Ich bin dein - einem güIden-purpurfarben schimmernden Schmetterling gleich flatterten Faustus' Worte dahin und ehedem er in die Lüfte konnte entschwinden hatte Gracchus ihn eingefangen, trug ihn vorsichtig zwischen seinen gewölbten Händen haltend hinein in sein Gedankengebäude und schuf ihm einen neuen Raum. Er öffnete leicht seine Hände und blies den Schmetterling hinaus, dann noch einen, und noch einen und noch ein Dutzend und mehr. Ich bin dein. Ich bin dein. Ich bin dein, flatterten sie golden und purpurfarben um ihn her, mehr und mehr bis dass der gesamte Raum eine Symphonie aus samtig weichen Flügelschlägen war. Er war glücklich.
"Niemand könnte etwas gegen eine Freundschaft einwenden. Es gibt letzendlich auch andere Freundschaften, welche gänzlich unver..fänglich sind."
Ob nun eine Freundschaft, die ihren Höhepunkt oder Ursprung in einem gemeinsamem Kaisermord hatte, als unverfänglich zu bezeichnen war, mochte zweifelhaft sein - doch in anderem Sinne sicherlich.
"Der Unterschied in ... in unserer Herkunft mag ein eigen Ding sein, indes habe ich nie auf solcherlei insistiert, sondern stets nur auf einen verständigen Geist. Meine ... Freundschaften haben sich nur eben in diesen Kreisen ergeben. Indes ist es ein offenes Geheimnis, dass der Bürgerkrieg uns verbunden hat, und ebenso wie jenen selbst wird niemand wagen, die Hintergründe unserer Ver..bindung erforschen zu wollen."
Gracchus stockte und dachte über Serapios Frage nach dem Mitwissertum um die Verlänglichkeit seiner Vorliebe nach.
"Meine Vettern Caius Aquilius und Marcus Aristides kennen alle Höhen und Tiefen meiner selbst, sie waren mir stets wie Brüder."
Genau genommen waren sie ihm die Brüder gewesen, welche er in seinen Brüdern nie hatte, Caius darüberhinaus später noch viel mehr.
"Indes leben sie schon lange fort von Rom, und würden zudem niemals eine Diffamation meiner Person zulassen."
Er dachte über die Freudenjungen nach, die jedoch im Laufe seines Lebens selten geworden waren, zudem hatte Sciurus stets für höchste Anonymität Sorge getragen. Sciurus, der ihm für die Bedürfnisse seines Leibes in den Letzen Jahren hatte genügt.
"Meine Gemahlin Prisca selbstredend, doch durch die Verbindung unseres Kindes wäre jede Schmach meinerseits eine noch größere Schmach ihrer selbst."
Insbesondere da dies bereits ihre zweite Ehe war würde sie kaum wohl einen Bruch dieser zulassen.
"Und in unserem Haushalt... allfällig gibt es Beoba'htungen und Konklusionen, doch unsere Sklaven stammen aus unserer eigenen Zucht und kennen den Wert ihres Hauses, sowie die Dependenz von seinem Ruf."
Darüber hinaus verließen flavische Sklaven den Haushalt für gewöhnlich nur tot - als Teil der Familie oder exekutiert.
"Ich... habe stets versucht mich bedeckt zu halten, nicht nur meiner Laufbahn, sondern insbesondere ob der Familie wegen."
Nach einem Schluck des exquisiten Weines lehnte Gracchus sich etwas zurück und blickte durch die Decke des Baldachins an einen Ort, welchen nur er konnte sehen, um sich angenehmeren Dingen als dem Versteckspiel zuzuwenden, respektive einer neuen Dimension des Versteckspiels.
"Eine Jagdpartie? Das kling vorzüglich. Ich war... seit Ewigkeiten nicht mehr auf der Jagd."
Doch auch Gracchus fiel in diesem Moment seine Gemahlin ein.
"Allerdings … ich kann Prisca unmöglich auf der Höhe ihrer Gravidität alleine lassen, um mich auf der Jagd zu ver..gnügen. Allfällig …"
Zögerlich nur sprach er weiter.
"Womöglich gibt es einige Inkonsistenzen in unserer Villa Rustica nahe Tibur, welche eine prioritätre und unbedingte Anwesenheit meinerseits erfordern. Von dort aus ist es nicht mehr weit in die Berge und wenn ich tatsächlich dort vorbeisehe, wiewohl einer vertrauenswürdigen Seele meinen Aufenthalt hinterlasse, um im Falle des Falles eine Benachri'htigung zu erhalten, dann könnte wohl niemand etwas gegen ein wenig Zerstreuung einwenden. Immerhin könnte ich binnen eines halben Tages zurück in Rom sein."
Während der Geburt war er ohnehin zu nichts nütze, und seinen Sohn in die Arme zu nehmen und ihm einen Namen zu geben, dafür gab es noch genügend Zeit. Und hatte nicht Prisca einst ebenfalls ein Landgut vorgeschützt, um das Orakel in Cumae zu visitieren?
"Besitzt nicht Voluptarianus eine Jagedhütte in den Montes Lucretili? Er schuldet mir noch einen Gefallen für ein überaus wohlwollend empfangenes Opfer..."
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Die Worte des jungen luliers waren zwar nicht gänzlich desillusionierend, doch wenig konkret. Hehre Ziele - dies war zweifelsohne ein guter Anfang, doch sie waren weit, diffus und zu zukünftig als dass ein Weg dorthin bereits sichtbar wäre. Gracchus indes wollte es dabei bewenden lassen, immerhin war es das Vorrecht der Jugend große Pläne zu schmieden - wobei der Flavier durchaus schmunzeln musste ob der Beteuerung, dass Caesoninus zwar der Größe seiner Vorfahren nachstrebte, jedoch nicht in allen Belangen der Staatsherrschaft - und er würde Caesoninus erst zur nächsten Amtszeit weiter auf den Zahn fühlen wollen - sofern es dazu würde kommen.
"Dies ist in der Tat die Pflicht des Senates, sich um das Wohl und Gedeihen des Imperium und seines Volkes zu bemühen. Von Außen betrachtet ist dies jedoch oft einfa'her verlangt als von Innen heraus getan, denn das Imperium ist groß - und was einem Teil des Volkes zugute gereichen mag, kann für einen anderen eine Last darstellen. Selbst in Rom ist dies bereits nicht einfach - den einen würde es etwa das Leben erleichtern, so Wägen bei Tage in die Stadt hin..einfahren dürften, den anderen schadet es ihren Geschäften; den einen erschwert es ihr Geschäft, dass die Brandschutzverordnungen strikt sind, den anderen rettet es allfällig das Leben. Es ist stets ein Abwägen von Für und Wider, welches einen weitreichenden, ungetrübten Blick benötigt. Nicht umsonst ver..bringen viable Männer die ersten Jahre ihres Lebens nur damit, ihren Horizont zu weiten, so viel als möglich an Wissen in sich anzuhäufen, ihren Geist in alle Richtungen hin zu trainieren, Recht und Gere'htigkeit zu verinnerlichen und ihre virtutes zu vervollkommnen. Nicht umsonst sitzen Männer im Senat, welchen die Sorgen des Alltages fern sind, die sie nur abhalten würden davon das große Ganze zu sehen, Männer, welchen es möglich ist, eine gewisse Neutralität zu wahren, mit not..wendiger Ataraxie, bisweilen gar einer Art von Kaltblütigkeit, welche unumgänglich ist, um das Wohl aller oder gar des zukünftigen Volkes gegen den Schaden einiger weniger oder der Gegenwart abzuwägen."
Gracchus hielt kurz inne und blickte durch das dunkle, grünfarbene Nadelwerk einer Pinie hindurch zum hellen Himmel dahinter.
"Nun, zumindest ist dies das Ideal des Senates. Ich muss ge..stehen, die Realität differiert bisweilen von diesem, was uns jedoch nicht davon sollte abbringen, stets nach dem Ideal zu streben - weder in der Politik, noch in unserem eigenen Leben."
Er lächelte versonnen.
"Bist du bereits verheiratet, Iulius?"
schloss er an, ohne dass deutlich wurde, ob dies eine Fortführung des vorherigen Themas war oder ein Richtungswechsel. -
Aufruf zum Wettstreit der Rhetoren
Die Trägheit des Sommers sollte vorüber sein, darob soll es nun losgehen mit den SimOff-Vorbereitungen zum Wettstreit der Redner.
Die SimOn-Rahmenbedingungen sind:
- Teilnahme für römische Bürger und Peregrine, Bürger(innen) können zudem mit einem Sklaven teilnehmen
- Beitrag: Eine Lobpreisung zu Ehren Romas
- 3 Preisrichter werden über die Güte der Rede entscheiden
- Dem Gewinner winkt ein kostbarer Preis und endloser RuhmDie SimOff-Rahmenbedingungen sind:
- Teilnahme für alle, im Zweifelsfall über einen NSC möglich.
- Der Wortlaut eurer Rede geht per PN an mich bis spätestens 03.10.2019. Dies sichert, dass niemand seine Beiträge nach denen der Konkurrenz noch ändert oder anpasst.
- Die Form eurer Rede ist euch frei überlassen. Sie muss jedoch von euch geschrieben sein.
- Ob ihr Roma auf Rom oder die Göttin bezieht, bleibt euch überlassen.
- Ab dem 06.10.2019 startet das SimOn-Event. Ihr werdet nach und nach eure Redetexte mit eurem Charakter/NSC auf dem Forum vortragen.
- Die drei Preisrichter (noch nicht feststehend) werden den Sieger ermitteln nach stilistischer Güte und Vortragsgüte (rollenspielerische Darstellung)
- Der Gewinner (bzw. Schreiber der NSC-ID oder Besitzer des Sklaven) erhält einen WiSim-PreisAls Teilnehmer habe ich bisher notiert:
- Sextus Flavius Maecenas
- Gaius Iulius Caesoninus
- Spurius Purgitius Macer (NSC)
- Lucius Annaeus Florus Minor (NSC?)
- Norius Carbo ?
- Tiberius Valerius Flaccus (?)Seid ihr noch dabei? Gibt es weitere Interessenten?
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Der Herbst hielt allmählich wieder Einzug in Rom, die trockene Hitze des Sommers war angenehmer Wärme gewichen. Auch die Lethargie, welche die Menschen in dieser Zeit üblicherweise erfasste, wich langsam dem geschäftigen Treiben, welches so typisch war für Rom. Für Flavius Gracchus gehörte zu diesem Treiben die Alltagspflicht seines Amtes, welche an diesem Tage in Form einer Opferprüfung sich abzeichnete. Gemeinsam mit Scapula trat er zum Tempel des Mercurius hin, vor welchem bereits der Prüfling wartete.
"Salve, ich bin Pontifex Flavius Gracchus, und dies ist Pontifex Cornelius Scapula. Wir werden heute deine Prüfung abnehmen. Sofern du bereit bist, können wir beginnen." -
In der kommenden Woche werde ich geschäftlich sehr eingespannt sein und darob voraussichtlich höchstens mitlesen.
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"Aber nicht doch"
, winkte der Flavier lachend ab.
"Die Senatoren sind nicht nutzlos. Aber sie wären es, hätten wir kein Rom und kein Reich, für welches es sich lohnte, Sorge zu tragen. Und eben dieses Rom und dieses Rei'h existierte nicht ohne Männer wie dich und deine Kollegen im Cursus Publicus und ähnlichem."
Gespannt lauschte er den Ausführungen des jungen Mannes über den Magister Vicus, der letztlich ein Kommunalpolitiker war und schlichtweg im hohen Norden seinen eigenen Namen trug. Dennoch war es nicht weniger interessant, von dessen Aufgaben zu hören. Der mogontiacische Cursus Honorum belustigte Gracchus dabei ein wenig, konnte er sich doch kaum vorstellen dass es dort in der Provinz eine Laufbahn in solch ehrenvollen Ämtern gab wie in Rom. Zweifelsohne gab es durchaus ehrenvolle Ämter, doch diese - wenn auch nur namentlich - mit jenen in Rom gleichzustellen, dies schien ihm doch ein wenig ridikulös. Dennoch ebbte seine Neugierde nicht ab. Der junge Tribun, den Narbo beschrieb, erinnerte ihn durchaus an seinen Sohn Minor, doch war dessen Reise erst zwei Jahre her?
"Oh, mein Sohn war vor einigen Jahren Tribunus Laticlavius einer der ger..manischen Legionen. Ich bin jedoch nicht sicher, ob dies in Mogontiacum gewesen ist. Indes, der Zufall wäre womöglich auch zu groß."
Die Städte der nördlichen Provinzen waren es Gracchus nie wert gewesen, sich besonders mit ihnen zu befassen, ebenso wenig welche Legion in welcher Stadt war stationiert. Im Falle politischer oder militärischer Eskalation mochte er sich damit auseinandersetzen, andernfalls jedoch nicht.
"Nun, im Detail in Hinblick auf die einzelnen Handlungen braucht deine Schilderung nicht zu sein, doch grob scheint mir etwas zu ... grob. Was waren deine Aufgaben und Pflichten während dieser Amtszeit?"
ermutigte der Flavier den jungen Mann von eben dieser weiter zu berichten. -
Philotima kann als Flavia eingelassen werden, die familiären Verhältnisse werden noch nachgereicht.
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Gracchus hob verwundert die linke Braue, war er doch mitnichten sich gewiss, ob Serapio mit ihm scherzte oder im Ernst sprach - erachtete er seinen Wortschatz selbst doch keinesfalls als sonderlich außergewöhnlich. Bisweilen war ihm Faustus ob solcher Bemerkungen gar ein wenig fremd und es machte ihm bewusst aus welch unterschiedlichen Welten sie stammten.
"Fastilliant allfällig?"
suchte er sich im Scherz abzulenken.
"Oder womöglich miramanios?"
Er legte Serapio ein Möwenei auf die Lippen und angelte sich selbst eine Sepiascheibe, genoss das Kribbeln, welches sie kurzzeitig in seiner Kehle hinterließ.
"Mhm, köstlich! Du überrascht mich nicht nur mit diesem prä'htigen Anwesen, sondern ebenso mit einem begnadeten Koch. Kennst du das Deversorium Delectationum an der Alta Semita? Dort gibt es einen ganz ähnlich deliziösen Tintenfisch."
Im Ansinnen, sich ein weiteres Stück zu genehmigen streckte er seine Hand aus, hielt jedoch vorerst inne.
"Ich kann es noch immer nicht recht fassen. Letzte Woche noch glaubte ich dich ver..loren bis zum Ende meiner Tage und nun Iiegen wir hier und laben uns an Ergötzlichkeiten. Könnte es nur immer so sein, fastilliant miramanios tagein, tagaus."
Seine erhobene Hand streifte Serapios Wange und die Couleur seiner Stimme war schwer von Ernst.
"Oh, Faustus, versprich mir, dass wir nicht wieder auseinander gehen ohne Aussi'ht auf ein Wiedersehen. Nie wieder. Lasse uns alle Opportunitäten nutzen, welche sich uns bieten, und so sie uns nicht sich bieten, im Zweifelsfalle sie uns selbst erschaffen."
Selbstredend hatte sich nichts gewandelt an der Verfänglichkeit ihrer Liaison, gleich ob Serapio noch Praefectus Praetorio war oder nicht. Doch Gracchus war es leid, sein eigenes Sehen stets hinten an zu stellen, respektive war er schlichtweg nicht fähig dieses Sehnen nach Faustus zu verdrängen, geschweige denn zu negieren. -
"Oh, nun es ist mir ebenfalls eine große Ehre mit dir sprechen zu dürfen, Norius Carbo. Was wäre schlussendli'h Rom ohne Männer wie dich? Ein Haufen nutzloser Senatoren möchte ich vermuten."
Es war nicht, dass der Flavier dies nur aus Höflichkeit sagte, es gehörte tatsächlich zu seinem Verständnis der Welt, respektive der Ständeordnung, dass ein jeder seinen festen Platz im Gefüge hatte, der nicht weniger wichtig oder unwichtig als der eines anderen war - und solange in diesem jemand ein reger Geist wohnte, war er nicht minder abgeneigt, mit diesem zu sprechen. Darüber hinaus wurde auch für den Cursus Publicus nich jeder dahergelaufene Charakter eingestellt, immerhin wurden im Zweifelsfalle staatsrelevante Nachrichten transportiert. Da er noch immer stand, setzte Gracchus sich wieder, hatte sein Verstand - der zugegeben durch die Senatsferien und die Absenz vieler seiner sonstigen Gesprächspartner aus Rom ein wenig ausgedörrt war - bereits ein neues Sujet seiner Neugier entdeckt.
"Ich bin nicht gänzlich vertraut mit den politischen Strukturen in den nördlichen Provinzen - was genau sind die Aufgaben eines Magister Vici?" -
Es gab kaum Zeit für Gracchus die Details des Freiluft-Interieurs näher zu begutachten, noch über seine eigenen Jugendsünden - eine einzige, um genau zu sein, als er ein nicht unbeträchtliches Vermögen hatte verspekuliert - eingehend zu reflektieren, da ihn Faustus mit Liebesbezeugungen, gefolgt von einem endlosen Kuss überschüttete und zwischen ihnen das gegenseitige Begehren deutlich zutage trat. Es geschahen darob einige Dinge gleichzeitig in Gracchus' Gedankengebäude: zum einen begann er durch die weitläufigen Flure zu tanzen, sich zu drehen vor Glück, in Spiralen und Kreisen, die Schritte durch kleine Sprünge verbunden, die Arme weit ausladend euphorisch um den Körper schwingend zu einer Melodie des Chorals aus einer Aufführung von Pyramus und Thisbe, welcher er einst bei einem Besuch Thebaes hatte beigewohnt, und die ihn nachhaltig hatte beeindruckt - sonderbar, dass er sich just in diesem Augenblicke ganz genau des phrygischen Zopfmusters konnte entsinnen, welches das Bühnenbild thematisch hatte bestimmt; ebenso stand er in einem kargen Raum, der über und über gefüllt war mit beschriebenen Pergamenten, welche mit goldenen Nägeln in mehreren Schichten an die Wände waren geschlagen, und analysierte die Kaskade Faustus' preisender Worte, inspizierte sie von allen Seiten, zerpflückte sie in einzelne Buchstaben und kategorisierte sie nach ihrer Klangfarbe, ehedem er sie wieder zusammen setzte und darüber sinnierte, ob dies einzig die durch Venus' Düfte und Cupidos Wolkenschleier getrübte Betrachtung seines Geliebten war, oder dies dem extrinsischen Eindruck mochte entsprechen, den auch andere von ihm hatten; weiters stand er auch in einem Garten, nicht unähnlich jenem, in welchem sie sich befanden, und hielt ein sublimes Lächeln auf den Lippen, verzückt im Augenblick, gänzlich ergeben dem elektrisierenden Kribbeln, welches sich über seine Haut ausbreitete da eine Schar von Schmetterlingen mit ihren zarten Füßchen eine Prozession darauf abhielt. In der Realität indes fügten sich Gracchus' Lippen in den Kuss seines Gegenübers als wüssten sie genau, wohin sie gehörten, während seine Hände die Schultern Serapios umfassten, seinen Leib, dass sie nie wieder würden aufhören mit ihm zu verschmelzen.
"Oh, Faustus, ... Iasse uns ... nicht warten..."
, stieß er nach Atem suchend zwischen dem Kuss, der längst nicht mehr nur einer war, hervor.
"Lasse dich ... beschenken... und mich ... jetzt ..."
Als würde die Zeit ihnen herrnachjagen blickte Gracchus sich um, entdeckte die Laube, welche wie geschaffen war für zwei Liebende - allfällig da sie geschaffen war für zwei (oder mehr) Liebende - und drängte Serapio dorthin ohne von ihm zu lassen. Eine Hitze hielt ihn umfasst, welche selbst für den heißen Sommer zu intensiv war, ein fiebriges Verlangen nach der höchsten Erfüllung, nach dem Einssein, und er spürte eine Lebendigkeit in sich wie seit langem nicht mehr. Der Raum und die Zeit um ihn her schienen sich zu dehnen, zu strecken und biegen, alles schien gleichzeitig und doch in einzelnen Herzschlag, dass er jeden Augenblick, jede Empfindung und jede Wahrnehmung in sich konnte zugleich auskosten und konservieren - der Atem Faustus' auf seiner Haut; das helle Zirpen einer Grille im Garten, allfällig der Lockruf eines anderen Liebespaares; die elektrisierende Berührung ihrer Leiber; die blaufarbenen Himmelsfetzen außerhalb der Laube über ihnen; der sublime Duft nach einer Melange aus Sandelholz, Jasmin und ureigenem Faustus; ein Schweißtropfen, der sich in seinem Nacken sammelte, um von dort sein Rückgrat hinabzuperlen, wo er durch eine Berührung Serapios wurde gestoppt; das zaghafte Rascheln der Blätter in einem Windhauch, der sich in den Hortus hatte verirrt; der Schlag seines Herzens, welcher mehr und mehr sich beschleunigte; und schlussendlich der Klimax der Sinnenlust, der einzige Augenblick, in welchem er letztlich sich selbst doch noch gänzlich konnte vergessen. Erfüllt und befreit zugleich lag er hernach neben Serapio auf der breiten Kline, lauschte dem Hauch seines eigenen Odems, wie dem Faustus', und seufzte schlussendlich zufrieden.
"Welch ein überragendes Präsent... Du, Faustus, du bist überragend. Nein, magnifik. Berückend. Superb? Unvergleichlich? Grandios?"
Betrübt legte er seine Stirn in Falten.
"Ach, es ist wahrhaft deplorablel! Es existiert schli'htweg kein Wort, weIches dir könnte gerecht werden!"
Gracchus rollte sich zur Seite, um Serapio anzublicken.
"Allfällig sollte dies mein Vermächtnis an die Welt sein: ein neues Wort, dazu geschaffen, dich zu umfassen?" -
Zwei waren sie, und doch nur eins, eine Seele aufgeteilt in zwei Körper, dazu geboren nach der Vereinigung zu streben - dies war es, was Gracchus wieder in den Sinn gelangte als sie gemeinsam in das Perstyl traten, Serapios Arm angenehm um seinen Körper spürend.
"Es ist fulminant ... oppulent... und verspielt"
, kommentierte er das Anwesen.
"Ganz wie sein Besitzer."
Als würden sie über einen hellen Sternenhimmel schreiten schien es als sie über den sandigen Weg traten und unter ihnen die Kristalle im Licht funkelten, jeder Schritt geleitet von einem Knistern und umspielt von glitzerndem Schimmer.
"Nur den Liebenden ist es vergönnt, auf Sternen zu wandeln"
, zitierte er ein altes archaisches Gedicht, von welchem längst der Verfasser war vergessen, was sogleich ein wenig Wehmut evozierte - denn Serapio würde alsbald in anderer Begleitung hier wandeln.
"Dieses Haus wird zweifelsohne jede Frau mit Freude er..füllen, welcher du es als Heim angedeihen lässt, und du ... du wirst kaum wohl Schwierigkeit haben, eine geeignete Gemahlin zu finden."
Immerhin war Serapio nicht nur kein unbeschriebenes Blatt, sondern ebenso der Sohn und Erbe eines überaus einflussreichen Mannes. Doch auch Gracchus wollte dieses Thema nicht weiter vertiefen, denn selbst wenn dieses Leben zu ihnen gehören musste, so musst es ebenso eine Zeit geben, in der all das konnte vergessen sein.
"Oh"
, echappierte Gracchus jedoch sodann ein tiefer Seufzer bezüglich der Communitas, welche gleichwohl fern der Zeit des Vergessens lag.
"Die Auswü'hse des Epikureismus musste ich deplorablerweise bereits ebenfalls in meinem eigenen Hause erleben. Als Minimus in Aegyptus weilte erkor er sich eben dies als Subjekt seiner Studien, mit durchaus verheerenden Folgen für ihn und seine Reputation. Bei seiner Rückkehr hätte ich ihn beinahe aus der Familie verbannt. Kannst du dir dies vor..stellen, dein eigen Fleisch und Blut zu verstoßen? Ich habe meinen Vater stets bewundert dafür, dies bei meinem Bruder vollendet zu haben, doch als ich selbst in jener Lage war, war ich mir nicht mehr sicher, ob dies Selbsta'htung oder Selbsthass würde evozieren. Nun, ich bin froh dass mein Sohn sich für seine Familie entschieden hat. Auch er muss einen Kompromiss finden, zwischen dem was er geben muss, und dem, was er ein..fordern darf."
Er blieb stehen und wandte sich Serapio zu. Gleich in welche Richtung sie auch wanderten, ihre Gedanken schienen letzlich stets bei diesem Konflikt zu enden, in der Realität, welche auch sie selbst einengte. Neuerlich seufzte Gracchus leise.
"Wir beide, wir haben schon so viel gegeben. Und doch scheint es mir so schwer, etwas einzu..fordern - und sei es nur ein unbeschwerter Abend in Zweisamkeit. Hier stehen wir, nur wir beide, carbunculus meus, in einem Palast der Sterne, durch dicke Mauern getrennt von aller Niedertracht Roms, nur uns selbst verpflichtet, frei von allem Morgen - und doch kann ich nie vergessen, wer ich bin. Weshalb nur ist dies so schwer?" -
Auch der Pontifex ließ seinen Blick erneut über die Dächer Roms schweifen, ehedem er antwortete.
"Wie erwähnt ist der Kult eng mit der Kultur verbunden, und darob ebenso wie diese nicht statisch, sondern in stetem Wandel be..griffen, der um so stärker sich fassoniert, je breiter die Gesellschaft ist, aus welcher unsere Kultur sich konstituiert. Was also ist unser 'römischer' Kult, wo beginnt er? Ist es nur der originäre latinische Kult, oder inkludiert er auch den der Sabiner und Etrusker? Und hat nicht bereits Aeneas den griechischen Kult mit nach Alba Longa gebra'ht, so dass unser Kult ohnehin auf dem trojanischen basiert?"
Der Pontifex ließ eine kurze Pause entstehen, dass Caesoninus ihm durch die Vergangenheit hin konnte folgen.
"Wurde also aus Zeus tatsächlich mit einem Male lupiter, und was geschah darob mit Diespiter?"
Er zuckte leicht mit den Schultern.
"Es ist keine Unterschied, es ist ein und das selbe göttliche Prinzip unter einem anderen Namen, in einer anderen Sprache - der Licht-bringende Herrscher über den Pantheon und den Staat. Glei'hwohl umfasst dieses Prinzip viele weitere Aspekte und im Wandel der Zeit, mit dem Wandel unserer Gesellschaft sind mal die einen, mal die anderen von größerer Relevanz. Das, was du als landwirtschaftlich-bäuerlich geprägte Naturreligion bezeichnest, sicherte lange Zeit das Wohl Roms, welches zu dieser Zeit aus dem Überleben, aus der Ernährung einer kleinen Stadtbevölkerung bestand und darob von den Ein..flüssen der Natur abhängig war. Erst mit dem Aufblühen des Staates, mit der Expansion Roms Macht erlangten andere Aspekte Bedeutsamkeit, wie die militärische Ausrichtung - so dass etwa die landwirtschaftli'hen Aspekte des Mars gegen seine kriegerischen ein wenig verblassten. Doch auch diese musste mit der Zeit neuem weichen, denn Rom selbst ist heutzutage weit entfernt von Schlachten und Kampf, so dass Mars in der capitolinischen Trias substituiert wurde durch Minerva, welche uns Wissen und Bildung bringt - und dies nicht etwa, weil die Göttin uns importiert wurde. Menrva wurde bereits von Latinern, Etruskern und Sabinern verehrt, wenn auch vorwiegend in ihren Aspekten als Beschützerin des Handwerks, doch mit dem Kontakt in die übrige Welt und der daraus resultierende Entwicklung Roms erlangte sie mehr Bedeutung in ihren weiteren Aspekten."
Über das Wesen der Götter und ihren Wandel im Wandel der Zeit konnte man zweifelsohne ganze Abende, wenn nicht gar Tage füllen.
"Es geht nicht um Beeinflussung, Übernahme oder Ver..drängung. Es geht im Cultus wie in der Kultur um eine sinnvolle Adaption, welche letztlich den Menschen zupass kommt."
Womit sich der Kreis schloss, dass der Cultus vorwiegend den Menschen diente.
"Darüber hinaus ist der ritus graecus im übrigen ebenso traditionell und bodenständig wie der ritus romanus, und hat diesen nie ver..drängt, sondern lediglich ergänzt. Jene Götter, welchen auf diese Weise verehrt werden, wie etwa Apoll oder Hercules, wurden stets nach diesem Ritus verehrt. Spezielle Riten, welche danach vollzogen werden, wie der ritus graecus cereris wurden zwar übernommen, in diesem Falle von der Magna Graecia, sind jedoch eine Ergänzung zu Bestehendem, nicht aber Ersatz."
Bisweilen hatte Gracchus das Gefühl, der cultus deorum zeigte sich gerne komplex und vermied darob Vereinheitlichungen oder Vereinfachungen. Andererseits indess mochte auch dies schlichtweg ein Anzeichen dessen sein, dass der cultus deorum nicht aus etwas feststehendem bestand, das einmalig geschaffen worden und rigide war, sondern den Menschen und ihren Bedürfnissen sich anglich.
"Du siehst also, es besteht keine Gefahr, das Roms Götter verdrängt werden, sie folgen nur dem gleichen Wandel, den Rom selbst dur'hlebt." -
Gracchus lächelte verzückt, dann zog er Serapio an sich, um ihm den Kuss abzuringen, der seit Jahren noch auf seinen Lippen lag, ein inniglicher, langer Kuss. Als er sich Iöste und wieder einen halben Schritt zurück trat echappierte ein erleichtertes Seufzen seiner Kehle.
"Ich bin durchaus ein geduldiger Mensch, doch ich bin zu alt dafür einem verliebten Jüngling gleich den ganzen Abend lang in Herzklopfen und Nervosität auszuharren in Erwartung der erlösenden Evidenz dessen, was offensi'htlich ist."
Sein linker Mundwinkel hob sich ein wenig empor, dann hob er seine Hand und strich über die Narbe auf Faustus' Wange, die ihn stets daran erinnerte wie verschieden ihre Leben waren.
"Offensichtlich sind deine Lippen so deliziös wie eh und je, und ich teile dein Glück über diesen Augenblick! Ich habe nicht mehr zu hoffen gewagt, dass es... je dazu kommen wird. Und noch immer scheint es mir mehr wie ein Traum denn die Realität. Könnte dieser Augenblick für immer währen, ich würde die Zeit anhalten, denn es dauert mich der Gedanke, was unweigerlich ihm nachfolgen wird. Doch lasse uns nicht an die Zukunft denken, lasse uns diesen Abend genießen als wäre es der erste und letzte der uns ver..gönnt wäre."
Er blickte ein wenig im Raum umher.
"Dies ist also dein neues Heim? Ist es nicht ein wenig zu groß für dich allein?"
Serapios Verlöbnis mit Quintilia war kein Geheimnis gewesen, doch eine Ehe war Gracchus' Kenntnis nach nie in das Register eingetragen worden. -
Zwei unendlich lange Tage waren vergangen seit der Einladung Serapios, angefüllt mit gedehnten Stunden und zähem Ausharren. Unkonzentriert und fahrig suchte Gracchus seinen Pflichten nachzukommen, hörte indes nicht zu, um was die Klienten ihn ersuchten, konnte nicht folgen, was Sciurus ihm vorlas und hatte bereits kurz darauf vergessen, was um ihn her geschah. Sein einziger Fokus, seine Gedanken und Betrachtungen galten dem Abend, nach welchem er so lange sich hatte verzehrt. Stunden verbrachte er mit der Vorbereitung seiner selbst - im Balneum, mit dem Tonsor, dem Barbier und dem Masseur des Hauses, und eine halbe Ewigkeit mit der Wahl seiner Kleidung, welche in einer fein gewebten, luftigen Tunika in dunklem Türkis endete, deren Säume mit goldenem Muster waren verziert, und einer dazu passend dunkelblaufarbenen chlamys - nur umwickelt und nicht mit einer Brosche gehalten, welche im Zweifelsfalle nur würde aufhalten. Auf dem Weg durch die Stadt konnte Gracchus kaum still sitzen in seiner Sänfte, nestelte nervös an den Rändern der chlamys und schob ab und an die Vorhänge beiseite.
"Sciurus!"
rief er seinen Sklaven auf dem Weg zu sich.
"Weshalb überqueren wir den Tiber? Die Casa Decima liegt auf dem Caelimontium!"
Das letzte, was Gracchus in diesem Augenblicke ertragen mochte, war eine Verzögerung auf dem Weg.
"Decimus Serpio wohnt nicht mehr in der Casa Decima auf dem Caelimontium, Herr, er hat eine Casa in Trans Tiberim bauen lassen." Wie stets war der flavische Vilicus gut unterrichtet.
"In Trans Tiberim?"
wiederholte Gracchus wenig begeistert. Zweifelsohne, das Viertel war en vogue, doch sich dort ein Haus zu errichten doch ein wenig zu viel des Guten aus der traditionellen Sicht des Flaviers. Doch er ließ sich nur zurück in die Kissen sinken. Für Faustus würde er überall hingehen, auch nach Trans Tiberim. Erst vor dem Haus angekommen hob sich Gracchus' linke Braue in neuerlicher Verwunderung, glich es doch mehr einer Festung, was zweifelsohne eine Folge Serapios' Werdegang war. Während der Flavier noch die Sänfte verließ, kündigte Sciurus den Gast an der Porta an. -
"Fürwahr"
, stimmte Gracchus zu.
"Es ist wohl an der Zeit, allmählich nach Hause aufzubrechen. Ich bin bereits seit den Vorbereitungen zur Furrinalia-Prozession unter freiem Himmel und wenn ich nicht Acht gebe werden die Senatskollegen mich nach dem Sommer ver..spotten, dass ich sonnengebräunt bin einem Feldarbeiter gleich."
Ein solcher Spott, sofern es überhaupt jemand würde wagen ihn auszusprechen, würde zwar an dem Flavier abperlen - insbesondere wenn die Bräune in Ausübung seiner Pflicht erworben war -, doch es war dies ein guter Vorwand das Gespräch zu verlassen bevor Gracchus seine Fassung gegenüber Serapio verlieren würde. Er winkte einen der Leibwächter heran, der bestätigte, dass auch die Sänfte bereits eingetroffen war, dann erhob er sich.
"Wir sehen uns in zwei Tagen."
Mit einem Lächeln verabschiedete Gracchus sich, in freudiger Erwartung auf das baldige Wiedersehen. -
"Bitte ver..zeih, ich wollte dich selbstredend nicht in Bedrängnis bringen."
Zwar sprach Gracchus von Serapios Pflicht zur Verschwiegenheit als Prätorianer, doch verspürte er durchaus noch eine andere Art Bedrängnis zwischen ihnen. Zumindest seinerseits wurde der Drang nach dem, was dieses Zusammentreffen ihnen verhieß, immer größer.
"Oh... der große Atonshymnos"
, hauchte er sodann verzückt.
"Es ist mir eine große Ehre, und noch größere Freude deiner Einladung zu folgen. Die Konversation alleine würde genügen, mich zu locken, doch der Aussi'ht auf ein solches Meisterwerk der ... Dichtkunst kann ich ummöglich widerstehen. Passt es dir in zwei Tagen?"
fragte er hoffnungsvoll. Wie stets hatte der Flavier keine Kenntnis über seine Agenda der anstehenden Tage, doch während es überaus unhöflich wäre, einen etwaigen Termin am nächsten Abend derart spontan abzusagen, so waren zwei Tage im Voraus durchaus akzeptabel. Denn er würde unmöglich länger als zwei Tage auf diese Gelegenheit warten können. Darüberhinaus konnte es dieser Tage ohnehin kaum wichtige Termine geben, da doch halb Rom - zumindest aus jenen Schichten, mit denen Gracchus verkehrte - nicht in der Stadt weilte. -
"Hypokausten in der Sahara?"
, wunderte Gracchus sich, da ihm nicht ganz einleuchtend war, was Serapio damit zum Ausdruck wollte bringen. Dass er ihm etwas offerierte, das nicht notwendig, oder gar gut für ihn war? Womöglich. Womöglich war es aber auch zu heiß und der Wein zu prickelnd als dass er nun alles in Frage sollte stellen, da doch augenscheinlich Serapio ebenso erpicht war, ihrer Zukunft eine Chance einzuräumen.
"Nun, ich habe gehört, die Nächte in der Wüste können eisig kalt werden, darob wäre es durchaus nur eine ver..nünftige Entscheidung meinen Argumenten zu folgen"
, hob er schmunzelnd seinen Becher.
"Bene te!"
Gleichwohl die Hitze des Sommers von außen ein wenig unangenehm war, so verströmte der Wein in seinem Inneren doch eine wohlige Wärme, welche Gracchus mehr als genoss, vermengte sie sich doch mit dem kribbelnden Taumel in seinem Bauch der ihn erfasste im Angesicht der Euphorie.
"Aber nun erzähle mir, Faustus, wo du gewesen bist. Wenn du darfst?"
Wenn es etwas gab, nach das der Flavier sich sehnte, so war es die Ferne zu bereisen, ohne die Ferne dabei zu bereisen - und ein Bericht aus Serapios Munde würde zweifelsohne die Ferne in seinem Geiste entstehen lassen wie es sonst kaum einem anderen möglich war. -
'Wir sind es und wir sind es nicht'. Anfänglich nahm Gracchus an, dass dies schlichtweg die Betrachtung eines Mannes war, welcher lange von dannen gewesen war und zurück in seine Heimat fand. Doch als Serapio sich nach vorn beugte und beinahe eindringlich ihn fixierte glaubte er eine tiefsinnigere Bedeutung zu detektieren als offen ausgesprochen war. Er stützte seinerseits die Arme auf den Tisch und lehnte sich ein wenig vor, so dass die Distanz zwischen ihnen schwand. So sehr, dass es verlockend war, sich ein wenig weiter nur nach vorn zu schieben und seine Lippen auf die Faustus' zu pressen. Indes blieb die Unsicherheit, der Zweifel, ob diese Annäherung nicht nur Zufall war und jede klandestine, hintersinnige Bedeutung nur dem Wunsch seiner Gedanken, einer trügerischen, törichten Hoffnung entsprang.
"Nun, dieses Spri'hwort beinhaltet zweifelsohne Wahrheit"
, pflichtete er bei und ließ einige Herzschläge der Stille zwischen ihnen schweben, um seine Worte mit Bedacht zu wählen.
"Doch im Leben geht es nicht darum, Dinge zurückzuholen. Der Mensch ist Mensch, da er aus der Vergangenheit lernt und die Zukunft daraus gestaltet."
Sofern dies noch kein Sprichwort war, sollte es in jedem Falle eines werden.
"Und da er mithin in der Lage ist, sich eine zweite Chance zu erschaffen, sie zu er..greifen und daraus eine weitaus bessere Zukunft zu formen als es zuvor je wäre möglich gewesen."
Gracchus hielt den Blick Serapios mit dem seinen fest, hielt seinerseits sich fest an dem Blau in dessen Augen, die ihm stets schienen wie implodierende Sterne aussehen mussten, die in einem Unterwasserreich den Nachthimmel bedeckten. -
"Du siehst auch aus wie Odysseus"
, lachte Gracchus leise, und fügte sodann mit pikareskem Lächeln hinzu:
"Ohne den Bart womögli'h wie Hephaistion."
Noch ehedem ein tückisch verlockender Moment zwischen ihnen konnte entstehen stand die Bedienung am Kopfende des Tisches, stellte zwei grobe Tonbecher vor ihnen ab und zwei Krüge - einer mit Wein, der andere mit Wasser angefüllt - dazu. Sie war nicht gerade groß gewachsen, alles in allem zierlich, doch mit stämmigen Oberarmen, die nicht recht zu ihrem jugendlichen Antlitz mochten passen. Einen Augenblick zögerte sie in der Überlegung, ob bei dem Gast in Toga ein besonderes Vorgehen vonnöten war, doch da am anderen Ende der Tische ein grobschlächtiger Kerl mit einem pöbelhalfen "Ey, Puppe, mehr Wein!" auf sich Aufmerksam machte, verließ sie die Szenerie hastig wieder. Gracchus griff den Krug mit Wasser und füllte einen Finger breit die Becher - im Grunde nur, da es wahrhaft unschicklich war zu dieser Tageszeit bereits unverdünnt zu trinken - und den Rest mit Wein auf. Sodann ließ er einen Schluck auf das Pflaster schwappen.
"Dem Neptunus zu Dank, dass er dein Schiff sicher zurück in den heimatlichen Hafen hat geleitet."
Der Rest des Bechers gehörte dem Flavier, welcher davon mit einem Zug die Hälfte leerte. Kühl und angenehm floss die rotfarbene Flüssigkeit seine Kehle hinab, prickelte erfrischend auf seinen Lippen und nahm ein wenig der Hitze und des Nebels um seinen Geist hinfort.
"Ich glaubte, du wärst ... tot"
, ignorierte er vorerst die Fragen und suchte - nun, da der Nebel sich lichtete -, die Realität zu sortieren. In seiner Stimme lag ein Hauch von Schmerz, der nur wenig von dem Chaos preisgab, das in Gracchus ob dieses Irrglauben hatte gewütet. Zuerst hatte niemand etwas über Faustus' Verbleib preisgeben, irgendwann jedoch wusste augenscheinlich tatsächlich niemand mehr etwas, gleichwohl ein im Dienst Verschollener offiziell lange nicht als tot wurde gelistet.
"Und nun... sitzt du hier. Jählings. Als ... als wärest du nur auf einer kurzen Reise gewesen."
Gracchus leerte den Becher und goss sich puren Wein nach. Der Nebel mochte zwar sich gelichtet haben, doch noch immer war die Realität zu unwirklich als dass der Flavier sich des vollen Ausmaßes um ihn her wäre bewusst gewesen. In ihm wallten noch immer die Wogen unbändiger Erleichterung und Freude auf, stürmten an gegen ein Bollwerk aus felsgewaltiger Gleichgültigkeit und Härte, das er nach Serapios vermeintlichem Ableben mühsam um sein Herzen hatte errichtet, über welches er nun einen mosigen Teppich aus Empörung zu legen suchte, um den harten Stein daran zu hindern allmählich zu zerbröckeln. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Begehren alle Contenance und alles Renommee preiszugeben, sich Faustus an den Hals zu werfen, ihn über und über mit Küssen zu bedecken, in seine Arme ihn zu schließen, festzuhalten und nie wieder loszulassen, und dem Bedürfnis aufzustehen, so eilig wie möglich in die schützenden Mauern der Villa Flavia zurückzukehren und dieses Aufeinandertreffen, den ganzen Tag allfällig schlichtweg zu vergessen und vorzugeben, nichts von Faustus' Rückkehr zu wissen. Doch er wusste, er konnte weder das eine, noch das andere, so dass es ihn nachgerade innerlich zerriss. Ein hauchzarter, feuchter Schleier legte sich über seine Augen als einzig äußerliches Zugeständnis seiner Erleichterung in Anerkennung der Tatsache, dass Serapio am Leben war.
"Du bist unglaubli'h"
, gab er schlussendlich verhalten sich seinem eigenen Kampfe geschlagen und hob die Hand, um seine Nasenwurzel zu kneten, dabei verstohlen die Freudentränen aus seinen Augen zu wischen. Als er erneut nach dem Becher griff drehte er ihn nur in seinen Händen und lehnte sich zurück, wodurch Serapio mehr in die Szenerie der Öffentlichkeit rückte, wiewohl in die rechte Perspektive, respektive die Perspektive der Wahrheit.
'Wir sind alte Freunde.'
Faustus hatte sich entschieden nicht mehr zu sein als eben dies. Freunde. Die sich zufällig ab und an in der Stadt begegneten, welche sie beide bewohnten. Er war ein Narr, ein törichter, alter Narr wenn er glaubte Serapio hätte auch nur einen Gedanken an ihn verloren ob seiner Absenz. Zweifelsohne hatte seine Familie mehr gewusst als sie hatte preisgeben wollen, doch weshalb hätten sie ein Risiko eingehen sollen einem alten Freund gegenüber? Faustus hatte sich für seine Familie entschieden und er hatte sich der seinen zugewandt. Dies war die Realität, und weder die Zeit, noch die Distanz, noch Gracchus' Sentimentalitäten hatten augenscheinlich daran etwas geändert. Alte Freunde. Die über die Familie plauderten.
"Meiner Familie geht es gut"
, flüchte der Flavier darob sich ergeben, wenn auch ohne die Begeisterung, welche dieser Thematik angemessen war, auf das unverfängliche Terrain und hoffte, Serapio würde über sein törichtes Verhalten hinwegsehen, es allfällig der Hitze zuschreiben.
"Minor hat sich ver..mählt und wurde in den Senat erhoben. Derzeit weilt er mit seiner Gemahlin auf dem Land. Und ... Prisca ist guter Hoffnung. In wenigen Wochen wird sie unser Kind zur Welt bringen."
Er lächelte versonnen, war dies doch ihr größter Wunsch gewesen, und gleichwohl er sich noch immer außer Stande sah, sie in ihrer Körperlichkeit zu begehren, so war es doch nicht nur seine Pflicht als Ehemann, sondern auch sein eigener Anspruch, sie mit Glück zu überschütten.
"Den Sklavenaufstand haben wir unbeschadet überstanden, der Quirinal war nicht davon betroffen."
Zweifelsohne war dies dem Umstand geschuldet, dass auf dem Hügel viele alte, ehrwürdige Familien lebten und selbst die Neureichen der Gegend sich mit alten Traditionen schmückten, welche auch das strenge Regiment der Sklavenhaltung beinhaltete, sowie die sichernden Maßnahmen, mit welchen sie sich im Zweifelsfalle in ihren Villen abschotteten.
"Senator Ovidius fiel einem Anschlag auf den Stufen der Curia zum Opfer, am hellli'hten Tage nach einer Sitzung des Senates - doch es ist noch immer ungeklärt, ob dies in Korrelation mit den Aufständen geschah oder jemand sich nur des Deckmantels des Aufruhrs bediente, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Einige Zeit stand die Sekte der Christianer im Ver..dacht, die Unruhen ausgelöst zu haben, doch die Ermittlungen verliefen im Sande."
Zu Gracchus' Bedauern endeten sie nicht im Sande der Arena, getränkt mit dem Blut dieser Sekte.
"Die Untersuchung wurde durch die prätorianische Garde durchgeführt, der Senat nicht weiter über etwaige Fortschritt unterrichtet. Du wirst daher vermutlich mehr über die Ergebnisse erfahren können als ich."
Neuerlich schwang ein wenig Dysharmonie in Gracchus' Stimme, diesmalig indes keinesfalls Serapios, sondern der Heimlichkeiten der Prätorianer wegen in einer Angelegenheit öffentlichen und staatsrechtlichen Interesses.
"Soweit ich unterri'htet bin, war auch dein Familie nicht direkt betroffen?" -
Manius - nur wenige Menschen nutzten seinen Praenomen, insbesondere außerhalb der Familie. Es war nicht, dass Gracchus dies in seinem Leben hatte beabsichtigt, es war schlichtweg so geschehen, eine Folge vermutlich der massiven Barriere um seinen persönlichen Kern, welche jeden fremden Geist vorerst achtsam und skeptisch auf Distanz hielt, und welche er in einem fortdauernden Miteinander nur sehr zögerlich und nach eingehender, intrinsischer Reflexion seines Gegenübers konnte überwinden. Allein seinen Praenomen zu vernehmen war somit außergewöhnlich, doch obendrein war die Stimme, die ihn rief, eben jene, nach der er sein Leben lang hatte gesucht, und auf welche er im Sein nach dem Sterben wieder würde warten.
'Faustus'
, fuhr es ihm durch den Sinn, und noch ohne dass er wusste wie ihm geschah hatte er sich bereits umgewandt und Serapio stand vor ihm, nur einen calator von ihm entfernt. Umspült von Wogen euphorischer Emotion rauschten unzählige Gedanken durch Gracchus benebelte Sinne hindurch: der Leibwächter hatte Faustus ebenfalls gesehen, er war also kein Geist; Faustus hatte ihn gerufen, er war also kein Fremder, welcher nur eine äußere Ähnlichkeit aufwies; Faustus stand vor ihm, er war also weder weit hinter den Grenzen des Reiches, noch dort gefallen; Faustus sah gut aus, viel zu gut für einen Geist der Vergangenheit; Und zu guter Letzt: Gracchus hatte ihn weder vergessen, noch verdrängt, und sich mitnichten unter Kontrolle, und einzig des calators zwischen ihnen war es zu verdanken, dass er nicht augenblicklich ihm um den Hals fiel.
"Es"
, krächzte er aus einem Hals, der weitaus trockener war als nur durch die Hitze ausgedörrt, räusperte sich und setzte noch einmal an.
"Es ist ... in Ordnung."
Mit einer Handbewegung wies er den amtlichen Leibwächter fort, welcher mit einem Nicken beiseite trat und die geballte Präsenz Serapios offenbar werden ließ.
"Faustus"
, versuchte Gracchus ein wenig unbeholfen die Konversation nicht versiegen zu lassen, doch all seine Lebensenergie war aus seinem Verstand abgezogen worden und in sein Gefühlsleben hinein gerutscht, welches ob des plötzlichen Übermaßes Purzelbäume, Pirouetten und Salti vollführte. Er schaffte es immerhin seinen Mundwinkel emporzuheben zu einem schiefen Lächeln, und nach einigen endlosen Herzschlägen ein wenig überflüssig anzufügen:
"Du bist wieder hier."
Gracchus hob die Rechte ohne seinen Blick von den verlockend blauen Augen zu nehmen und berührte Serapio vorsichtig an der Schulter, im unbändigen Verlangen danach seinem Verstand die Realität begreiflich zu machen, und doch sachte und zaghaft, noch immer in der Befürchtung der einstige Geliebte könnte doch als Trug sich entpuppen, bei eingehender Prüfung der Wirklichkeit sich auflösen, vor ihm zerplatzen wie eine Seifenblase. Er war wieder hier. Hier. In Rom. In seiner Nähe. Direkt vor ihm. Während Gracchus in einer elysäischen Sphäre überragender Euphorie hinfortzudriften drohte, rauschte neben ihm die Schar Kinder vorbei, welche eben noch am Brunnen hatte gespielt und nun lautstark in kleine Fanfaren trötete.
"Ich glaube, ... ich ... muss mich setzen"
, murmelte Gracchus und räusperte sich wieder. Er musste seine Sinne beisammen halten und seine Contenance wahren. Und etwas trinken. Am besten unverdünnt. Aber auf keinen Fall Serapio aus den Augen verlieren. Er nahm seine Hand zurück und wies auf die Tische nahe des Odeums. Da die Furrinalia nicht zu den größten Festen zählten und es zudem an diesem Tage reichlich Auswahl gab war das Gedränge um die Sitzgelegenheiten nicht allzu groß, wenngleich es auch nirgends eine Ecke gab, welche als abgeschieden zu betrachten wäre. Doch allfällig war dies ohnehin besser.
"Darf ich dich einladen?"
Weich fühlten sich seine Beine an und ein wenig zittrig als Gracchus die wenigen Schritte bis an einen freien Tisch trat, über welchen die Mauer des Theaters ihren kühlenden Schatten warf. Unzählige Fragen schwirrten durch seine Gedanken, manche davon ganz harmloser, berechtigter oder neugieriger Natur, manche jedoch, die er nicht stellen dufte. Letztendlich blieb nur ein unverfängliches:
"Seit... seit wann bist du zurück?"
Die Zeit hatte Spuren hinterlassen, auch in Serapios' Antlitz. Und doch fand Gracchus all die kleinen Details, welche ihn stets hatten verzückt, der Schwung der Lippen - nun gerahmt von einem Bart -, die sanfte Gerade des Nasenrückens, die ein wenig kantige linke Braue, die dunkle Korona um die blaue Iris der Augen - und all dies verzückte ihn noch immer, was zweifelsohne in diesem Augenblicke deutlich - zu deutlich, hätte er einen klaren Gedanken fassen können - an seinem eigenen Antlitz abzulesen war.