Aufbruch in den frühen Morgenstunden

  • In den frühen Morgenstunden des ANTE DIEM VII KAL IUN im Jahre 855 seit Gründung unserer Stadt brachen wir auf zu einer Fahrt, die einmal mehr unser zukünftiges Schicksal besiegeln sollte. Das Wasser war noch eiskalt wie die Nacht und Helios hatte sich auch noch nicht blicken lassen am Himmel. Alexander hatte die Mannschaft früh geweckt. Im Hafen herrschte eine gespenstige Stille, Nur die sanften Wellen klatschten im harmonischen Takt gegen die Wand des Schiffes und wiegten es und die Mannschaft in eine zufriedene Lethargie. Ein frischer Wind blies aus der Hafenöffnung uns entgegen. Zu der brütenden Hitze am Tag beflügelte uns diese malerische Kälte und die langsam erwachende Sonne am Horizont unseren Kurs so schnell wie möglich aufzunehmen.
    In den letzten Wochen hatten wir mit der zum Teil neuen Besatzung die wichtigsten Manöver durchexerciert. Eines jedoch konnte man in dieser Zeit nicht üben - die Erfahrung. Erst wenn wir auf hoher See sein werden, fernab von allen Küsten und Häfen, wird sich zeigen, ob die Männer ihren Aufgaben gewachsen sind. Wenn es drauf ankommt und Geschwindigkeit gefordert ist, wird man sehen, ob sie dazu in der Lage sind.


    Langsam setzte sich die Aphrodite in Bewegung. Wie ein Schwan schob sie sich durch das grün schimmernde Wasser und ließ hinter ihr eine Spur der Einsamkeit.
    Als die Sonne gerade über dem Horizont hervorlugte, wölbte sich das majestätische Großsegel durch den einsetzenden Wind zu einem göttlichen Busen und trug es weiter in die Ewigkeit. Aphrodite ist uns hold. Ich wertete das als ein gutes Zeichen und unsere Reise konnte beginnen.

  • Diese schauderhafte Kälte. Diese verwaschende Dunkelheit. Ich zitterte am ganzen Körper. Das Wasser war schwarz und kalt hier im Hafen und die Tiefe, die es hinab ging, schien bedrohlicher als am warmen und sonnigen Tag. Ich räkelte mich in meinem Bett. Dann stand ich auf. Ein Aufbruch ins Ungewisse stand uns bevor. Die Fahrt würde lang. Land würden wir in den nächsten Wochen keines mehr sehen. Ob die Männer das so einfach verkraften. Noch waren sie jung und unerfahren. Sie wussten nicht, was auf sie zukommt. Aber wußte ich das denn ? Das Schicksal hat uns an viele Strände geführt und solange wir unter dem Schutz der Göttin segelten, haben wir jeden Sturm und jede Gefahr überlebt. Auch diesesmal vertraute ich auf den Schutz der Götter im allgemeinen und ihr im besonderen. Eine kleine Holzfigur, die ihr Abbild zeigte, stand auf einer Ablage. In vielen Stunden auf dem Meer hatte ich sie in einsamen Stunden aus einem Stück Holz geschnitzt. Jetzt mußte ich sie noch anmalen. Ich griff nach ihr und drückte die Figur eng an meine Brust. Dann stellte ich sie wieder zurück, streichelte dabei mit einem Finger über ihr zartes Köpfchen. Anschließend stand ich auf, wusch mich, steifte meine Tunika über und schnürrte meine caligae fest.


    Jetzt segelten wir schon eine halbe Stunde. Ganz klein war der Blick, von wo wir herkamen. Tarraco lag in weiter Ferne, klein wie eine Modellstadt lag sie da, umschlungen von klüftigen Höhen. Einige der Männer blickten sehnsuchtsvoll zurück. In ihren Gesichtern spiegelten sich ihre tiefen Empfindungen nach Heimat und Familie. Catilina merkte das. Sein Blick verriet Argwohn und Besorgnis gleichermaßen. Nicht ohne Grund wählte er unverheiratete Männer. Männer ohne feste Bindung, die das Abenteuer suchten und der Gefahr ins Auge blickten.
    Ich spürte, was er dachte. Man müßte die Männer beschäftigen und bei Laune halten, wenn man eine schlagkräftige Truppe haben wollte. Für solche Zwecke ließen wir dann auch schonmal den Laderaum komplett ausräumen, säubern und wieder einräumen, auch wenn überhaupt kein Bedarf dafür bestand. Es beschäftige die Männer und lenkte sie ab von ihrer Heimat und ihren sentimentalen Gefühlen.
    Aus diesem Grund trommelten wir alle verfügbaren Männer außer der Wachmannschaft zusammen.

  • Die Kälte der Nacht war gewichen und die Strahlen der Sonne blitzten wie millionen Lichter auf dem Meer. Ein leiser Westwind trieb uns voran und steuerte unserem Kurs entgegen. In der viel besungenen Einsamkeit der Meere fühlte ich mich wohl. Das Reich Poseidons, das für viele tollkühne Seefahrer ihre ewige Heimat war, ließ mich wohler und zufriedener fühlen. Der Meeresgott gewährte uns sichere Fahrt. Oder gönnte er sich heute nur eine Ruhepause ? Auch Äolus war uns gewogen. Seine Kräfte bliesen die Aphrodite auf 11 Knoten voran. Das war eine gute Geschwindigkeit, die mich erfreuen ließ. Bald würden wir die Balearides erreichen, eine römische Kolonie, auf der größtenteils romanisierte Spanier leben, als der Ausguck mehrere römische Schiffe meldete, die am Horizont auftauchten. Das war sicher nichts ungewöhnliches, pflasterten die Römer doch mit ihrer überdimensionierten Flotte das ganze mare nostrum, so daß es nahezu unmöglich war, ihnen nicht zu begegnen. Einem Kapitänskollegen soll dieses Kunststück tatsächlich einmal geglückt sein. Soviel man weiß wurde sein Schiff bei einem Überfall von Piraten heimgesucht.
    Je näher sie kamen, umso mehr sah man die Größe dieser Armada. Sie kamen unmittelbar auf uns zu. Jedes ihrer Schiffe war mit zwei Dutzend Ruderern ausgestattet, die in gleichmäßigen Takt die Schiffe durch das aufschäumende Wasser peitschten. Es war ein Anblick, daß einem das Herz in die Hose rutschen konnte. Die Männer waren sofort in höchste Alarmbereitschaft versetzt, während die Schiffe der Classis immer näher kamen. Der metallene Rammsporn am Bug der Schiffe glänzte in der Sonne und teile die aufschäumende Gischt. Derweil gab ich Befehl
    "Großsegel reffen !" Das Segel wurde eingeholt und wir verringerten unsere Fahrt. "Hoffentlich rammen sie uns nicht" sprach Alexander zu mir. Ich nickte ihm ernst zu. Ganz konnte ich seinen Humor in dieser Situation nicht teilen.
    Dann preschten auch schon die ersten Schiffe an uns vorbei. Die Schäge des Trommlers wurden immer lauter, das Klatschen der Ruderblätter in die aufgebauschte See drang in unsere Ohren. Die Männer standen an der Reling und gafften hinüber auf die vorbeirauschenden Schiffe. Die blanken Uniformen der Offiziere blitzten im Sonnenlicht. Die Aphrodite wurde durch die auftretenden Wellen hin und her geschaukelt. Einer der römischen Offiziere auf der Brücke hob die Hand zum freundschaftlichen Gruß, bis er wieder verschwand aus unserem Blickwinkel.
    Das ganze Spektakel dauerte fünf Minuten bis alles wieder vorbei war und wir unsere Fahrt wieder aufnehmen konnten.

  • Was war denn das ? sprach ich verblüfft. War das die gesamte römische Flotte auf ihrem Weg nach Hispania ? Ich blickte noch zurück und sah eine lange Furche, die die römischen Schiffe durch das mare nostrum zogen. Hinter ihnen kräuselten sich kleine Wellen bis sie sich allmählich wieder glätteten.
    Vorne lag unser Ziel und deshalb drehte ich mich wieder um, wo die ebenso erstaunten Männer so eben wieder sich aufrafften und in der Takelage hingen, Segel setzend. doch als hätten die römischen Schiffe die ganze Kraft des Windes aufgebraucht, hatte Äolus offensichtlich keine Lust mehr. Die Segel hingen schlaff hinunter. Flaute ! sprach ich es aus und presste dabei die Lippen zusammen aus Ärgernis, sowie aus Hilflosigkeit. Bei einer Flaute war so gut wie nichts zu machen. Wir lockerten das Segel zwar und ließen den Baum halb über das Meer raushängen, aber ohne Wind kam selbst der beste Seemann nicht weit. Manchmal erwischt es einen schon plötzlich und dann hängt man fest und hofft auf Besserung. In dieser Wartezeit passt sich dann meistens an die Trägheit der Segel die Schlaffheit der Besatzung an. Catilina bat mich unter Deck. Er schien etwas mit mir zu bereden wollen.


  • Logbucheintrag vom ANTE DIEM V KAL IUN DCCCLV A.U.C.


    Schon der dritte Tag hintereinander mit der Flaute. Die Temperaturen sind hoch, die Winde gering. In diesem Tempo erreichen wir unser Ziel niemals. Ich habe ein Opfer für Äolus abgehalten. Die ganze Besatzung war erschienen, aber der Gott lässt uns im Stich. Welch' eigenartiges Wesen sie doch besitzen, diese Götter. Mal helfen sie einem, mal sind sie einem der schlimmste Feind. Poseidon hat sich auch nicht mehr lange blicken lassen. Die See ist so ruhig und so glatt wie ein Spiegel.
    Ein ernsthaftes Problem sind die Nahrungsvorräte. Durch den Zeitverlust verbauchen wir mehr Nahrung als wir kalkuliert hatten. Die Portionen werden schon stark proportioniert. Unser Proviantmeister achtet darauf sehr streng. Die Besatzung verhält sich noch ruhig. Aber ich befürchte, daß wir in einem der nächsten Hafen Proviant aufladen müssen. Die Phöniker werden dafür aufkommen müssen.
    Ich habe mir von unserem Proviantmeister eine Liste der vorhandenen Nahrungsmittel bringen lassen. Danach verfügen wir noch über 20 kg Rindfleisch und 7 kg Schweinefleisch, 2 Fässer Mehl, 5 Amphoren billigen Fusel, 8 Fässer Trinkwasser und 2 Kisten Obst. Nach meinen Berechnungen dürfte das noch für schätzungsweise zwei Wochen reichen. Bei anhaltender Flaute könnten wir die Ecke um Carthago bis dahin erreicht haben. Wenn sich die Flaute aber legen sollte und gute Windverhältnisse vorliegen, dürften wir dann schon um Italia herum sein. Diese Hoffnung hege ich allerdings nur bedingt, denn meine Blicke zum Himmel in den letzten Tagen ließen mich zu anderen Ergebnissen kommen und es nicht abzusehen, wann Besserung auftrete.
    Vor einigen Tagen begegneten wir dann einem kleinen Kutter, der ein wenig zu weit von der Küste abgedrifftet zu sein schien. Aufgrund seiner geringen Größe hatte er unter der Windlosigkeit weniger zu leiden als wir. Er berichtete uns von neuesten Entwicklungen auf Palma, von wo er komme und wo er wieder hinwolle. Angeblich sei ein Attentat verübt worden auf die hiesigen Magistrate während der Feierlichkeiten zu Ehren des Gottes Vulcanos am ANTE DIEM X KAL IUN DCCCLV A.U.C.. Jedenfalls sei der Regionarius von Hispania bereits unterwegs um die Sache aufzuklären. Er verabschiedete sich dann von uns und segelte weiter.


    Geschwindigkeit: 1-2 Knoten



    Secundus Ferrius Catilina
    Kapitän der 'Aphrodite'

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