Verwundert hob der Flavier abermals seine rechte Augenbraue gen Himmel. Was der Jüngling da von sich gab, ergab im Grunde keinen Sinn. Schließlich hatte er bis vor einigen Minuten noch den Kurs als gänzlich unwiderbringlich und versperrt beschrieben. Vielleicht sollte der Senator selbst einmal nach den Dingen schauen - schließlich war die Frage außergewöhnlich sonderbar.
"Was soll das nun heißen? Ist dieser besagte Kurs nun im Angebot der Schola oder nicht?", hackte er deshalb sicherheitshalber noch einmal nach.
Der Junge hatte etwas zu verbergen und Furianus mochte Geheimnisse alles andere als sehr.
Doch es gab weitaus wichtigere Themen, die nun auch dringlicher waren als ein Kurs, den Furianus mehr als Nebensächlichkeit ansah.
"Über den Kultusverein werde ich dich noch in den nächsten Tagen informieren.", kündigte er an und verfolgte insofern sein eigenes Interesse. Die Arvalbrüder lagen schon eine lange Zeit lang ziemlich brach, wenn man es metaphorisch ausdrücken wollte. Er musste da selbst noch Schritte einleiten, bis er Piso hinein schubsen konnte. So oder so musste der Jüngling irgend einem Verein beitreten. Warum nicht dem, welchem der jeweils amtierende Kaiser angehören musste? Das konnte von Vorteil sein.
Und im Palast schien er auch nicht so recht voran zu kommen. Seit Martis war zwar keine Ewigkeit, aber ein ambitionierter Flavier hätte da doch was machen können. Wenigstens an den Vorgesetzten hätte er sich halten können. Aber das war nun irrelevant, wenn Furianus selbst bei Balbus vorbei schauen sollte.
"Seit Martis also. Nun ja, ich werde mit deinem Vorgesetzten sprechen.", sagte er in Gedanken versunken recht leise und wollte noch ein ", aber ich kann dir nichts versprechen." einfügen, befand es jedoch als nicht gerade förderlich. Er stellte sich nun ja als omnipotent und recht einflussreich auf, da konnte solch ein Satz die ganze Integrität vor dem Jüngling, und vor allem seinen Respekt, tief erschüttern. Dann würde er womöglich noch aufbegehren, was Furianus selbstverständlich schlecht aufstoßen würde. So bedeckte er sich mit Schweigen und war wiederum verblüfft, als der Jüngling über den militärischen Werdegang sprach.
"Nicht nur irgendeinen militärischen Kurs, sondern das Examen. Aber ich gehe wohl recht davon aus, dass du wenigstens das Erste schon hast.", entgegnete er etwas scharf und blickte Piso eindringlich in die Augen. Natürlich hatte er es nicht, das war dem Senator gleich im ersten Augenblick bewusst geworden, nachdem er sich so gegen ein Tribunat sträubte.
"Was hast du überhaupt die ganze Zeit lang gemacht, bevor man befand dich nach Rom zu schicken?!", war dann auch sogleich recht laut ausgesprochen worden.
Ein Sklave stand, wie üblich, im Türrahmen und hörte sich dies schon seit einiger Zeit stillschweigend an. Furianus entdeckte diesen Gegenstand, als viel mehr sah er Sklaven auch nicht an, gerade im rechten Moment.
"Bringe mir verdünnten Wein, sofort. Und anschließend räumst du das hier auf."
Damit war unmissverständlich der Boden gemeint. Solch eine Unordnung war geradezu erdrückend für die flavische Ordnungsaffinität. Aber das war kein allzu bedeutsames Problem, um darüber sprechen zu müssen. Hierfür gab es ja Sklaven und solange Piso hier keine politischen Zirkel mit seinen späteren Senatskollegen würde abhalten wollen, konnte es Furianus recht egal sein, wie aufgeräumt das Zimmer war. Aber just in diesem Moment hielt er sich hier auf und daher hatte es ordentlich zu sein.
Wieder Piso lauschend, saß der Senator versteinert da und hörte sich die Idee des Jünglings an. Langsam aber sicher türmte sich vor dem Senator ein anderes Bild des Jünglings auf, während er sprach und sprach. Gleich darauf fragte er sich, wie der Junge erzogen worden war. Und vor allem, welcher inkompetente Grieche diesem Hoffnungsträger die ganze Zukunft genommen hat, indem er ihm diese Moral eingebleut hatte. Das war unerhört und er musste sofort an den Vater des Jungen schreiben. Lehrer waren gut, aber nicht jeder Lehrer lehrte, es gab auch welche, die in diesem Beruf mehr sahen als nur die Vermittlung von Wissen - nämlich jene, die durch ihre Machenschaften eine scheinbar bessere Welt kreiren wollten. Und damit brachten sie junge Römer, wie diesen Jüngling, um alle Chancen in der Politik und damit auch um Macht, Ehre und Geld.
Langsam legte der Flavier seine Hand auf die Schulter des Jungen und seufzte tief.
"Ich bin positiv überrascht, dass du dir über unsere Verwaltung den Kopf hast zerbrochen.", ob er einfügen wollte, dass er dies nicht nur im übertragenden Sinne meinte, sondern auch diese Idee als die eines Geisteskranken ansah, darüber sinnierte er eine Weile. Entschied sich jedoch dagegen und fuhr bedächtig fort.
"Damit erschaffst du zuerst ein Konstrukt der größten Bürokratie, die wir hier haben. Damit verlangsamst du wichtige Prozesse und untergräbst vor allem die soziale Hierarchie wie auch die berufliche. Was schlimmer ist, kann ich dir jetzt noch nicht sagen. Du legst damit jedem noch so kleinem Mann ein bedeutendes Recht in die Hand, mit dem er nicht umgehen kann - das versichere ich dir. Du gibst jedem zu viel Macht.", urteilte er vernichtend und dann folgte, etwas leiser, damit es ja keiner hören mochte, noch ein Satz.
"Und du zerstörtst unser System, unsere Stellung und damit letztendlich das ganze Reich."
Und weil er davon ausging, dass der Jüngling es nicht verstehen konnte, seufzte er leise und nahm den Becher verdünnten Weines, welcher just in diesem Moment gebracht wurde, benetzte damit seine Kehle und fing an zu erklären.
"Hierarchie, Disziplin, dies sind die Säulen eines guten Staates, einer guten Armee, einer guten Verwaltung. Mt deinem Gesetzt untergräbst du dies alles, legst einfachen Menschen viel Macht in die Hand und verlangsamst alle Prozesse.
Du gehst im Idealfalle davon aus, dass Missbrauch in der Entscheidungsfindung vorliegt. Nämlich dann, wenn der Entscheider voreingenommen gegenüber einem der Kandidaten ist. Das ist fast immer der Fall - so funktioniert das System. Gerade jetzt, schaue mal dich an. Ich werde deinen Vorgesetzten sprechen, um für dich eine günstigere Position am Hofe zu erwirken. Was würde der Mann sagen, welcher die gleiche Kompetenz wie du besitzt, jedoch keinen Senator in der Familie? Er würde vor Gericht ziehen. Das hieße für dich im schlimmsten Falle zu verlieren und auf eine Befröderung zu verzichten, für den Staat hieße es im Zeitraum der Entscheidungsfindung durch den Richter ein Amt unbesetzt zu halten, welches vielleicht dringend eine Besetzung braucht. Für den Richter hieße es wiederum sehr viel Macht. Was ist, wenn er gerade einen Flavier nicht dort sitzen sehen will? Du hättest gleich keine Chancen. Und was bedeutet es für deinen Widersacher? Genau, sehr viel Macht, denn du kannst nicht davon ausgehen, dass auch die vor Gericht ziehen, die auch wahrlich im Recht sind. Was ist mit dem enttäuschten und eifersüchtigen Schreiber, der gegenüber seinem Kollegen, zwei Officien weiter, nicht befördert wird? Was ist mit dem Soldaten, der nicht Optio wird? Einem Tribun, einem Magister Scriniorum, einem Priester, Nauta, Centurio? Auch wenn die Entscheidungsfindung rechtens wäre, sie alle würden klagen. Und die Männer, welche wirklich aufgrund ihrer Taten und Kompetenz erhoben wurden, hätten sich dann jedes Mal mit Anzeigen zu beschäftigen. Stelle dir vor allem die Masse vor! Wir bräuchten hierfür mindestens Hunderte von Richtern! Der ganze Staatsapparat würde zum erliegen kommen, wenn jeder überall klagt.", dann setzte der Senator ein leichtes Lächeln auf.
"Sind außerdem nicht alle Personalentscheidungen rechtens? Warum hat sich die Mätresse für diesen Optio entschieden und nicht für den anderen? Vielleicht sieht er besser aus, vielleicht ist er stärker oder sie ist auch dessen Mätresse? Wer kann es dem Mann verübeln, wenn er gegenüber dem anderen Vorzüge hat, die eine Mätresse anders gewichten würde als der wahre Vorgesetzte? Was wäre, wenn die Mätresse die Verwandte eines der Soldaten gewesen wäre? Dann sage ich doch, dass gerade dieser Soldat sich mehr um sein berufliches Vorankommen mehr bemüht hat als der andere, indem er einfach seine familiären Bande nutzt oder gar die Frau dafür einsetzt? Und was wäre so schlimm daran, wenn der Erhobene der Sohn des Vorgesetzten wäre? Könnte er nicht gerade damit argumentieren, dass der Wille, die Stärke und die Kompetenz des Vaters im Militär auch in ihm zu sehen sein könnte und der eigene Vater ihn selbst befördert? Wenn der Vater dieses Amt erreicht hat, ist es doch wahrscheinlich, dass sein Sohn gewisse Fertigkeiten geerbt hat? Was wäre daran falsch, wenn sie dich, einen Flavier, anstatt einem Bedeutungslosen, erheben? Hast du nicht Ahnen unter den Göttern, hast du nicht Ahnen, welche einst das Reich regiert haben, den Willen, die Kraft und das Wohlwollen der Götter besaßen, um dahin zu kommen, wo sie waren?
Warum sind wir Patrizier überhaupt den Plebejern höher gestellt? Weil wir es verdient haben, entweder direkt oder durch unsere Ahnen. Unser ganzes System besteht aus voreingenommenen Entscheidungen. Und vor allem musst du beweisen, dass jemand geeigneter ist als der andere, du musst beweisen, dass gerade dieser Aspekt ungerecht sein mag und ein anderer nicht. Glaube mir dein Gesetz ist nicht nur illusorisch, sondern auch vernichtend für jede Gesellschaft.", dann verschwand das gutmütige Lächeln und wich einem steinharten Ausruck.
"Und ich werde mich nicht hinstellen, um im Senat ein freudiges Lachen als Erwiderung auf dein Gesetz zu ernten.", schließlich kannte er sich damit aus und hatte schon viele Gesetze in den Senat gebracht. Eines davon erhielt sogar seinen Namen, das Lex Flavia.