- Bibliotheka - (Tarraco)

"Sehr gut."

Sie überlegte einen Moment lang.

Dann gab sie ihm die Schriftrolle. "Dies ist eine Abschrift des Codex Religiosus. Ich möchte, dass du Pars Tertia und Pars Quarta liest und mir dazu morgen Fragen beantworten kannst. Es gilt das gleiche wie immer: Ich will die Schriftrolle unbeschädigt zurückhaben und die Antworten sollen in deinen eigenen Worten sein."

Sie lächelte.

"Noch Fragen?"

"Keine Fragen."

Er nimmt die Schriftrolle entgegen und hofft, dass er die ganzen Sesterzen, die er in das Papyrus für die Abschriften invenstieren muss, irgndwann wieder rausschlagen würde. Hoffentlich kommt nich noch viel mehr, es gäb nichts Schlimmeres, als wenn er den Sev auch noch anpumen müsste. Vielleicht könnt er der Amatia nen Brief schicken, die verdient sicher auch nich schlecht im Palast.

"Ah doch, morgen wieder hier? Oder im Tempel?"

"Wieder hier."

Sie wollte ihn gerade verabschieden, als ihr noch etwas einfiel: "Ich habe übrigens einen Brief nach Rom geschickt und vorgeschlagen, dich zu befördern."

"Ou, dat is kühl."

Bei der Erwähnung von Rom bekommt Vic nen ganz schlechtes Gewissen. Zu lang hat er sein Schwesterchen schon allein gelassen.

"Nu denn. bis morgen"

Er verlässt den Raum und dann die Villa.

Wie üblich folgt Vic der dürren Sklavin in die Bibliothek. Er legt die Schriftrolle auf den Tisch und setzt sich dann schicksalsergeben hin. Seine Gedanken drehen sich um Rom und Amatia.

Claudia kommt herein. "Verzeih bitte meine Verspätung, aber ich wurde aufgehalten." Sie betrachtet die Schriftrolle. "Nun, hast du deine Aufgabe erfüllt? Gab es irgendwelche Probleme?"

"Keine Probleme."

Er verkneift sich ein 'wie üblich'. Er hat keine Ahnung, für was sie ihn hält, aber für sonderlich schlau wohl nich. Schriftrolle über Schriftrolle liest er, erträgt er, liest nochmal, und nochmal, in Rom, in Tarraco, im Pantheon, in der Insula. So viel wie in den letzten Wochen hat Vic in seinem Leben nich gelesen, und irgendwie hat er das Gefühl, alles wiederholt sich nur immer wieder, immer wieder nur redundantes Gefasel über Zeug, das er mittlerweile schon bald auswendig beten kann.

"Ich komm mir schon selber vor wie ne Schriftrolle."

"Möchtest du Kritik äussern?"

"Nein, keine Kritik." brummelt Vic.

"Ich will nur, dass es weitergeht. Ich will endlich wat tun. Sicher, dieses ganze theoretische Wissen is wichtig und ich bin selber schuld, dass ich mir für die erste Stufe den wortgewandten Mercurius ausgesucht hab..."

Er denkt an die andern Götter, die ihm zur Auswahl gestanden hatten. Ob es bei Venus wohl öfter zur Sache gegangen wäre. Hrhr.

"...und ja, wir haben ja sogar schon ein kleines Opfer gemacht. Aber dat kann doch nich alles sein! Ich will Priester werden, weil ich wat tun will, nich um den ganzen Tag lang Schriftrollen zu lesen."

Er visiert Claudia an und macht sich schonmal auf das Donnerwetter gespannt, dat nu sicherlich folgen wird.

Sie atmete tief durch und hätte ihn am liebsten einfach gegen die Wand geklatscht. Aber das war ihrer nicht würdig, weder als Priesterin noch als Patricierin. Also blieb sie ruhig.

"Für meinen Geschmack hört sich das zwar sehr nach Kritik an, aber wenn du sagst, du willst nichts kritisieren werde ich dir das glauben."

Sie schaute ihn an.

"Hast du schon einmal etwas von 'Geduld' gehört? Ich habe in Rom Monate als Discipula verbracht und Schriftrollen studiert, bevor meine Lehrerin zuliess, dass ich weitere Dinge tun durfte. Du kannst froh sein, dass ich nicht ganz so pedantisch und detailverliebt bin wie sie. Aber gut, wie ich dir mitgeteilt habe, habe ich dich bereits zur Beförderung vorgeschlagen, dass heisst, du wirst hoffentlich bald geprüft und dann darfst du gerne deine Tage damit verbringen zu Opfern."

Sie wandte sich ab und ging zum Fenster.

"Wenn es dir übrigens zu langsam geht, kannst du gerne in Rom den Antrag stellen, dass man dich einem anderen Sacerdos zuteilt."

Da sich die Sacerdos abgewandt hatte, erlaubt sich Vic die Augen gen Himmel zu rollen. Warum kann er auch nich sein Maul halten. War das nich so klar gewesen, dass diese Leier nun kommen muss?

"Monate hab ich auch schon mit diesem Schriftkram verbracht." murmelt er, ohne sich darum zu kümmern, ob sie das nun noch hört oder nich.

Dann schaut er zu ihr auf und sagt wieder etwas lauter: "Dir war es also egal, dass du als Discipulus den lieben langen Tag Schriftrollen studieren solltest? Oder es hat dir sogar gefallen? Bestens, mir tuts das aber nich. Du wolltest wissen, ob es was gibt und dat gibt es eben. Es ist schön, dass du mich zur Beförderung vorgeschlagen hast, aber dat bringt mir momentan auch nix, solange ich hier geduldig in Tarraco festsitze. Und es gibt meines Erachtens auch nix an der auszubildenden Sacerdos zu meckern."

Dieser Anblick jeden Tag ist natürlich schon hart zu ertragen, so nah und doch so fern, aber bei den Göttern, wie könnte er sich einen anderen wünschen.

"Ich will ja nur mal andeuten, dass dat doch nich alles sein kann. Du zum Beispiel, warum wolltest du den Göttern dienen? Um Schriftrollen zu lesen? Wat machst du sonst den ganze Tag, wenn du nich grad nen Schüler zum..." fast sagt er etwas falsches, aber nur fast "... ähm, ausbilden hast. Du wirst doch nich den ganzen Tag nur lesen? Ich verlang doch nich viel mehr, als einfach nur dabei zuschauen zu dürfen, aus was sonst deine Arbeit besteht. Ich will den Göttern dienen, nich den Buchstaben. Is dat so schwer zu verstehen?"

Sie blieb regungslos stehen und schaute aus dem Fenster. Sie sprach ganz leise und ruhig:

"Ich verstehe dich schon, aber ich weiss nicht genau, ob du verstehst, dass diese ganzen Schriftrollen und Buchstaben die du lesen sollst, für den Dienst an den Göttern. Ich lass dich das alles nicht lesen, weil es mir Spass macht dich damit zu ärgern, sondern allein dafür, dass du einmal ein guter Priester wirst. Ich will schliesslich nicht, dass du irgendwann in einem Tempel stehst, ein Opfer bringst und dann von einem Gott erschlagen wirst, weil du einen Fehler gemacht hast, den du hättest vermeiden können, wenn du die Dinge, die ich dir zum lesen gebe, gelesen hättest."

Sie drehte sich um.

"Du fragst mich, warum ich Priesterin geworden bin? Ich bin Priesterin geworden, weil ich glaubte, dass dies meinem Leben wieder einen Sinn geben würde, nachdem es zerstört worden war. Das ist der Grund, warum ich den Göttern diene, damit sie mir ein neues Ziel geben oder vielleicht sogar mein altes zurück bringen. Und wenn die Götter mir die Aufgabe geben, die gesamte Bibliothek Alexandrias zu lesen und auswendig zu lernen, so tue ich dies mit Dankbarkeit, da jede Aufgabe die mir gegeben wird einem kleinen Teil meines Lebens einen Sinn gibt."

Sie ging näher auf ihn zu und stellte sich direkt vor ihn.

"Wenn Tarraco für dich ein Festsitzen ist, dann schlage ich vor, dass du nach Rom zurückkehrst. Unsere heutige Sitzung ist beendet."

Sie ging auf die Tür zu.

Vic fläzt sich in den Stuhl zurück und schaut sie nachdenklich an. Wär sie nicht seine Ausbilderin, sondern ne ganz normale Frau, dann würd er jetzt... aber egal, sie is numal, wer sie is und da kommt dat nich in Frage. Andererseits, dass sie nich will, dass er von nem Gott erschlagen wird, das zeigt doch, dass sie zumindest irgendwas für ihn emfpindet. Trotzdem, dazu is sie auch noch ne Patrizierin, ne das würd nich gut gehen. Aber wieder andererseits, vielleicht tät es ihr mal ganz gut. Sie kommt Vic immer nen bisschen verkrampft vor, bei allem was sie tut.

Bevor sie aus dem Zimmer verschwindet steht er auf und geht ebenfalls auf die Tür zu.

"Du hast immer noch nich gesagt, was du machst, wenn du nicht grad so nen nervigen Schüler wie mich ausbildest. Vor allem zum Beispiel jetzt im Anschluss."

Sie drehte sich um.

"Ich werde jetzt in das Officium des Pontifex Hispania gehen und die dort angesammelte Arbeit erledigen. Und nebenbei werde ich auch noch dafür beten, dass deine Seele in die richtigen Bahnen zurückfindet."

Sagte sie und verliess die Bibliothek.

'Bei den Göttern, dat is der eindeutige Beweis. Sie macht sich Sorgen um meine Seele!'

Vic schüttelt den Kopf.

'Dieses Weib bringt mich noch um den Verstand.'

Er entschließt sich, erstmal in die Insula zu gehen und dort den Lati aufzugabeln. Danach is immer noch genug Zeit, zu entschließen, was weiter passieren muss.

Claudia betrat, mit Schreibutensilien bewaffnet, die Bibliothek. Sie setze sich an einen der Tische und legte das Schreibzeug auf den Tisch.

Sie starrte auf die Regale mit den Schriftrollen und liess ihre Gedanken kreisen.

Nach einiger Zeit begann sie zu schreiben.

gewisses Alter... unglücklich... Ehe... Entscheidung... schwirr es ihr während des Schreibens durch den Kopf.

Nachdem sie zwei Stunden lang geschrieben, verworfen, neu geschrieben und Korrekturgelesen hatte, rollte sie das Schreiben zusammen, versiegelte es und machte sich auf den Weg.

Es war früh am Morgen, als sich Claudia in die Bibliothek begab um dort auf Livilla zu warten.

Eilig lief ich in die Bibliothek. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich zu spät war......... und ich hatte recht. Salve Pontifex Tiberia Claudia! sagte ich freundlich. Innerlich hoffte ich, dass sie mir mein zuspätkommen nicht ankreiden würde. Denoch hatte ich das Gefühl, dass sie genau, das tun würde.

"Salve Discipula." sagte sie kurz und deutete auf einen leeren Stuhl.

"Bitte setz dich."

Sie selbst ging an eines der Regale und betrachtete die darin lagernden Schriftrollen.

"An welchem Punkt waren wir stehen geblieben?"