• Wenn ich natürlich auch nicht so empfindlich war wie so mancher Frauenmagen, war ich doch froh, als meine Schiffs-Überfahrt in Ostia an ihr Ende kam und ich wieder festes Land betreten konnte. "Treu ist die Erde, untreu das Meer", wie die Griechen so schön zu sagen pflegen, in deren Landen ich soeben meine Studien beendet hatte. Nun hatte mich also italischer Boden wieder, und ich war gespannt, ob und wie es mir gelingen würde, meine neu erworbenen Kenntnisse in den Dienst des Kaisers und nicht zuletzt unserer Familie zu stellen.


    Diesen Gedanken und so mancher Erinnerung an meine Studienzeit in Athen hing ich nach, als der Reisewagen, den meine Sklaven in Ostias Hafen sofort für mich herbeigeschafft hatten, von zwei kräftigen Rappen durch die italische Landschaft gezogen wurde. Ich genoss die Zugluft durch die geöffnete Fensterklappe, denn um diese Jahreszeit brannte die Sonne betäubend auf Italias Fluren nieder. Mir grauste es aus diesem Grund auch schon ein bisschen vor den engen Gassen Roms, durch die wir uns noch bis zur Villa Aurelia würden quälen müssen.


    Zum Glück organisierten meine findigen Sklaven kurz vor den Toren Roms noch eine recht geräumige Sänfte, auch wenn das neuerliche Aus- und Einsteigen und das Verladen des Gepäcks, das ich nun doch nicht ganz aus den Augen lassen wollte, mich ein wenig zu nerven begann. Wenigstens bot mir die Sänfte im Inneren einiges an Komfort und zum Glück auch den Platz dafür, dass ein Sklave noch einmal nach meiner Frisur sah und einige neu gewachsene Stoppeln an meinem Kinn entfernte. Ich wollte auf jeden Fall einen guten Eindruck machen bei meiner Ankunft in Rom.


    Mit den letzten kosmetischen Verschönerungen verging mir die Zeit in der Sänfte schnell, so dass ich schon ein wenig verwundert war, als mich ein Sklave darauf aufmerksam machte, dass die Villa Aurelia bereits in Sichtweite war. So hatte ich also an meinem ersten Tag in der ewigen Stadt nichts von ihr gesehen!


    Meine Aufmerksamkeit richtete sich aber in diesen Momenten auch ganz und gar auf die Begegnungen, die sicherlich gleich stattfinden würden. Wen würde ich hier in Rom von unserer Gens antreffen? In den letzten Wochen und Monaten waren die Nachrichten immer spärlicher geworden, so dass ich dem Sklaven auch mit einer gewissen Unruhe das Zeichen dafür gab, an der Tür der Villa Aurelia in Rom zu


    KLOPFEN.

  • Leone war am heutigen Tag zum Türdienst eingeteilt, weil der Ianitor kurzfristig erkrankt war. Er mochte diese Tätigkeit nicht sonderlich leiden, weil er ansonsten mit anspruchsvolleren Aufgaben betraut war. Auch unter Sklaven gab es eine Art Rangverhalten. Mürrisch schlurfte er zur Porta. Die Tür flog mehr auf, als dass sie geöffnet wurde.


    "Salve", brummte er und betrachtete den vor ihm stehenden Sklaven. Er sah sich nicht genötigt, das Wort zu ergreifen, sondern verschränkte die Arme. Sein Blick wanderte zu der Sänfte, die immerhin einen nicht unbedeutenden Besucher erwarten ließ. Er löste die Arme und sah den Sklaven erneut an. "Ich höre."

  • Der Sklave des Cotta wunderte sich nicht wenig über das seltsame und überhebliche Betragen des Ianitors. Offenbar war dieser auf diesem Posten noch neu; einem geübten Ianitoren-Auge wäre nämlich nie und nimmer entgangen, dass in einer solchen Sänfte, wie sie jetzt vor der Porta der Villa Aurelia stand, nur eine hochgestellte Persönlichkeit sitzen konnte, der gegenüber verschränkte Arme und kurz angebundene Redeweise alles andere als angebracht war. :P


    Cottas Sklave war bestrebt, seinem Ianitoren-Kollegen ein Vorbild zu sein. Außerdem wollte er sich in Hörweite seines Dominus natürlich keine Blöße geben. So sagte er:


    "In der Sänfte, die du hinter mir siehst, sitzt mein Dominus Appius Aurelius Cotta."


    Dies würde doch sicher seine Wirkung nicht verfehlen!

  • Die Erklärung verfehlte tatsächlich ihre Wirkung nicht. Leone gab die respektlose Haltung schnell auf.


    "Oh, der Herr Cotta. Es wird sofort alles für ihn vorbereitet werden. Ich muss aber gleich einschränkend sagen, dass sich derzeit niemand in der Villa aufhält außer der kleinen Domina Sisenna, die vom Personal betreut wird."


    Er wartete nicht erst auf die Antwort des Sklaven, sondern rief in die Villa, man möge Bad, Zimmer und Essen bereiten.

  • Selbstverständlich hatte ich mich während des Wortwechsels zwischen den beiden Sklaven im Inneren der Sänfte völlig ruhig verhalten und meine Ungeduld und Unruhe durch kein Geräusch verraten. Glücklicherweise hatten die zwei Servi die wesentlichen Dinge ja auch schnell geklärt, so dass ich nach der anstrengenden Anreise mit dem mehrmaligen Umsteigen nun nicht auch noch eine Streiterei zwischen Sklaven mitanhören musste.


    Mit einem Ruck erhob ich mich und entstieg der Sänfte. Einen Moment lang nahm mich der überwältigende Anblick der Villa ganz in Beschlag, die nichts von ihrer Schönheit eingebüßt hatte. Aus meiner Bewunderung wurde ich allerdings abrupt gerissen, als ich einige Wortfetzen des Ianitor-Sklaven mitbekam: "in der Villa hält sich derzeit niemand auf außer der kleinen Domina Sisenna"? "- die vom Personal betreut wird"?


    Ich mochte nicht glauben, was ich da hörte. Unwillkürlich blieb ich stehen und konnte nicht umhin, den Ianitor-Sklaven anzusprechen.


    "Sag, ist das wahr, was du gerade erzählt hast? Niemand ist hier außer Sisenna?"


    Fast hätte ich noch all die weiteren Fragen, die mich in diesem Augenblick bedrängten, an den Ianitor-Sklaven gestellt. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich jedoch besinnen.


    "Schick mir sofort jemanden ins Atrium, der mir Auskunft über diese Angelegenheiten geben kann!"

  • Noch während der kurzen Absprache zwischen den Sklaven trat Aurelius hinzu. Leone wandte ihm sofort seine Aufmerksamkeit zu.


    "Keiner der Herrschaften, Herr Cotta", antwortete Leone umgehend. Er stand abwartend, weil es aussah, als wollte Aurelius noch etwas sagen.


    "Sehr wohl, Herr", entgegnete er auf den Wunsch, jemand in das Atrium zu schicken, fragte sich aber sogleich, wen er entsenden konnte. Es gab nur die Sklaven, selbst der Verwalter weilte nicht hier, sondern im Rennbetrieb. Grüblerisch stand er und wartete auf weitere Anweisungen.

  • Ich wollte schon in Richtung Atrium gehen, da ich mich an den Weg dorthin von meinem letzten Besuch in der Villa Aurelia in Rom her noch dunkel erinnerte. Irgendetwas hielt mich jedoch zurück. Dies war natürlich zum Einen meine Bestürzung ob der kaum glaublichen Nachrichten, die ich soeben erhalten hatte. Zum Anderen schien irgend etwas mit diesem Ianitoren nicht zu stimmen; er sah mich so seltsam an.


    Ich bemühte mich, Energie in meine Stimme zu legen, um hier nicht sofort eine schlechte Figur zu machen; was dann herauskam, überdeckte meine Unsicherheit jedoch nur schlecht.


    "Gibt es noch etwas?"


    Eine kurze Pause entstand, in der mich mehr und mehr ein böses Gefühl beschlich, das ich nicht näher hätte beschreiben können. In mir wuchs jedoch die Gewissheit, dass hier in Rom mit der Familie irgendetwas nicht in Ordnung war.


    "Ich frage dich: Gibt es sonst noch etwas, was ich jetzt sofort wissen müsste?"

  • Leone war unbehaglich zumute, aber letztlich konnte ja er nichts dafür, wenn die Villa in Rom verwaist war.


    "Derzeit sorgen hier einzig eine geringe Anzahl an Sklaven dafür, dass die Villa bis zum Eintreffen der Herrschaften gepflegt bleibt. Die Herrin Sisenna traf überraschend ein, wir mussten uns behelfen. Der Herr Corvinus leistet derzeit noch sein Tribunat in Germanien ab. Die Herrinnen Deandra und Helena haben ihn begleitet. Die weiter entfernte Verwandtschaft hält sich nicht in Italia auf", gab er zu Antwort, ohne eine Miene zu verziehen. Eine eigene Meinung stand ihm nicht zu.

  • Während der Ianitor seine Erklärungen abgab, hatten sich meine Augen unwillkürlich geweitet. Ich muss diesen Sklaven wohl mit ziemlichem Entsetzen angeblickt haben und schaute deshalb auch rasch zur Seite, nachdem er geendet hatte. Dass Corvinus mit Deandra und Helena in Mogontiacum weilte, war mir natürlich bekannt gewesen; dass die Verhältnisse hier in Rom aber derartig schlecht standen, erschütterte mich.


    Unwillkürlich blickte ich an der Fassade der Villa Aurelia hoch, die mich noch wenige Augenblicke zuvor so gefangen genommen hatte. Wie mochte es drinnen aussehen, wenn, wie der Ianitor gesagt hatte, nur wenige Sklaven für die Villa sorgten - vom Hortus ganz zu schweigen?


    Dies alles aber war jetzt eigentlich nebensächlich. In meinem Kopf drängten sich die Gedanken und mehr noch die Fragen, vor allem eine, die mir die ganze Zeit schon auf der Zunge lag. Bevor ich sie aber stellte, wollte ich doch noch die Zuständigkeiten ein für allemal abgeklärt wissen. Denn auch wenn der erste Eindruck, den dieser Sklave mit seinen dürftigen Begrüßungsworten auf mich gemacht hatte, nicht erfreulich gewesen war, so hatte ich nun, da er mir Auskunft gegeben hatte, das Gefühl, dass er sich in den Angelegenheiten des Hauses und der Gens durchaus auskannte. Wer weiß, vielleicht hatte sich dieser energische Ianitor in der Abwesenheit aller erwachsenen Aurelier zu einer Art Hausverwalter aufgeschwungen. Ich sah ihn wieder an:


    "Wo finde ich denn den Hausverwalter? Oder hast du diese Funktion inne? - Wie ist übrigens dein Name?"

  • "Mein Name ist Leone, Herr. Ich habe derzeit das Amt des Hausverwalters inne, aber normalerweise ist dafür Faustus zuständig. Der aber hält sich derzeit im Rennstall auf, weil auch dieser Betrieb ohne die eigentliche Führung ist. Ein Teil der Verantwortlichen ist zu den Spielen nach Germanien gereist, weil dort zwei Gespanne gestartet sind."


    Leone fühlte sich etwas unwohl, weil sie die Unterhaltung noch immer an der Tür führten, aber es lag nicht an ihm, und eine Aufforderung hineinzugehen, käme ihm nicht angemessen vor.

  • Nach all dem, was Leone - wie der Hausverwalter also hieß - mir nun erzählt hatte, konnten mich auch seine Auskünfte über den verwaisten Rennstall nicht weiter aus der Fassung bringen. Dennoch verspürte ich in mir nun den immer dringenderen Wunsch, nach all diesen furchtbaren Botschaften und nicht zuletzt auch den Strapazen der Reise mich endlich zu setzen. Da nun ja auch die Zuständigkeiten geklärt waren, wollte ich schon die entsprechende Anweisung erteilen, mich ins Atrium zu führen, als mir plötzlich ein Gedanke kam.


    "Leone, weilt die Herrin Sisenna in diesem Moment im Hause?"


    Natürlich wollte ich mit dem Hausverwalter noch weiter sprechen; die eigentlichen und entscheidenden Fragen, die ich ihm stellen musste, standen ja noch aus. Nach allem, was ich bisher gehört hatte, musste ich davon ausgehen, dabei weitere bedrückende Nachrichten in Erfahrung zu bringen. Ich wollte daher verhindern, dass die kleine Sisenna Zeugin dieses Gesprächs werden würde. Und weil ich mich aus eigenen Kindertagen noch recht gut daran erinnern konnte, wie findig Kinder sein konnten, wenn es darum ging, Erwachsene zu belauschen, wollte ich diese Möglichkeit ausgeschlossen wissen. Ich wandte mich daher erneut an Leone.


    "Wenn sie nämlich hier ist ... Führe mich in einen Raum, in dem wir möglichst unbemerkt von ihr alles besprechen können. Vielleicht in ein Officium? Dann könnte ich mir gleich Notizen machen."


    ... und dann schnellstmöglich an Corvinus nach Mogontiacum schreiben. Und noch etwas fiel mir ein:


    "Lass auch die Post, die sich hier gesammelt hat, dann zu mir bringen, ebenso die letzten Ausgaben der Acta Diurna. - Und eine Erfrischung wäre nicht schlecht."

  • Leone kratzte sich nachdenklich an der nubischen Schläfe. Er hatte die Kekskrümel im tablinium beseitigen lassen, Sisennas Spielzeug aufgeräumt, die Möbel im Altarraum wieder an die richtige Stelle gerückt, die Blütenblätterschiffchen aus dem impluvium gefischt, einen Sklaven mit gestauchtem Finger verarzten lassen, nochmals Sisennas Spielzeug aufgeräumt, den Befehl erteilt, die junge Dame entlich zu waschen und anzukleiden - und seitdem kein Ungemach mehr feststellen können, was bedeutete, dass sie entweder tatsächlich noch auf ihrem Zimmer war, oder aber ausgebüchst.


    Der Nubier wurde aus seinem Grübeln gerissen, als der Herr weiter sprach. In ein offivium wollte er. Hm...nächste Schwierigkeit. "Äh, es gibt derzeit nur drei eingerichtete officii, Herr. Das des Sophus, des Cicero und des Corvinus. In welches wünschst du, gebracht zu werden? Ich gehe dann gleich nachsehen, wo sich die kleine Hex.....Sisenna gerade herumtr...aufhält", entgegnete er pflichtbewusst und nickte. Sogleich erfolgten weitere Aufträge. Ein officium servieren, den Herrn in die Acta bringen, die gesammelten Sisennas holen, eine Erfrischung kredenzen. Oder so. Leone nickte zerstreut und würde die drei (er konnte nämlich nur bis drei zählen) Aufgaben gewissenhaft erledigen.


    "Jawohl, mein Herr", sagte er also und ging vor Cotta her zu Corvinus' Büroraum. Dort öffnete er dem Herren die Tür und dann verschwand er, um die kleine Hexe aufzutreiben.

  • Eine beschwerliche Weg und ein noch beschwerlicherer Reise lagen hinter mir, als ich mich, auf einer Sänfte getragen, dem Anwesen meiner Familie näherte. Daran, dass der Weg von Ostia bis zur Villa Aurelia so lang war, konnte ich mich gar nicht mehr erinnern. Zu lang war ich fort gewesen und zu wenige Erinnerungen an die Tage in der Heimat waren in den Jahren vor mein Auge getreten. Aber, nach allem philosophieren in der hellenischen Ferne wusste mein Herz eines, wo die Heimat war. Mit den heimatlichen Gefühlen kamen auch die Erinnerungen zurück, an eigene Werte, an eigene Herkunft und an die Familie.
    Es war ein sehr heißer Tag und alles Schatten spenden und alles Fächern half nichts. Die Schweißperlen rannen mir aus der Haut, tropften an mir herunter und verursachten mit der Zeit einen unangenehmen Geruch, welchen ich nun selbst bereits bemerkte.
    Wie war das noch, den Philophen erkennt man an seinem langen Bart und seinem ungepflegten Äußeren? Wer hat das gesagt, hat das überhaupt jemand gesagt oder ist das eine Irrung durch die Sonne? Wie dem auch sei, dem Janitor wird das Bild, welches ich abgebe sicherlich verwunden, wenn er meinen Gentilnamen hört, zu Recht!


    Einem der Sänftenträger wollte ich das Klopfen nicht überlassen. Ich wollte nicht sehen, wie irgend jemand vor meinen Augen an diese Tür klopft. Ich entstieg der Sänfte und schritt zu Tür. Dabei nahm ich die Reize der Umgebung auf und ließ sie einen Moment wirken, strich im Anschluss mit der Handinnenseite an der Tür entlang und fühle mich zu Hause. Ich klopfte.

  • Die Ankunft des Boten, den der Herr Aurelius Corvinus aus Mogontiacum geschickt hatte, vor allem aber natürlich die Ankunft der bezaubernden Sklavin Cadhla waren mir eine Lehre gewesen: Dass ich sie verpasst hatte, wurmte mich. Nicht zu Unrecht, wie ich meinte, hielt ich mir viel zugute darauf, dass mir normalerweise nichts entging.


    Da mein Herr Cotta in diesen ersten Tagen in der Villa Aurelia in Roma viel alleine arbeitete und ohnehin noch sehr mit Sisenna beschäftigt war, hatte ich oft Phasen des Leerlaufs. In diesen hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, ab und an bei der Porta nach dem Rechten zu sehen - wer wusste schon, welches elfengleiche Sklavenwesen mir da so in die Arme schweben würde.


    Aus solchen schönen Träumen riss mich an einem frühen Nachmittag ein Geräusch. Sollte es jetzt mal tatsächlich an der Porta der Villa Aurelia geklopft haben? Ich zögerte nicht zu öffnen, natürlich begleitet von dem beruhigenden Wissen um meine exzellenten Manieren.


    Allerdings konnte ich natürlich auch ganz anders, und als ich den Mann, der da vor mir an der Porta stand, in Augenschein nahm, überlegte ich einen Moment, ob ich statt der ausgesuchten Manieren nicht einen ganz anderen Tonfall annehmen sollte. Es bändigte mich dann allerdings das mahnende Wort, das mir mein Dominus Cotta beinahe jeden Tag vorsagte wie ein Gebet: "Maron, wir sind hier nicht mehr in Athen." Also gut, ich wollte der Gens Aurelia und besonders meinem Herrn natürlich auch keine Schande machen. Daher fasste ich mich und sagte zu dem seltsamen Besucher: "Salve! Du stehst hier an der Porta der Villa Aurelia. Was ist dein Begehr?"

  • Auf das Klopfen hin begab sich Leone sofort zur Porta und öffnete. Der würdevolle Herr, der gekommen war, war ihm durchaus kein Unbekannter; es musste sich um Didius Albinus handeln, dessen Kommen der Herr Cotta angekündigt hatte und der auch nicht zum erste Male zu Gast in der Villa Aurelia war.


    "Salve! Du bist der comes Quintus Didius Albinus, nicht wahr? Dominus Aurelius Cotta erwartet dein Kommen. Ich darf dich ins Atrium geleiten."

  • Zitat

    Original von Maron
    Aus solchen schönen Träumen riss mich an einem frühen Nachmittag ein Geräusch. Sollte es jetzt mal tatsächlich an der Porta der Villa Aurelia geklopft haben? Ich zögerte nicht zu öffnen, natürlich begleitet von dem beruhigenden Wissen um meine exzellenten Manieren.


    Allerdings konnte ich natürlich auch ganz anders, und als ich den Mann, der da vor mir an der Porta stand, in Augenschein nahm, überlegte ich einen Moment, ob ich statt der ausgesuchten Manieren nicht einen ganz anderen Tonfall annehmen sollte. Es bändigte mich dann allerdings das mahnende Wort, das mir mein Dominus Cotta beinahe jeden Tag vorsagte wie ein Gebet: "Maron, wir sind hier nicht mehr in Athen." Also gut, ich wollte der Gens Aurelia und besonders meinem Herrn natürlich auch keine Schande machen. Daher fasste ich mich und sagte zu dem seltsamen Besucher: "Salve! Du stehst hier an der Porta der Villa Aurelia. Was ist dein Begehr?"


    Schritte waren zu vernehmen und ich strich mir noch einmal die Haare nach hinten und wischte in schnellen Zügen über mein Gewand und zupfte daran herum.
    Wie ich es dachte ging von dem öffnenden Sklaven ein Unbehagen aus, welches durch meine Erscheinungsform in selbstverständlicher Weise zurückzuführen war. Die aurelischen Sklaven waren schon immer von besonderem Verstande und zu besonders gutem Verhalten erzogen. Seine Worte klangen jedoch wie Balsam auf der Seele. „Aurelia“ hatte er gesagt. Was für ein schönes Wort! Sein eigener Name ist eigentlich etwas selbstverständliches, aber die meisten Dinge lernt man erst dann schätzen, wenn man sie nicht mehr hat. Lange hatte ich diesen Namen nicht mehr gehört, geschweige benutzt. In Griechenland war ich bloß Lupus. Aber hier war ich zu Haus, hier gehörte ich hin, hier wo dieser Name benutzt wird.
    Meine Lippen versuchten zu lächeln, was ihnen aber nur schwerlich gelang und ihnen auch anzusehen gewesen sein dürfte. Durch die Jahre der Gemütsruhe war diese Körperregion nur selten benutzt worden. Trotz der Hitze und des trockenen Mundes gelang es mir in sanfter Weise zu sagen:


    „Das ist sehr schön! Würdest du mich bitte anmelden. Mein Name ist L. Aurelius Lupus.“

  • Lucius Aurelius Lupus? In meinem Kopf begann es zu arbeiten. Lupus, Lupus .... Ja, irgendwie kam mir dieser Name bekannt vor. Ich meinte, dass mein Herr ihn irgendwann einmal erwähnt hatte, allerdings schon vor langer, langer Zeit noch in Achaia. Und jetzt wusste ich natürlich nicht, wo ich ihn hinstecken sollte.


    Ausgerechnet in dieser Stunde war Aurelius Cotta auch ausgegangen, so dass ich den Mann hier vor mir auch nicht an der Porta stehen lassen konnte, um meinen Herrn nach ihm zu fragen. Und diesen Leone wollte ich nicht fragen.


    Andererseits ... nach einem Aurelius sah dieser Mann hier vor mir nicht aus, ganz im Gegenteil: die abgerissene Kleidung, die ungepflegten Haare - ach, mit dieser Aufzählung hätte ich noch endlos fortfahren können, während ich ihn naserümpfend musterte. Dass ein Mann sich so gehen lassen konnte! Oder war er etwa überfallen worden? Misstrauisch tastete ich mich vor. "Von den Mitgliedern der gens Aurelia weilt im Moment nur mein dominus Appius Aurelius Cotta hier in Roma. Er befindet sich zur Stunde allerdings außer Hause." Lauernd sah ich ihn an.

  • Cotta? Lange war es, dass wir uns gegenüberstanden, sehr lange. Ich hielt es für nicht unwahrscheinlich, dass auch er mich an meinem Äußeren nicht erkennen würde, sondern höchstens an der Stimme. Würde ich ihn wiedererkennen? Er wird sich sicherlich auch verändert haben, wahrscheinlich nicht so sehr wie ich, aber wir alle verändern uns doch im Laufe der Zeit.
    Nur er ist in Rom. Heißt das, dass die anderen Aurelier in diversen Ämtern im gesamten Imperium tätig sind und er eines in der Hauptstadt bekleidet? So hört es sich an.


    Wie dem auch sei. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich den Sklaven von meiner Herkunft überzeugen könnte. Gewiss hielt er mich für einen Bettler, der sich durchschmarutzen wollte und auf eine Mahlzeit hoffte. Mit Autorität würde ich diesem Sklaven nicht überzeugen können, diese könnte sich auch ein verarmter angeeignet haben. Befehlen mich hineinzulassen könnte ich auch nicht. An seiner Stelle würde ich auch niemanden in das Haus lassen. Also was nun? Ließe er mich hier stehen, wäre dies ein unschöner Anblick für dieses Haus. Käme ich später wieder, liefe ich Gefahr, dass Cotta zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht anwesend sein würde. Hm.


    „Natürlich wird dir diese Erscheinung, eines Aureliers unwürdig erscheinen. Jedoch bitt‘ ich dich zu berücksichtigen, dass mich, wie du siehst, eine Sänfte zu diesem Hause trug. Sollte ich geringe Absichten vertreten und mich eines Namens bemächtigen, welcher nicht der meine ist, wäre ich nicht auf diese Art und Weise erschienen. So bitt ich dich nun mich einzulassen und mir einen Platz zu geben, wo ich auf deinen Herren warten kann und wir diese Angelegenheit klären können.“


    Natürlich könnte ich ihm Gründe für mein Aussehen nennen, aber mich vor einem Sklaven zu rechtfertigen verbietet meine Abstammung.

  • Tiefe Melancholie drohte mich zu befallen, als die abgerissene Erscheinung vor mir die Sänfte erwähnte, mit der sie gekommen sein wollte: Ja, in einiger Entfernung hinter dem Mann stand tatsächlich - eine Sänfte! Soweit also hatte mich das Alter schon heruntergebracht, dass meine Augen nicht nur ihren Adlerblick verloren hatten, sondern so schwach geworden waren, dass ich nicht einmal mehr solche Gegenstände erkennen konnte? Entsetzt sah ich mich selber vor meinem geistigen Auge: ohne Haare, ohne Zähne, sabbernd und mit stumpfen Augen. Wäre ich doch mit meinem dominus zum Opfern in den Tempel gegangen! Noch war es Zeit, auf meine alten Tage fromm zu werden ...


    In solcherlei trübsinnige Gedanken vertieft, hätte ich fast den Mann vor mir an der Porta vergessen. In einer Sänfte war er also gekommen, das hieß, dass er mindestens über einige finanzielle Mittel verfügen musste. Außerdem deutete seine Ausdrucksweise auf eine gute Erziehung hin. - Wer immer er also sein mochte, er war kein "Niemand".


    Ich musste eine Entscheidung treffen, denn ihn länger hinzuhalten, kam nicht in Frage. Da hatte ich eine Idee. "Du kannst auf Aurelius Cotta in der villa warten; seine Rückkehr dürfte eigentlich auch kurz bevorstehen. Aurelius Cotta wird dich empfangen, aber", und das sagte ich nun leiser, aber umso eindringlicher zu ihm, damit mich das Bürschen auch ja richtig verstand, "aber nicht so", wobei ich ihn überdeutlich von oben bis unten musterte. "Du bekommst hier ein Bad." Dies erklärte ich in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. Daher hielt ich es auch nicht für nötig, auf eine Antwort zu warten, sondern drehte mich um und schritt dem Vagabunden voran ins balneum, nicht ohne unterwegs Leone Bescheid zu geben, alles herzurichten für das Bad des - wie hatte er gesagt? - Lucius Aurelius Lupus.

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