Morgens auf dem Forum

  • Von Süden kommend erreichten Matidia und ihr Bruder Tacitus das Forum, auf dem es trotz der frühen Stunde schon einigermaßen geschäftig zuging. Die junge Frau blieb stehen und machte eine raumgreifende Geste mit beiden Armen.

    "Da sind wir. Eine Taberna, eine leerstehende, abgebrannte Ruine, eine Provinzschule und sogar eine Therme." Sie seufzte. "Im Grunde, alles, was man braucht, nicht wahr?"

  • "Abgebrannte Ruinen sind super! Das ist wie in Rom."


    Dabei musste ich laut lachen, obwohl es sicher für die Bewohner der Insulae Roms, die öfter einmal abbrannten oder einfach so einstürzten, überhaupt nicht lustig war.


    "Ist das da die Basilica Germanica?"

  • Ein mildes Lächeln. Es stimmte, Stadtbrände waren nun wirklich nichts, was Mogontiacum allein auszeichnete, aber die Lage dieser Ruine war nun wirklich unglücklich, man hätte dort wirklich mehr draus machen können, fand Matidia.

    "Ja, richtig. Dort finden wir ... vielleicht nicht alles, aber das Angebot ist wirklich gar nicht schlecht."

  • "Vor allem finden wir dort eine Taberna, die ich schon vor meiner Reise reserviert habe. Es lohnt sich, die richtigen Leute zu kennen. Beispielsweise einen Mandanten, dessen Schwager zufällig für die Verwaltung der Tabernae in dieser Basilika zuständig ist."


    Ja, durch meine Tätigkeit als Advocatus kannte ich recht viele vermögende und einflussreiche Personen.


    "Allerdings kann ich sie noch nicht übernehmen, weil ich schneller hier angekommen bin, als erwartet. Welche Tempel gibt es hier eigentlich?"

  • "Ah, ich verstehe. Dann schauen wir doch trotzdem mal.", meinte Matidia und setzte sich in Bewegung.

    "Nun, es gibt jene, die hier stehen." Sie deutete auf das Capitolium und den Augustus-Tempel. "Und noch ein paar weitere Schreine und Heiligtümer." Sie verzog den Mund. "Allerdings haben die Barbaren gehörigen Einfluss hier und alles ist ein wenig anders als in Rom." Man merkte der jungen Frau an, dass ihr das nicht unbedingt recht war.

  • Zwar nahm ich wahr, dass ihr der barbarische Einfluss nicht unbedingt gefiel, doch war meine Neugierde geweckt.


    "Etwas anders, als in Rom? Das klingt doch interessant. Jedenfalls aus einer rein wissenschaftlichen Sicht."


    Während ich sprach, ging ich neben ihr her in Richtung der Basilica Germanica.

  • "Sie vermischen die römischen mit ihrem Göttern. Und auch sonst sieht alles eben ein wenig anders aus." Man merkte wohl, dass die junge Frau bisher noch weitaus weniger herumgekommen war, als ihr Bruder.

  • "Das klingt doch interessant. Das habe ich Ägypten auch gesehen. Dort wurde mit Serapis ein Gott verehrt, der sowohl hellenistisch, als auch ägyptisch war. Mit diesem Gott wurden beide Welten vereint und die Ägypter haben sich der Herrschaft der Griechen und dann unserer Herrschaft gefügt. Und letztlich weiß ja auch niemand, wie genau die Götter aussehen. Sie können sich nach Belieben verwandeln. Deshalb kann es durchaus sein, dass sie hier ihre Form anpassen und in einer Form erscheinen, die den Barbaren vertrauter ist, damit Frieden herrscht."


    Ob das stimmte, konnte ich nicht sagen.


    "Ich bin natürlich kein Pontifex, sondern nur ein einfacher Philosoph. Aber es erscheint mir logisch."


    Natürlich waren die Götter nicht immer logisch, aber zumindest bei Minerva konnte ich klare Logik annehmen.

  • Matidia verzog dennoch den Mund weiterhin. "Vermutlich stimmt das und wenn es dem Frieden dient, soll es mir recht sein." Sie setzte den Weg gen Basilica fort und seufzte. "Es führt mir dennoch vor Augen, dass ich nicht in Rom bin, sondern eben ... hier." Offensichtlich hätte sie auch etwas weitaus weniger neutrales sagen wollen, sich aber dann noch beherrscht.

  • "Rom ist besonders. Es gibt keinen zweiten Ort, der so ist."


    Gut, das traf auf fast jeden Ort zu.


    "Was ich meine, ist, dass Rom die zivilisierteste Stadt der Welt ist. Die Hauptstadt der Welt. Die Stadt, die ewig sein wird. Aber deshalb sollten wir nicht vergessen, auch das zu schätzen, was uns die Welt sonst noch bietet. Die Welt ist voller Wunder. Manche sind offensichtlich, andere muss man suchen. Vielleicht hast du die Wunder Mogontiacums noch nicht gefunden?"


    Dabei lächelte ich sie aufmunternd an, während wir in den Eingangsbereich der Basilica betraten. Ich wollte nur einen Blick in das Gebäude erhaschen, so dass ich keine Anstalten machte, weiter hineinzugehen.

  • Der Aussage würde Matidia jederzeit zustimmen. Rom war vor allem eines, ihre Heimat. Und schon deshalb besonders und unersetzlich, das dachte sie zumindest. "Das hast du wohl recht." Sie überlegte kurz. Irgendwie hatte sie ihre tiefergehende Überlegung von vorhin selbst karikiert, weil sie ja ebenso alles mit Rom verglich.

    "Man kann es hier aushalten. Tatsächlich. Ich habe... gute Menschen getroffen. Die Soldaten hier sind wirklich tüchtig.", sagte sie mit einem verträumten Lächeln und wartete, bis ihr Bruder sich umgesehen hatte.

  • "Das freut mich zu hören. Tüchtige Soldaten in den Grenzprovinzen sind überlebenswichtig für das Imperium. Schließlich verteidigen sie nicht nur die Grenzen, sie bauen auch Straßen, Aquädukte, öffentliche Gebäude und vieles mehr. Sie kommen ins Barbaricum und erschaffen Zivilisation. Die Zivilisation ist es, die den Barbaren die Lust auf Aufstände vergehen lässt. Man ist vielleicht nicht immer mit unserer Herrschaft einverstanden, aber auf fließendes Wasser, Thermen, Theater und all die anderen Annehmlichkeiten möchte man nicht verzichten. Der Kompromiss ist klar. Man akzeptiert die römische Herrschaft und hat dafür ein gutes Leben. Und man kann ja auch versuchen, das Bürgerrecht zu erlangen."


    Ja, ich war überzeugt von der Anziehungskraft der römischen Zivilisation.


    "Natürlich gibt es immer auch ein paar Uneinsichtige. Aber die Mehrheit fügt sich schon alleine wegen der zivilisatorischen Errungenschaften. Oder wie du es sagst: Man kann es hier aushalten."


    Dabei lächelte ich fröhlich, während ich die Basilica wieder verließ.


    "Wollen wir zum Fluss gehen?"

  • Matidia lächelte, während sie ihrem Bruder zuhörte. Er fasste das wirklich ausgezeichnet zusammen, und es war ihr eine Freude, ihn reden zu hören. "Du hast absolut recht. Wieder einmal! Früher oder später merken sie es alle, nicht wahr?" Das hatte die Geschichte ja gezeigt und war das Selbstverständnis nicht nur Matidias. Natürlich war es harte Arbeit, aber die Kultur und Erfolge sprachen ja ebenfalls für sich. "Es ist natürlich auch gut und interessant, zu sehen, dass wir auch so weit von Rom entfernt erfolgreich sind. Es macht mich stolz, dass auch unsere Familie hier vor Ort ist." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich lerne auf jeden Fall viel, hier." Und das war ja auch wichtig, dem würde Tacitus sicherlich zustimmen.


    Auf seinen Vorschlag hin nickte Matidia. "Gerne. Von dort sehen wir auch die Brücke." Sie deutete gen Osten und setzte sich in Bewegung.

  • "Ich hoffe jedenfalls, dass es jeder vernünftig denkende Mensch irgendwann merkt."


    Natürlich implizierte das, dass nicht jeder Mensch vernünftig dachte.


    Matidias Stolz auf unsere Präsenz in Germanien freute mich, denn das würde ihr hier Halt geben. Ebenso freute es mich, dass sie hier viel lernte.


    "Man kann nie genug lernen."


    Dabei grinste ich verschmitzt.


    Zum Fluss musste ich ihr mangels Ortskenntnis folgen, aber das machte mir nichts. Im Gegenteil machte es mich stolz, dass sie sich hier gut auszukennen schien. Das zeigte, dass sie sich nicht im Domus Iunia abschottete, sondern aktiv die Stadt erkundete und dabei hoffentlich auch neue Menschen kennenlernte. Nur wenig war schlimmer als ungewollte Einsamkeit.


    Der Weg zum Ufer war kürzer, als ich dachte. Die Stadt war wirklich nicht allzu groß. Ich blickte über den Rhenus, der sich weit vor mir erstreckte. Zu meiner Linken sah ich die lange Brücke, die Mogontiacum mit der anderen Seite verband. Etwas dahinter, auf höherem Ufer, stand ein Castellum, soweit ich das erkennen konnte.


    "Die Brücke ist beeindruckend. Ich kann mir vorstellen, dass der Rhenus bei Hochwasser eine Herausforderung für das Bauwerk darstellt. Das ist sehr gute Ingenieurskunst."


    Den Stolz auf die römischen Ingenieure konnte man aus meiner Stimme heraushören. Dann zeigte ich auf einen Punkt etwas weiter das Ufer hinauf.


    "Das Castellum dort sichert die Brücke, damit wir hier keinen unliebsamen Besuch der Barbaren bekommen, nehme ich an? Hat es einen Namen?"


    Und dann schweifte mein Blick südwärts, über Sümpfe hinweg, bis ich bei einer Mündung verweilte.


    "Das dort ist der Moenus, oder?"

  • Matidia nickte auf die zweite Aussage ihres Bruders, auch wenn sie das weitaus weniger so ernst sah. Man konnte natürlich nie genug lernen, aber sie würde das Lernen auch niemals zu ihrem Lebensinhalt machen, auch wenn das natürlich aller Ehren wert wäre. Dafür gab es in ihrer Familie aber ja ihren Bruder. "Sicherlich.", sagte sie dennoch.

    Tatsächlich war der Weg nicht so weit, und da die Stadt so überschaubar war, kannte Matidia sich hier auch entsprechend gut aus.

    "Und du kannst dir vorstellen, was so eine Brücke für diese Gegend bedeutet. Es ändert Alles.", sagte sie nachdrücklich, denn das war ja eine nachvollziehbare Sache. Wie viel einfacher war es, die Brücke zu nehmen, statt immer auf ein Boot oder eine Fähre angewiesen zu sein. Wie konnte man dafür nicht dankbar sein? Die Barbaren waren offensichtlich jene, die nicht immer vernünftig dachten.

    "Das ist das Castellum Mattiacorum. Ich glaube für die Reiter, oder so?" So genau kann sie sich nicht damit aus. "Und ja, der Moenus. Auch recht groß als Fluß, eine ausgezeichnete Lage. Dennoch solltest du besser auf dieser Seite des Rhenus bleiben."

  • Aufmerksam hörte ich meiner Schwester zu.


    "Die Barbaren werden sich wohl nicht über einen Besuch von neugierigen Römern freuen, nehme ich an?"


    Dann lachte ich, weil mir bewusst wurde, wie seltsam ich in einer Gegend ohne Zivilisation aussehen musste. Und wie wenige Fähigkeiten ich für ein Leben außerhalb der Zivilisation wahrscheinlich hatte.


    "Dann bleibe ich lieber auf dieser Seite des Rhenus. Ich bin ja nicht verrückt."


    Natürlich gab es auch Leute, die mich zumindest als leicht irre ansahen. Aber das verschwieg ich lieber.


    "Übrigens gibst du eine recht gute Stadtführerin ab. Und ich glaube, du hättest auch die Fähigkeit, anderen Unterricht zu erteilen. Nur so als Denkansatz."

  • Ein wenig widerwillig wog Matidia den Kopf. "Es gibt solche und solche. Jene, die kämpfen, aber, dass muss ich zugeben, auch jene, die die Vorteile sehen. Die Vernünftigen." Sie seufzte. "Alleine würden sie so eine Brücke ja niemals hinbekommen, und das wissen sie auch." Sicher nicht leicht zu akzeptieren, aber man musste eben vernünftig sein. So wie ihr Bruder, der seine Grenzen kannte, und sich nicht alleine dorthin wagen würde, immerhin reichte es ja, wenn der Rest der Familie überfallen worden war.

    "Danke. Das ist nett von dir. Wirklich." Matidia ging einen Schritt, dann wandte sie sich zu ihrem Bruder um. "Aber eigentlich ist es wohl an der Zeit, dass ich einen Mann finde. Erst recht jetzt." Sie atmete tief ein. "Mutter geht es nicht so gut. Und da Vater..." Sie verzog den Mund. "Du solltest vielleicht auch darüber nachdenken.", sagte sie, plötzlich deutlich ernster.

  • Das musste ich jetzt erst einmal verarbeiten. Matidia klang auf einmal so viel erwachsener, als ich meine kleine Schwester in Erinnerung hatte. Aber natürlich war sie jetzt auch eine junge Frau. Dennoch...


    "Also... rein juristisch gesehen haben wir beide noch Zeit. Die Lex Iulia et Papia fordert eine Eheschließung für Frauen ab dem zwanzigsten Lebensjahr und für Männer ab dem fünfundzwanzigsten."


    Gesetze gaben mir stets einen gewissen Halt, gerade wenn mich etwas überraschte, wie jetzt gerade meine Schwester.


    "Wobei du natürlich frei darin bist, einen Mann für dich zu suchen und ihn zu heiraten. Du bist sui iuris."


    Was natürlich auch nur eine juristische Feststellung war. Was mich anbetraf...


    "Für mich selbst werde ich die Frist ausnutzen, die mir das Gesetz gibt. Vielleicht sogar noch etwas mehr. Ich will erst eine Position erreichen, die mich zu einer guten Partie macht. Aber noch bin ich zu unbedeutend."

  • Matidia musste schmunzeln, als ihr gelehrter und schlauer Bruder antwortete. "Das weiß ich, Tacitus, und du hast natürlich vollkommen Recht. Und selbstverständlich haben wir dieses Recht." Er vielleicht ein wenig mehr als sie, als Frau, aber das war ein anderes Thema. Es ging ihr aber nicht darum, was das Gesetz sagte, was man durfte und was nicht, sondern um ihre Familie. "Was ich aber meine, mein großer Bruder, ist, dass wir uns nun um uns selbst kümmern müssen." Sie verzog den Mund ein wenig. "Das ist für dich vielleicht nichts neues, aber für mich ... durchaus." Und es gefiel ihr ebenso, wie es ihr ein wenig Angst machte. Wenn sie ehrlich war.

  • Es war wirklich nicht neu für mich, dass ich mich um mich selbst kümmern musste. Vielleicht nicht so, dass ich eine Familie gründen würde - jedenfalls noch nicht. Aber um mich selbst kümmerte ich mich bereits am Museion. Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und drückte sie kurz.


    "Ehrlicherweise mache ich mir bei dir keine großen Gedanken. Du schaffst das, davon bin ich überzeugt. Erstens, weil du eine Iunia bist. Und zweitens, weil du du bist."


    Das war ehrlich gemeint.


    "Außerdem glaube ich, dass du die gleiche Neugierde hast, die auch ich habe, und die auch unsere Eltern hatten. Neugierde hilft, Neuem offen gegenüberzustehen. Und deine iunische Willenskraft wird dir helfen, sich an Neues anzupassen. Also, mach dir keine Gedanken. Wir werden unseren Weg machen."

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