Ich zog einen Mundwinkel hinauf, als ich merkte, dass mein Versprechen nicht sonderlich viel an der Situation änderte. Und es machte mich einerseits ein wenig traurig, dass Siv mir nur so zögerlich vertraute, andererseits musste ich mir gegenüber nun einmal eingestehen, dass ich in der Vergangenheit nicht eben viel getan hatte, dass ein blindes Vertrauen diesbezüglich verdiente. Gar nichts, um genau zu sein. Diese Gedanken bescherten mir einen scharfen Beigeschmack, noch mehr Würze zu der ohnhin abenteuerlichsten Suppe aus Erkenntnis und Vorwürfen, Schmerz und Chaos, die ich je gekostet hatte. Ich hätte ihr gern mehr versprochen, doch dass ich überhaupt etwas versprach, was in diese Richtung lief, grenzte für mich selbst schon an ein Wunder, wie auch immer Siv es geschafft hatte, das zu bewerkstelligen. Zu mehr Zugeständnis war ich in diesem Moment einfach nicht fähig, nicht dazu, mehr von mir offenzulegen und nicht dazu, ein paar Tage näher zu spezifizieren.
Gewiss bemerkte ich das Erstaunen, das Siv ergriff, als ich nach dem Jungen fragte, ihn vielmehr verlangte. Das war ein weiteres Pfefferkorn, und allmählich wurde die Brühe ungenießbar - und ich selbst damit weniger experimentierfreudig, was meine emotionale Belastung anging. Ich wünschte mir fast, nichts gesagt zu haben, nur um ihren irritierten Blick nicht länger ertragen zu müssen. Doch Siv verschwand und ließ mich allein zurück. Sie ging nur ein paar Schritte, doch während sie ihren Sohn holte, fuhr ich mir abgespannt durchs Haar und strich mir durchs Gesicht. Ich atmete tief durch. Und dann war sie zurück und trug den Knaben auf dem Arm. Sie war hübsch, wie sie ihn ansah, trotz der Augenringe und des strähnigen Haars. Ich sah Siv jedoch nur kurz an, dann glitt mein Blick zu dem Kind auf ihren Armen. Er hatte ein kleines Köpfchen mit wenig Haar und winzige Finger, nicht einmal halb so dick wie der kleinste an einer Männerhand. Alles an ihm war eine Miniatur, selbst die Wimpern, die ich entdeckte, als ich ein wenig näher an Siv heran trat und auf das Kind in ihren Armen hinunter sah. Ich schwieg, schlagartig befallen von einer bisher ungekannten, beklemmenden Nervosität - was, wenn er fiel? Wenn ich etwas falsch machte, und seine kleinen Extremitäten sich verbogen und brachen, weil ich ungewollt zu grob war? Ich sollte ihn besser nicht halten. Es war gut, wenn er bei Siv blieb. Besser, als wenn ich etwas falsch machte. Zögerlich hob ich eine Hand, näherte sie seinem Kopf und verhielt unschlüssig schwebend in der Luft. Wie damals. Wie in ihrem Zimmer, als ich nachts gekommen war, um ihn zu sehen. Dasselbe Gefühl schnürte mir die Kehle zu, ließ einen erwzungen ruhigen Ausdruck auf meinem Gesicht entstehen. Ich blickte aus den Augenwinkeln in Sivs Gesicht, sah die Liebe, die dort stand, wenn sie den Knaben ansah...und berührte dann mit aller nötigen Vorsicht die wirr abstehenden Haare Finns, die sich seidig wie eine Feder anfühlten. Schließlich legte ich ihm die Hand auf den kleinen Kopf, verbarg ihn damit fast vollständig. "Finn." Ich fühlte mich, als berührte ich ein rohes Straußenvogelei, nur dass es warm war und Haare hatte und sich bewegte. Denn Finn nieste in jenem Moment, ein hohes, beinahe raschelndes Geräusch, dass mich sofort veranlasste, hastig die Hand fortzunehmen und Siv erschrocken anzusehen.