• Sporus gab den Brief an Tacitus weiter. "Bitte Yunzi, kannst du mir den Brief Vorlesen? Ich habe das nicht gelernt."


    Mein süßer Sporus

    Lass dir diese Zeile vorlesen, weil du selbst ja nicht lesen kannst. Oberhaupt kannst du so gut wie nichts. Meine Entscheidung, aus dir einen Eunuchen zu machen, war meine beste Entscheidung. Deine Vorzüge werden so auf ewig bestehen. Du bist ein hübscher Jüngling, und solltest es auch bleiben. Deine Begabungen als Eromenos sind überwältigend. Aber zu mehr reicht es nicht. Du kannst weder lesen, noch schreiben, geschweige denn musizieren oder singen. Etwas vortanzen, um mich und meine Freunde zu belustigen und zu erregen, das beherrschst du aber auch. Deshalb habe ich mich entschlossen, dich nicht, wie meine anderen Sklaven freizulassen. Du wirst weiter als Sklave und Eromenos arbeiten.

    Das Kästchen ist für dich, mein Sporus. Darin befindet sich etwas, was du seit vielen Jahren vermisst hast.

    Vale, Aulus Aurelius Pinus

  • "Alles zu seiner Zeit," sagte ich zu Sporus. Dann nahm ich erst einmal das Schreibzeug, verfasste eine kurze Botschaft und beschriftete die Rückseite mit Namen und wo diese zu finden waren. Das gab ich dem Sklaven an der Porta zurück. "Schicke einen Boten zu diesen Personen. Der Bote sollte lesen und schreiben können. Sobald er mit den entsprechenden Personen zurück ist, werden wir uns darum kümmern, dass das Erbe ordnungsgemäß verteilt wird." Meine ganze Körpersprache zeigte, dass ich keinen Widerspruch duldete. "Los!"


    Während ich das Schreiben von Sporus nahm, sprach ich zu dem Aemilier. "Deine Meinung zu uns Juristen ist deine Meinung, aber vor dem Gesetz und auch hier ohne Belang." Meine Stimme war kühl und emotionslos. Die folgenden Worte jedoch sprach ich höflich, fast schon freundschaftlich. "Allerdings gebe ich dir einen gut gemeinten Rat - sogar ganz kostenlos. Zu behaupten, dass sich einen angesehene Gens wie die Aemilii einfach nimmt, was ihr gefällt, ist bestenfalls rufschädigend und schlimmstenfalls ruft es die Prätorianer auf den Plan. Warum ist es rufschädigend? Weil eine offen zur Schau getragene Missachtung der Gesetze, die eine patrizische Gens in ihren Methoden Räubern und Dieben gleichstellt, unangebracht und dem Mos Maiorum entgegenstehend ist. Warum könnte es die Prätorianer auf den Plan rufen? Weil eine patrizische Gens, die sich nicht an die Gesetze hält und sich willkürlich und unberechtigt Dinge aneignet, eine Gefahr für den öffentlichen Frieden ist. Daher also mein Rat, solche Aussagen zu unterlassen." Nach einer kurzen rhetorischen Pause sprach ich weiter, diesmal aber wieder kühl und emotionslos. "Was mögliche Geschäfte anbetrifft, ist im Moment sicher der falsche Zeitpunkt. Ich muss ein Erbe regeln. Danach können wir weitersehen." Dass er einen Juristen wahrscheinlich nötig hatte, daran hatte ich keinen Zweifel.


    Ich fragte mich, warum ich eigentlich schon wieder ein Erbe regeln musste. Aber das war wohl im Moment mein Schicksal.


    Dann las ich kurz den Brief durch und wandte mich an Sporus. "Ich bin mir nicht sicher, ob du den Inhalt hören möchtest. Es sind vor allem Herabsetzungen deiner Person. Das Kästchen dort ist übrigens für dich. Es sei etwas darin, was du seit vielen Jahren vermisst hast." Kurz dachte ich nach. "Irgendwie habe ich dabei ein ungutes Gefühl."

  • Sporus nahm das Kästchen. Es war ein hübsch gestaltetes Kästchen aus Holz, sogar etwas edel. Sporus öffnete es langsam. Es war schwer zu erkennen, was da eigentlich drin war. Etwas Einbalsamiertes. Sporus schaute genauer hin und erschrak. Er war geschockt. Aulus hatte es geschafft, in seinem Tode Sporus noch extremst zu demütigen und zu verletzten. In dem Kästchen war säuberlich einbalsamiert Sporus`s Gemächt. Sporus schrie auf, "Dieser wahnsinnige Mann", schrie er verzweifelt. "Die Götter mögen ihn verfluchen!" schrie er weiter. Dann beruhigte er sich etwas. "Verzeih mir, Yunzi. Ich bin laut geworden", sagte er leise und verzweifelt. "Verzeih mir....." Er gab das Kästchen Tacitus, damit er auch rein schauen konnte. Dann brach er heulend zusammen.

  • Ich warf einen kurzen Blick in das Kästchen und schloss es dann schnell wieder. So gut meine Selbstbeherrschung auch war, nun konnte man auf meinem Antlitz Entsetzen und Ekel erkennen. Zumindest für einen Moment. Diese Wirkung hatte nicht nur das, was ich sah, sondern vor allem auch die Tatsache, dass sich Aurelius Pinus damit selbst entehrt hatte. Ein Teil von mir wollte das auch so belassen, aber das konfuzianische Denken gewann die Oberhand. "Es gibt nichts zu verzeihen, Sporus," sagte ich leise. Dann wandte ich mich an den aurelischen Sklaven, der mich empfangen hatte. "Falls es noch nicht geschehen ist, soll der verstorbene Aurelius Pinus gewaschen und einbalsamiert werden. Er soll in eine gute Tunika und die Toga gekleidet werden und im Atrium aufgebahrt werden. Die Klienten der Gens Aurelia sind zu informieren und sollen ihm die letzte Ehre erweisen. Außerdem soll in sieben Tagen eine Pompa von hier zum Ort der Einäscherung stattfinden und er soll ein angemessenes Grabmal an der Via Appia erhalten. Ist das verstanden?"


    Danach las ich noch einmal den Brief durch. Und noch einmal. "Deshalb habe ich mich entschlossen, dich nicht, wie meine anderen Sklaven freizulassen... nicht, wie meine anderen Sklaven... freilassen..." murmelte ich die Worte des Briefes. Ich sah Amytis an. "Du bist frei. Ebenso wie alle anderen Sklaven, die sich zum Zeitpunkt seines Todes im persönlichen Eigentum des Verstorbenen befunden hatten." Die Worte waren laut und deutlich ausgesprochen. Passanten auf der Straße blieben stehen und sahen zu uns. Langsam bildete sich eine Traube von Menschen vor der Villa Aurelia. "Schaut nicht so dumm, sondern hört zu, damit ich die letzte Willensbekundung des Aulus Aurelius Pinus verlese und ihr dieses bezeugen könnt." Ich nahm den Brief und las ihn laut vor. "Ich bin Aulus Iunius Tacitus, römischer Bürger und Advocatus der Gens Aurelia."

  • Magnus wandte sich an Amytis.

    "Amytis, da Du nun frei bist ,, so biete ich Dir meine Hilfe an. Es soll Dir an nichts fehlen und Du musst nicht mehr dienen."

    Dann wandte er sich an Tacitus.

    "Ehrenwerter Tacitus, als bestellter Testamentsvollstrecker, was passiert mit dem Anwesen? Ich hätte Interesse daran. Steht rechtlich etwas dagegen, wenn ich mich um Amytis kümmere."

    Diesmal war er nicht so nassforsch wie vorher.

  • Für Amytis stand die Welt für einen Herzschlag still. Die Worte klangen in ihren Ohren nach und sie konnte sie nicht fassen, während es um sie herum unruhiger wurde. Frei. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Als wäre sie aus einem schlechten Traum aufgewacht. Doch mit der Freiheit kam auch die Leere: Was nun? Wohin? Und vor allem: Wer würde die Leute hindern, sie erneut in Besitz zu nehmen?


    Ihr Blick glitt zu Sporus, der zusammengebrochen war, das Kästchen mit seinem offensichtlich grausamen Inhalt noch in der Nähe. Sie hatte Mitleid, aber gerade auch keine Kraft mehr für ihn, wollte sie sich doch am liebsten ebenfalls auf den Boden setzen. Stattdessen wandte sich Magnus zu.

    Ihre Haltung blieb aufrecht, die Schultern gerade, doch in ihren Augen loderte eine kühle Entschlossenheit, die sie sich in den letzten Stunden in der casa iunia erkämpft hatte. Sie senkte den Blick nicht, wie sie es bisher getan hätte, sondern hielt ihn fest auf den Mann gerichtet, der sie eben noch wie ein Stück Vieh beansprucht und sich auch zuvor schon hinter dieser Porta an ihr bedient hatte. Dennoch versuchte sie sich zu beherrschen, war er immerhin einer der wenigen gewesen, die Mitgefühl gezeigt hatten. Sie presste die Hände zu Fäusten, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, und mühte sich um Besonnenheit.

    „Ich danke für dieses Angebot. Doch ich möchte keine voreiligen Entscheidungen treffen.“ sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

    Dann drehte sie sich leicht zu Yúnzi, immer noch wachsam. „Ich habe eine Frage: Was wird aus uns, den Freigelassenen? Haben wir Anspruch auf etwas aus diesem Haus? Auf Schutz, bis wir unseren Weg finden? Oder müssen wir Rom verlassen?“

    Ihr Blick glitt kurz über die Passanten, die Sklaven des Hauses. Perle mit Makeln, dachte sie bei sich. Das würde sie immer bleiben.

  • Die ganze Situation war für mich ungewohnt chaotisch und emotional. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, um meine Gedanken zu sortieren. Mit dem ranghöchsten anfangen, ging mir durch den Kopf.


    "Aemilius Magnus, ich will deine Fragen zuerst beantworten. Ich will mit der einfachen Frage beginnen. Rechtlich spricht nichts dagegen, wenn du dich um Amytis kümmerst. Vorausgesetzt natürlich, dass Amytis deine Hilfe in Anspruch nehmen will. Gegen ihren Willen wird das nicht gehen." Meine Stimme war höflich. "Schwieriger ist die Frage nach dem Anwesen. So lange es einen Erben aus der Gens Aurelia gibt, wird das Anwesen an diese Person vererbt. Du würdest dich dann mit der Gens Aurelia einigen müssen. Wenn es keine Erben gibt, wird das Anwesen an den Staat fallen. In diesem Fall wirst du es wahrscheinlich dem Kaiser abkaufen müssen. Da ich momentan noch nicht weiß, ob es Erben gibt, muss ich selbst nachforschen. Wenn du mir sagst, wohin ich Post senden kann, werde ich dir das Ergebnis der Prüfung schreiben. Du kannst dich dann um alles Weitere kümmern."


    Danach wendete ich mich an Amytis. "Amytis, eure Ansprüche als Freigelassene richten sich auf das, was einem Klienten zusteht. Gesetzlich gibt es hier nichts, was ihr einklagen könnte. Aber nach Mos Maiorum kann erwartet werden, dass die Gens Aurelia als euer Patron moralisch verpflichtet ist, euch zu unterstützen. Das bedeutet Obdach, Kleidung und Essen. Grundsätzlich wird von euch aber auch erwartet, euch schnellstmöglich Arbeit zu suchen und auf eigenen Füßen zu stehen." So war die Sachlage. Nach dem Gesetz konnte der ehemalige Herr sie auch des Hauses verweisen. Aber der war tot, also blieb nur die Gens als Ansprechpartner. Für die ich jetzt erstmal sprach. "Das heißt, dass ihr erst einmal in euren Zimmern wohnen könnte, genügend Getreide zum überleben erhaltet, eure Kleidung bei euch verbleibt und ihr genug Wasser erhalten müsst, um nicht zu verdursten."

  • Nicke freundlich.

    "Danke ehrenwerter Tacitus, so werden wir es dann halten. Mit deiner Erlaubnis und Amytis Zustimmung werde ich für sie aufkommen. Arbeiten kann sie bei mir und zwar sofort . Jedoch werde ich sie nicht dazu , also zur sofortigen Arbeitsaufnahme drängen."

  • Mir war Amytis' Reaktion auf sein Angebot zwar aufgefallen, dennoch wandte ich mich an sie. "Es ist deine Entscheidung, Amytis." Ich wusste nicht, ob die beiden eine Vorgeschichte hatten, auch wenn ich es vermutete, oder ob Amytis einfach nur ihre wiedergewonnene Freiheit genießen wollte. Mit meinem Kenntnisstand war das ein durchaus gutes Angebot. Ich wollte sie aber nicht beeinflussen. Mit Freiheit einher ging auch die Freiheit der Entscheidung.

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