Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Während Valerius sprach, hob sich Gracchus' linke Hand und er begann seine Unterlippe damit zu kneten. Fasziniert folgte er dem Gedanken der Tunnel und sah einem Moment lang vor seinem inneren Auge eine Gruppe zwergenhafter Gallier, welche mit Schaufeln und Hacken sich einen Tunnel unter dem Quirinal hindurch in die Villa Flavia gruben. Er würde unbedingt den Maior Domus anweisen müssen, die Kellerräume und Hypokausten regelmäßig zu kontrollieren nach etwaigen Durchbrüchen. Unter dem Forum Boarium indes schien ihm die Gefahr ein wenig geringer, der Grundwasserspiegel war ob des nahen Tibers knapp unter dem Boden, sodass ein Tunnel durch das Erdreich nur schwierig bestand würde haben. Indes schloss er diese Möglichkeit nicht aus, was wusste er schon von kriminellen Machenschaften? Den Boden im Keller des Tempels zu kontrollieren würde nicht schaden.
    "Nun"
    , setzte er sodann an und ließ seine Hand sinken.
    "Wenn es einen Dieb gibt, so ist es unabdingbar ihn zu fassen. Wir dürfen nicht tolerieren, dass jemand sich an den Schätzen des Staates bedient, denn hierbei geht es nicht nur um die Reputation des Cultus Deorum. Es geht um Re'ht und Gesetz in Rom."
    Dies nicht nachzuverfolgen und aufzuklären könnte hinwieder durchaus auf den Cultus Deorum zurückfallen.
    "Den Täter zu alarmieren und allfällig damit niemals zu identifizieren ist daher keine Option. Darob stimme ich dir zu, wir sollten eine klandestine Ermittlung vorerst bevorzugen."
    Zumindest bis sie sicher waren, dass dies nicht bloßer Zufall war, und bestenfalls bereits wussten, ob der Dieb innerhalb oder außerhalb des Cultus zu finden war, mochte der Flavier noch keine Spezialisten für Ermittlungen hinzuziehen.
    "Zuvörderst sollten wir schlicht den Tempel in Augenschein nehmen. Wir können eine un..angekündigte Routineinspektion durchführen, vordergründig um den baulichen Zustand zu begutachten. Dies ist nicht allzu ungewöhnlich. Dabei können wir uns unauffällig umsehen nach etwaigen Tunneln, Spuren eines Einbruches, welche nur demjenigen ins Auge fallen, der danach sucht, oder sonstigen Ungereimtheiten."
    Zwar war sich Gracchus durchaus gewiss, dass er kein Spezialist für solche Art Untersuchungen war - abgesehen davon, dass er alle Ausgaben von 'Sklave Gaius ist der Beste' gelesen hatte, und somit zumindest theoretische Kenntnisse besaß -, doch sich ein wenig umzusehen konnte nicht schaden.
    "Weiters könnten wir ein kleines Opfer vollziehen, im Laufe dessen eine größere Summe gegeben wird. Wir könnten am nächsten Morgen na'hprüfen, ob mindestens diese Summe ihren Weg in die Regia gefunden hat."

    Genüsslich brummend drehte Gracchus sich auf den Rücken und blinzelte in den güldenen Morgen hinein.
    "Könnte nur jeder Tag mit einem Kuss Hephaistions beginnen"
    , murmelte er und ergab sich schicksalsergeben dem morgendlichen Beilager. Ein wenig besorgte ihn, ob er diese körperliche Leistungsbereitschaft noch lange würde aufrecht erhalten können, doch derzeit schien einzig die Anwesenheit Serapios alle Zweifel zu beseitigen. Nachdem sie beide wach waren, voller Euphorie und Tatendrang, und auch Gracchus gewaschen - selbstredend hatte Sciurus das Wasser über dem Feuer erwärmt -, nahmen sie zum Frühstück Platz, welches Serapio als besonders mit Liebe garniert hatte angepriesen. Der Tag kündete von mildem Wetter und herrlichem Sonnenschein.
    "Heute werden wir zweifelsohne einen prächtigen Hirschen erlegen!"
    sprach der Flavier und griff enthusiastisch zu seinem Löffel als wäre dies die Waffe seiner Wahl. Er nahm einen großen Bissen Puls - und spie ihn wieder aus, kaum dass sein Gaumen mit dem Getreidebrei in Berührung kam.
    "Uäh!"
    verlieh er seinem Ekel Ausdruck, das Antlitz zu einer Grimasse verzogen.
    "Was für ein ungunstiöses Gemisch!"
    Er suchte den salzigen Geschmack mit einem Schluck Wasser hinfort zu spülen, spie dies aber lieber auf den Boden aus als es zu schlucken, und schüttelte sich.
    "Wahrhaft degoutant! Ver..zeih, aber als Koch würdest du nicht viel taugen."
    Gleichwohl der Puls mehr als versalzen war sprach Gracchus durchaus im Scherz. Kochen gehörte schlussendlich ohnehin nicht zu den angemessenen Aufgaben eines Römers ihres Standes.
    "Allfällig sollten wir Sciurus wieder die Frühstückszubereitung überlassen ..."
    Der Sklave stand abwartend neben der Hütte, keine Regung auf seinem Antlitz zeigend, doch wer ihn kannte - was kaum jemand tat außer sein Herr, der keine Acht darauf hatte - mochte ein winziges Lächeln auf seinen Lippen entdecken.

    Gracchus wartete bis der Pontifex minor den Raum betreten und der Kultbeamte hinter ihm die Türe geschlossen hatte.
    "Salve, Valerius. Bitte, nimm Platz. Wir haben hier eine ... delikate Angelegenheit, welche in diesem Sinne vorerst äußerst vertrauli'h behandelt werden muss."
    Gracchus wies auf die Tabulae, die auf dem Tisch ausgebreitet waren.
    "Wie du weißt obliegt es Curiatianus die Einnahmen aus den Tempelspenden des Stadtgebietes zu verwalten. Curiatianus, bitte erläutere deine Entdeckung."
    Der Sekretär nickte, wies auf drei der Wachstafeln und schob sie näher zu Flaccus.
    "In der letzten Woche gab es mehrere Tage hintereinander einen auffällig geringen Betrag an Geldspenden im Tempel des Mercurius am Forum Boarium. Vielleicht wäre mir dies nicht einmal aufgefallen, hätte es in den Wochen zuvor nicht schon einmal ein paar einzelne Tage gegeben, an denen es genau in diesem Tempel sehr geringe Einnahmen gab. Für die letzte Woche sprechen wir hier von Beträgen im Bereich von vielleicht zehn Prozent der durchschnittlichen Tagessumme. Natürlich gibt es immer Schwankungen bei den Spenden, mal mehr und mal weniger. Im Tempel des Mercurius gibt es vorallem kurz vor den Wahlen signifikant höhere Einnahmen, wenn die Kandidaten Mercurius um Redegewandtheit bitten, oder im Frühjahr wenn sich viele Händler auf ihre Reisen begeben. Und in manchen Tempeln schwankt der Durchschnitt je nach Monat. Extrem geringe Beträge dagegen sind selten, vor allem an hintereinander folgenden, ganz gewöhnlichen Tagen. Ich habe natürlich auch den Kalender überprüft, an den Tagen mit den auffällig niedrigen Einnahmen gab es nichts besonderes."
    Da der Valerius nicht aus den unteren Rängen des Cultus Deorum aufgestiegen, sondern direkt in das Collegium aufgenommen worden war, setzte Gracchus zu einer Erklärung über das Prozedere der Verwendung der Opfergaben an
    "Der Aedituus eines Tempels sammelt die Münzspenden und Wertgegen..stände über den Tag hinweg regelmäßig ein, wie auch die übrigen Opfergaben regelmäßig aus der Cella abgeräumt werden."
    In den größeren Tempeln gab es bisweilen in den steinernen Altären Schlitze, durch welche Münzen direkt in die Keller darunter fielen, doch dies war in dem betroffenen Tempel nicht der Fall.
    "Die Gaben werden im Keller des Tempels oder einem Raum in einem Nebengebäude aufbewahrt, der fest verschlossen ist, die Münzen zudem in einer verschlossenen Kassentruhe. Nur der Aedituus hat zu beidem den Schlüssel, ein weiterer ist in der Regia aufbewahrt. Die ver..derblichen Gaben werden später vergraben, die essbaren verteilt. Am Abend, wenn die Tempel geschlossen sind, werden die Geldspenden und Wertgegenstände eingesammelt. Pro Stadtteil sind dafür zwei Kultbeamte zuständig, stets die gleichen, die geleitet werden von zwei calatores und einem bewaffneten Mitglied der Stadtwa'he."
    Die Stadt hatte immerhin ein großes Interesse an diesen Geldern, floss doch nur ein Teil davon direkt in den Cultus Deorum, ein weitaus größerer jedoch in die Kassen des Staates.
    "Sie leeren die Kasse, notieren per Tempel den Betrag, sowie Art und Anzahl der Wertgegenstände, und bringen diese und die Münzen zur weiteren Verwaltung in die Regia. Die Akten werden hier am nächsten Morgen von Curiatianus bearbeitet."
    Ein Seufzen echappierte Gracchus.
    "Du siehst also, Valerius, es gibt viele Augenblicke, in denen ein Betrag abhanden kommen könnte, sofern es nicht doch alles nur Zufall ist. Ein Dieb könnte Münzen noch aus der Cella ent..wenden, oder aus dem Aufbewahrungsraum, allfällig gar mit einem nachgebildeten Schlüssel. Der Aedituus könnte Münzen unterschlagen, oder die Beamten, welche das Geld einsammeln. Insbesondere die beiden letzteren Mögli'hkeiten wären überaus ... delikat für den Cultus Deorum."
    Er ließ dies kurz wirken. Interne Zwischenfälle brachten stets die Gefahr von Zwist und Misstrauen - intern, sowie extern -, da oft mit einem Male ein jeder dazu tendierte, die Ausnahme als Regel zu vermuten.
    "Welches Vorgehen würdest du vorschlagen?"
    Selbstredend hatte Gracchus bereits eine Idee, doch wollte er zuerst sich anhören, was der Pontifex minor anempfehlen würde.

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    "Wunderbar, wunderbar!"
    schnaufte Calpetanus wieder die Treppe zur Rostra empor, an Valerius vorbei, um oben etwas lauter zu fordern:
    "Applaus für Tiberius Valerius Flaccus!"


    Nachdem dieser verklungen war, kündigte Calpetanus weiter an:
    "Und damit kommen wir auch schon zum dritten Kandidaten des heutigen Tages! Einen neuen Applaus für Servius Quintilius Luscus!"

    Der flavische Pontifex beugte sich über die Tabulae, welche der hagere Kultbeamte Curiatianus ihm hatte vorgelegt.
    "Nun, dies ist in der Tat sonderbar. Hast du diese Tage mit dem Kalenderarchiv abgegli'hen auf exzeptionelle Ereignisse?"
    "Ja, Pontifex, es waren ganz normale Tage ohne Besonderheiten."
    "Was ist mit den weiteren Tempeln des Areals?"
    "Keine Auffälligkeiten. Ich habe auch schon mit der Händlergilde gesprochen. Sowohl die Gewinne, als auch die Ankunft von Warenladungen und Abreisen von Handelszügen waren nicht weniger als an anderen Tagen."
    Gracchus lehnte sich zurück und dachte einen Augenblick nach.
    "Seit wann treten diese Auffälligkeiten auf?"
    "Seit dem Herbst würde ich sagen. In den Akten bis Martius zurück konnte ich nichts weiter finden, davor habe ich nicht geprüft."
    "Gut. Sage Valerius Flaccus Bescheid, dass ich ihn sehen möchte. Und, Curiatianus, vorerst kein Wort über diese Angelegenheit außerhalb dieses Raumes. Ich möchte konkrete Belege, ehedem dies ein Thema im Collegium wird."
    Dererlei Untersuchungen waren stets eine heikle Angelegenheit. Der Pontifex minor indes war Gracchus allein deswegen schon vertrauenswürdig, den er ein Klient seines Freundes Lupus' war.

    Gracchus konnte nicht verhindern, dass seine Braue ein Stück sich hob als Serapio seine Hirtenflöte hevorzog. Heimat. Lebte er nicht bereits viel länger in Rom als er je irgendwo sonst hatte gelebt? Die Weise, welche er spielte, klang einfach, rural, beinahe ein wenig larmoyant. Allfällig mochte dazu beitragen, dass Serapio zwar gut spielte, aber eben nicht meisterlich, an was das fIavische Ohr sonstige gewöhnt war, wiewohl Gracchus auch nur wenig Sinn für helles Flötenspiel besaß und etwa die tiefe Schwermut des Aulos bevorzugte, wenn nicht ohnehin eher Lyra oder Kithara. Er hatte selbst versucht in jungen Jahren das Spiel eines Instrumentes zu erlernen, war jedoch über das Tympanon nicht hinaus gekommen, und hatte letztlich entschieden, dass es besser war kein Instrument zu spielen als ein Instrument mäßig zu beherrschen - weshalb er es außer in reichlich angetrunkenem Zustande auch nie wieder versuchte. Serapios Töne wurden leiser, gleichwohl war Gracchus nicht sicher, ob er zu einem Ende kommen oder zu einer weiteren Strophe wollte ansetzen, ob dessen er ihm eine Hand auf den Arm legte.
    "Nett"
    , beurteilte er wenig enthusiastisch.
    "Gleichwohl ich kein Bewunderer der Flötenmusik bin. Doch wäre es der Szenerie, der Symphonie der Natur nicht ohnehin viel zuträglicher, sie nicht zu überdecken, sondern sie zu komplettieren? Würde dir konvenieren, den Klang des abendli'hen Waldes auszuschmücken mit schönen Worten? Sciurus ist ganz vorzüglich darin, die Eclogae des Vergilius darzubieten. Wenn er Tityrus und Meliboeus spricht hat es tatsächlich den Anschein als wäre er zwei Personen!"
    Er wandte sich um nach dem Sklaven, welcher neben der Hütte saß und sie beobachtete.
    "Sciurus! Die Eclogae des Vergilius!"
    Ohne eine Regung stand der Sklave auf, positionierte sich vor ihnen und tat wie geheißen. Tatsächlich hatte er nicht nur eine geschulte Stimme, sondern schlüpfte in die Rollen der Protagonisten aus Vergils Hirtengedichten als wären diese Kleidung, welche er sich nur überzustreifen brauchte. Wohlig lehnte Gracchus sich wieder an Serapio, Iegte seinen Arm um dessen Schulter und säuselte in sein Ohr.
    "Und, habe ich dir zu viel ver..sprochen? Ist dies nicht ergötzlich?"
    Das verstimmte Brummen seines Geliebten missdeutete er gänzlich als Zustimmung stiller Zufriedenheit, wiewohl Serapios baldige Eröffnung, dass er müde sei und ins Bett wolle, als Aufforderung den Tag in Vereinigung zu beenden - wie es denn auch nach ein wenig liebevollen und begehrlichen Drängens seitens Gracchus' geschah. Schon lange nicht mehr hatte der Flavier sich derart befreit und unbeschwert gefühlt wie in den zurückliegenden beiden Tagen.

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    "Applaus, Applaus für Gaius Iulius Caesoninus! Das war doch schon ein wunderbarer Auftakt für den Wettbewerb! "
    Calpetanus hatte sich zurück auf die Rostra gedrängt und forderte nach dem Beifall auch wieder Ruhe ein.
    "Aber noch haben wir viel vor uns, daher will ich euch nicht länger mit meinen unqualifizierten Worten behelligen. Einen neuen Applaus bitte für unseren zweiten Kandidaten: Tiberius Valerius Flaccus!"
    Er winkte den Valerius zu sich hinauf und trat zeitgleich den Rückweg an.

    Alle Geräusche des Waldes drangen durch die dünnen Wände der Hütte, so dass ein Konzert aus Vogelstimmen sie am nächsten Tage weckte. In der Nacht hatte es bereits aufgehört zu regnen und goldfarbene Strahlen der Sonne ließen die letzten Tropfen an den Blättern schimmern. Nach einem stärkenden Frühstück aus Puls mit Trockenfrüchten war alles bereit für die große Jagdpartie, welche sie zu Fuß und mit Bogen begehen wollten. Sciurus hatte alles vorbereitet, reichte ihnen die Waffen und wünschte seinem Herrn Jagdglück, was dieser jedoch kaum zur Kenntnis nahm, da er gänzlich beschäftigt war den Anblick Serapios in all seinen Facetten zu goutieren. Er sah stets aus wie ein Heroe - in Rüstung, in Jagdgewandung, ganz ohne Kleidung. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen folgte Gracchus darob seinem Meleagros ein wenig den Weg entlang und dann ins Dickicht hinein - einem Wildpfad folgend, wie Serapio fachmännisch ihm zuraunte. Während der Decimer die Spuren des Waldes las und tatsächlich zu wissen schien, was er tat, folgte ihm der Flavier schlichtweg darauf vertrauend, dass irgendwann der bloße Zufall sie mit einem Stück Wild würde kollidieren lassen - ganz ähnlich wie kein Neuankömmling je durch Rom konnte flanieren ohne nicht mindestens einmal von jemanden angerempelt zu werden. Er war daher mehr in die Betrachtung der Natur versunken - das variable Grün etwa vom lichten Buchenblatt bis zur ledrigen Nadel der Stechpalme; die am Morgen noch aufgerollten Farne, deren Spitzen keinen Spiralen glichen; das Pochen eines Spechtes, welcher über ihnen an seiner Behausung arbeitete; dicke, schwarzfarbene Käfer mit für ihre Leiber überdimensionierten Greifzangen am Boden; ein ungunstiöser Odeur als sie eine Suhle querten; fanfarenartige Pilze, welche einen vermoderten Stamm am Wegesrand einhüllten. Gracchus nahm darob nicht wahr, dass Serapio sich verlangsamte, ein wenig in die Hocke ging und seinen Bogen in Anschlag nahm. Er sah nur mit einem Male ein kleines Reh, etwa acht passus vor ihnen am Rand einer Lichtung stehen.
    "Da!"
    rief er aufgeregt und deutete auf das Tier, welches ob des fremdartigen Tons augenblicklich den Kopf erhob und bereits im nächsten Moment im Wald verschwunden war.
    "Ach Manius!"
    fuhr Serapio enttäuscht zu ihm herum und legte bedeutungsvoll den Finger auf die Lippen.
    "Verzeih"
    , bekannte der Flavier kleinmütig.
    "Ich war lediglich ... verzückt ob seiner Er..scheinung."
    Da Gracchus sich sehr zerknirscht zeigte, konnte Serapio ihm nur etwa einen Wimpernschlag lang böse sein, so dass sie nach einem Schluck wässrigen Weins aus den ledernen Trinkschläuchen ihren Weg weiter fortsetzen. Tatsächlich dauerte es nicht sehr lange bis dass sie an eine weitere kleine Lichtung kamen, auf der friedlich ein Hirsch äste. Neuerlich war Gracchus überaus entzückt, mehr noch als bei dem Reh zuvor, denn das Tier hatte ein prächtiges Geweih auf seinem Kopf, doch er beherrschte sich, seine Freude und Aufregung nicht allzu deutlich zu zeigen. Neben Serapio duckte er sich in das Gebüsch und versuchte gleich diesem seinen Bogen ein wenig zu spannen, gleichwohl bereits sich mehr als bewusst, dass er lieber dem Freund den ersten Schuss würde überlassen. Er visierte den Hirsch an als neben ihm ein lautes Knacken ertönte.
    "Mala leche!"
    fluchte Serapio inbrünstig neben ihm in einer Sprache, welche dem Flavier fremd war, doch allein der Tonfall reichte aus, den Sinn dieser Worte zu transportieren. Da der Hirsch ohnehin bereits das Weite hatte gesucht, wandte er seinen Blick besorgt und sah seinen Freund, der grimmig auf seinen gebrochenen Bogen sah.
    "Zum Hades!"
    schimpfte Serapio,
    "Das kann doch nicht wahr sein!!"
    Gracchus musste laut auflachen.
    "Oh, mein Herkules! Mehr Kraft als Jagdglück!"
    Er konnte nicht aufhören zu lachen, da Serapio verbissen und argwöhnisch seinen Bogen inspizierte als wäre er ein Indiz in einem Mordfall.
    "Das ist nicht lustig! Hier, das sieht aus als hätte sich jemand an meinem Bogen zu schaffen gemacht! Da, siehst du, die helleren Stellen hier, die Kerben, da war doch jemand mit dem Messer dran!"
    Gracchus, noch immer amüsiert, blickte auf den Bogen, den Serapio ihm entgegen hielt. Er konnte an der Bruchstelle nichts Verdächtiges entdecken, indes war sein Auge für solcherlei auch nicht geschärft.
    "Aber wer sollte dies gewesen sein? Du hast doch er..wähnt, dass du deine Ausrüstung noch einmal extra selbst geprüft und aufpoliert hast. Und seitdem sind wir niemandem begegnet. Vermutli'h warst du einfach schon zu oft mit ihm auf der Jagd und hast ... den Bogen überspannt."
    Er musste ein neuerliches Auflachen unterdrücken ob dieses Wortwitzes, bei dem Serapios Lippen schmal wurden, dann jedoch wurde er ernst und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter.
    "Hier, carbunculus meus, gräme dich nicht weiter, nimm meinen Bogen. Ich werde ohnehin nicht unser Meleagros sein, und er ist zwar nicht ganz so erprobt wie der deine, doch dur'haus von guter Qualität."

    In seinen Gedanken sah Gracchus den jungen Faustus - schon damals ein ansehnlicher Hephaistion - mit seinem Großvater durch die Sierra jagen - gleichwohl er zu dieser Zeit weder den einen, noch den anderen hatte gekannt oder jemals die Sierra gesehen -, streifte an seiner Seite durch Parthien mit Geparden und Raubvögeln.
    "Ich war schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr auf der Jagd"
    , bekannte er kleinmütig. Mit Caius und Marcus war dies gewesen, vielleicht sogar noch bevor er in den cursus honorum war eingestiegen? Er wusste es nicht mehr genau.
    "Von mir darfst du darob nicht er..warten, dass ich auch nur die Fliege im Gesamten treffe"
    , schmunzelte er. Tatsächlich war er nicht einmal sicher, ob er den Bogen ordentlich würde spannen können, denn die Kraft in seiner Rechten war nie wieder zur Gänze zurückgekehrt. Seit sie den Plan hatten gefasst hatte er ein wenig üben wollen, doch stets waren andere Dinge vor der Abreise dringlicher gewesen, dazu war er vorgeblich immerhin nicht einmal zur Jagd aufgebrochen, so dass er dem auch keine Dringlichkeit hatte schaffen können.
    "Du wirst also unser Meleagros sein müssen - in Hinblick auf das Jagdglück."
    Ohnehin war eben die ganze Jagd nur ein Vorwand, gleichwohl etwas substantiellere Gerichte als das vor ihm stehende Angebot in den kommenden Tagen angenehm wären. Indes, durch die Reise zu Pferd und Faustus' Anwesenheit mundete Gracchus die einfache Cena durchaus und seine Laune stieg zusehends.
    "Lasse uns noch ein wenig die Umgebung erkunden"
    , schlug er darob nach dem Mahl vor, und Arm in Arm folgten sie dem Pfad, welchen sie gekommen waren weiter in den Wald hinein.
    "Sieh nur, die Medusa"
    , wies Gracchus scherzend auf eine alte Baumwurzel, welche ihre verdorrten Ausläufer in die Höhe reckte und entfernt an eine Gorgone erinnerte. Dann wieder entdeckte Serapio ein Eichhörnchen zwischen den Ästen über ihnen, ein zartgrünfarbener Moosteppich spornte ihre Pläne an für die kommenden Tage - ein Picknick im Moosbett! - und in einer verwachsenen Baumrinde meinten sie eindeutig ein F und M umschlungen von einem Herzen zu entdecken. Ob der allmählich versinkenden Sonne hatten sie bereits entschlossen, baldig umzukehren, als sie mit einem Mal zwischen einem Gestrüpp aus Storaxbäumen hervortraten und am Rande einer Schlucht standen, an deren Grund ein Fluss seine wilden Bahnen zog.
    "Wie schön!"
    freute sich der Weltenbummler Serapio, während Gracchus mit offenem Mund und großen Augen neben ihm stand. Er hatte nicht viel gesehen von der Welt, und was er kannte war selten weit weg von einem festen Gemäuer oder zumindest einer gepflasterten Straße. Wenn schon hier, nur eine Tagesreise von Rom entfernt derartige Spektakel zu finden waren - was hatte er noch alles verpasst?
    "Das ist ... magnifik"
    , bestaunte er ehrfurchtsvoll den felsigen Abhang auf der gegenüberliegenden Seite, die rauschenden Wassermassen unter ihnen und den grandiosen Ausblick in das Tal, welches mitten in die Landschaft geschnitten war als hätten die Titanen einst das Land mit einem göttlichen Pflug durchfrucht. Kaum wohl hätte Gracchus sich von diesem Anblick lösen wollen, suchte er doch noch die Großartigkeit in seinem Gedankengebäude festzuhalten, doch Serapio hatte einen Blick für die fortgeschrittene Stunde und vertröstete den Geliebten auf die kommenden Tage. Den Abend verbrachten sie so am prasselnden Kamin, in trauter - und doch so ungewohnter - Unbefangenheit, scherzend, philosophierend und sich liebend.


    ~ ~ ~

    [Blockierte Grafik: http://www.niome.de/netstuff/IR/nsc/redner.jpg] | Calpetanus


    Der Applaus war noch nicht wieder zur Gänze verebbt, da forderte der Ausrufer mit einem Wink einen Fanfarenstoß ein, um für Ruhe zu sorgen.
    "Lasst uns nicht länger warten und uns endlich dem Vergnügen hingegen, weshalb ihr alle hier seid! Der erste Kandidat, der uns seine Lobrede auf Roma präsentiert ist Gaius Iulius Caesoninus!"
    Calpetanus schob sich die Stufen zum Forum hinab und überließ die Rostra zur Gänze Caesoninus.

    Serapio war weitaus enthusiastischer über die Szenerie als Gracchus, welcher noch die Begeisterung in sich - tief, tief in sich - suchte. Mehrere Tage sollten sie nun in dieser Hütte verbringen - was hatte ihn nur zu diesem Ausflug getrieben? Er atmete tief durch. Letztlich ging es nur um Faustus und ihn, nur um sie beide. Kein Preis konnte zu hoch sein. Zudem war immerhin Sciurus bei ihm, um ein wenig seines gewohnten Standards zu gewährleisten. Gracchus suchte ein wenig Abenteuerlust aus seinen tiefen Tiefen zu fördern - deplorablerweise gab es dererlei der Begeisterung similär nicht sonderlich viel - und trat hinter Serapio ein. Und wollte sogleich wieder umkehren. Im Inneren schien die Hütte noch viel kleiner als von außen betrachtet! Es gab nur einen einzigen Raum! Ein wenig verloren stand der Flavier herum als sein Freund bereits in Aktion verfiel, ließ sich von Sciurus den dünnen, wollenen Mantel abnehmen, ein wenig die Schultern massieren und die Reitstiefel zu bequemen Sandalen wechseln.
    "Gibt es ... eine Latrine?"
    , wagte er kaum zu fragen.
    "Einige Fuß den Bach entlang. Ein Eimer mit deiner Bürste steht neben dem Haus", wusste der flavische Vilicus. Gracchus wunderte sich nicht, woher er dies wusste, sondern trat schicksalsergeben aus der Hütte, nahm den Eimer und folgte dem Bach. Einige Fuß weiter ärgerte er sich, dass er seine Stiefel bereits hatte abgelegt, und noch einige Fuß weiter fand er die 'Latrine'. Rechts und links einer kleinen Kuhle am Bachufer waren zwei Steine platziert, darüber ein Brett gelegt mit einem Lartinensitzloch in der Mitte.
    "Nur... einige... Tage..."
    , murmelte der Flavier und widmete sich seinem Geschäft. Nicht nur die körperliche Erleichterung, auch das Plätschern hinter ihm und das idyllische Grün in all seinen differenten Facetten um ihn her hatten eine kalmierende Wirkung, dass er beinahe wieder ausgeglichen war - bis dass er die Bürste in das Wasser hatte getaucht und an seine Haut führte. Das Wasser war eiskalt.
    "Bona Dea!"
    entfuhr es ihm, der er halb in die Höhe fuhr und beinahe die Bürste hätte fallen lassen.
    "Nur ... einige... Tage ..."
    Missmutig und mit zusammengebissenen Zähnen beendete er seine Sitzung. Er würde Sciurus anweisen, das Wasser zu erwärmen. Dies war schlussendlich kein Luxus, sondern ein menschliches Grundbedürfnis! Als er zur Hütte zurückkehrte war Faustus im hütteneigenen 'Hortus' zugange, und Gracchus setzte sich zu ihm. Serapio bewunderte ein Messer und reichte es ihm fragend. Der Flavier kniff die Augen zusammen und drehte die Klinge ein wenig ins Licht.
    "Dies ist Orion mit seinen Jagdhunden Sirius und Procyon beim Versu'h alle wilden Tiere des Erdkreises zu erlegen - hier, siehst du, darum sind Hirsch, Wolf und Hase auf dieser gebogenen Linie angeordnet. Und dies dort hinter dem Jäger ist der Skorpion, welchen Gaia ihm hernach sandte, um ihn an seinem Unterfangen zu hindern. Eine sehr kunstfertige Arbeit."
    Er reichte das Messer zurück und wies auf die Gedecke auf dem Tisch, die linke Braue fragend erhoben.
    "Erwarten wir Gäste?"
    Gracchus konnte nicht verhindern, dass neuerlich ein wenig Missmut in seiner Stimme mitschwang, hatten sie sich doch darauf geeinigt, niemanden in diesen Ausflug einzuweihen, sofern es nicht zwingend notwendig war.

    [Blockierte Grafik: http://www.niome.de/netstuff/IR/nsc/Acanthus.png| Acanthus


    Acanthus störte Regen nicht. Wieso auch, er blieb hinter seiner Porta immer trocken. Und nach draußen kam er selten. Das änderte aber nichts an seiner mürrischen Art, die Besucher zu empfangen, mit der er auch diese Sklaven anblaffte, wer sie seien und was sie wollten. Mit der Nennung des Besuchs jedoch wandelte sich seine Miene und er zog die Türe weit auf. Noch bevor der Sklave sich zu seiner Herrin konnte umwenden, stand diese bereits hinter ihm - mit einer Miene, die dem Ianitor an seinen mürrischsten Tagen hätte Konkurrenz machen können.
    "Flavia Silana, willkommen in Rom!" Eine tiefe Verbeugung geleitete dies.


    Ohne ein Wort zu diesem reichte Acanthus dem Sklaven der Flavia ein Tuch aus fein gewebtem Leinen, dass diese sich würde trocknen können. Simultan eilte bereits ein junger Türsklave in das Haus hinein, um den Besuch anzukündigen.


    Acanthus wies ihm hernach zum Atrium hin.
    "Bitte tritt ein, der Hausherr wird bereits unterrichtet."



    IANITOR - VILLA FLAVIA

    "Vierhundersiebenundzwanzig?"
    fragte Gracchus verdutzt, ungläubig und verärgert zugleich. Sein Vilicus nickte, ob dessen dem Flavier nur ein tiefes Seufzen blieb.
    "Nun gut, meinetwegen."
    Er schob Sciurus eine Tabula entgegen als es an seinem Officium klopfte, und ein Sklavenjunge die Ankunft Flavia Silanas meldete. Gracchus' Antlitz hellte sich auf und er erhob sich, um seine Großnichte zu empfangen.
    "Silana"
    , strebte er ihr im Atrium entgegen. Wie schon bei der Ankunft ihres Bruders wenige Monate zuvor kam Gracchus nicht umhin zu bemerken wie sehr sie erwachsen geworden war seitdem er sie zuletzt hatte gesehen. Sie war eine junge Frau geworden, eine überaus ansehnliche noch dazu, und ihre Gesichtszüge glichen erstaunlich jenen ihrer Tante Arrecina, welche in viel zu jungen Jahren die Welt hatte verlassen, kaum älter als Silana jetzt.
    "Willkommen! Wie war deine Reise?"
    Sie sah ein wenig erschöpft aus, ob dessen er besorgt anfügte:
    "Befindest du dich wohl?"
    Hinter ihm stand bereits ein Sklave bereit, den beiden Herrschaften verdünnten Wein zu kredenzen - insbesondere natürlich der neu angekommenen Flavia.

    Als der Applaus langsam verebbte, sah Gracchus sich zu einigen Worten bemüßigt. Da indes für ihn selbst kein Gewinn - von Gunst, Stimmen oder Beliebtheit - mehr vonnöten war, konnte er gänzlich auf den Aspekt der Kunst sich beschränken.
    "Bürger und Bürgerinnen Roms, Freunde und Gäste unserer Stadt! Kunst und Kultur sind ein Zeichen von Frieden und Wohlstand eines Reiches. Seit Jahren trägt unser Augustus Aquilius Severus Sorge für Frieden und Wohlstand in unserer Stadt und unseren Landen, und somit auch für das Erblühen der Kunst. Der Wettstreit des Wortes, die Kunst der Rede ist dabei eine der hö'hsten, wenn nicht gar die höchste Kunst unsere Zeit. Es ist mir daher eine große Ehre euch am heutigen Tage junge Künstler präsentieren zu dürfen, welche die Herausforderung angenommen haben, sich vor ganz Rom messen zu lassen."
    In seiner vorbereiteten Ansprache wollte der Flavier hier mit einem 'und' im Satze fortfahren, doch nach dem Seitenhieb CaIpetanus' während der Vorstellung setzte Gracchus einen Punkt.
    "Ein jeder von ihnen wird eine Lobpreisung auf Roma vortragen, so dass wir hernach den besten Redner diesen Tages küren können. Calpetanus, bitte stelle uns die Kandidaten vor."
    Der Flavier setzte sich wieder und überließ dem Maître de Plaisir auf der Rostra die Aufmerksamkeit.


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    "Aber gerne doch! Hochverehrtes Publikum, werte Zuschauer - und ganz besonders die jungen Damen - merkt euch die Namen unserer Kandidaten, denn dies sind die jungen Männer, von denen man in den nächsten Jahren noch viel hören wird! Und ganz unter uns, ich habe gehört sie sind alle noch zu haben!"
    Er grinste anzüglich in die Menge hinunter und zwinkerte einer jungen Frau in den vorderen Reihen zu.
    "Aber das wird nach dem heutigen Tag sicher nicht mehr lange der Fall sein! Unsere Kandidaten, die Helden des Wortes, die Schmiede der Verse sind - in ausgewürfelter Reihenfolge ihres Auftritts: Gaius Caesoninus aus dem Haus der Iulier, Tiberius Flaccus aus dem Hause der Valerier, Servius Luscus aus dem Haus der Quintilier, Titus Scapula aus dem Hause der Decimer, Norius Carbo aus dem hohen Norden und Philo von Amastris aus dem fernen Osten! Einen großen Applaus vorab für unsere wortgewandten Teilnehmer!"

    [Blockierte Grafik: http://www.niome.de/netstuff/IR/nsc/redner.jpg] | Calpetanus


    Als das Forum bereits gut gefüllt war traten die Preisrichter aus dem Schatten des Tempels des Saturnus und nahmen auf einer kleinen Tribüne zwischen der Rostra und der Basilica Iulia Platz. Ein weithin schallender Fanfarenstoß kündete vom Beginn des Wettbewerbes, und ein beleibter Mann - der berühmte und allseits beliebte Ausrufer Calpetanus - betrat die Rostra.
    "Hochverehrtes Publikum, Freunde der schönen Dichtkunst und hitzigen Reden, Verehrer der gedrechselten Silben und gegossenen Worten, Bewunderer großer Gesten und volltönender Stimmen - Willkommen! Willkommen zu einem Kampf der schönen Verse, zu einem Schlagabtausch der Lobpreisungen, zum großen Wettstreit der Rhetoren, der euch präsentiert wird von Consular Manius Flavius Gracchus. Kein geringerer als dieser stellt auch den heutigen Preis, den die tapferen Wortakrobaten - neben unsterblicher Berühmtheit - gewinnen können: ein kleines Stück Land vor den Toren Consentias! Wenn das mal kein Grund ist, sich ins Satzwerk zu stürzen und die höchsten Töne zu spucken!"
    Ein Raunen ging durch die Menge. Ein Grundstück im Süden Italias versprach allfällig keinen überbordenden Reichtum, doch Land war Land.
    "Doch vor dem Gewinn steht harte Arbeit, es gilt die heutigen Preisrichter zu überzeugen. Werte Zuschauer, begrüßt sie mit einem frenetischen Applaus, unsere erhabene, unsere einzigartige, unsere großartige Augusta Veturia Serena! Sie ist unsere größte Förderin von Kunst und Kultur, vor deren Feinsinn jedes noch so große Wort sich verbeugen muss!"
    Die Augusta erhob sich kurz und der dies begleitende Fanfarenstoß wurde beinahe vom Jubel und Applaus der Menge übertönt. Ohne Zweifel, würde die Augusta an einem Wettbewerb um die Gunst der Menschen teilnehmen, sie hätte noch vor dessen Beginn bereits gewonnen.
    "Wer könnte zudem besser über Gunstbezeugungen an Roma richten als ihr Praefectus Urbi? Aus diesem Grunde ist er der zweite Preisrichter, Consular Herius Claudius Menecrates, ein Mann, der ebenso das Schwert zu schwingen weiß wie das Wort - und von dem man behauptet, dass er mit beidem einen Gegner zum Schweigen bringen kann!"
    Ein neuerlicher Fanfarenstoß begleitete Claudius' Vorstellung. Der anschließende Jubel konnte selbstredend nicht mit dem für die Augusta mithalten, doch er war gewiss nicht gering. Durch sein Bemühen um die Sicherheit der Stadt - insbesondere der Subura - hatte der Praefectus Urbi in den zurückliegenden Monaten viele Sympathien bei den Einwohnern Roms gewonnen.
    "Und zuguterletzt, Consular Manius Flavius Gracchus, ein Mann, der Worte gerne so lange aneinander reiht, dass ein einzelner Satz von ihm schon als Epos gelten kann. Aber er weiß auch die Würze der Kürze zu goutieren, liebe Kandidaten, es besteht also kein Grund zu monströsen Satzschlangen!"
    Auch dies wurde von einem Fanfarenstoß beendet, während die Zuschauer applaudierten.

    "Nun, ich hätte nichts einzuwenden sofern du dich den ganzen Tag in meinem Bette räkelst"
    , griff Gracchus den Scherz mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen auf.
    "Doch allen Ernstes, wie wäre es mit der Politik?"
    Serapio war immerhin selten um Worte verlegen, raffiniert und in Taktiken geübt.
    "Oder allfällig ein kultisches Amt? Bei den Septemviri?"
    Gleichwohl konnte Gracchus sich seinen Freund nur schlecht als Organisator des Iovis epulum oder anderer Riten vorstellen.
    "Andererseits verleiht auch der Tribun dir einen Hauch von Ver..wegenheit, der dir überaus gut zu Gesichte steht"
    , lächelte er und ergab sich in Faustus' Liebkosungen, bis dass jener die traute Innigkeit jählings zerstörte. Jugendsünden. Gracchus Leib erschlaffte ein wenig.
    "Pikant?"
    Er versuchte sich unter Serapios Leib hervorzuwinden, war jedoch gegen dessen starken Griff machtlos. Schlussendlich gab er den Widerstand auf.
    "Ich war mit meinen Vettern in einem Lupanar in Athenae. Wäre dies ausreichend pikant?"
    Für die meisten jungen Männer galt dies wohl eher als Teil des Erwachsenwerden, denn als Jugendsünde, und schon als er es aussprach wusste Gracchus, dass Serapio ihn damit nicht würde davonkommen lassen.
    "Ich habe mich mit meinen Vater überworfen und ein kleines ... nicht unbeträ'htliches Vermögen verprasst - dies war allerdings nicht pikant, sondern jugendliche Unvernunft und Verantwortungslosigkeit und darob wohl lediglich blamabel."
    Und noch immer schämte er sich dafür, nicht nur da dies seinen ersten Sciurus das Leben hatte gekostet.
    "Darüberhinaus berichten böswillige, familiäre Zungen, ich hätte mit meiner Base Leontia das Bett geteilt."
    Einen Augenblick ließ er verrinnen, um die Reaktion des Geliebten zu studieren.
    "Doch gleichwohl ich gestehen muss, dass wir tatsächlich ein Bett teilten, so hegte ich schon damals kein Interesse am anderen Geschlecht - es war schlichtweg ein eiskalter Wintertag und wir hatten uns klandestin aus dem beheizten Atrium, in welchem eine Familienfeierli'hkeit stattfand, zurückgezogen, um dem belanglosen Geplauder zu entkommen und in Ruhe einen Epos zu ergründen, und waren ob dessen unter der Decke auch voll bekleidet. Weder dieser Umstand, noch das Pergament, noch unsere Beteuerungen indes konnten unsere Ehre retten und unsere Väter achteten auf vielen familiären Festivitäten noch Jahre danach darauf, dass wir voneinander Abstand hielten."
    Er seufzte tief.
    "Was überaus deplorablel war, denn sie war feinsinnig, belesen und verständig wie sonst kaum jemand in der Familie, und ver..starb zudem viel zu früh, so dass wir später in Rom viel zu wenig Zeit hatten, um noch alle Epen der Welt zu studieren und alle Rätsel des Daseins zu ergründen."
    Mit einem Kopfschütteln, das auf der Kline mehr einem Rollen glich, beendete er seine Erinnerungen, denn würde er sie weiter verfolgen würde dies nur in Gram enden über seine eigene Beteiligung an diesem Tode.
    "Ich fürchte, pikanter wird es nicht."
    Nun erst zog sich wieder ein Lächeln über Gracchus' Lippen.
    "Mein pikantes Leben hat erst später begonnen, und gerade in diesem Augenblicke er..lebt es einen seiner Höhepunkte."
    Seine Hände begannen Faustus' Leib zu erkunden und zu liebkosen - denn würde ihn Kraft nicht aus Serapios Griff befreien, musste er zu subtileren Mitteln greifen.

    Der Herbst nahte mit großen Schritten, brachte allerorten gute Ernten und Wohlstand ein und schenkte Rom dazu noch einige golden schimmernde Tage. Jener Tag, an welchem der Wettstreit der Rhetoren auf dem Forum Romanum stattfand, war von einem lauen Luftzug aus Westen geprägt, von einer blassen Sonne, welche zwar die Welt noch zum Leuchten brachte, doch ihre hitzige Sommerglut hatte eingebüßt bis zum nächsten Jahr. Es war ein Tag, welcher geradezu dazu einlud durch die Straßen der Stadt zu flanieren und auf den Plätzen und Foren zu rasten - oder eben dem Hauptstrom der Passanten zu folgen und zum Forum Romanum sich ziehen zu lassen, auf welchem der Wettstreit der Rhetoren stattfand. Zur Seite der Rostra, vor dem Triumphbogen des Septimus Severus, war eine Tribüne aufgebaut, auf welcher jedoch nur die hochrangigsten Honoratioren der Stadt* einen Sitzplatz fanden. Allen anderen Zuschauern war das Forum so überlassen, wie es stets gedacht war - um dort nebeneinander zu stehen. Einige hatten sich bereits eingefunden, um sich die besten Plätze auf den Stufen zur Basilica Iulia zu sichern. In den Straßen, welche zum Forum hinführten, drängten sich fahrende Händler an die Mauern der Gebäude, welche neben allerlei Naschereien, Essen und Trinken auch jeglichen Tand aus aller Herren Länder den vorbeikommenden Zuschauern feilboten. Da das Spektakel noch nicht hatte begonnen, zogen auch über das Forum noch Händler mit ihren Bauchläden, priesen lauthals in Honig eingelegte Nüsse, frische Feigen, Pflaumen oder Trauben, pikant eingelegte Oliven, süße Kekse oder salziges Dörrfleisch und viele Leckereien mehr an.


    Sim-Off:

    * Um möglichst viel Zuschauer-Spiel zwischen allen Ständen zu ermöglichen sind dies nur etwa der Augustus und Familie, der Consul, vielleicht die Praetoren, die drei Haupt-Flamines, der Rex Sacrorum, Praefectus Praetorio und Praefectus Vigilium, ...

    Früher einmal hatte Gracchus die Ausritte zu Pferde geliebt, und auch der Jagd war er nicht abgeneigt gewesen. Damals war er mit Caius über die weiten Wiesen Achaias geritten, an der Küste entlang oder durch lichte Olivenwäldchen. Jedoch, seit er als junger Mann nach Rom war zurückgekehrt hatte er weniger und weniger Zeit auf einem Pferderücken verbracht, und dies rächte sich nun. Nach einigen Stunden schon tat ihm sein Hinterteil weh, sein Rücken meldet es sich ein wenig später. Auf dem Landgut nahe Tibur hatten sie nur eine kurze Rast eingelegt und einen der treuen Sklaven eingeweiht, wo Gracchus im Falle der Niederkunft seiner Gemahlin zu finden war und was der Haushalt einem Boten aus Rom zu berichten hätte: die Ungereimtheiten auf dem Landgut hatten glücklicherweise sich als Missverständnis offenbart, und ganz zufällig war Gracchus auf seinen Freund Serapio getroffen (Mehercule! Fortunas Launen sind stets überraschend!), welcher unterwegs war zu einer Jagdpartie. Da er bereits aus Rom fort und im Haus dort für seine Gemahlin ohnehin nicht vonnutzen war, hatte er die günstige Gelegenheit für ein wenig Zerstreuung genutzt. Im besten Falle jedoch würde diese Geschichte niemals erzählt werden müssen und Gracchus wäre noch vor der Geburt seines Kindes wieder zurück in Rom. Nur Sciurus hatte seinen Herrn begleitet, und ein Stück nördlich von Tibur hatten sie Serapio getroffen und waren weiter in die Berge geritten. Gracchus versuchte sein Elend zu Pferde sich nicht anmerken zu lassen, die Schönheit des Waldes und die Anwesenheit seines Geliebten zu genießen. Doch je weiter der Nachmittag verrann, desto leidlicher gelang ihm dies.
    "Wir sind da", ließ sich endlich Sciurus vernehmen, der von Voluptarianus Suavis Privatsekretär die genaue Beschreibung von Weg und Hütte hatte erhalten.
    "Ah! Endlich!"
    entfuhr es dem Flavier erleichtert, doch vor ihnen im Walde sah er nur eine hölzerne Hütte, zur Seite ein Unterstand angebaut - beides zusammen so groß - oder klein -, dass es ohne Bedenken in das flavische Atrium hätte gepasst, vielleicht sogar in das große Triclinium.
    "Ist dies ... alles?"
    fragte er irritiert. Allfällig war dies nur der Stall oder ein Badehaus und das eigentliche Anwesen befand sich dahinter.
    "Ja, das ist die Hütte", kommentierte der Sklave nüchtern, der immerhin eine genaue Vorstellung davon hatte, was sie erwartete: eine Jagdhütte.
    "Oh"
    , echappierte Gracchus, und die Ernüchterung, allfällig gar ein wenig Konsternierung war der Couleur seiner Stimme deutlich zu entnehmen. Nun erst wurde er sich dessen gewahr, dass all seine früheren Jagdpartien stets an einem Landgut der Familie oder von Freunden hatten begonnen, wie auch geendet, und er zuvor nie in die Verlegenheit einer solchen Jagdhütte gekommen war - einer Jagdhütte deren Bezeichnung tatsächlich für das stand, was sie war: eine Hütte. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

    Ein Strahlen des zufriedenen Glückes schimmerte auf in Gracchus' Augen - nicht ob der Tatsache wegen, dass Serapio sich hatte gegrämt ob der vergangenen Entscheidung ihn zu verlassen, sondern dass er an ihn hatte gedacht und dass das Leben sie nun wohlbehalten wieder hatte zusammengeführt. Womöglich war es das starke Sehnen gewesen - das nach dem Geliebten in der fernen Heimat und das nach dem totgeglaubten Geliebten - welches ihre Leben hatte bewahrt und sie unweigerlich wieder zueinander hatte gebracht durch alle Widrigkeiten hindurch. Wie zuvor an den Lippen des Libertinus hing Gracchus nun an denen seines Freundes als Faustus von seiner Odyssee berichtete. Es klang nach einem Märchen aus tausend und einer Nacht - die salbenden Jungfrauen, die arglistigen Medusen, der steinerne Gott, die drohende Sklaverei und die fremde Identität. Für einen Außenstehenden hätte dies allfällig nach Aufschneiderei und Übertreibung geklungen, doch Gracchus war sich gewiss, dass Faustus eher die Gefahren untertrieb, um seine Mission zu schützen. Wie gewaltig mussten seine wahren Entbehrungen und Abenteuer gewesen sein!
    "Dies klingt nach großen Gefahren, aber auch ein wenig nach berückender Erfahrung in der Fremde. Allfällig kannst du irgendwann einmal, wenn all die geheimen Informationen ver..altet sind, mir noch mehr davon berichten."
    Für einen Augenblicke sah er sie beide alt und grau um ein Feuer sitzen und Faustus seine Abenteuer zum besten geben. Der Flavier liebte die Erzählungen der Fremde, um so mehr da er selbst so ungern sein sicheres Heim verließ und reiste, doch aus dem Munde Faustus' waren sie noch fulminanter als jede Darbietung weitgereister Dramaturgen. Mehr noch als in Serapios Worten konnte er sich nur noch verlieren in seinen Berührungen, in seinen Küssen.
    "Der Augustus ... tut gut daran, ... dein Leben zu schützen"
    , murmelte er zwischen den Liebkosungen ehe er sich ein wenig daraus wand.
    "Du hast lange schon für Rom gestritten und gelitten. Ein Peregrinus kann nach Jahren sub aquila sein Leben einfordern. Auch dir sollte dieses Anre'ht gegeben sein, auch du solltest dein Leben zurückerhalten - für dich! Denn dein Leben ist viel zu kostbar als dass irgendwer es aufs Spiel setzen dürfte."
    Zu gut konnte Gracchus den Wunsch verstehen, die Pflichten - selbst die gerne erfüllten - Pflichten sein zu lassen, und ein wenig von seinen eigenen Leben einzufordern. Rasch ließ er sich wieder in Küsse und Berührungen abgleiten, gab sich diesem wertvollen Leben hin.
    "Rom ... wird immer ... fortbestehen. Auch ...ohne... uns.... Aber wir ... wir haben nur jetzt... "

    Nachdem er die Neuigkeiten lauthals über das Forum hinweg verkündet hatte, befestigte ein Bediensteter des flavischen Haushaltes die Bekanntmachung, dass jedermann sie würde nachlesen können.




    Consular
    Manius Flavius Gracchus


    lädt ein zum


    Wettstreit der Rhetoren


    [Blockierte Grafik: http://www.niome.de/netstuff/IR/rsdsrPlakat.jpg]


    Präsentiere auch du Rom deine Kunstfertigkeit und dein Talent zu rhetorischer Rede
    PRIDIE NON OCT DCCCLXIX A.U.C. (6.10.2019)
    auf dem Forum Romanum!

    ~ oder ~
    Erlebe wie die talentiertesten Redner Roms in der Kunst der Rhetorik brillieren und sich in Lobeshymnen an Roma messen. Können sie die Juroren - und euch - von ihrer wortreichen Kunstfertigkeit überzeugen?


    Als Preisrichter über die Güte der Reden wurden berufen die Augusta Veturia Serena, Praefectus Urbi Claudius Menecrates und Pontifex Flavius Gracchus.


    PRIDIE NON OCT DCCCLXIX A.U.C. (6.10.2019)
    auf der Rostra des Forum Romanum!