Ursus wirkte wirlich etwas überrascht, stand aber dennoch auf und begrüßte sie herzlichst. Nun bekam Lentidia endlich das was sie wollte, die volle Aufmerksamkeit!
"Titus!" ließ sie sich von seinen starken Armen umschließen. Ihr Lächeln strahlte und sie badete sich in den Komplimenten ihres Cousins. Als sie sich aus der Umarmung löste, strich sie mit ihren Fingerspitzen über seine Uniform, seine Erscheinung beeindruckte sie. "Wie stark und mächtig du aussiehst.." staunte sie. Sie malte sich schon aus, neben ihm in der Gesellschaft präsentiert zu werden, neben ihrem starken Cousin, sie, die Verwandte eines Legionslegaten! Doch dieser Gedanke verstrich schnell, als Ursus sie davon in Kenntnis setzte, dass er wirklich nichts vondem Besuch wusste. Ihr Lächeln entglitt ihr zwar nicht, allerdings verrieten ihre Augen ihre Enttäuschung. Ihre Wut hielt sie zunächst zurück, bis sie wusste, wer dafür verantwortlich war!
Und von was für einem Besuch sprach er? Es war doch kein Besuch, sondern ihre Ankunft, eine Art Einzug!
"Nein?" fragte sie dann überrascht. Sie drückte ihrem Cousin das Schreiben ihrer Mutter in die Hand, was sie kurz danach bereute, am liebsten hätte sie das Sigel zerbrochen und die Worte selber gelesen!
Die Frage, ob ihre Mutter mit Ursus gesprochen hatte, erübrigte sich.
Als hätten die Götter ihr die Enttäuschung und die Wut genommen, erstrahlte ihr Lächeln wieder.
"Nun, liebester Cousin, wo werde ich wohnen?" fragte sie ihn konfrontativ und sprühte vor Freude.
Mein lieber Titus,
lang ist es her, dass du mich und Marcus auf unserem Landgut besucht hast. Du warst ein stattlicher junger Mann, dessen Vaters Stolz über seinem Haupt erstrahlte. Jetzt bist du Legat einer Legion, nein nicht irgendeiner Legion, du bist Legat der Legio I! Oh wie könnte ein Vater stolzer auf seinen Sohn sein und das wäre er! Marcus Augapfel ist immer Lentidia gewesen. Sie war seine kleine Blume, die er mit großer Freude heranwachsen sah. Du kennst sie noch als kleines Mädchen. Wenn du diesen Brief liest, wird sie in diesem Moment wahrlich vor dir stehen. Ist sie nicht zu einer schönen jungen Frau herangewachsen? Sieht sie nicht bezaubernd aus? Sie ist mittlerweile voll im heiratsfähigen Alter und es wird Zeit, dass man sie in die Gesellschaft einführt.
Nun.. Titus.. genug der Verblümung.., Lentidia steht nicht vor dir, weil sie ihren entfernten Cousin besuchen wollte. Sie hielt meine Bitte in den Händen, sie denkt, ich hätte schon alles mit dir besprochen, doch das habe ich nicht.
Titus, ich bitte dich.. nimm sie auf und führe sie in die Gesellschaft ein, verheirate sie! Seit Marcus Tod lebt es sich für unsere Familie nicht mehr so leicht, wir leben von unseren Ersparnissen und den wenigen Sesterzen, die der Weinanbau abwirft.
Nicht nur Lentidia ist gewachsen, sondern auch ihre Ansprüche! Ihrem Vater konnte sie alles aus den Händen leiern, er hat ihr alles gegeben was sie wollte. Es geht nicht mehr! Ich kann ihr Verlangen und ihren Durst nach Luxus nicht mehr befriedigen, sie gibt mehr aus, als wir es uns leisten können. Ich kann sie verstehen, als junges Mädchen auf einem Landgut, das ist einfach nichts für eine Aurelia, da pflichtest du mir sicher bei! So weh es mir tut muss ich mit schwerem Herzen zugeben, dass meine Tochter finanziell für uns nicht mehr tragbar ist.. bitte Titus, bitte nimm sie auf! Suche ihr einen Ehemann, der ihre Wünsche zufriedenstellt, ich kann es nicht mehr..
Es erfüllt mich mit Trauer und die Götter mögen mich Strafen, dass ich dich so damit überfalle, aber ich hatte Angst, dass du mir nicht helfen würdest, vor allem jetzt, wo der Kaiser tot ist. Aber sage mir, gäbe es nicht einen besseren Platz für eine junge Aurelia als bei dir? Du kannst sie unter deinen Schutz stellen, bis Korruption und Bürgerkrieg in Rom besiegt sind..
Schaue in Lentidias Augen, bitte schicke sie nicht zurück .. tue es für Marcus und mich! Ich habe nicht mehr die Kraft dazu.
In der Hoffnung auf deinen gütigen Willen,
Tarpeia Rufina