• Quarto hatte sich aus einer Mischung von Nervosität und Entschlossenheit dem kaiserlichen Palast genähert. Als er schließlich vor die wachhabenden Prätorianer trat, gewann die Unsicherheit leicht die Überhand und fast hätte er kehrt gemacht. Doch dann besann er sich seines Anliegens und erbat Zugang zum Palast. Überraschend problemlos wurde er eingelassen und geheißen, auf dem großen, zentralen Hof des Palastes zu warten.


    Dort stand er nun und besah sich die prächtigen Säulenreihen, die den Hof umschlossen. Schließlich kam ein niederer Beamter auf ihn zu und fragte, wer er sei und was er hier wolle.
    “Mein Name ist Lucius Aelius Quarto und ich möchte den Quaestor Sacri Palatii Titus Helvetius Geminus in einer Rechtsangelegenheit sprechen, wenn dies möglich ist.“

  • “Salve Senator Geminus. Bitte verzeih’ mir wenn ich Deine Zeit in Anspruch nehme, doch ich komme mit einem, zumindest für mich, äußerst wichtigen Anliegen zu Dir.
    Wie ich Deinem Beamten bereits sagte, ist mein Name Lucius Aelius Quarto und ich suche Dich in einer Rechtsangelegenheit auf.
    Vor einigen Tagen sprach ich am Gericht des Praetor peregrinus vor, in der Hoffnung, dass dort das Unrecht getilgt würde, welches meiner Familie vor nunmehr neunzehn Jahren widerfahren ist. Doch der Praetor Publius Matinius Agrippa wies meine Klage aus formaljuristischen Gründen ab und verwies mich darauf, eine Petition beim Imperator einzureichen.
    Da Du der höchste Berater des Kaisers in Rechtsfragen bist und ich den Imperator gerade in dieser schweren Zeit nicht sofort mit derlei Dingen belästigen wollte, dachte ich, es wäre das Beste, zuerst mit Dir über diese Angelegenheit zu sprechen.“

  • Sie gingen in Richtung eines der hoch aufragenden Gebäudeflügel und Quarto erzählte seine Geschichte ein weiteres Mal:
    “Meine Familie, Senator, ist ein alte Gens der plebejischen Aristokratie. Zu meinen Vorfahren zählen so verdiente Männer wie Quintus Aelius Tubero, Gaius Aelius Gallus, Lucius Aelius Lamia der Ältere oder Lucius Aelius Seianus. Nicht weniger als sieben Konsuln finden sich auf meiner Ahnentafel und doch trete ich vor Dir als Ausländer. Denn vor neunzehn Jahren fiel meine Familie unter Domitianus in Ungnade.


    Doch alles begann bereits Jahre früher, im zweiten Regierungsjahr seines Vaters, Caesar Vespasianus Augustus. Damals heiratete mein Onkel, Lucius Aelius Lamia der Jüngere. Seine Braut war Domitia Longina, die Tochter von General Gnaeus Domitius Corbulo, der drei Jahre zuvor Selbstmord begangen hatte. Ihre Mutter war Cassia Longina.
    Doch kaum waren die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber, da bemerkte der zweite Sohn Vespasians, eben Titus Flavius Domitianus, der spätere Kaiser, die schöne Frau. Er zwang meinen Onkel zur Trennung und ehelichte sie seinerseits. Meine erste Frage, die ich per Gericht zu klären suchte, war, ob diese Scheidung und damit die Ehe des Domitianus mit der Longina überhaupt gültig war.


    Wie dem auch sei, mein Onkel klagte nicht und übte Zurückhaltung. Domitianus war bekanntlich rücksichtslos und mein Onkel fürchtete um sein Leben und das seiner Familie.
    Die Jahre vergingen, auf Vespasian folgte Titus und nach dessen Tod schließlich Domitianus. Im Jahr DCCCXXXVI, vor nunmehr also neunzehn Jahren, erschütterte dann eine Krise das Kaiserhaus. Es war eine schmutzige, über alle Maßen unrömische Angelegenheit. Interessierte Kreise des Palastes deckten eine Affäre der Domitia Longina mit einem unbedeutenden Schauspieler namens Paris auf. Über Details vermag ich nichts zu sagen, doch es waren wohl höchst kompromittierenden Dinge vorgefallen. Kein Mensch weiß, welche Ziele dieser Paris verfolgte, was er sich davon versprochen hatte oder ob ihm einfach die erbotene Gunst der Longina zu Kopfe gestiegen war, doch eben diesen verlor er daraufhin.
    Die vorgebliche Ehebrecherin bezichtigte wiederum meinen Onkel, diese Affäre in die Wege geleitet und ihr den Schauspieler zugeführt zu haben. Sie, wie auch einige ihrer Speichellecker, behaupteten, mein Onkel hätte sich so rächen und das Haus der Flavier schwächen wollen.


    Mein Onkel bestritt alle Vorwürfe und nannte sie das, was sie in der Tat waren: Haarsträubend.
    Doch Domitia Longina erreichte was sie sich erhofft hatte. Sie kam mit dem Leben davon und musste lediglich die Scheidung hinnehmen. Später, wir wissen es, gelang ihr dann sogar, erneut das Vertrauen des Domitianus zu gewinnen und er bezahlte dies schließlich mit dem Leben. Nicht das ich ihm eine Träne nachweine, doch es steht wohl außer Frage, dass die Longina bei seiner Ermordung ihre Finger im Spiel hatte.
    Doch dies soll nicht meine Sache sein. Wichtiger für mich ist, was meinem Onkel widerfuhr. Er und seine ganze nähere Familie wurden verbannt und aller römischen Bürgerrechte beraubt. Zu den Vertriebenen und Entrechteten gehörte auch mein Vater und ich mit ihm.


    So viele Jahre ist das nun her. Mein Onkel und mein Vater sind lange gestorben, nur ich bin übrig und friste noch immer das Leben eines mittellosen Peregrinus. In der Zeit des letzten Bürgerkriegs war es mir nicht möglich, diesen Umstand zu ändern. Doch nun herrscht Iulianus und das Recht in Rom und ich hoffe deshalb, dass jenes Unrecht, dass meiner Familie damals widerfuhr, jetzt beseitigt werden kann.“


    Atemlos beendete Quarto seine Geschichte und blickte zum Senator, der ihm die ganze Zeit schweigend zugehört hatte.

  • “Jetzt wo du meine Geschichte kennst, was sagst du dazu? Gibt es eine Handhabe, doch noch ein Verfahren zu eröffnen oder den Imperator zu einer Aufhebung der damaligen Dekrete zu bewegen?“
    Quarto war im Angesicht des hohen Beamten und seines nachdenklichen Schweigens sichtlich nervös.

  • “Ich danke dir sehr, Senator.
    Ich werde dir stets zu Dank verpflichtet sein, die Götter mögen dich und deine Familie behüten.


    Nun will ich nicht länger deine kostbare Zeit beanspruchen.“


    Quarto verabschiedete sich überschwänglich vom Quaestor Sacri Palatii und verließ frohgemut den Palast.

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