[Atrium] Unterweisung der Sklaven in den Riten der Serer

  • Amytis tat, wie ihr geheißen, mit einer Mischung aus Stolz und Nervosität. Immerhin, hier erkannte Jemand in Rom, dass sie mehr war als ein Stück Fleisch, und dieses Gefühl, welches sie schon fast vergessen hatte, verwirrte sie zusätzlich.
    Während die Sklavenreihen sich verbeugte, schaute sie aufmerksam und besann sich dann ihrer Herkunft. Als junges Mädchen, bei ihren Eltern, hatte sie durchaus auch Untergebene kommandiert, wenn auch in anderem Rahmen, und das hier war letztlich nichts anderes.
    "Ein wenig tiefer musst du.", sagte sie bei dem Einen. "Wenn du die Füße ein wenig auseinander stellst, ist es einfacher. - Nicht zu weit!", half sie bei einem Anderen nach. Auch hier ächzte man bereits leise, als der Hausherr fragte. Die zweite Reihe war ein wenig ungeordneter, aber noch stand man ja auch ganz am Anfang, nicht wahr? "Wenn man es noch einige Male übt, wird es besser aussehen, Junzi." Ganz offensichtlich waren zwei oder drei Kandidaten dabei, denen es wirklich schwer fiel, aber Amytis würde hier niemanden schlecht reden.

  • Ich nickte Amytis zu. "Gut, sehr gut."


    Inzwischen fingen die ersten an, zu zittern. "Euer Verstand sagt euch, dass ihr nicht mehr könnt. Euer Verstand sagt euch, dass ihr euch aufrichten solltet. Glaubt mir, euer Verstand irrt sich. Ihr habt noch Reserven." Genau beobachtete ich, wie immer mehr Sklaven gegen die Ermüdung ihrer Muskeln ankämpften. "Nur noch ein wenig länger." Ich ließ noch ein paar Augenblicke verstreichen, bevor ich laut und deutlich die erlösenden Worte sprach. "Píng shēn!" Alle richteten sich wieder auf, manche schneller, manche langsamer. "Gerade stehen!" befahl ich. "Den Rücken gerade halten!" Dabei schritt ich die erste Reihe wieder ab und korrigierte hin und wieder die Haltung. Als ich am Ende ankam, blickte ich noch einmal über die Reihe. "Pause!" Man konnte die Erleichterung auf den Gesichtern sehen. Und bei einigen auch Zweifel, ob sie es schaffen würden. "Trinkt einen Schluck Wasser, esst etwas Obst. Versucht, eure Muskeln zu entspannen. Wir werden das heute noch ein paar Mal wiederholen. Eure Muskeln müssen passend aufgebaut werden."


    Eine junge Sklavin kam auf mich zu und meinte, dass ich zu viel verlangen würde. Der ältere Sklave neben ihr hätte starke Rückenschmerzen gehabt. Das gab mir eine Idee. Kurz flüsterte ich Begoas etwas zu, der daraufhin in Richtung der Unterkünfte der Herrschaften verschwand. Nach kurzer Zeit kam er mit meinem prachtvollen serischen Schwert zurück. Ich stellte mich in etwas Abstand zu den Sklaven hin. "Alle mal herschauen, ich muss euch etwas zeigen. Mir wurde gesagt, dass ich zu viel verlangen würde. Seid gewiss, dass ich nichts verlange, was ich selbst nicht auch beherrsche." Ich zog das Schwert aus der Scheide, die in den Händen von Begoas blieb. Das goldene Rautenmuster auf der Klinge glänzte im Licht. In einer fließenden Bewegung stellte ich mich auf mein linkes Bein, während ich das recht Knie anzog, bis mein rechter Fuß auf Höhe des linken Knies war. Gleichzeitig streckte ich den linken Arm seitwärts aus, wobei Zeige- und Mittelfinger der linken Hand zusammenlagen und nach oben zeigten, während die restliche Hand eine eine Faust war. Den rechten Arm hielt ich so, dass das Schwert über meinem Kopf nach links zeigte und auch meinen Blick richtete ich nach links. Ich verharrte in dieser Pose, auf einem Bein, für fast zehn Minuten. Ja, nach fünf Minuten zitterte ich auch leicht und Schweißperlen formten sich auf meiner Stirn, doch blieb mein Gesicht gelassen und der Blick war stur auf ein Ziel knapp einen passus vor meiner linken Hand gerichtet, wenngleich dort nur Luft war. Am Ende stellte ich in einer fließenden Bewegung meinen rechten Fuß wieder auf den Boden, während ich den linken Arm zurückzog und mein Schwert in der rechten Hand so drehte, dass es von hinten an meinem rechten Arm lehnte. "Ich verlange nicht, dass ihr auf einem Bein steht. Ich verlange nur eine Verbeugung. Wenn ich so etwas schaffe, werdet ihr doch wohl eine Verbeugung schaffen, oder?" Als Begoas mir die Schwertscheide präsentierte, steckte ich die Klinge mit einer fließenden Bewegung wieder zurück. Er brachte die Waffe wieder außer Sichtweite und an ihren Platz in meinem Cubiculum zurück und kam anschließend mit einem Baumwolltuch zu mir. Ich nahm das Tuch und tupfte mir den Schweiß von der Stirn, um es anschließend mit einem "Danke" und einer kaum merklichen Verbeugung wieder an Begoas zu reichen.


    Anschließend ging ich zu dem Tisch mit dem Wasser und nahm mir, so wie es die meisten Sklaven auch getan hatten, einen Becher mit Wasser, den ich in kleinen Schlucken austrank, um anschließend wieder an meinen Platz vor den Sklaven zu gehen. "Die Pause ist vorbei, alle wieder aufstellen. Amytis, stell dich bitte wieder neben die zweite Reihe." Ich gab allen einen kurzen Moment, bis sie wieder an ihrem Platz waren, und sagte dann laut "Qǐng xínglǐ!"

  • Die Sklaven verbeugten sich fast alle synchron. Sporus gehörte zu denen, der einen winzigen Moment zu spät war. Hoffentlich gibt das keinen Ärger, dachte er sich. Leise flüsterte er "Verzeiht mir, Yunzi", es war aber wohl laut genug, dass der Herr es mitbekommen hatte, Sporus blieb in der Verbeugung, mit geradem Rücken. Er durfte sich jetzt keinen Fehler mehr erlauben.

  • Natürlich hatte ich es mitbekommen. "Píng shēn!" rief ich laut vernehmbar. Und nachdem sich alle aufgerichtet hatten, ging ich zu Sporus und stellte mich direkt vor ihn. "Weiter geradeaus blicken," sagte ich mit ruhiger, emotionsloser Stimme. "Du warst nicht synchron. Das ist nicht schlimm, dafür üben wir. Aber du hast gesprochen, ohne, dass ich dir das Wort erteilt hätte. Erste und einzige Warnung. Verstanden?"

  • Sporus wusste jetzt nicht, ob er darauf antworten sollte, weil dann hätte er wieder etwas gesagt, also nickte er deutlich, um zu signalisieren, dass er verstanden hatte.

  • Ich nickte Sporus zu. "Gut so." dann wandte ich mich an alle. "Macht euch keine Gedanken darum, ob ihr synchron, also alle gleichzeitig, seid oder nicht. Das Ziel für heute ist die korrekte Haltung bei der Verbeugung. Um den Rest kümmern wir uns in den nächsten Tagen. Dabei werden wir auch eure Muskeln aufbauen, damit die Verbeugung problemlos eine Weile gehalten werden kann. Qǐng xínglǐ!" Dabei ging ich wieder ans Ende der ersten Reihe.

  • Und wieder verbeugten sich die Sklaven, und verharrten in dieser. Auch Sporus machte diesmal alles richtig. Er war sogar synchron mit den anderen. Innerlich war er stolz auf sich.

  • Ich noch mehrfach die Verbeugung üben. Die Form wurde besser, doch merkte man auch, dass bei vielen die Kraft nachließ. Als es dann Mittag war, ordnete ich eine Pause an. Der ältere Sklave, für den sich die junge Sklavin eingesetzt hatte, bat mich, ihn zu entlassen. Ich bat ihn, noch am Mittagessen teilzunehmen und mir danach mitzuteilen, wie er sich entschieden hatte. Wie sich zeigte, hielt er an seiner Entscheidung fest. Auf Grund seiner Selbsterkenntnis gab ich ihm einen zusätzlichen denarius als Peculium.


    Als Mittagessen gab es leicht gesalzene puls aus Emmer. Dazu gab es Schüsseln mit Gemüse, Früchten, Honig und Gewürzen, so dass sich jeder seine puls nach eigenem Gusto anrichten konnte. Unter anderem gab es Datteln und als Gewürze standen auch gemahlener Koriander, Zimt und Pfeffer zur Verfügung. Ich selbst erhielt eine Schüssel mit Reis, den ich mit ein wenig Zimt verfeinerte. Die Sklaven erhielten je einen Löffel zum Essen, während ich meine Speise mit bronzenen Essstäbchen zu mir nahm, wenngleich mir bewusst war, dass Reis traditionell eigentlich mit der Hand gegessen wurde.


    Ich hatte Stühle ins Atrium bringen lassen, damit sich die Sklaven setzen konnten, um ihren Rücken zu entlasten. Während wir speisten, winkte ich Amytis zu mir, weil mir endlich eine Erkenntnis gekommen war. "Amytis, ich denke die ganze Zeit schon über deine Sprachmelodie nach. Irgendwo hatte ich diesen Klang schon einmal gehört. Ist das ein leichter skythischer Akzent? Vielleicht Parthisch?"

  • Amytis war reichlich beschäftigt mit den Sklaven, aber auch sie merkte, dass ihre Konzentration nachließ. Ja, es mochte sein, dass der Herr auch an sich selbst hohe Ansprüche hatte, das hatte sie gesehen und war bemerkenswert, aber dennoch bedurfte auch seine kleine Vorführung sicher Übung, und ohne die ging es eben nicht. Aber auch Pausen waren wichtig, alleine schon, um sich danach wieder konzentrieren zu können.

    "Was denkst du, Sporus?", fragte sie ihren Mitsklaven dann. Er hatte sich auch sehr gut geschlagen, fand sie, und seine Sorge war unbegründet, zumindest bisher. "Es ist ein wenig ... ungewohnt, aber kein Problem, oder?", formulierte sie dann ihre eigenen Gedanken.

    Dann aber winkte der Herr sie heran, und natürlich stellte sie ihre Schüssel ab und stellte sich mit gesenktem Blick neben ihn. Sie war überrascht, nicht nur, dass er die Melodie erkannte, sondern vor allem, dass sie ihn auch interessierte. Sie zögerte kurz. "Ja, Junzi. Das ist richtig, meine Eltern sind... sie stammen aus Dinavar im Reich der Parther.", antworte sie, und es fühlte sich seltsam an, den Namen ihrer Heimat erstmal wieder auszusprechen.

  • "Parthisch also. Ehrlicherweise spreche ich kein Wort dieser Sprache. Mein Freund Arpan hingegen hat die Sprache halbwegs verstanden, auch wenn er Skythe ist. Ich frage, wie es ihm gerade geht." Dabei dachte ich an Arpan, den ich sehr zu schätzen gelernt hatte. "Den Ort Dinavar kenne ich nicht. Zumindest erinnere ich mich nicht. Ich bin über Dura Europos und Babylon bis ans östliche Ende des Partherreichs, nach Margus... Margusch..." ich zog entschuldigend die Schultern hoch. "Parthisch liegt mir wirklich nicht. Die Seleukiden nannten den Ort Antiochia in Parthien. So bin ich jedenfalls durch das Partherreich gereist, bevor ich anschließend durch Kuschana weiter nach Osten reiste. Leider kam ich nicht dazu, mir allzuviel anzusehen. Die Karawane, mit der ich reiste, hatte kein Interesse an Stadtführungen." Kurz zeigte ich ein Lächeln. Dieses Lächeln war anders, als das höfliche Lächeln, welches ich zu zeigen pflegte. Es war ein ehrliches Lächeln, erinnerte ich mich doch gerne an die Reise zurück. Dann kam mir wieder in den Sinn, was Amytis gesagt hatte, oder eher, wie sie es gesagt hatte. "Deine Eltern sind keine Sklaven, oder?" Kurz hielt ich inne, bevor ich hinzufügte "Du brauchst die Frage nicht zu beantworten, falls du sie als zu persönlich empfindest."

  • Amytis horchte auf und hob den Kopf sogar kurz, als Yún von ihrer Heimat sprach. Er war dort gewesen? Sie senkte den Kopf rasch wieder. "Es ist nur eine unbedeutende Stadt." Natürlich kannte er Dinavar nicht. "Margusch.", sagte sie dann etwas weicher als er, ohne dass ihr klar wurde, dass sie den Mann wohl kaum korrigieren zu hatte.
    Sie biss sich auf die Lippen, als er ihre Eltern ansprach und fragte sich nur kurz, warum ihn das interessieren mochte. Pinus hatte danach nie gefragt, ihm war offensichtlich recht, dass die Tochter ihrer Eltern ansehnlich geraten war. "Nein, Júnschi. Sind sie nicht.", antwortete sie dann.

  • Ich wagte es nicht, den Namen der Stadt auszusprechen, weil ich bei allen Versuchen, Parthisch zu sprechen, versagt hatte. Doch wusste ich es zu schätzen, dass sie mich korrigiert hatte. "Danke," sagte ich mit einer angedeuteten Verneigung. Dass meine Vermutung bestätigt wurde, und ihre Eltern keine Sklaven waren, betrübte mich, wenngleich ich es nicht zeigte. "In Hàn gibt es sehr viel weniger Sklaven als hier. Die allermeisten von ihnen sind verurteilte Verbrecher im Staatsbesitz oder Menschen, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten. Und fast alle werden irgendwann freigelassen. In dieser Hinsicht ist Hàn zivilisierter als Rom." Auch, wenn ich zu Beginn noch ganz klar zu Amytis sprach, waren meine letzten Worten nachdenklich, leise und eher an mich selbst gerichtet. In diesem Moment hatte ich, nicht zum ersten Mal, ernsthafte Bedenken, was das Versklaven freier Menschen betraf, die sich nichts zu Schulden kommen gelassen hatten. Dass ich Amytis in diese Kategorie einordnete, mochte naiv sein. Immerhin kannte ich sie nicht. Doch konnte ich sie mir zumindest nicht als Kriminelle vorstellen. "Die Moirai haben dir einen schlechten Faden gesponnen. Hoffen wir, dass er im Laufe deines Lebens besser wird." Diese Worte meinte ich ernst, was vor allem aus der Art, wie ich sie sprach, erkennbar war. Schließlich verbeugte ich mich leicht, während ich leise "Danke für das Gespräch, Amytis," sagte.

  • Dass Yún sich wirklich bei ihr bedankte, passte zu seinem bisherigen Verhalten, und dennoch war es ungewohnt für Amytis, die schon lange nicht mehr erlebt hatte, dass jemand so mit ihr umging. Der Mann war anders als die Römer, und das komplette Gegenteil zu ihrem Herren, und sie war sich sicher, dass die Zeit bei ihm vielleicht anspruchsvoll, aber am Ende eine Gute werden würde. Sie würde sich anstrengen, alleine schon, um ihm zu zeigen, dass in ihr mehr steckte als ein einfaches Sklavenmädchen, welches Pinus sich als Spielzeug und Unterhaltung für seine Gäste gekauft hatte. Abgesehen davon war sie die Tochter eines āzād und ihre Eltern hatten ihr Dinge beigebracht, die sie an Fürstenhöfen hätte nutzen sollen und nicht am unteren Ende der sozialen Leiter. Es tat gut, so gefordert zu sein.
    Wie gerne hätte sie ihm das gesagt, wie gerne wäre sie in seinen Besitz übergegangen, auch wenn sie natürlich ebensowenig wissen konnte, dass es bei Yún immer so und dauerhaft besser wäre. Dennoch war dies Gefühl wirklich ein starkes.
    Sie verbeugte sich ebenfalls bei seinen Worten. "Ευχαριστώ, Júnschi." Das Griechische, ebenso wie deren Mythologie, wenn auch nicht in Einzelheiten, war ihr durchaus geläufig, gab es doch griechische Bürger in ihrer Heimatstadt, weshalb sie die Sprache noch vor dem Latein gelernt hatte, und über die Götterwelt der Griechen hatten man ihr ebenfalls etwas beigebracht. Auch wenn es nur darum ging, dass es konkurrierende Götter neben Ahura Mazda gab. Und da es nun einmal alles war, was sie tun konnte, brachte sie ihr Wissen wenigstens in diesem Wort ein.

  • Als Amytis sich auf Griechisch bedankte, huschte kurz ein Lächeln über mein Gesicht. Ich aß noch den Reis aus meiner Schüssel, während ich die Sklaven beobachtete. Als alle fertig gegessen hatten, gab ich Begoas ein Zeichen, dass er allen Anwesenden je eine Tasse schwarzen Tee geben sollte. "Das ist hóngchá," erklärte ich auf Grund der fragenden Blicke. "Etwas bitter, aber es wirkt belebend. Das wird uns helfen, über den Nachmittag zu kommen." Dass es in Rom unbekannt und deshalb quasi unbezahlbar war, erwähnte ich nicht. Ich hatte ja ein paar Säcke aus Hàn mitgebracht. Das würde eine Weile halten. Nach dem Teetrinken gab ich noch allen die Möglichkeit, sich auf der Latrine zu erleichtern, bevor es dann weiterging.


    "Bildet mal einen Halbkreis mit euren Stühlen. Ich will euch etwas erklären." Nachdem alle im Halbkreis saßen, nahm ich in einem Stuhl im Zentrum des Halbkreises Platz, so dass mich alle sehen konnten. "Ich mag euch recht streng erscheinen. Das ist richtig, weil ich mir leider keine Geduld leisten kann. Um geduldig zu sein, muss man Zeit haben. Leider weiß ich nicht, wie viel Zeit wir haben, bis ich die Einladung zur Audienz erhalte. Also muss ich, leider, ungeduldig und sehr streng sein. Deshalb sind wir auch mehr als die zwölf, die ich brauche. Ich werde diejenigen auswählen, bei denen ich am ehesten glaube, dass alles so perfekt wie irgend möglich funktioniert. Echte Perfektion wird ein Mensch nie erreichen, aber wir sollten versuchen, so nah wir möglich heranzukommen." Ich machte eine kurze rhetorische Pause. "Warum mir das wichtig ist, werdet ihr euch sicher fragen. Ich wurde vom Kaiser von Hàn zum Beamten im dritten Rang ernannt. Das ist ein sehr hoher Rang und dieser Rang soll dazu dienen, dass ich als Gesandter von einem Kaiser zu einem anderen Kaiser die nötige Autorität habe. Und es gehört zu meiner Aufgabe, die Geschenke nach serischem Ritus zu übergeben. Natürlich bin ich der einzige hier in Rom, der diese Riten kennt. Wem sollte also auffallen, ob sie korrekt ausgeführt werden oder nicht?" Wieder machte ich eine rhetorische Pause. "Nun, ganz einfach. Mir würde es zum Beispiel auffallen. Ich habe aber einen Befehl auszuführen, und ich werde ihn ohne erkennbaren Makel ausführen. Denn auch der ewige Himmel und die Götter der Welt sehen uns, und sie sehen, ob ich einen Fehler zulasse. Wie könnte ich je wieder nach Hàn zurückkehren, wenn ich mich vor mir selbst schämen müsste? Nein, es ist keine Option, hier nachlässig zu sein. Ein Befehl ist ein Befehl. Die Riten sind die Riten. Nachlässig zu sein, nur weil es niemand bemerkt, das bedeutet, dem Chaos Tür und Tor zu öffnen. Denn es beginnt mit kleinen Nachlässigkeiten, bis man sich daran gewöhnt. Ohne es zu bemerken, nimmt man dann auch größere Nachlässigkeiten hin und immer größere. So wird es dann unmöglich, die Ordnung der Welt zu fördern. Bin ich mir selbst gegenüber nachlässig, dann bin ich auch anderen gegenüber nachlässig. Wenn ich bei der Erledigung einer Aufgabe nicht die nötige Sorgfalt zeige, dann zeige ich sie auch nicht bei anderen Aufgaben. Selbstdisziplin sorgt dafür, dass man sich selbst verbessert. Und wenn man sich selbst verbessert, dann verbessert man irgendwann auch seine Umgebung. Die Orte, die Menschen. Wenn alles und jeder in einen guten Zustand gebracht wird, dann kommt die Welt in Ordnung. Und wenn die Welt in Ordnung ist, dann gibt es keine Kriege mehr und keine Verbrechen. Und alle werden genug zum leben haben und niemand wird mehr unfrei sein. Ich hoffe, dass ihr nun besser versteht, warum wir das alles hier machen."

  • Die Sklaven und auch Sporus nickten zustimmend. Das waren gute Worte, dachte sich Sporus. Ich werde hart an mir arbeiten. Er empfand Tacitus nicht als streng. Da war er anderes gewohnt. Um so leichter fiel es ihm, Tacitus's Befehle genau umzusetzen, dass es ihm gefallen würde.

  • Das Getränk, was er mitgebracht hatte, war ihr unbekannt, es schmeckte seltsam bitter, aber sie trank es. Warum auch nicht, denn bisher gab es keinen Grund, Yún zu misstrauen. Allerdings gab es recht bald darauf ein ziemliches Gedränge an der Latrine, und Amytis fragte sich, ob es etwas mit eben diesem unbekannten und ungewohnten Getränk zu tun haben mochte.

    Auch Amytis lauschte aufmerksam und nickte dann. Es klang sehr theoretisch für sie, und wenn sie ehrlich war bezweifelte sie, dass da etwas dran war, aber generell stimmte sie zu. Sich gut zu verhalten und Dinge in Ordnung zu bringen, nicht nur, weil man es musste, sondern weil man es für richtig hielt, war sicher nicht verkehrt. Ob ihr Herr die Welt schlechter machte, weil er Sporus und sie oftmals quälte? Oder war dies Teil einer Ordnung? Wie Yún darüber wohl denken würde? Er war ein interessanter Mann, das ließ sich nicht abstreiten, und er hatte viel von der Welt gesehen. Amytis war sich jetzt bereits sicher, dass sie sich nach dieser Zeit hier zurücksehnen würde, und sie nahm sich vor, diese für sie milde Strenge zu genießen und dankbar zu sein. Für Sporus und sie war das hier immerhin wie eine Auszeit.

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