Nachdem alles im Reich Hàn erledigt war und die Winde günstig standen, ging ich zusammen mit Arpan im Hafen von Wúxī an Bord eines Schiffes, das mich nach Indien bringen sollte. Das Schiff war von einer anderen Bauweise als die Schiffe meiner Heimat. Der Rumpf schien von oben gesehen eine viereckige Grundform zu haben. Der Boden war flach und schien keinen Kiel zu haben. Dafür waren aber die Kabinen und Frachträume im Rumpf so gebaut, dass sie nur nach oben verlassen werden konnten und die Wände zugleich wasserdicht waren. Das schien mir vorteilhaft, wenn irgendwo ein Leck auftreten würde. Ein Raum mochte volllaufen, das ganze Schiff aber nicht. Die Masten hatten nur Stütztaue nach hinten, wodurch die Segel, die mit vielen Stangen durchzogen waren, so wie Fischflossen mit Gräten, sehr beweglich waren. Die flache Rumpfform schien durch senkrecht ins Wasser einzubringende Seitenruder stabilisiert zu werden. Dennoch hatte ich gewisse Bedenken. Doch es war zu spät, die Passage war gebucht und bezahlt.
Meine Kajüte war recht großzügig eingerichtet. Sie enthielt ein bequemes Bett, eine Kiste für meine persönlichen Sachen und ein Regal mit Geschirr aus Keramik. Arpan hatte eine genauso komfortable Kajüte erhalten, obwohl es ihn nicht interessierte. Er lehnte Luxus inzwischen ab, wenn er dazu die Möglichkeit hatte. Ich hingegen hatte mich fast schon daran gewöhnt, als hoher Beamter stets luxuriös unterzukommen. Das würde ich mir wieder abgewöhnen müssen. Meine Fracht, wenngleich hochpreisig und deshalb mit vergleichsweise wenig Platzbedarf, nahm dennoch zwei komplette Frachträume ein. Dass ich kurz vor der Abfahrt noch einige Sätze 'einfacher' Seidenkleidung in verschiedenen Größen gekauft hatte, half da auch nicht. Ich hatte diese Kleidung ausgewählt, um Sklaven angemessen zu kleiden, wenn ich dem Kaiser von Rom die Geschenke des Kaisers von Hàn überreichen würde - wenn ich denn eine Audienz erhalten würde.
Als das Schiff ablegte, erblickte ich Kommandant Jiāo Lóng, der mit ein paar Offizieren am Kai stand, um mich zu verabschieden. Als er mich auch erblickte, verneigte er sich und seine Offiziere taten es ihm gleich. Ich erwiderte die Verneigung. Als wir alle wieder aufrecht standen, rief ich ihm zu "Ehrenwerter Jiāo Zhǐhuīguān, ich danke Euch für die große Ehre, dass Ihr mich verabschiedet. Ich wünsche Euch Frieden, Wohlstand und viele Söhne!"
"Ehrenwerter Cóngsān Pǐn Shǐ Yúnzǐ," rief der Kommandant zurück, "ich danke Euch für die Ehre Eures Besuchs und Eure guten Wünsche. Ich wünsche Euch viel Erfolg auf Eurer Mission und hoffe auf ein Wiedersehen. Möget Ihr ebenfalls Frieden, Wohlstand und viele Söhne erhalten."
Der Titel, mit dem er mich ansprach, zeigte mir, dass ich mich nun auf meiner Mission als Gesandter befand. Denn zum einen wurde ich als Gesandter angesprochen, und zum anderen als Beamter dritten Ranges. Ich hatte meine Befehle und ich würde sie erfüllen. Mochte es kosten, was es wollte.
Ich freute mich, Rom wiederzusehen. Und doch fiel es mir schwer, von Serica Abschied zu nehmen. Ich glaubte, mich recht gut im Griff zu haben, doch sprach mich Arpan auf Latein an, während das Schiff den Fluss hinunter glitt und die Personen am Kai langsam kleiner wurden. "Du wirst einige Menschen hier vermissen und doch vermisst du andere, wenn du hier bleiben würdest. Vielleicht hilft es dir, dass nichts für immer währt. Erfreue dich an der Freundschaft und der gemeinsamen Zeit, die ihr hattet, aber versuche sie nicht festzuhalten. Festhalten bedeutet Begehren. Begehren führt zu Leiden."
Ich sah ihn einen Moment lang an. Die Buddhisten hatten ihm viel beigebracht und so, wie er sprach, hatte er viel inneren Frieden daraus gewonnen. "Sieht man es mir so leicht an?" fragte ich schließlich.
"Ich sehe es dir an. Aber ich kenne dich auch gut. Vor anderen verbirgst du dein Leiden aber gut."
Ich lächelt leicht und nickte ihm zu. Dann ging ich zum Achterdeck, wo mir der Kapitän wortlos einen Platz zuwies. Er war noch damit beschäftigt, sein Schiff durch ein Wirrwarr aus Schiffen und Booten zu steuern, die auf einem für so viel Verkehr viel zu kleinen Fluss unterwegs waren. So stand ich wortlos neben ihm, bis wir den Hauptarm des Cháng Jiāng erreichten. Hier war nun viel Platz. Ich sah nach Steuerbord, wo mit hohem Schilf bewachsenes Schwemmland einen recht guten Platz für einen Hafen zu bieten schien. Es gab dort ein kleines Fischerdorf, das aus nur einer Hand voll Hütten bestand.
"Dieser Ort, das Landstück mit den Fischerhütten, scheint mir ein guter Platz für einen Hafen zu sein, meint Ihr nicht, Chuánzhǎng?" teilte ich meine Beobachtung in Form einer Frage mit.
Der Kapitän schüttelte den Kopf. "Das da? Nein, Cóngsān Pǐn Shǐ, ganz sicher nicht. Das wird noch in Jahrtausenden ein Fischerdorf sein. Wir haben Wúxī, wozu sollten wir dann noch einen Hafen kurz dahinter bauen? Außerdem ist das Land noch ganz neu und wir wissen nicht, ob es die Götter des Meeres zurückfordern werden."
Die Antwort überzeugte mich nicht ganz, aber ich wollte auch kein Streitgespräch beginnen. "Hat der Ort einen Namen?"
Der Kapitän grinste, als er antwortete. "Ja, aber den könnt Ihr gleich wieder vergessen, Cóngsān Pǐn Shǐ. Es sei denn, Ihr wollt alle zigtausend unbedeutende Fischerdörfer auswendig lernen. Der Ort heißt Shànghǎi."
"Danke, Chuánzhǎng." Ich ließ mir den Namen noch ein paar mal durch den Kopf gehen, während wir die Flussmündung hinter uns ließen und das Schiff südwärts in einen vorteilhaften Wind drehten. Shànghǎi... das war doch eigentlich gar kein schlechter Name für eine bedeutende Hafenstadt, konnte man den Namen doch als 'zur See' übersetzen. Doch natürlich hatte der Kapitän recht, es war nur ein Fischerdorf und das Land war noch neu. Ich würde mir den Namen wohl nicht merken.
Cháng Jiāng ist der Jangtsekiang, Chuánzhǎng bedeutet Kapitän