"Ich hätte mir gewünscht, dass Numerianuns noch ein wenig länger hier in Rom geblieben wäre, aber ... so ist es eben mit den Männern unserer Familie, immerzu reisen sie ihrer Pflicht hinterher und damit auch dem Militär. Wahrscheinlich werden sie sich nie ändern," meinte sie nachsichtig und schüttelte etwas den Kopf. Der Tag, an dem Constantius in Richtung der Legion drängen würde, war hoffentlich noch fern, aber es lag ihm eben auch im Blut. Die Iulier waren nicht umsonst die Nachkommen des göttlichen Caesar, und in diesem Geist zog es fast alle männlichen Nachkommen zum gladius. Dass ihr eigener Vater in der Verwaltung saß, war eine erstaunliche Ausnahme.
"Du bist noch unverheiratet, Livilla, und entsprechend dieser Tatsache ist es notwendig, dass Dein Name in nichts ins Gerede kommt," ging sie das Thema direkt an. "Rom ist groß, und besitzt tausend Augen und viele Zungen, die nichts müßigeres zu tun haben, als das Blaue vom Himmel herunter zu lügen, und so an Deinem Ruf Zweifel aufkommen sollten, wird es schwer werden, einen angemessenen Mann für Dich zu interessieren." Genau diese Worte hatte ihre Mutter einst zu ihr gesprochen, ebenso ernst, und sie wusste noch gut, dass sie damals davor zurück geschreckt war, sie anzunehmen.
"Versteh mich nicht falsch. Livilla, ich möchte Dich nicht meistbietend versteigern oder Dich auf einem Markt feilbieten, aber Du bist jung, schön, hast ein angenehmes Wesen und entstammst einer alten Familie, sodass es sehr bald geschehen wird, dass sich Männer für Dich interessieren und sich vielleicht auch an Deinen Vater wenden, weil sie um Dich werben möchten. Ein junger Mann hat Dich bereits besucht, er wird sicher nicht der einzige bleiben."
Sie holte Luft und sammelte ihre Gedanken. Noch immer klang es sicher nicht sehr erfreulich, aber irgendwann musste es gesagt werden. "Dass Du Besuch hier im Haus empfängst, ist Dein Recht, doch möchte ich nicht, dass ein Mann Dein Zimmer betritt, der nicht zur Familie gehört, und sei er ein noch so guter Freund. Dein cubiculum ist Dein Zufluchtsort, dort hat ausser Dir, der Familie und den Sklaven niemand etwas verloren. Hier im Atrium oder im Garten, bei Empfängen auch im Triclinium ist der geeignete Ort für Besucher, wer immer es auch sein mag. Wenn Du ausgehst, möchte ich, dass eine Dienerin dich begleitet. Rom ist trotz der Cohortes Urbanae, der Prätorianer und der Vigiles für Frauen eine gefährliche Stadt, und sollte Dich jemand überfallen, kann eine Dienerin entwischen und Hilfe holen, Begleitung hält auch Taschendiebe und sonstiges Gewürm fern. Solltest Du nach Einbruch der Nacht ausgehen müssen, dann wirst Du Wonga mitnehmen, damit er Dich begleitet und beschützt, allerdings ... sehe ich wenige Gründe, warum Du in der Dunkelheit unterwegs sein solltest. Auch Constantius wird Dir sicherlich gern Begleitung sein, wenn Du ihn fragst und es eine wichtige Sache ist." Die schlanken Hände ineinander legend, blickte sie Livilla ruhig an, wartete ab, ob die Cousine dazu etwas sagen wollte.