen leben."

  • So ganz konnte ich den Wunsch, in der Vergangenheit zu leben, nicht nachvollziehen. Selbst, wenn es nur für einen Tag wäre. Was gab es da schon? Strohhütten, schlechte Medizin, keine Thermen, keine Foren, keine Straßen, keine Latrinen... In 2000 Jahren würde sicher auch niemand auf die Idee kommen, für ein paar Tage wie ein Römer zu unserer Zeit zu leben. Quasi in einer Art Reconstructio Historica. Wenn sich die Zivilisation so weiterentwickeln würde, wie in den letzten Jahrhunderten, dann würden wir den zukünftigen Römern wahrscheinlich wie üble Barbaren erscheinen.


    Das Lob meiner Person traf mich unerwartet, so dass ich beinahe verlegen war.


    "Nun, ich danke dir, aber... naja, ich bin ein Philosoph. Ein echter Philosoph, im Wortsinne. Da muss man zwangsläufig die Welt verstehen wollen. Und zugleich erkennen, dass man es nie wird. Du würdest dich dann also auf einen weg voller Frustration begeben."


    Diese Warnung hatte ich einfach aussprechen müssen. Inzwischen stand die Sonne auch schon ziemlich tief und tauchte das Forum in ein goldenes Rot. Das ließ mich dann auch ziemlich schnell wieder gedanklich zum Forum zurückkehren.


    "Komm, etwas muss ich dir unbedingt noch zeigen, und jetzt ist der Moment perfekt."


    Ich ging schnellen Schrittes voran über den zentralen Platz, an der Basilica Aemilia vorbei, während links von uns die Basilica Iulia mit den vor ihr stehenden Säulen majestätisch in der Abendsonne leuchtete. Bis hin zu den heiligen Pflanzen, dem Olivenbaum, dem Feigenbaum und dem Weinstock, die vor den Rostra und der Curia standen. So standen wir nun vor dem Milliarium Aureum, dem goldenen Meilenstein, das eigentlich eine Säule war und den Glanz der Abendsonne perfekt wiedergab.


    "Dies ist das Zentrum. Hier, von diesem Punkt aus, werden alle Entfernungen gemessen. Hier ist der Nullpunkt aller römischen Straßen. Alle Wege beginnen hier. Oder, von der anderen Richtung aus betrachtet: Alle Wege führen hierher."

  • Die Farbpracht, die in diesem Zeitpunkt auf dem Forum herrschte, war atemberaubend. Während Stilo die Warnung Tacitus lauschte, blickte er sich nochmal umher und genoss den Augenblick. Über die Wörter nachzudenken musste er sich eingestehen, dass er diese Philosophen niemals ganz verstehen würde. Gefühlt ging es darum, die Welt zu erklären nur um nach langen Diskussionen zu erkennen, dass dies nicht möglich ist. Aber die Bewunderung für Tacitus, die war real. Schließlich sprudelte aus ihm Wissen nur so hinaus und die Art und Weise, wie er alles erklärte, versetzte Stilo in die Zeit zurück, als er noch als kleiner Junge von seinen Mentor gelehrt wurde - nur diesmal sehr viel spannender.




    Am Millarium Aureum angekommen öffnete sich Stilos Mund vor Begeisterung. Hier, genau hier, befand sich das Zentrum der Welt. Alle Straßen führten hier her und die Welt wurde, wie ein Spinnennetz, an diesem Punkt verbunden.


    "Das ist unglaublich, oder? Wir haben die Welt, nun, wie soll ich es sagen, zusammengeführt? Ja! So würde ich es beschrieben."

  • "Wir haben der Welt Ordnung gebracht. Straßen sind Ordnung. Verwaltung ist Ordnung. Gesetze sind Ordnung. Aus der Ordnung entsteht Frieden. Aus Frieden entsteht Wohlstand. Und aus Wohlstand entsteht Zivilisation. Die Zivilisation ist es aber, die das Leben für alle verbessert. Die Barbaren wissen es oft nicht zu schätzen, bis sie bemerken, wie die Straßen ihr Leben vereinfachen und die Thermen ihre Gesundheit verbessern. Die Bibliotheken geben ihnen Wissen, die Theater Kultur und Unterhaltung. Die Straßen sind der Anfang, doch am Ende steht eine Verbesserung des Lebens."


    Das war meine Sicht auf die Errungenschaften des Imperiums. Für mich waren wir Römer auf einer Mission des Logos, um das Leben aller Menschen zu verbessern.

  • Während das Licht der Sonne verblasste und das Forum nun zunehmend von den Fackeln an den Tempeln und öffentlichen Gebäuden erleuchtet wurde, merkte ich, dass ich langsam wieder Hunger bekam.


    "Wollen wir den Tag in den Trajansmärkten bei einem guten Abendessen ausklingen lassen?"

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!