vor der Villa Flavia Felix

  • Nach dem Empfang von Meridius trat ich nicht sofort die Heimreise nach Mantua an. Ich schlenderte durch die Straßen und hing meinen Gedanken nach. Zwei Dinge verband ich in erster Linie mit Rom – die Wagenrennen und Mia.


    Die zweiten Spiele, an denen ich teilgenommen hatte, lagen noch nicht lange zurück, ebenso wenig die dort erlittenen Verletzungen. Mein linker Arm war noch immer unbrauchbar.


    Fast in gleicher Weise hatten sich die Ereignisse um Mia eingeprägt. Ihr angekündigter Verkauf traf mich unvorbereitet. Durch ihn hatte ich überhaupt erst gemerkt, dass sie mir nicht gleichgültig war.
    Verrückt war das alles. Ich wollte nie ein Mädchen und nun erwischte ich mich immer wieder bei irgendwelchen Gedanken an sie.


    Natürlich wusste ich inzwischen, bei welchem Herrn sie lebte. Wusste, dass dieser hier ganz in der Nähe wohnte. Sah, dass mich meine Schritte genau zu dieser Villa geführt hatten. Spürte, dass mich ihr Verkauf noch immer aufwühlte.


    Etwas zwang mich, vor dem Anwesen stehen zu bleiben und hineinzusehen …

  • Es war zwei Tage nach dem man mich aus der Kammer geholt hatte. Es ging mir noch nicht wieder gut. Ich hatte Schmerzen und ein paar der offenen Striemen hatten sich leicht entzündet, aber das war nicht so schlimm, das Schlimme waren die Alpträume und die Panik, in die ich jedesmal ausbrach, wenn mich wer berührte.
    Ich kam gerade, mit der Sklavin, die die letzten zwei Tage meist in meiner Nähe gewesen war und zu den beiden gehörte, die sich um mich gekümmert hatte, gerade von einer Besorgung. Wir wollten die Villa gerade betreten, als mein Blick, der in letzter Zeit öfter suchend, aber eher aus Angst, war, plötzlich an dem Mann hängen blieb.
    Ich blieb wie angewurzelt stehen und sie sah mich irritiert an, zuckte aber nach einer Minute die Schulter und flüsterte nur, dass ich schnell nachkommen solle, sonst würde es wohl schlimm werden, wenn es wer mitbekäme.
    Ich bekam das nicht mit.

  • Nichts rührte sich in oder um die Villa herum. Sie wirkte fast wie unbewohnt.
    Leicht schüttelte ich den Kopf. Was hatte ich auch erwartet? Dass mir jemand die Gewissheit gab, dass es ihr gut ging? Ich sie womöglich irgendwo sehen und mich selbst davon überzeugen konnte? Wie einfältig von mir!


    Ich warf einen letzten Blick auf die Villa und wandte mich zum Gehen.
    Abrupt blieb ich stehen. Gebannt fixierte ich die beiden Frauen, die sich der Villa näherten. In einer erkannte ich Mia.


    Viele Fragen bewegten mich. Wie es ihr ging und warum sie so merkwürdig verspannt lief. Warum der Ausdruck auf ihrem Gesicht mir so fremd vorkam und warum sie überhaupt so ernst blickte. Gern hätte ich ihr diese Fragen gestellt, aber stattdessen sah ich sie nur schweigend an. Etwas hatte sich verändert, etwas Entscheidendes.


    Die Existenz der anderen Frau lag außerhalb meines Bewusstseins.

  • Er war da, er war tatsächlich da. Für einen Moment hüpfte mein Herz vor Freude und dann wurde diese Freue von Panik verdrängt. Nein, er war da!
    Panisch ging mein Blick rum.
    Er durfte nicht da sein, nicht jetzt, nicht nach all dem, was passiert war. Warum hatte er nicht eher kommen können, warum jetzt? Er durfte, sollte mich nicht sehen, nicht so, nicht jetzt.
    Eine kalte Hand griff nach mir und mein Mund wurde trocken, meine Augen waren geweitet und ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte, stand nur da und war wie angewurzelt. Wollte fort und doch bleiben.

  • Oft hatte ich mir ein Wiedersehen vorgestellt, doch nie lief es so in meiner Vorstellung ab. Zuletzt war sie unbeschwert gewesen und so bewahrte ich sie in meiner Erinnerung. Mein Blick wanderte an ihrer Gestalt herab und ich entdeckte an ihren Gelenken Flecken, wo keine hingehörten und wo auch nie welche waren. In mir stieg eine Ahnung hoch. Meine Kiefernmuskeln spannten sich und mein Blick wurde eng.

    Ich trat nah an sie heran, um die Worte nicht laut sagen zu müssen, die nur für sie bestimmt waren.


    „Was ist geschehen?“


    Mehr als ein Flüstern war es nicht. Meine Augen ließen ein Ausweichen ihrerseits nicht zu.

  • Cadior... ich sah ihn an und Angst breitete sich in mir aus. Ich wollte weg, wollte mich und ihn nicht in Gefahr bringen. Wollte nicht zurück in die Kammer, in die Dunkelheit. Panik liess meine Pupillen sich erweitern.
    "Bitte...," war das einzige, was ich heiser über meine Lippen bekam. Ich versuchte mich zusammenzureißen und atmetete gequält tief ein und aus. "Es ist nichts...," kam heiser und ängstlich aus meinem Mund und es schien nicht ich zu sein, die das sagte.
    "Bitte..." Nur was bitte?
    Mein Blick ging wieder gehetzt zum Haus und dann zu ihm zurück.
    "Ich kann nicht...."
    Meiner Stimme hörte man die Angst an, die Panik, die unaufhörlich in mir hochstieg. Ich wollte mich endlich umwenden und reingehen. Ich hatte Angst, dass der Sklave, der mir das alles eingebrockt hatte es sehen würde. Fast schon Todesangst?

  • Sie musste nichts sagen, ich verstand auch so.
    Was ich nicht verstand war das verloren gegangene Vertrauen. Ich wollte es nicht verstehen, wollte nicht die offensichtliche Angst als Grund dafür ansehen.


    Ich machte den Weg frei und sah mit verschlossenem Gesicht an ihr vorbei.


    „Sobald ich in Mantua bin, erfahren die Aurelier das, was du hier nicht sagen wolltest.“

  • Ich begann zu zittern. Tränen, wieder einmal, viel zu oft in letzter Zeit, viel zu oft, seit der Kammer, die Kammer.... Tränen wollten mir entrinnen, aber ich durfte es nicht zulassen. Ich durfte einfach nicht. Oh warum verstand er nicht? Warum verstand er nicht, dass ich einfach nur Angst vor der Dunkelheit und Enge hatte, panische Angst, ja, Todesangst. Lieber tot als noch einmal da rein.
    "Tu es nicht...," heiser flehte ich darum. Selbst davor hatte ich Angst. Ich hatte mittlerweile vor allem Angst. Besonders vor dem Sklaven und vor der Kammer. Jede Nacht, kaum das ich die Augen geschlossen hatte, kamen die Bilder wieder. Ich traute mich kaum in die Schlafkammer, diese Enge, die Dunkelheit darin. Ich bekam keine Luft und auch bei der Erinnerung an das alles, gegen die ich gerade nicht mehr ankam, blieb mir die Luft weg und ich war kalkweiss.

  • Ich hatte damit gerechnet, dass sie die Möglichkeit nutzen und in die Villa gehen würde. Doch sie blieb und bat mich um etwas – nach meiner Ansicht – völlig Unverständliches. Verwundert wandte ich mich ihr wieder zu. Mit gerunzelten Brauen versuchte ich das Kunststück, Gedanken zu lesen. Vergeblich, möge einer die Frauen verstehen …


    „Ich habe zu keiner Zeit meine Verbundenheit zu den Aureliern vergessen. Ursprünglich dachte ich, du wärst aus einem ähnlichem Holz geschnitzt.“


    Enttäuschung und Vorwurf lag in meiner Stimme. Oder war es verletzter Stolz?

  • "Ich kann das nicht noch einmal," kam es nur noch heiser und stockend über meine Lippen. Alles begann sich um mich zu drehen und ich musste mich konzentrieren um nicht einfach umzukippen. Ich schwankte gefährlich. "Nicht noch einmal in die Kammer...," dann hatte die Panik gewonnen. Meine Augen verdrehten sich und ich sackte einfach in mich zusammen.

  • „Kammer?“


    Ich hatte es kaum ausgesprochen, da musste ich geistesgegenwärtig zupacken. Es war mehr ein Reflex, als eine bewusste Entscheidung. Etwas überrumpelt stieß ich die Luft aus und versuchte, den zwar leichten, aber durch die Kraftlosigkeit schwierig zu greifenden Körper zu stabilisieren. Erfolglos. Natürlich versagten ihre Beine.


    Mir blieb nichts anderes übrig, als den leblos scheinenden Körper praktisch mit dem einen Arm zu umklammern und an mich zu drücken, damit der andere für Belebungsversuche frei war. Etwas ungelenk tätschelte ich ihr Gesicht und hoffte, sie würde bald wieder zu sich kommen.


    Ich verstand nicht, warum das passieren konnte.

  • Dunkelheit, aber wohltuende Dunkelheit umfing mich. Vergessen! Schweben! Schmerz! Der Schmerz riss mich aus meiner Ohnmacht. Es tat weh, aber was? Alles!
    Ich spürte das Tätscheln, aber ich spürte vor Allem den Griff, der Griff der Helfen sollte und doch nur Schmerzen bereitete. Ich riss die Augen auf und wieder war Panik in ihnen zu lesen. Offene Panik und der Schmerz. Ich wollte etwas sagen, aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Dafür sprachen die Blässe meines Gesichtes und allem voran meine Augen mehr als tausend Worte. Ich wollte nur noch, dass er mich losließ. Ein kleiner Teil in mir sehnte sich danach gehalten zu werden, aber der andere, der geschlagene, geschundene und mißhandelte wollte nur noch losgelassen werden.

  • Langsam aber doch kehrte ihr Bewusstsein zurück. Ich war erleichtert! Was ich nun aber schon wieder nicht verstand, war ihr entsetzter Blick. Völlig begriffsstutzig sah ich sie an und konnte mir auf rein gar nichts einen Reim machen.


    Vorsorglich hielt ich sie weiterhin fest, als ich sie fragte, was es mit der Kammer auf sich hatte. Man konnte ja nie wissen, ob und wann sie wieder das Bewusstsein verlieren würde.

  • Ich konnte nicht. Ich konnte es ihm nicht sagen.
    "Die Kammer... nein, bitte zwing mich nicht darüber zu reden."
    Ich stammelte mehr als das etwas vernünftiges über meine Lippen kam.
    "Bitte nicht..."

  • „Was ist denn eigentlich los mit dir? Du kippst einfach so mitten auf der Straße um, siehst mich an, als hättest du irgendetwas von mir zu befürchten, reden willst du auch nicht.“


    Langsam wurde ich ärgerlich. Unvermittelt ließ ich sie los.

  • Ich sackte erneut zusammen und blieb sitzen. Ich schüttelte nur den Kopf, er verstand es nicht, er verstand es einfach nicht!
    Ich konnte nicht mehr.
    In diesem Moment kam die andere Sklavin und schimpfte auf Cadior ein, half mir hoch und zwang mich sanft zurück ins Haus, aber ich bekam davon nichts mit. Die Welt war mir entrückt.


    Lass Sie! Sie hat genug gelitten!
    Dann ging sie mit mir in die Villa.

  • Ich verstand überhaupt nichts. Wie auch? Woher denn? Es gab offenbar keine Basis mehr für Vertrauen und offene Worte.


    Ärgerlich stapfte ich los. Das war nicht mehr der Mensch, den ich lange vermisst hatte. Man sollte sich mit Frauen nicht einlassen. Ich wusste das schon immer, hatte es nur damals vergessen.

  • Kaum war ich in der Villa brach ich ein zweites Mal zusammen, aber diesmal bekam man mich nicht mehr wach. Einer der Sklaven trug mich in die Schlafkammer und die Sklavin kam mit ein wenig kaltem Wasser und einem Tuch.
    Es war als wäre ich in einem Fieber. Irgendwann wurde aus der Ohnmacht ein tiefer Schlaf, durchmischt mit Alpträumen, aber am nächsten Morgen wachte ich auf und konnte wieder alleine stehen und gehen. Die Geschehnisse, die Begegnung am Nachmittag zuvor schien wie in Watte getränkt und nur ein Traum gewesen.

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