Beiträge von Manius Flavius Gracchus

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    Calpetanus war es durchaus gewöhnt, Störungen im Programm auszugleichen und das Publikum durch alle Widrigkeiten bei Laune zu halten. Ein Zwischenfall wie diese Brandrede war ihm jedoch schon lange nicht mehr untergekommen und hatte ihn in seiner Vehemenz doch sehr aus dem Konzept gebracht. Erst sein Name aus dem Mund des Flaviers setzte ihn schlussendlich wieder in Bewegung.
    "Werte Zuschauer, werte Zuschauer, bitte entschuldigt diesen kleinen Zwischenfall! Selbstredend gehört der Beitrag des 'Philo von Amastris' nicht zu unserem Wettbewerb"
    , proklamierte er lauthals über das Forum hinweg sobald er wieder auf der Rostra stand.
    "Norius Carbo war also schon unser letzter Kandidat und damit legen wir eine kurze Pause ein, dass die Jury sich beraten kann. Genießt währenddessen die Angebote unserer Händler, hochverehrtes Publikum, oder lasst euch berieseln von den poetischen Worten des Gaius Gargonius Globulus über unsere schöne Stadt: O wie fühl' ich in Rom!"


    Calpetanus trat in den Hintergrund und ein junger Bursche begann zu rezitieren, während auf den Forum die Händler begannen ihre Speisen und Naschereien anzupreisen.
    "O wie fühl' ich in Rom mich so froh! gedenk' ich der Zeiten,
    Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
    Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel sich senkte,
    Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag
    Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
    Düstre Wege zu späh'n, still in Betrachtung versank.
    Nun umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne;
    Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
    Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,
    Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
    Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum' ich? Empfänget
    Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?
    Ach! hier lieg' ich und strecke nach deinen Knien die Hände
    Flehend aus. O vernimm, Jupiter Xenius, mich!
    Wie ich hereingekommen, ich kann's nicht sagen; es faßte
    Hebe den Wandrer und zog mich in die Hallen heran.
    Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten?
    Irrte die Schöne? Vergib! Laß mir des Irrtums Gewinn!
    Deine Tochter Fortuna, sie auch! die herrlichsten Gaben
    Teilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut.
    Bist du der wirtliche Gott? O dann so verstoße den Gastfreund
    Nicht von deinem Olymp wieder zur Erde hinab!
    'Dichter! wohin versteigest du dich?' Vergib mir! der hohe
    Kapitolinische Berg ist dir ein zweiter Olymp.
    Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später,
    Cestius' Mal vorbei, leise zum Orkus hinab!"
    *
    Einige Augenblicke ließ er Stille wirken ehedem er eine Verbeugung andeutete und sich anschickte die Rostra zu verlassen.


    Sim-Off:

    * Dieses Gedicht stammt selbstredend nicht von Gaius Gargonius Globulus, sondern von Goethe, passt indes thematisch zu gut, um es der temporalen Unstimmigkeiten zu opfern.

    Verärgert blickte der Flavier über das Forum hinweg, auf welchem mit einem Male mehr und mehr Unruhe auszubrechen schien, und presste seine Kiefer aufeinander. Calpetanus stand noch immer verwirrt am Fuße der Rostra, und die Stadtwachen kamen nur viel zu langsam durch die dichte Zuschauermenge. Obgleich Gracchus die Frau, die sich als Philo von Amastris auf die Bühne hatte gemogelt, nicht nur ob dessen in Haft wollte sehen, mochte er nicht das eigentliche Ereignis dieses Tages verkommen lassen.
    "Calpetanus"
    , herrschte er darob zu diesem hin.
    "Das Programm!"
    Während der Ausrufer sich besann und zur Rostra emporstieg, stand unvermittelt Iulius Caesoninus vor den Juroren.
    "Diese Xanthippe hat Rom und seine Götter beleidigt, und dafür soll sie geri'htet werden!"
    stimmt er entschieden zu.
    "Doch ich bin nicht gewillt zu dulden, dass sie Roms Bürgern die Freude an diesem Tage stiehlt. Die Cohortes sind zweifels..ohne in der Lage auch ohne ihren Praefectus, und auch ohne das Beitun aller Virgintiviri ihrer Aufgaben nachzukommen."
    Letztendlich gehörte die Jagd auf Verbrecher zu deren Tagesgeschäft, und der Praefectus wurde in den meisten Fällen erst spät involviert.

    Äußerliche stoisch saß Gracchus auf der Tribüne der Richter, doch in seinem Innersten erfreute er sich wieder und wieder an den Reden, welche auf der Rostra dargeboten wurde. Die jungen Talente Roms überboten sich an Lobpreisung, ebenso wie an Finesse und Tiefgang ihrer Reden. Kurzum - der Flavier hatte größtes Vergnügen an diesem Tage, welches bereitwillig alles andere ihn vergessen ließ, und schärfte vor dem letzten Redner er noch einmal seine Aufmerksamkeit. Dass mit einem Male eine Frau sich auf der Rostra präsentierte, wurde ihm erst gewahr als sie ihre Stimme erhob und er nicht nur den Worten, sondern auch ihrer Präsenz Beachtung bot. Ein wenig derangiert blickt er nach rechts und nach links, insbesondere auch zur Augusta hin. Wer hatte dies erlaubt, wer hatte die Frau zugelassen? Immerhin begann sie mit einer durchaus passablen Rede, dass er einen Augenblick fasziniert war von ihrer Redegewandtheit, abgelenkt war von Ihrer Person und beinahe vergaß, dass ihr Auftritt nicht statthaft war. Sodann jedoch wandelte sich ihre Ansprache, mit einem Male sprach regelrechter Zorn aus ihr und sie begann Rom und seine Bewohner zu beleidigen. Noch immer verwirrt blickte der Flavier zu Calpetanus, denn jener war durchaus bekannt dafür, sich seine eigenen Scherze im Ablauf des Programmes zu erlauben, doch dieser stand nur mit staunend, offenem Mund und weit geöffneten Augen vor dem Aufgang zur Rednertribüne. Wie eine Flutwelle schwappte die Anklage der Frau über die versammelte Menge hinweg, welche gebannt zu ihr empor starrte und nicht recht zu wissen schien, wie dieser Beitrag einzuordnen sei. Erst als sie begann die Götter zu verunglimpfen, ging ein Ruck durch Gracchus. Wer auch immer sich dies hatte ausgedacht, dies war zu viel des Guten!
    "Calpetanus, beende diese Rede"
    , zischte er diesem zu. Doch der dicke maitre de plaisir blickte noch immer wie ein Schaf zum Schlachter und rührte sich keinen Fingerbreit.
    "Calpetanus!"
    Auch unter den Zuschauern begann sich Entsetzen und Unmut zu regen, und als Philotima die gesamte Menge verdammte, schlug Gracchus mit der Faust auf den schmalen Tisch vor den Richtern und erhob sich.
    "Genug!"
    donnerte er, doch Philotima ließ sich nicht beirren, erhob ihre Stimme weiter und brandete an gegen alle Widrigkeiten. Hilfesuchend blickte der Flavier sich um, ein solcher Zwischenfall war nicht vorgesehen, und darob auch keine Vorbereitungen dafür getroffen. Zwei Soldaten indes standen hinter der kleinen Tribüne der Richter, um die Prominenz darauf zu schützen, die Gracchus nun anherrschte:
    "Holt diese Verrückte ver..dammt noch eins von der Bühne! Sofort!"
    Aufgebracht drehte er sich um zurück zur Rostra, wo nun Worte über den HERRN fielen, Worte, welche in Gracchus das Blut der Rage in Wallung brachten, mehr noch als jede Beleidigung Roms.

    Flavius Gracchus war dieser Tage, respektive seit er aus den Montes Lucretili alleine war zurückgekehrt, gänzlich neben sich. In jeder noch so kleinen Handlung wurde ihm beständig gewahr, wie sehr er sich stets auf Sciurus hatte verlassen können, welcher oft noch vor ihm selbst hatte gewusst, was er als nächstes hatte tun wollen. Kein Sklave war ihm nun gut genug, ein jeder nur ungenügend, so dass es im flavischen Haushalt lauter war als gewöhnlich und eine Spannung vorherrschte, welcher die übrigen Bewohner suchten auszuweichen. Hinzu kam, dass Ali, der maior domus, rasch die frei gewordene Position des Sklaventreibers übernahm, und die Verfehlungen, welche der Hausherr den unfähigen Sklaven beständig verargte, in dessen bisweilen von Furor durchzogenen Sinne maßregelte. Gracchus selbst schwankte beständig zwischen Gram über den Verlust, Rage über den Verrat, Schuld ob seiner Tat, Jähzorn über die Dreistigkeit, Zweifel ob der Beweggründe. Das Dräuen des Fluches aus vergangenen Tagen hatte sich wieder über ihn gelegt, in jedem Schatten konnte er seinen Leibsklaven entdecken, vermisste und verfemte ihn zugleich, schrak aus argen Träumen empor und weinte sich zurück in den Schlaf, da kein Sciurus kam, ihn zu trösten. Nach einer solch grausamen Nacht hatte er bereits den Tonsor geohrfeigt und dem Frühstückssklaven eine Schüssel hinterhergeworfen, dass der junge Phoebus vollkommen eingeschüchtert war, als er Gracchus den Brief des Tisander überbrachte und vorlesen musste.
    "Zwei Kinder!"
    lachte der Flavier indes nur erleichtert und sprang auf.
    "Ich werde sofort zu meiner Gemahlin reisen! Lasse alles vorbereiten!"

    Den restlichen Tage verbrachten sie gemütlich in ihrem kleinen Nest, erst später wagten sie sich wieder hinaus in den milden Nachmittag, als Armastan mit den Lebensmitteln zurückkehrte. Sie sandten den Custos hinab in die Schlucht, doch außer einer blutigen Spur auf den Felsen am Wasser konnte er nichts entdecken. Sciurus' Leichnam war von den kühlen Wogen des Flusses verschluckt worden. Gracchus war durchaus erleichtert über diese Tatsache, entband ihn dies doch von der Entscheidung, was mit dem toten Körper zu tun sei - hatte doch einerseits Sciurus schweren Verrat geübt, für welchen es keine Entschuldigung gab, doch andererseits hätte es ihn durchaus belastet, dem langjährig treuen Sklaven die Bestattung zu verweigern. Gleichwohl würde auf diese Weise auch die notwendige Erklärung über den Verbleib des Sklaven zurück in Rom eine einfachere sein - er war schlichtweg abgestürzt in die Schlucht und im reißenden Flusse versunken, denn auch hier hätte die Wahrheit viel zu viele Fragen aufgeworfen, und zu viele Erklärungen über Hintergründe, welche besser im Verborgenen blieben, eingefordert. Befreit indes von all solchen Entscheidungen - wenn auch in Gracchus' Falle nicht von unterschwellig brodelnden Gefühlen - widmeten die beiden Liebenden unter der leisen Anweisung Serapios sich der Zubereitung eines Abendessens und begannen für den nächsten Tage des Aufbruchs ein wenig ihr Gepäck zusammenzupacken. Während der Flavier die Bedeutsamkeit Sciurus' Verlustes den Tag über hatte von sich geschoben, wurde ihm erstmalig zum Abend hin gewahr, wie essentiell der Sklaven für sein Leben gewesen war, als es ihm unmöglich schien seine Güter in die vorhandenen Taschen zu verpacken. Glücklicherweise war Serapio darin geübt, Reisegepäck auf den Rücken eines Pferdes zu lasten, und gemeinsam konnten sie durchaus über die Situation lachen. Der Schlaf indes bis zum nächsten Morgen war unruhig, auf beiden Seiten - auf der einen ob der Geschehnisse eines vergangenen Lebens, auf der anderen ob der Geschehnisse des vergangenen Tages.

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    Calpetanus trat zu Norius Carbo und nickte ihm freundlich zu. Sein Beitrag hatte sich auf jeden Fall von den anderen abgegrenzt.
    "Applaus für Norius Carbo! Auch dir vielen Dank für deine Rede!"


    Der letzte Beitrag kam ebenfalls von einem Peregrinus, dass es noch einmal spannend würde werden, wie dieser Rom würde würdigen.
    "Beinahe sind wir am Ende der Reden angelangt, aber nur beinahe. Denn noch erwartet uns der letzte Kandidat! Dafür, dass er so lange ausharren musste, einen extra Applaus für Philo von Amastris!"

    "Das ist überaus erfreulich zu hören"
    , erwiderte der Flavier.
    "Überaus erfreulich."
    Die Bekräftigung des Aedituus, dass viel geopfert wurde, konnte einerseits bedeuten, dass er Tagen mit wenigen Spenden keine Beachtung schenkte, oder aber es war dies ein Indiz dafür, dass die Kasse stets gut gefüllt war und die Ausreißer in den Tageseinnahmen daher tatsächlich willkürlicher Natur waren. Es reizte Gracchus dem Didier schlichtweg die Frage zu stellen, ob sonstig etwas auffällig war, doch würde dies ihrer Taktik zuwiderlaufen.
    "Wir würden uns gerne ein wenig umsehen, könntest du uns die Nebenräume zeigen? Sofern du uns öffnest, können wir diese, und hernach den Vorplatz und die Cella beguta'hten, ohne dich weiter von deinen Pflichten fernzuhalten."
    Dies bedeutete selbstredend, dass sie für etwaige Fragen erst einmal nur noch wenig Zeit hatten. Doch Gracchus wollte sich die Nebenräume gerne ansehen ohne das Beisein des Aedituus, um sie auf etwaige verräterische Spuren zu untersuchen. Gleichwohl würde der Didius ohnehin auch hernach noch am Tempel für Fragen zur Verfügung stehen.

    "Wir müssen dich zur Hütte bringen"
    , schaffte Gracchus es halbwegs sich einen Plan zu überlegen, was zu tun sei. Bis auf den Bürgerkrieg hatte er keinerlei Erfahrung mit den Folgen von Gewalt, und auch damals schon war er dem hilflos gegenüber gestanden. Er stützte Serapio und ließ diesen die Geschwindigkeit bestimmen, rief von weitem schon nach dem Custos, der einzigen Hilfe, welche im Umkreis zu erwarten war. Glücklicherweise hatte Serapio in seinem Leben bereits weitaus schlimmeres erlebt und war bald in der Lage, leise Anweisung zu geben, was ihm Linderung verschaffte. Obgleich Gracchus am liebsten noch am gleichen Tage zurück geritten und den Geliebten in die fachkundigen Hände eines Medicus hätte übergeben, konnte Serapio ihn davon abbringen und die Reise auf den nächsten Morgen vertagen, was der Flavier nur deswegen akzeptierte, da dem Decimer nicht wohl war in seiner Verfassung allzu schnell auf ein Pferd zu steigen. Einzig Armastan sandten sie nach Tibur, um einige Kräuter und Lebensmittel für den Abend zu besorgen, denn auch an eine Jagd war nicht mehr zu denken.
    "Ich kann es noch immer nicht fassen"
    , räumte Gracchus schlussendlich ein als sie in der Hütte ein wenig Ruhe fanden, in einem provisorischen Lager, das er aus Fellen, Kissen und Decken vor dem Kamin hatte aufgeschichtet. Faustus lag in seinem Arm und war noch immer schweigsam, um seine Kehle zu schonen. Gracchus indes flüchtete um so mehr in Worte, um die dräuende Stille zu vertreiben.
    "Sciurus war ... mehr Teil meiner selbst als mein eigener Schatten. Stets konnte ich mich auf ihn ver..lassen, ihm vertrauen. Ich ... ich hätte ... ich habe ihm alles anvertraut. Alles."
    Resigniert, ein wenig verloren dazu blickte er in die Flammen.
    "Wie konnte er nur mich derart hintergehen? Nicht auszu..denken, hätte er seinen Plan in die Tat umgesetzt! Wie konnte er nur annehmen, dein Tod ... dies... dies würde mich nicht tan..gieren!"
    Allein die Vorstellung derangierte ihn erneut derart, dass er noch näher an Serapio heran rückte und das Thema suchte von sich zu schieben, gleichsam aber auch keine Stille mochte aufkommen und damit den Gedanken freien Lauf zu lassen.
    "Faustus? Ich möchte nicht, dass du annimmst, ich sei ho'hmütig"
    , schnitt er jenes Thema an, das ihn seit ihrem Streit am Morgen schon umtrieb. Hochmut war die Umkehr einer Tugend, und obgleich es Gracchus im Laufe seines Lebens durchaus bisweilen schwer gefallen war, alle Tugenden in sich zu vereinen, so mühte er sich doch, nicht in ihr Gegenteil zu verfallen.
    "Dies sei zugestanden, es mag einiges geben, das ich nicht selbst auf mich nehme, schli'htweg da es nie notwendig war, es dafür andere gibt, welche es gelernt haben und deren Dasein es ist, während es das meine nicht ist. Doch letztlich ist es doch bei dir nicht anders, nicht wahr, es gibt Dinge, die du selbst tust, und solche, welche du ausführen lässt."
    Er begann über Serapios Schopf zu streichen, vermied jedoch die Nähe seines Nackens, an welchem das Würgemal sich dunkel abzeichnete.
    "Schuhe indes ..."
    Ein Seufzen echappierte seiner Kehle.
    "Einige Jahre bevor wir uns kennenlernten"
    , deutlich noch erinnerte Gracchus sich an diesen bezaubernden Hephaistion, welchem er damals wie heute verfallen war,
    "hätten die Parzen mich beinahe ins Elysium gesandt. Ich ... war sehr schwach danach, wie gefangen in meinem Leibe, und es dauerte lange bis dass meine Kraft zurückkehrte, gleichwohl meine Rechte mir lange noch ihren Dienst ver..sagte. Ich lernte mit der Linken zu agieren, und mit viel Geduld und Mühewaltung nach Jahren die Rechte wieder zu nutzen. Doch ... das Aufbringen übermäßiger Kraft, aber auch diffizile Fingerübungen enervieren mich auch heute noch und ... nun, das Binden von Knoten und Verschließen kleiner Schnallen gehören zu jenen Dingen, gegenüber welchen ich schli'htweg irgendwann kapitulierte. Aus diesen Grunde lasse ich meine Sandalen noch immer schnüren und ... zugegeben gebe ich wohl eher dem Anschein von Hochmut den Vorzug gegenüber dem Eingeständnis der Schwäche."
    Gleichwohl seine Vergangenheit kein Geheimnis war, so würde ein Senator und Pontifex Roms, welcher eine halbe Ewigkeit nach dem Thermenbesuch an seinen Sandalen herumnestelte, zweifelsohne eher für Belustigung oder Gerüchte sorgen als für Verständnis.
    "Dass ich selten mehr schreibe als meine Unterschrift ist dem ebenso geschuldet."
    Zwar hatte Gracchus gelernt mit der Linken zu schreiben, doch war seine Schrift derart krakelig und unansehnlich, dass er sie keinem Auge mochte zumuten.
    "In deinem Falle jedoch möchte ich nicht dem Hochmut Vorzug geben, sondern der Wahrheit - auch auf die Gefahr hin, dass vor deine strahlende Sonne sich graufarbene Wolken schieben. Doch auch die Sonne kann nicht stets nur brennen ohne dass die Welt darunter würde leiden."
    Er drehte sich zur Seite und suchte mit seinen Lippen Serapios Wange.
    "Und mit Ver..laub, ich wollte ohnehin nie eine Sonne sein, ich möchte bei dir sein auf dem Boden der Welt, Teil deiner Welt. So war es und ... daran hat sich nichts geändert."

    Selbstredend hatte Curiatianus ihm den Namen des zuständigen Priesters im Tempel des Mars genannt, doch hatte Gracchus bei der Nennung kein Bild mit diesem verbinden können. Als der Aedituus auf sie zutrat wurde indes auch er sich dessen gewahr, dass er ihm bekannt war, gleichwohl er in diesem Augenblicke dies schlichtweg auf diverse kultische Angelegenheiten schob, welche jeden Aedituus ab und an zu den Pontifices führten.
    "Salve, Aedituus Didius! Dies ist Pontifex minor Valerius Flaccus, wir kommen zu einer Beguta'htung des Tempels. Befinden sich Gebäude und Ausstattung in gutem Zustand, mangelt es an irgendetwas? Du weißt, wir sind bemüht stets auch Kleinigkeiten auszubessern, dass es den Göttern an nichts mangeln soll."

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    Noch während die Zuschauer applaudierten zog sich Calpetanus am Geländer der Treppe wieder auf die Rostra und verschnaufte nur kurz.
    "Dieser Applaus gebührt dir, Titus Decimus Scapula! Vielen Dank für deine Rede!"


    Der Wettbewerb war näher an seinem Ende denn seinem Beginn, doch noch erwarteten die Menge zwei weitere Beiträge, welche das Potential hatten die bisherigen Favoriten der Richter, aber auch der Menge auf die hinteren Plätze zurückzuweisen.
    "Als nächster Kandidat, werte Zuhörer, erwartet euch Norius Carbo! Einen donnernden Applaus für den Mann aus dem Norden!"

    Mit einem Male waren Sciurus' Augen verschwunden. Sciurus war verschwunden. Ein Ruck durchzog Gracchus' Leib, er drehte sich hektisch um nach Serapio.
    "Faustus!"
    Mit wenigen Schritten war er bei seinem Geliebten und schlang seine Arme um ihn.
    "Faustus! Geht es dir gut? Bei allen Göttern, ich hatte sol'he Angst um dich! Er ... er wollte dich umbringen! Ich ... ich hatte solche Angst, dich erneut zu ver..lieren!"
    Er konnte seine Worte nicht unterbinden, sie flossen aus ihm heraus als können nur seine Worte die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen.
    "Bitte ver..zeih mir, Faustus! Ich war so ein Narr! Ich liebe dich, Faustus! Ich liebe dich mit allem, mit deiner Ver..gangenheit und Zukunft, mit deinen Vorzügen und Unzulängli'hkeiten, mit allen Eigenheiten, in Perfektion oder ohne, mit salzigem Puls, so wie du bist, und ich will mich ändern für dich, meine Welt ver..lassen, deine Welt aufsaugen in mich, gleich ob es hinauf oder hinab, oder nur einen Schritt zur Seite geht. Bitte, bitte verzeih mir, lasse mich zu dir emporschauen, carbunculus meus, zum Firmament deiner miramanillianten Welt, lasse mich daran teil..haben, an dir und deinem Leben teilhaben."
    Er zitterte am ganzen Leib und hielt Faustus fest umschlungen, aus Furcht jener könne sich in jedem Moment auflösen. Was mit Sciurus geschehen war kümmerte ihn nicht einen Augenblick.

    Einige Herzschläge lang blickte Gracchus Sciurus derangiert an. Seinen Sciurus. Seinen Sciurus? Der die Absicht hatte Faustus zu töten. Etwas fügte sich nicht recht ein in dieses Bild. Etwas. Passte. Nicht. Die Welt zerfiel in die Disharmonie einer mephistischen Kakophonie. Rot. Rotfarben tönend zerbarst ein Funken, entzündete die Glut des flavischen Ingrimms, welcher aus Gracchus' tiefstem Innersten sich emporfraß in Bruchteilen eines Wimpernschlages, seinen Leib zu umfassen, seinen Geist und sein Herz. Faustus, schlug es in seinen Ohren, Faus-tus hämmerte sein Herz, FAUSTUS hallte es von allen Wänden seines Gedankengebäudes wider.
    "Lasse - ihn - sofort - los!"
    knurrte er unwirsch und trat auf den Sklaven zu. In seinem Blickfeld gab es nur noch Faustus, der um sein Leben bangte, Faustus und das Ungeheuer, welches sein Leben verschlingen wollte. Gracchus' Leben. Seine Seele. Seine Herz. Er registrierte kaum, das Serapio die Ablenkung des Sklaven nutzte, um seinen Daumen nochmals mit einem Aufbäumen an Kraft fest in Sciurus' Auge zu drücken, dass mit einem Male Blut daraus rann, der Sklave aufschrie, einen Augenblick die Kontrolle verlor und der Decimer sich aus seinem Griff konnte entwinden. Noch ehedem Sciurus seinen nächsten Zug konnte ausführen war Gracchus bei ihm und fixierte ihn aus zornig lodernden Augen.
    "Du schlangenzüngiger Typhon! Brut der Echidna! Ich habe dir alles anver..traut, alles! Wie kannst du es wagen, mich derart zu hintergehen!?"
    Mit einer Wucht, welche weder der Sklave, noch sein Herr bei vollem Verstande je hätten erwartet, schlug er seinen Leibsklaven ins Gesicht, dass dieser einen Schritt zurück trat. Voll Ingrimm, zornentbrannt setzte der Flavier ihm nach und stieß ihn gegen die Brust, brüllte ihm seine Rage entgegen.
    "Er ist kein Bauerntrampel! Er ist ein Heros! Er ist mein Hephaistion, mein Meleagros! Teil meiner Seele!"
    Von der Wucht des Stoßes strauchelte Sciurus weiter zurück und verlor mit einem Male den Halt, als unter ihm die Steine am Rand der Schlucht wegbrachen. Innerhalb eines Herzschlages rutschte der Sklave ab und konnte sich nur noch mäßig halten an dürrem Wurzelwerk und Geröll. Das eine Auge blutunterlaufen und bereits zuschwellend blickte er noch aus dem gesunden zu Gracchus empor, doch dieser sah nicht mehr die klare, erfrischende Luft an einem Wintermorgen darin, nicht die Spiegelung eines hellen Himmels auf ruhigem Wasser, nicht die zarte Verlockung unumstößlicher Sicherheit - er sah nur noch das grauenvolle Monstrum darin und tat keinen Schritt.

    Wie von Serapio gewünscht, so glaubte er, hatte Gracchus sich ein wenig von der Hütte entfernt bis zu dem runden Felsblock am Wegesrand. Vor wenigen Tagen noch, bei ihrer Ankunft, hatten sie hier gescherzt, dass der Wald so üppig war, dass sogar die Felsen dick und rund wurden. Welch heitere Stimmung war dies gewesen, beinahe das vollkommene Gegenteil der jetzigen. Als der Flavier dort angelangte, war sein Gemüt bereits ein wenig abgekühlt, einem wehmütigen Bedauern des allmählich bewusstwerdenden Verlustes gewichen, und als er den Weg die Steigung hinauf zurück antrat, war Gracchus längst mehr als reumütig. War er hochmütig? Abgehoben? Nicht mit Bedacht, doch wie war seine Wirkung? Weshalb glaubte Serapio, dass er auf ihn hinabblickte, gleichwohl er ihn doch anhimmelte, ihn in alle Höhen der Lobpreisung wollte erheben? Zugegeben, dass ein Sklave ihm stets die Sandalen schnürte mochte von außen gesehen ein wenig übertrieben erscheinen, doch dass es ausgerechnet auf Faustus derart befremdlich wirkte, wäre ihm nicht in den Sinn gelangt. Und weshalb traf Serapio es so sehr, wenn er einen völlig versalzenen Puls ablehnte? Als er wieder an der Hütte war angelangt, war er bereits überzeugt, dass er Serapios Entschuldigung zwar würde annehmen - schlussendlich war zumindest auch dessen Wortwahl unangebracht gewesen -, doch seine eigene direkt würde folgen lassen. Die Hütte jedoch war leer. Nur Serapios Custos saß vor der Türe und schichtete Holzzweige.
    "Wo ist Faustus?"
    fragte er den Leibwächter, und es waren die ersten Worte, welche er je an ihn richtete. "Den Weg entlang zum Aussichtspunkt über die Schlucht", antwortete der Sklave. Gracchus linke Braue hob sich, doch er vermutete dass dies allfällig zu seiner Überraschung mochte gehören, und schlug daher jenen Weg ein. Schon vor den Storaxbäumen konnte er Sciurus' Stimme vernehmen, ohne jedoch Worte zu verstehen. Als er auf das kleine Plateau trat, stockte ihm der Atem.
    "Sciurus!"
    rief er erschrocken.
    "Was ... was soll das?"
    Hatte etwa Serapio seinen Sklaven aus Eifersucht angegriffen und dieser ihn überwältigt?

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    "Vielen Dank, Servius Quintilius Luscus, dies ist dein Applaus!"
    drängte Calpetanus sich wieder in den Vordergrund der Rednerbühne, ließ dem Redner jedoch noch seinen gebührenden Applaus, ehedem er ihm bestätigend zunickte und zur Treppe hinab wies.


    Sodann wandte er sich wieder dem Publikum zu.
    "Das war schon die Hälfte unser Kandidaten! Oder erst? Wie auch immer, hochverehrtes Publikum, ihr sollt nicht lange warten, denn es geht schon weiter mit unserem nächsten Redner: Titus Decimus Scapula! Bühne frei und Applaus auch für ihn!"

    Der Weg aus der Regia bis zum Forum Boarium hin war nicht allzu weit, und ob der sie begleitenden calatores war es nicht allzu schwierig für den Pontifex und den Pontifex Minor sich durch das geschäftige Treiben der Stadt zu bewegen.
    "Ich möchte dich bitten, dich keinesfalls mit taktischen Ermittlungsfragen zurückzu..halten. Ich schätze, wir sind beide keine Experten in diesem Gebiet, darob wird es opportun sein, all unsere Kräfte zu bündeln"
    , ermutigte Gracchus den Pontifex minor kurz bevor sie den Tempel erreichten und sich nach dem Aedituus umsahen.

    Der Flavier schürzte die Lippen und sann einen Augenblick nach.
    "Eine Tabula für Notizen, sonstig wohl nichts. Wir werden uns von dem zuständigen Aedituus alles zeigen lassen. Bei dieser Art Inspektion geht es zumeist nur darum sich einen Überblick über den allgemeinen Zustand des Tempels zu ver..schaffen, wiewohl den Aeditui zu zeigen, dass dem Cultus auch Kleinigkeiten am Herzen liegen."
    In Friedenszeiten war es schlussendlich besonders wichtig, dass staatliche Gebäude in vollem Glanze erstrahlten, schürte anderweitiges doch oft allzu schnell Gerüchte über eine marode Finanzlage des Reiches. Bisweilen evozierte dies in Gracchus das Gefühl, je geringer die Probleme der Menschen, desto gewaltiger ihre Entrüstung und ihr Gewese ob dieser. Doch dies war ein philosophischer Gedanke für einen Tag mit geringeren Problemen als ein potentieller Diebstahl. Gracchus erhob sich.
    "So lasse uns denn zur Tat schreiten."

    Was zu viel war, war zu viel. Und diese haltlosen Unterstellungen waren zu viel. Dass Serapio keine Argumente mehr konnte vorbringen und das Schlachtfeld zurückweichend verließ, bestätigte für Gracchus nur die Haltlosigkeit. Mit einem
    "Pah!"
    drehte der Flavier sich beleidigt um und schnappten sich den Latrineneimer.
    "Ich brauche unverseu'hte Luft"
    , erklärte er sich mit zynischemTonfalle niemand bestimmtem - denn gegenteilig Serapios Ansicht tangierten ihn die Sklaven in gleichem Maße wie der Schuh selbst -, und stapfte in Richtung Latrine hinfort.

    Die wutentbrannte Stimmung Serapios evozierte wiederum in Gracchus um so mehr Zorn.
    "Oh, selbstredend, es geht immer nur um die Vo..rzüge unseres Lebensstils! Ein anständiges Frühstück und ein Sklave, der die Sandalen schnürt - was für ein königli'hes Leben! Abgehoben bin ich also! Du hast doch nicht den Schimmer einer Ahnung wie tief unten meine Welt liegt und welch Ent..behrungen und Mühewaltung sie ein Leben lang einfordert!"
    Auch Gracchus fuhr empor, um mit dem Kontrahenten auf Augenhöhe zu bleiben.
    "Ich glaubte, du wärst anders, würdest mich sehen, doch auch du siehst nur die Vor..züge, die schönen Masken und den glitzernden Tand meiner Herkunft, wirfst mit Plattitüden um dich und am Ende wirst du zer..fressen von Neid! Und genau dies ist der Grund, warum unsere Welten getrennt bleiben sollten!"
    Er unterstrich dies mit einen Schlag seiner Faust auf den Tisch.
    "Was für eine wahnwitzige Idee diese ganze Jagdpartie, was habe ich mir nur dabei geda'ht, dem zuzustimmen - dies war doch von Beginn ein hoffnungsloses Unter..fangen!"

    Gracchus' linke Braue hob sich empor in einer Weise, welche von deutlichem Missfallen kündete.
    "Immerzu? Was soll das bedeuten, immerzu?"
    fragte er unwirsch, unmittelbar in eine Abwehr verfallend, welche er über Jahre hinweg sich aus dem Konflikt mit seinem Vater hatte bewahrt. Immerhin ging es hier nur um einen versalzenen Brei.
    "Ein halbwegs wohlschmeckendes Frühstück ist wohl nicht zu viel ver..langt! Aber allfällig hast du zu viel Zeit zwischen Sand und Fels verbracht, um dir noch einen adäquaten Anspru'h an das Leben zu bewahren. Verzeih, wenn ich nicht geneigt bin, mich auf den staubigen Boden hinabzu..lassen!"
    Seine Stirn kräuselte sich einen Augenblick, dann setzte er nach, die Schultern straffend.
    "Nein, verzeih nicht, denn sich einen Anspru'h an das Menschsein zu bewahren bedingt keine Verzeihung! Mir ist sehr wohl vieles gut genug, doch zu..mindest akzeptabel sollte es dafür sein!"