Sie war später als sonst in die Casa Iulia von einem Spaziergang durch die Nacht zurückgekehrt, und recht froh darum, dass sie niemandem begegnet war. Constantius schlief in dieser Nacht wohl in der Kaserne, auch in Livillas Zimmer brannte kein Licht mehr, sodass sie sich nicht bemüßigt fühlte, irgend jemandem einen guten Abend zu wünschen oder mit jemandem zu sprechen. Ein leichtes Lächeln auf den Lippen, hatte sie die stille Casa leise durchquert und war in ihr cubiculum geschlüpft, ohne auch nur einem Sklaven zu begegnen, Wonga hatte sich in seine cella zurückgezogen, um sich für den nächsten Morgen auszuschlafen. Sie legte ihre Palla ab und setzte sich auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch, ohne die Öllampe zu entzünden, blickte nur still durch das Fenster in den Himmel hinauf, die Gedanken sammelnd.
Schließlich neigte sie sich etwas zur Seite, um das in seiner abgewetzten Lederscheide ruhende gladius zu greifen, das sie von ihrem verstorbenen Gemahl geerbt hatte, die Waffe, die ihn ins Feld stets begleitet hatte, und mit der in der Hand er auch gestorben war. Langsam zog sie die Waffe aus ihrer Umhüllung und betrachtete die Scharten, die im Lauf der Jahre die gepflegte Klinge verändert hatten, doch noch immer war sie einwandfrei geölt und war lautlos in ihre Hand geglitten, wie ein guter, verlässlicher Freund, der einem zur Seite stand, wann immer man ihn brauchte. Diese Waffe verkörperte viel mehr als nur ein Andenken an ihren toten Gemahl, sie roch nach dem Schlachtfeld und fast schien es, als berührte sie Titus' schwielige Hände, wenn sie den Griff des gladius mit ihren schlanken Fingern umfasste.
"Heute abend habe ich mir Rat gesucht, Liebster," flüsterte sie leise in die Dunkelheit, wohl wissend, dass er sie hören würde. "Ich glaubte, der Ianusbogen, das Symbol für Vergangenheit und Zukunft zugleich, könnte mir eine Hilfe sein in all diesen Fragen, die mich seit einigen Tagen bewegen. Weisst Du, ich glaube fast, ich habe eine Antwort bekommen, eine deutlichere, als ich sie mir gedacht hätte. Erinnerst Du Dich an die Tage, in denen wir entdeckten, dass wir einander mehr sein können als ein schweigender Liebhaber und eine unwillige Geliebte? Dieses Gefühl, Dich sofort zu begehren, wenn Dein Körper mich berührte, nach all der Zeit, in der ich Dich nachts nicht sehen wollte, am liebsten alleine geschlafen hätte? Ach Titus ... ich hatte wirklich geglaubt, es sei gestorben, mit Dir gestorben. Und dann kam es zurück, als ich es nicht mehr vermutet hätte, bei einem fast vollkommen Fremden."
Ihr Gesicht spiegelte sich in der Klinge, ein heller Schemen in einem nur durch den Mondschein von draußen vage erhellten Raum. "Ich habe mich zwei Mal an ihn gedrückt, als ich hinter ihm auf dem Streitwagen stand, und es hat sich so gut angefühlt," formten ihre Lippen weiter leise die Worte, die sie niemandem sonst sagen konnte. Aber Titus, ihr lieber, toter Titus, er würde sie hören. Er würde verstehen. "Hätte er es gewollt, ich hätte mich in den Ställen der Factio ihm hingegeben, zwischen Pferden, Pferdemist und Stroh. Ist das nicht seltsam? Sich all die Zeit zu beherrschen, auf einen Ruf zu achten und doch ... die Gedanken sagen etwas anderes. Mein Körper zittert schon, wenn ich nur daran denke, er könnte mich in seinen Arm nehmen und mich küssen, sodass mir unter der Wucht seines Kusses der Atem verloren geht. Weisst Du noch, diese Ruinen, zu denen Du mich führtest? Wo Deine Leidenschaft so groß war, dass Du in dieser Nacht unseren kleinen Marcus zeugtest? So fühle ich mich immer in seiner Nähe, und auch wenn ich weiss, dass es falsch ist, so zu empfinden, es ist, wie es ist ..." Sie schloss die Augen und fuhr mit den Fingern über die geölte, glatte Klinge, das kalte Metall betastend, als sei es die Haut eines Mannes.
"Er ist verheiratet, solch ein Hohn, Titus, warum muss er verheiratet sein? Aber es ist so, genau wie Du tot bist und ich noch lebe. Du würdest lachen, heute nacht habe ich am Ianusbogen einen Soldaten getroffen, einen Tribun. Er hat auch jemanden verloren, eine Frau, die er geliebt hatte, aber nicht heiraten durfte - und sie hat sich am Ianusbogen getötet, von eigener Hand. Wir kamen ins Gespräch, vielleicht war es Zufall, vielleicht musste es so sein, denn es war so leicht, mit ihm zu sprechen. Jemanden, den man liebt, verloren zu haben, kann einen sehr vereinen, glaube ich, vor allem gibt es nicht sehr oft jemanden, mit dem man darüber überhaupt sprechen kann. Er ist klug, witzig, auf seine Weise charmant - und weisst Du, was das Schlimmste ist? Er ist Patrizier. Deine Frau hat ein seltenes Talent dafür, immer Männer kennenzulernen, die zwar interessant sind, aber vergeben oder nicht zu haben, weisst Du das? Oh, ich höre Dich lachen, Titus," Iulia Helena schmunzelte kurz und zog mit dem Zeigefinger auf der Klinge Kreise, die in der vagen Fettschicht zurückbleiben würden.
"Und dann ist da noch der Dritte ... ja, ein Dritter, du hörst es richtig. Unverheiratet. Aus einer einflussreichen Familie. Mit einem seltsamen Geschmack, was seine Haarmode angeht, aber den habt ihr Männer alle, ich bin schon sehr froh, dass alle Soldaten sich rasieren müssen und die Haare kurz tragen. Auch witzig. Ein kluger Kopf - und anscheinend auch an mir interessiert. Das Schlimmste ist, ich war dumm genug, ihn nach einem Mann für eine Nacht zu fragen, er besitzt nämlich ein Lupanar - wahrscheinlich hält er mich nun für eine lose Frau, die ihre Bedürfnisse nicht unter Kontrolle hat oder so etwas, auch wenn er höflich war. Ich habe in seinem Arm geweint, Titus, du weisst, wie lange ich nicht mehr geweint habe. Als Du tot vor mir lagst, konnte ich nicht mehr weinen ... und er hat mich einfach nur gehalten, ohne etwas zu sagen, ohne etwas zu verlangen. Er ist nun Senator geworden ... Du siehst, ich lerne wichtige Männer kennen, aber irgendwo ist immer ein Haken, sei es durch die äusseren Umstände oder durch meine eigene Dummheit. Vielleicht gehört das jetzt dazu. Was meinst Du, was soll ich tun?" Gedankenvoll balancierte sie die Klinge mit der Hand und schob sie schließlich in die Lederscheide zurück, mit einer langsamen, doch geschmeidigen Bewegung.
"Ich weiss, was Du tun würdest, Du würdest Dir den einen nehmen, mit dem anderen sprechen und den dritten heiraten, nicht wahr? Aber so leicht ist es nicht, Titus. Ich fühle, dass sich etwas ändert, aber ich weiss noch nicht genau, was es ist. Ich weiss noch nicht, was ich will und wohin mein Weg gehen soll, Titus. Manchmal wünschte ich, Du könntest mir raten, aber ich muss es wohl ohne Dich schaffen ... pass auf Marcus und Lucius auf, ja? Ich denke jeden Abend an euch und jeden Morgen, aber das weisst Du ja," damit erhob sie sich leise und schlüpfte aus ihrer Stola, dann streifte sie sich das Unterzeug ab und strich sich das dünne Nachtgewand über, bevor sie sich auf ihr Bett legte, die leinerne Decke über sich zog, obwohl es eigentlich viel zu warm war. Und während draussen der Mond seine Bahn über den nächtlichen Himmel zog, verloren sich ihre Gedanken und Erlebnisse in der Nacht, vermischten sich drei Gesichter zu einem und schließlich, nach sehr langer Zeit, kam endlich der erlösende Schlaf.