Als sich die Tür öffnete, offenbarte sich das schreckliche Spiel der Parzen, die - wie hätte es auch anders sein können - nicht meinen Klienten oder seine Frau zur Tür gesandt hatten, sondern Siv. Die Möglichkeit, dass sie die Tür öffnen könnte, war mir nicht in den Sinn gekommen. Ich hatte automatisch angenommen, dass es um diese Uhrzeit und hier in dieser Umgebung eher Uland sein würde, der nachsah, wer klopfte. Umso versteinerter stand ich nun hier und erwiderte Sivs Starren. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Kurios. Erst die Bewegung des Kindes ließ mich blinzeln, und mein Blick glitt hin zu ihm, während Uland das erste Mal argwöhnisch nach dem unerwarteten Besucher fragte, der störend hier eindrang. Ich fühlte....alles. Und zeigte nichts davon. Eine Statue des Göttervaters selbst wirkte vermutlich noch emotionaler als ich. Welch eine Idee, hierher zu kommen! Ich schluckte, als ich in die blauen Kinderaugen meines Sohnes sah. Dass sich die Farbe ändern würde, erwartete ich nicht. Zu wenig kannte ich mich mit diesen Dingen aus. Ein Stuhl scharrte, und ich riss den Blick endgültig von dem Kleinen los und stierte an Siv vorbei den näherkommenden Uland an.
Er war sichtlich überrascht, mich hier zu sehen. Erst bei seiner Frage fiel mir auf, dass ich keinen Anlass für diesen Besuch hatte, zumindest keinen, den ich ihm gegenüber zu erwähnen gedachte. Nicht einmal einen Vorwand hatte ich mir überlegt. Ganz offensichtlich ließ meine Denkfähigkeit nach. Ich brauchte einen Moment, um auf dem marmornen Antlitz etwas wie ein knappes, aber doch unglaubwürdiges Lächeln entstehen zu lassen, ehe ich lahm entgegnete: "Braucht ein Patron einen Grund, um seinen Klienten zu besuchen?" Ich trat ein und unterdrückte den Impuls, erneut zu Siv zu sehen. Der Kleine fing eben an zu knerbeln, es hörte sich störrisch und unzufrieden an. Als er kurz darauf begann, richtig zu schreien, wandte ich doch den Kopf und sah hin zu ihm. Kurz biss ich mir auf die Unterlippe und zwang meine Hand, die ihm an nächsten war, dort zu bleiben wo sie war. Ob seine Haut wohl weich war? Ob er roch wie Siv? Langsam glitt mein Blick wieder höher, zu Sivs Gesicht. Sie wirkte so entsetzt... Nein, es war definitiv keine gute Idee gewesen, herzukommen. Ich sollte besser sehen, wie ich schnell wieder fort kam, ohne Uland vor den Kopf zu stoßen. "Du warst eine Weile nicht beim Empfang", murmelte ich geistesgegenwärtig und bereitete damit meinen hastig ersonnenen Vorwand vor. "Ich wollte wissen, wie es...euch geht." Erst, als es ausgesprochen war, sah ich von Siv zu Uland und wartete. Ob jemandem das kurze Zögern aufgefallen war, das sich in meine Worte geschlichen hatte?
Ich fühlte mich seltsam ausgelaugt. Vielleicht wäre es leichter gewesen, wenn Siv nicht dagestanden wäre wie eine Salzsäule, wenn sie mich nicht so fassungslos und entgeistert angestarrt hätte, wie sie es tat. "Ich wollte nicht stören", sagte ich zu Uland. Es roch nach Essen. Und gerade tauchte Ulands Junge hinter ihm auf, hielt sich an ihm fest und linste an ihm vorbei zu mir hin. Sein Mund war mit etwas Rotem verschmiert, vermutlich Reste des Abendessens. Er grinste mich mit seinen kleinen Zähnen an. Und das war der Moment, in dem ich mich einfach nur fehl am Platz fühlte. Wie ein Eindringling, der die abendliche Idylle einer Familie zerstört hatte.