Damenbesuch im Lager

  • Die Quadria verursachte einen kleinen Steinhagel, als sie vor dem Wachturm am Südtor des Lagers zum stehen kam. Die Pferde dampften und stießen bei jedem Atemzug wahre Fontänen in die Winterluft. Sie waren erhitzt, aber außerdem wehte hier ein kühles Lüftchen.


    Fröstelnd zog ich meine Palla enger und streifte sie sogar über den Kopf. Hier in Mantua war es bedeutend kühler als in Rom.


    Die Umwehrung des Lagers war geschlossen und so wartete ich mit meinem Sklaven Cadior im Wagen, bis die Torwache sich melden würde.

  • Zu Beginn der Mittagspause durchbrach ein plötzlich aufbrausendes Stimmengewirr die ansonsten ruhige Winterluft Mantuas.
    Einige Legionäre waren aus zunächst unerfindlichem Grunde zum Südttor geeilt. Da auch einige Soldaten aus Sophus' Einheit aufgesprungen waren, wollte der Optio die Ursache des Tumultes erforschen und drängte die eifrig diskutierenden Legionäre zur Seite.


    "Zurück auf eure Posten! He, auch du da drüben!"


    Im Grunde konnte es sich nur um einen Versorgungstransport aus Rom handeln, welcher hin und wieder die Männer mit besonderen Leckerbissen versorgte. Plötzlich schoss Sophus ein Gedanke durch den Kopf: Es konnte sich nur um den Gerüchten zufolge anstehenden Besuch der Augusta handeln. Nun allerdings sah der Optio den Aufgaben seiner Einheit entspannter gegenüber als zur Zeit des Kommandeurbesuches, da die Probati bereits mit ihrer Grundausbildung begonnen hatten.
    Als der wachhabende Optio mit der Frau - es musste die Augusta sein - angeregt diskutierte, blickte sich Sophus vergebens nach dem Geleit der Ulpia um. Niemand. Lediglich die Pferde einer Quadriga, mit der die Frau gekommen sein musste.
    Als der Optio näher herantrat war seine Verwirrung vollkommen: Auf dem Wagen der Fremden prangte ein aus hell schimmerndem Gold gefertigtes Wappen: Ein Löwe, umringt von Sternen.
    Als Sophus zudem bemerkte, dass auch die Torwache nicht minder verwirrt schien, fragte er den Soldaten:


    "Was geht hier vor?"

  • Eigentlich hatte ich nur mit einem Wachhabenden gerechnet, aber durch das geöffnete Tor schien nach und nach eine ganze Cohorte zu kommen. Sie diskutierten wild durcheinander, lachten und scherzen.


    „Ich wünsche den Optio Flavius Aurelius Sophus zu sprechen“, rief ich ihnen entgegen. Etwas weniger förmlich fügte ich hinzu: „Sagt ihm, Deandra wünscht ihn zu sprechen. Er weiß dann schon Bescheid.“ Ich mochte die hochnäsige Art der meisten Patrizier nicht. Nur Sophus zuliebe versuchte ich immer, dem äußeren Anschein nach wohl erzogen zu sein. Freundlich lächelte ich deswegen die Legionäre an, die sich allerdings nicht von der Stelle bewegten.


    ‚Na toll’, dachte ich bei mir. Auf diese Art ist bald das ganze Lager auf den Beinen. Hilflos blickte ich mich in der Menge um. Ich würde Sophus noch nicht einmal erkennen, wenn er unter ihnen wäre.

  • Nun, da der Zeitpunkt, an dem ich Sophus treffen würde, greifbar nahe war, verließ mich viel von meinem Mut. Ich hatte keinerlei Vorstellung davon, wer mir hier entgegen treten würde. Ich redete mir ein, dass es wohl ein gesetzt aussehender Mann sein müsse. So jedenfalls wirkten seine Briefe und schließlich war er ja der Pater Familias.
    Dass Sophus kaum älter als ich war, verdrängte ich so gut es ging. Das hätte nur meine mühsam aufrechterhaltene Fassung zum Einsturz gebracht.

  • Sophus sah, wie die Fremde etwas zur Torwache sprach, konnte ob des Lärmes allerdings kein Wort verstehen, sodass er einen besser postierten Kameraden befragte, welcher sogleich Auskunft über die Identität der Reisenden gab. Deandra also! Sophus traute seinen Ohren kaum, als er den Namen hörte und bagann nach einer kurzen Verschnaufpause, die neugierigen Legionäre zu verscheuchen - murrend kehrte der Großteil zu den Posten zurück.
    Der Optio trat näher an Deandra heran und musterte sie näher. Doch, bei den Göttern, niemals hätte er ihre Züge erkannt! Aus dem kleinen Mädchen seiner Kindheit war nunmehr eine junge Frau geworden, die aus irgendeinem Grund den langen Weg nach Mantua angetreten hatte.
    Sophus, der in voller Uniform vor Deandra stand, nahm, um auch unter diesen ungünstigen Umständen einen gewissen Rest an Höflichkeit zu bewahren, den Helm ab und sprach:


    "Deandra...ich grüße dich!"
    Er wusste nicht weiter.
    "Dein Erscheinen hier kommt...unerwartet, erfreut mich jedoch umso mehr...nach all diesen Jahren...sprich, was ist der Grund für dein Kommen?"


    Sophus musterte erneut die in dicken Stoff gehüllte Gestalt und erblickte im Hintergrund das stolze Pferdegespann - offenbar erste Zuchterfolge aus Deandras Gestüt.

  • Ich musste schlucken. Das war also Sophus? So hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Er war freundlicher als seine Briefe und außerdem netter anzusehen als erwartet. Mit einem Schlag war er nicht mehr der gestrenge Pater und Vormund, sondern …
    ‚Bloß nicht drüber nachdenken’, dachte ich bei mir. Schließlich kam ich her, um mit ihm über meine Zukunft zu sprechen.


    „Ich muss… äh, ich wollte… also, können wir hier ungestört miteinander sprechen?“, fragte ich ausweichend.
    Nie war der Anfang eines Gespräches so schwierig wie gerade dieses. Meine Güte, was war nur los? Ich kam doch sonst mit jedem noch so frechen Optio zurecht.

  • Sophus blickte sich kurz um. Unmöglich konnte er sie in's Lager führen - die Anwesenheit von Frauen war dort strengstens untersagt.


    "Hm, ich kenne in Mantua ein gemütliches kleines Wirtshaus. Wirst du länger bleiben? Der gute alte Secundus hat gewiss noch ein Zimmer frei. Mantua ist nicht Rom, doch auch hier lässt es sich annehmbar leben."


    Sophus schmunzelte - Deandra kam wirklich ganz nach ihrer Mutter...


    "Nun, wie ergeht es deinem Vater? Auch ihn habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen."

  • „Mein Vater? Ich sah und hörte seit Ewigkeiten nichts von ihm. Ich hoffte, du könntest mir von ihm berichten“, erwiderte ich überrascht.
    Immer deutlicher wurde, wie dringlich es war, über die Familie zu sprechen. Die Gens der Aurelier schien zu zerfallen.


    „Ich habe keine Pläne über die Länge meines Aufenthalts gemacht. Du weißt, ich bin spontan, oder weißt du das nicht?“ Ich warf Sophus einen kurzen Blick zu und musste lächeln. Ein Stück meiner Sicherheit kam wieder zurück. Beim Scherzen konnte ich gut meine Verlegenheit überspielen.


    „Das Gespann gehört dir für die Fahrt in das Wirtshaus. Dabei kannst du dich gleich von der Güte der Pferde überzeugen.“ Die Vorfreude auf die Fahrt, auch wenn sie nur kurz sein würde, lag bereits auf meinem Gesicht.


    Cadior trat beiseite und reichte Sophus die Leinen.

  • "Ich nahm an, dein Vater weile noch immer in Syrien. So wollen wir hoffen, dass er sich bald wieder in Rom blicken lässt."


    Sophus tätschelte die Nüstern eines edlen Schimmels und untersuchte das Gebiss des Tieres.


    "Weiß wie Schnee, dabei gut, kräftig und gerade gewachsen. Wie ich sehe, hast du eine glückliche Hand bei der Auswahl deiner Pferde. Gewiss wird dir bald großer Erfolg beschieden sein."


    Der Optio tätschelte den Schimmel und nahm Cadior die Leinen ab.
    Nachdem auch Deandra eingestiegen war, begann die rasche Fahrt in Richtung Mantua unter dem Wirbel ersten Schneegestöbers dessen winzige Flocken auf der von Rauhreif überzogengen Welt niedergingen.


    Obwohl die Pferde eine weite Reise hinter sich hatten, machten sie einen durchaus frischen, tatendurstigen Eindruck.
    Über die von den Legionären kürzlich errichtete Hauptstraße erreichte man rasch das in winterlichem Schimmer erstrahlende Mantua, dessen morsches Holztor beim Anblick der Quadriga ohne langes Zögern geöffnet wurde.


    "Wie gesagt: Es ist nicht Rom, doch...nun...Mantua ist Mantua.", meinte Sophus grinsend zu Deandra während er den rasanten Lauf der Pferde langsam abbremste und der Wagen vor einem kleinen Wirtshaus zum Stehen kam.

  • Heimlich beobachtete ich Sophus während der Fahrt. Er machte keine schlechte Figur als Wagenlenker. Nicht jeder kam mit vier rassigen Pferden gut zurecht, doch er schaffte das mit Leichtigkeit. Es imponierte mir, wie ich zugeben musste.


    Der Wagen kam vor dem Wirtshaus zum Stehen.


    „Versorg die Pferde gut. Sie dürfen nicht so erhitzt stehen bleiben“, wies ich Cadior an. Ich wusste, ich konnte mich auf meinen Haussklaven verlassen. Er war mehr als das.


    Danach schaute ich zu Sophus. Er kannte sich hier aus. Er würde entscheiden und ich würde mich vorerst von ihm führen lassen.

  • Sophus öffnete die Türe des Wirtshauses, welches insbesondere von Soldaten gut besucht vorgefunden wurde.


    "Secundus, sei so gut und bringe uns ein warmes Essen her!", rief Sophus, um das Stimmengewirr der Gäste zu übertönen.


    Er führte Deandra zu einem abgelegenem weil ruhigem Eck, welches der Wirt sogleich mit einem knisternden Kaminfeuer zu beheizen suchte.


    Schon wenige Augenblicke später kam einer der Bediensteten und brachte zwei gebratene Hähnchen und bauchige Weinkrüge daher.


    "Na, was sagt man dazu? Deandra, du musst öfters mitkommen!", meinte Sophus lachend, während er den beistehenden Wirt entlohnte.

  • Ich stocherte etwas unschlüssig im Essen herum. Natürlich hatte ich Hunger, aber irgendwie wollte ich auch mein Anliegen loswerden und dieses schnürte mir etwas die Kehle zu.


    „Ich möchte nachher gern mit dir in Ruhe reden können“, sagte ich schließlich. „Hier ist es mir einfach zu laut und zu ungestört.“

  • Sophus winkte den Wirt herbei, mit dem er einige Zeit lang tuschelte, bis er Deandra verkünden konnte, Secundus habe noch ein freies, ruhiges Zimmer auf dem Dachboden.


    "So, dann reden wir über deine Zukunft...", meinte der Optio und leerte den Becher Wein in einem Zug. Jetzt brauchte er starke Nerven.

  • Ich war dankbar für das Entgegenkommen von Sophus. In dem Zimmer angekommen, entledigte ich mich erst einmal dieses unschönen Wolltuches. Schließlich trug ich ja noch eine Tunika darunter - zwar nur aus einem Hauch, aber immerhin. Wie fange ich an? ‚Am besten gerade heraus’, dachte ich.


    „Als ich in Ostia aufbrach, begleiteten mich einige Befürchtungen und der feste Wille, dir zu trotzen. Deinen Briefen nach zu urteilen, erwartete ich hier einen strengen und kaltherzigen Mann.“ Eine kleine Pause entstand, in der ich kurz Luft holte.


    „Nun, da ich dich erlebe, erkenne ich diesen Menschen nicht. Mehr noch, kaum kann ich den Pater in dir sehen.“ Für einen Moment senkte ich meinen Blick und ein kleines Lächeln huschte über mein Gesicht.


    „Versteh das nicht falsch, ich will und muss heute mit dir über meine Zukunft sprechen. Dennoch… du bist anders als ich es erwartete“, fügte ich leise hinzu.


    „Zuerst einmal: Suchte dich in den letzten Tagen eventuell ein junger Victimarius auf?“ Fragend schaute ich Sophus an.

  • Das Lächeln, welches des Optios Lippen eben noch umspielt hatten, verschwand augenblicklich. Mit kaltem, ausdruckslosem Blick schaute er in die rehbraunen Augen Deandras.
    Nun galt es, diese Angelegenheit endgültig aus der Welt zu schaffen.


    "Ich sah keinen Victimarius..."


    Voll Zorn zischte er:


    "...nur einen erbärmlichen Wicht."

  • „Er war also hier? Ich ahnte es und nun weiß ich auch was er wolte.“ Aufmerksam betrachtete ich Sophus, der wie verwandelt war. Seine Kälte erschreckte mich. Irgendwie konnte ich seine abweisende Haltung nur schlecht ertragen. Automatisch bekam ich Herzklopfen und mein Bauch rebellierte.


    „Du hast ihn also abgewiesen?“, fragte ich zögerlich.

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