Auf der Via Borbetomaga - ein Gespräch unter Geschwistern

  • Von der Domus Iunia kommend ging ich mit meiner Schwester Matidia nach Mogontiacum. Der Weg war zwar nicht lang, aber auch nicht allzu kurz. Da wir auf diesem Weg aber ziemlich ungestört waren, wollte ich die Zeit nutzen, um mit meiner Schwester zu sprechen. Immerhin war ja in den letzten 10-11 Jahren unsere Kommunikation nur per Brief erfolgt und davor waren wir beide noch Kinder gewesen, die sich über völlig andere Dinge unterhalten hatten.


    Ich sah mich um und nahm den Fluss ein Stück weit zu meiner Rechten wahr. Die Landschaft war bewirtschaftet, aber es gab auch immer wieder kleine Baumgruppen zwischen den brachen Äckern. Zur Linken konnte man auf manchen Hügeln Wälder sehen.


    "Das Land hier sieht so völlig anders aus als in Italia. Die Pflanzen sind anders, es gibt keine Pinien und keine Zypressen. Und bei dem Wein, der hier wächst, bin ich mir nicht sicher, ob er genug Sonne bekommt. Ägypten sah auch sehr anders aus, aber da war viel Wüste. Wo man hier Wälder sieht, sah man dort Sand und heiße Felsen. Es ist schade, dass Vater dich nie zu mir geschickt hat. Nicht einmal über einen Winter. Ich hätte dir viel zeigen können. Wie war Vater überhaupt zum Schluss? Mir hat er immer nur von seiner Arbeit geschrieben, aber ich habe sehr wenig erfahren, wie es ihm ging. War er gesund? Hatte er viel Stress? Konnte er mit dir Zeit verbringen?"

  • Zusammen mit ihrem Bruder machte sich Matidia auf den Weg in die Stadt, die nun schon seit geraumer Zeit ihr Aufenthaltsort war und in der sie sich durchaus auch für sie überraschend ein wenig heimisch fühlte. Natürlich war es nicht ansatzweise Rom, aber das erwartete ja auch niemand, der bei gesundem Verstand war. Ihr Bruder wusste daher sicher, was ihn erwartete und wie relativ kurz der Weg und jede Führung hier sein mochte.

    "Der Wein ist tatsächlich genießbar, wenn man ihn etwas streckt." Gerade das hatten die Leute hier wirklich perfektioniert. "Obwohl es hier wirklich viel zu kalt ist. Gerade im Winter." Sie warf ihrem Bruder einen vielsagenden Blick zu, der zeigte, was die junge Iunierin zu erleiden gehabt hatte. Er merkte es ja gerade am eigenen Leib. "Und vergiss nicht die Barbaren. Sie lauern in den Wäldern, vor allem auf der anderen Flussseite, aber auch hier kann man nicht sicher sein. Ein paar leben sogar in der Stadt." Kein Wunder, je weiter man in den Norden kam, desto kälter wurde es natürlich. Wäre sie ein Barbar, würde sie auch nach Italia wollen, so dumm waren die Germanen also doch nicht. Ihr Blick wandte sich misstrauisch zu einer Baumgruppe, tatsächlich brauchte sie aber ein wenig Zeit, um sich eine Antwort zu überlegen. Das Thema ging ihr näher, als sie es sich für gewöhnlich anmerken ließ.

    "Ja, es ist wirklich eine verpasste Gelegenheit." Die Wahrheit war, dass sie sich selbst in Rom sehr wohlgefühlt, und keine Anstalten in diese Richtung unternommen hatte. Allerdings bereute sie das mittlerweile.

    "Vater war immer sehr beschäftigt. Er war wenig zu Hause und hat sehr viel gearbeitet. Seine Arbeit war begehrt, und er hatte immer mit vielen wichtigen Leuten zu tun." Was sie nicht sagte, aber man heraushören konnte, war, dass er für seine Familie kaum Zeit gehabt hatte. Er war kaum anwesend, und die Arbeit war immer sein einziges Thema gewesen, aus Matidias Sicht. "Und dann traf ihn einfach der Schlag." So einfach und nüchtern war es. Von einem Tag auf den anderen war alles anders. Auf der Seite kamen die Gräber, und sie blickte Tacitus an. "Ich bin wirklich froh, dass du nicht ganz so bist wie er." Immerhin, er war hier, was sie ihm unendlich hoch anrechnete.

  • Ich hörte Matidia aufmerksam zu. Dass auch auf dieser Seite des Rhenus Barbaren lebten, war nicht überraschend. Dass sie aber auch auf dieser Seite des Rhenus eine Gefahr waren, überraschte mich schon. Immerhin waren wir hier doch in der Zivilisation, oder?


    Als sie dann von unserem Vater erzählte, war ich gar nicht überrascht. So war er eben gewesen, immer am arbeiten. Ich kannte ihn ja auch nicht anders.


    "Nun, vielleicht sollten wir bedenken, dass er so viel gearbeitet hatte, damit wir es einmal besser haben? Und wir sollten uns vielleicht auch freuen, dass er nicht durch Krankheiten dahingerafft wurde, sondern einen schnellen, plötzlichen Tod hatte."


    Man konnte mir ansehen, dass ich es meine echten Gedanken waren, frei von Zynismus. Es war wirklich nicht das schlechteste Ende. Als wir an die Gräber kamen, erwiderte ich ihren Blick und freute mich über ihre Worte.


    "Nun, es könnte sein, dass Vater in jüngeren Jahren eher so war, wie ich jetzt bin und dann so geworden ist, wie wir ihn kennengelernt haben. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass ich so werde, wie er wurde. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich eher Jurist oder Philosoph bin, dann würde ich ohne zu zögern antworten, dass ich immer noch in erster Linie Philosoph bin. Versteh mich nicht falsch, ich bin ein ziemlich guter Jurist, aber ich denke, dass ich das deshalb bin, weil ich eben nicht wie ein Jurist denke, sondern wie ein Philosoph. Der Weg zur Erkenntnis ist noch weit, aber ich bin schon so weit gekommen, dass ich weiß, dass man kein Übermaß suchen soll. Nur arbeiten wäre ein Übermaß. Ich werde wohl nie so werden, wie Vater."


    Nein, mich zog es hin, stets neues Wissen und neue Erkenntnis zu erlangen. Dass damit auch ein gewisser Drang verbunden war, in ferne Provinzen und Länder zu reisen, war mir bewusst, auch wenn ich den Drang noch kontrollieren konnte. Ich blieb vor dem Grabstein eines Centurios stehen. Der Stein war bunt bemalt und zeigte den Verstorbenen in voller Rüstung. Der Stein hatte an den Seiten Säulen angedeutet und nach oben durch ein Tympanon abgeschlossen. Ich las den Text. Wanderer, der du hier stehst, lies diese Worte. C. Cosconius Natta, I O LEG XXII, ANN LXI, war stets treu zu Kaiser und Freunden. Vergänglich ist das Leben und zu kurz, um es nicht gut zu leben. Nutze dein Leben so wie dieser, und lebe es gut. Lebe wohl. Es lag durchaus Wahrheit in diesen Worten. Das Leben war kurz und man sollte es gut zu nutzen wissen.


    "Ich habe Vaters Grab zu den Parentalia besucht und seinen Lieblingswein mitgebracht. Nun hatte er endlich einmal die Zeit, seinem Sohn zuzuhören. Und ich hatte ihm erzählt, was ich am Museion und in Rom geleistet hatte. Ich denke, dass er stolz auf mich ist. Und ich denke auch, dass er auf dich stolz ist."


    Mit einem fröhlichen Lächeln sah ich Matidia an.


    "Wenn wir am Theater vorbeikommen, sollten wir einen Blick auf das Programm werfen. Vielleicht läuft ja etwas Erheiterndes."

  • Natürlich hatte Tacitus recht. Er hatte schon immer so einen klaren Blick auf die Dinge, die ihr, als Frau, eben verwehrt blieben, auch wenn sie es nachvollziehen konnte. Aber natürlich war ein Familienoberhaupt in einer gewissen Verantwortung. Sie nickte bei seinen Ausführungen. "Da hast du wohl recht. Aber ich wäre auch in einem kleineren Heim mit einem Vater zufrieden gewesen." Status war nicht alles, und die Anwesenheit eines Vaters und einer Familie nicht zu ersetzen. Letztlich aber war man nicht hier, um über Verstorbene zu sprechen, auch wenn die Umgebung es hergab.

    Tacituas war dermaßen gebildet, dass es einem Zuhörer Angst einflößen konnte, weil er zu jedem Thema soviel zu sagen hatte. Matidia war unwahrscheinlich stolz auf ihn, aber da es ihr Bruder war, war alles sehr viel einfacher. Sie lehnte sich an ihn und lächelte. "Ich glaube, das gefällt mir. Ich helfe die gerne, das Leben neben all' den Regeln zu sehen.", lachte sie. Hach, Tacitus war großartig. "Danke, großer Bruder. Und wenn nicht, trinken wir ein wenig des germanischen Weines. Der ist auch wirklich sehr ... erheiternd." Pallus der Gladiator war immer noch angeschlagen. Ob das etwas für ihren Bruder wäre?

  • "So, der Wein ist erheiternd? Dann sollte ich ihn mal probieren und sehen, ob ich das verifizieren kann."


    Ich lachte herzlich. Es war schön, mit meiner kleinen Schwester unterwegs zu sein. Es wurde mir erst jetzt bewusst, dass mir am Museion etwas gefehlt hatte. Die Familie war eben doch wichtig. Vielleicht verstanden wir uns aber auch deshalb jetzt so gut, weil wir uns nicht in unserer jeweiligen Pubertät ertragen mussten? Die regelmäßigen Briefe hatten ja doch für eine gewisse Abmilderung der schlimmsten pubertären Ausbrüche gesorgt. Wobei ich von mir glaubte, dass ich selbst in der Pubertät sehr ruhig war. Gegenüber vielen meiner Mitstudenten mochte diese Einschätzung sogar stimmen. Abgesehen davon hatte Alexios stets darauf geachtet, dass seine Schüler sich halbwegs im Griff hatten.


    Langsam kamen wir ans Ende der Gräber und das Theater kam in Sicht. Bei der Anreise hatte ich nicht darauf geachtet, doch nun fiel mir auf, dass es ein ziemlich großes Theater war. Jedenfalls für die Provinz. Ich versuchte, anhand der Größe Rückschlüsse auf die Kapazität zu machen.


    "Was meinst du, wie viele Personen im Theater einen Platz finden? Achttausend, neuntausend? Vielleicht zehntausend? Das Gebäude ist recht groß. Taugt die Besetzung etwas? Bei so einem großen Theater sollte man mit einer guter Besetzung rechnen, oder?"


    Während ich sprach, gingen wir weiter auf das Theater zu.

  • "Da werden wir sicherlich Gelegenheit finden!", meint sie schmunzelnd. Es wäre wirklich erfrischend, mit Tacitus einmal Wein zu trinken. Vielleicht sogar mehr, als geplant, warum denn auch nicht, man war ja frei hier und hatte allen Grund.


    "Das Theater? Oh, es ist wirklich sehr groß. Ich hörte, es sei das größte nördlich der Alpen, aber Män... aber man übertreibt ja gerne.", rettete sie sich. "Ich bin nicht gut darin. zehntausend klingt gut."

  • "Da es das einzige Theater nördlich der Alpen ist, das ich kenne, kann ich das leider nicht beurteilen."


    Während ich sprach, gingen wir weiter, bis wir schließlich in der Stadt ankamen.

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