Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus

    Lange mussten die in freudiger Erwartung herbeiströmenden Zuschauer allerdings nicht warten. Zügig schritt das obligatorische Opfer voran, welches - natürlich - angenommen wurde. Eine sanfte Brise zog über den circus hinweg, zerrte spielerisch an Flaggen, Wimpeln und Bändern, zerzauste die Haare der anwesenden Gäste ebenso wie den Schmuck der Pferde und wirbelte den Sand in der Arena auf, während die Priester und ihre Helfer die Bahn für das Rennen räumten.


    Inzwischen waren die Ränge gut gefüllt, die Quoten für die Wetten noch nicht allzu festgesetzt. In der Loge hatte ich meine Familie platziert, selbstverständlich. Der Kaiser war zwar geladen worden, doch nicht erschienen, was vermutlich niemanden mehr verwunderte. Bald würden viele sogar sein Gesicht vergessen haben, so wenig, wie er sich in Rom aufhielt. Dann öffneten sich die Tore, und die Quadrigen strömten hinaus auf die Bahn. Zuerst Tolimedes, dann Halil Torkebal, Burolix und zuletzt Felix. Applaus brandete von einer Seite zur anderen, einem stürmischen Meer gleich. Direkt unter der Loge waren Start und Zielpunkt gesetzt worden. Die Fahrer waren am gegenüberliegenden Ende auf die Bahn gefahren und ließen sich auf ihrem Weg zur Startmarke bejubeln.


    Die sieben Delfine, welche die aktuelle Runde für alle weithin sichtbar anzeigten, waren auf Hochglanz poliert worden und bereit für ihren Einsatz. Auch die Fahrer unten im Rennoval hatten nun ihre Plätze eingenommen. Von der Innenbahn ausgehend waren Halil Torkebal, Burolix, Tolimedes und Felix auf ihren Pätzen angekommen und hatten Aufstellung genommen. Meine Aufgabe als Veranstalter und Sponsor dieser Rennen bestand darin, das Startsignal zu geben. Während das weiße Tuch fiel, taumelte und sich dem Boden näherte, war es ruhiger geworden in der Arena. Ein feuriges Wiehern hallte durch die Luft, und dann, als das Tuch den Sand berührte und die Fahrer ihre Zügel schnalzen ließ, griff das Rennfieber um sich und packte jeden, der gepackt werden wollte. Die Wagen schnellten vor, Hufe begruben das Tuch tief im Sand, und jeder versuchte, den besten Platz zu ergattern.



    [Blockierte Grafik: http://img59.imageshack.us/img59/6167/sigrennen.gif]

    Interessant, dies war einer der wenigen Kandidaten, die auf die Nennung des Vaternamens verzichteten. Dies konnte zweierlei bedeuten. Zum einen, dass sein Vater oder ein naher Verwandter keine nennenswerte Persönlichkeit war, zum anderen, dass der junge Claudier es schlichtweg vergessen hatte. Ich selbst jedenfalls konnte auch mit seinem Namen noch nichts anfangen. Ich überlegte schon, ob ich ihn fragen sollte, wie er mit den bekannteren Persönlichkeiten der Claudier in Verbindung zu bringen war, als er etwas erwähnte, was mich noch mehr interessierte. Ich beugte mich etwas vor und beschloss, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. "candidatus Claudius, mich interessieren vorerst zwei Dinge: Wie bist du mit unseren claudischen Senatskollegen verwandt? Und welche Funktion gedenkst du, im cultus einzunehmen?" Ersteres interessierte mich, um den Kandidaten einordnen zu können, letzteres als pontifex.

    Die Botschaft in ihren Worten sickerte tatsächlich allmählich durch. Ein weiteres Mal wischte ich mir zornig über die Augen. Ich schämte mich für die Schwäche, die ich zeigte, selbst Prisca gegenüber. Sie uns mein Sohn würden gehen, wenn ich sie nicht zurückhielt. Celerina würde akzeptieren, dass dies mein Kind war? Ich sah Prisca zweifelnd an. Selbst wenn ich Celerina zeigte, dass ich sie begehrte - irgendwie - wie konnte sie akzeptieren, dass ich einen Sohn hatte, der nicht ihrem Schoß entstammte? "Sie weiß das nicht", erklärte ich Prisca im Grunde den Kern der Sache. "Ich konnte es ihr nicht sagen. Ich dachte, es wäre das beste, wenn sie geht. Damit Celerina... Ich dachte, wenn sie erst einmal fort ist, würde alles leichter werden." Es tat mir gut, darüber zu reden. Das realisierte ich allmählich. "Aber es ist schlimmer als vorher. Ich...ich bin gar nicht mehr ich selbst." Den letzten Satz hatte ich geflüstert. Der Wunsch nach Wein wurde immer übermächtiger. Es war schwer, Eingeständnisse zu machen. Insbesondere, so sie einen selbst betrafen. Ich hatte dann stets das Gefühl, verwundbar zu sein - etwas, das mir nicht behagte, denn wer verwundbar war, der war angreifbar, den konnte man treffen. Ich knirschte mit den Zähnen.


    Priscas Trost tat mir gut. Er war Balsam für die Seele. Ich schloss die Augen und dankte den Göttern, dass sie sie mir geschickt hatten. Ein leises Seufzen drang über meine Lippen. Ich umarmte meine Nichte, Worte waren überflüssig. Eine ganze Weilse saßen wir so da. Ich war mir nicht sicher, ob sie meine Dankbarkeit spüren konnte, obwohl sie für meine Verhältnisse offensichtlich war. "Danke", flüsterte ich daher. "Ich liebe dich." Ich war mir sicher, dass sie wusste, wie das gemeint war. Und ich war mir auch sicher, dass es niemals jemanden geben würde, für den ich dasselbe empfand wie Prisca. Dann löste ich mich etwas von ihr und sah sie ernst an. "Ich bin kein guter Ehemann, Prisca. Ich weiß, dass Celerina unglücklich ist. Ich möchte, dass sie zufrieden ist, glücklich. Nur...wenn ich ihr sage, dass ich einen Sohn habe... Das wird das Gegenteil bewirken. Ich kann das nicht. Ich kann es ihr nicht sagen."

    Flavius Piso. Ein Sklave hatte seine Ankunft vermeldet, und ich hatte zunächst den Brief zu Ende diktiert, ehe ich mich auf den Weg ins atrium gemacht hatte. Doch dort war keine Spur des Flaviers zu sehen gewesen. Eine Befragung Leones hatte auch keinen Aufschluss über den Aufenthalt des Flaviers gegeben, ich wusste lediglich, dass er das Haus nicht wieder verlassen hatte. Ich nahm also Platz und machte mich bereit zu warten - in der Annahme, dass ein dringendes Bedürfnis ihn dazu veranlasst hatte, sich von einem Sklaven den Weg zu den Latrinen weisen zu lassen. Doch gerade, als ich mich wieder erhoben und beschlossen hatte, dass ich die Wartezeit auch mit einem weiteren Diktat verbringen konnte, lief mir Saba in die Arme. Sie starrte mich entsetzt an und wich meinem Blick dann beschämt aus. Offensichtlich wollte sie sich in Luft auf lösen oder, sofern das nicht klappte, mir schnellstmöglich entkommen. Ich fand das Verhalten etwas merkürdig, fragte sie aber dennoch. "Saba, hast du Flavius Piso gesehen?" fragte ich sie. "Oh", machte Saba und verzog den Mund. "Ja, den hab ich gesehen...." Ich atmete tief durch. "Und hättest du wohl auch die Güte..." "Im hortus, dominus!" "Danke, Saba." Die Gute verschwand recht schnell, und ich wunderte mich, was der Flavier wohl im Garten tat. Gemessenen Schrittes machte ich mich auf den Weg. Ein Gespräch im Grünen war mir recht, denn es war Frühling, und alles spross und gedieh. Bald hatte ich das Peristyl erreicht. Und kurz darauf trat ich auf den Kiesweg, der sich durch den Garten schlängelte. Um wie vom Donner gerührt stehen zu bleiben.


    Flavius Piso. Meine Prisca. Eng umschlungen. Leicht bekleidet. Mein Mund klappte auf. Dann begann das brodeln tief in meinem Inneren. Es spielte keine Rolle, dass Prisca den Kuss offensichtlich erwiderte. Es spielte keine Rolle, nicht die geringste! Er bedrängte sie, dieser Flavier, und sie war noch nicht einmal gesellschaftsfähig gekleidet! Steif, aber energisch ging ich den beiden entgegen. Meine Wut überdeckte alles andere, auch wenn ich versuchte, mich zumindest im Ansatz zu kontrollieren. "Flavius!" zischte ich scharf und streckte bereits die Hand aus, um ihn wenig sanft von ihr zu lösen, sollte er nicht selbst auf die Idee kommen, schnellstmöglich einen gewissen Abstand zwischen sich und meine Nchte zu bringen. Zornig - und eifersüchtig - funkelte ich ihn hernach an, nicht ohne mich zuvor vor Prisca geschoben zu haben. Ich sagte nichts weiter. Ich wartete auf eine Erklärung, und die hatte von ihm zu kommen, nicht von ihr. Ganz allmählich sickerte noch etwas in meinen Geist. Die Enttäuschung. Ich hatte immer gewusst, dass ich Prisca irgendwann nicht mehr halten konnte, und vor diesem Tag fürchtete ich mich. Nun schien es so, dass er näher gerückt war, ohne dass ich ihn hatte kommen sehen. Und gerade in dieser Situation, in meiner Trübsal, wog diese Erkenntnis hundert mal schwerer als ohnehin schon. Und demjenigen, der mich getrogen hatte, hatte ich noch eine Empfehlung ausgesprochen.


    Flavius Piso.


    DER AEDILIS CURULIS
    MARCUS AURELIUS CORVINUS
    PRÄSENTIERT


    WAGENRENNEN


    ANLÄSSLICH DER
    MEGALESIA
    ZU EHREN DER MAGNA MATER
    UND UNSERES GELIEBTEN KAISERS




    Der Tag hatte schon viel versprechend begonnen. Die Sonne lachte regelrecht vom Himmel, und dieser Tag sollte der Beginn einer frühlingssonnigen Woche werden. An den markantesten Plätzen Roms verkündeten Ausrufer den Beginn der Wagenrennen, um so möglichst viele Interessenten in den circus locken zu können, denn heute sollten Rennen stattfinden! Und jeder, der mitfiebern oder einfach nur Spaß haben und sich mit anderen treffen wollte, war herzlich dazu eingeladen.


    Vier der großen Rennställe gingen heute an den Start: Die Goldenen, die Blauen, die Roten und die Weißen. Klare Favoriten waren die Weißen, das hatten bereits die letzten Rennen gezeigt, doch vermochte man im Vornherein nicht zu sagen, wer letzten Endes sprichwörtlich das Rennen machen würde. Für die Goldenen trat Burolix an, einer der weniger erfahrenen, doch nichtsdestotrotz ein engagierter Fahrer. Die Blauen schickten Tolimedes ins Rennen, der bei den Spielen des Tiberius Durus im Vorlauf Erster geworden war. Die Roten hatten Halil Torkebal gemeldet, dessen stärkster Gegner wohl Felix von den Weißen sein würde. Doch alles in allem versprachen die Rennen, interessant zu werden.


    Für das leibliche Wohl sorgten die zahlreichen Stände, die an günstigen Positionen rund um die Zuschauerränge platziert worden waren. Hier blieben fast keine Wünsche offen. Vom schnellen Happen für zwischendurch, über verschiedene Knabbereien, Wein und Bier bis hin zu Fruchtsäften gab es fast alles zu erwerben. Wetten wurden entgegen genommen und sogar leichte Mädchen boten ihre Dienste feil, um so den etwas ungeduldigeren Herren die Wartezeit bis zum Beginn der Rennen zu versüßen.



    [Blockierte Grafik: http://img59.imageshack.us/img59/6167/sigrennen.gif]

    Ich wusste nicht, ob Siv strategisch vorging. Ob sie sich fragte, wie sie den Augenblick hinauszögern konnte, in dem ich mich von ihr löste, und ob sie nur deshalb nichts sagte, weil sie mich nicht bedrängen und dadurch keinen Rückzug einläuten wollte. Denn wenn sie etwas gesagt hätte, etwas wie damals, dann hätte sie mich unter Druck gesetzt, unbewusst vielleicht, aber das hätte wohl nichts an der Tatsache geändert, dass ich mich gleich wieder verschlossen hätte. Es fiel mir auch so schon schwer genug, derart offen zu zeigen, dass sie mir fehlte. Ich war dessen nur fähig, weil sie mich nicht mehr ansah. Weil ich die Augen geschlossen und mich in ihrem Haar vergraben konnte. Und weil sie mir nicht sagte, was ich bereits wusste, spätestens seit dem Moment, in dem sie mich nicht von sich gestoßen hatte. Deswegen - und nur deswegen - war ich in der Lage, überhaupt auszusprechen, weshalb ich hergekommen war. "Ich kann dich nicht gehen lassen", flüsterte ich in ihr Haar. Ihre Hände lagen warm auf meiner Brust. Ich hätte es sagen können. Ich hätte ihr sagen können, wie sehr sie mich berührt hatte, und dass ich mich ihr einfach nicht mehr entziehen konnte und es auch gar nicht wollte. Doch ich machte kleine Schritte. Ich musste mich erst noch daran gewöhnen, dass es half statt schmerzte, dass es mir gut tat statt schlecht, wenn ich mich öffnete. Vielleicht erinnerte sich Siv an den Tag im tablinum und daran, wie schwer mir solche Dinge fielen. Wie unmöglich sie eigentlich waren.


    So schwieg ich eine ganze Weile, bis es mir vor kam, als schwankte der Raum um uns herum. Erst dann nahm ich den Kopf etwas zurück und drehte ihn, um Siv auf den Scheitel zu küssen. Sie fehlte mir so sehr. Niemals würde Celerina das ersetzen können, selbst wenn Siv nach Germanien ging und mich niemals wieder sah.


    Ich war kein sentimentaler Mensch. Ich machte mir stets zu viele Gedanken, sah das allerdings meistens anders. Ich wägte zu viel ab und tat es zu oft, und ich lebte mit den römischen Sitten und Gebräuchen, nach unseren Traditionen. Ich war nicht emotional - und wenn doch, so hatte ich es zu verbergen, wie es sich gehörte. War ich verärgert, fiel mir das schwer. Sonst war ich annähernd routiniert. Die Erfahrung, die ich gerade machte, war neu. Sie tat gut, aber ich traute ihr noch nicht. Und deswegen sagte ich sonst nichts, sondern schob meine Hand nur an Sivs Kieferknochen entlang und zwang sie sanft, den Kopf zu drehen, um sie küssen zu können.

    Die Situation wurde zunehmend unangenehmer für mich. Es kam keine Reaktion - nicht die winzigste Regung war zu erkennen. Siv starrte mich nur an, als hätte ich sie geschlagen. Fassungslos. Entgeistert. Entsetzt? War sie schockiert über meine Offenheit? Ich war es ja selbst. Nur warum sagte sie dann nichts? Warum blinzelte sie nicht einmal pikiert, weil ich sie hier störte? Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen. Die Anspannung stieg wieder an, stieg ins Unermessliche und schnürte mir die Kehle zu. Es war falsch gewesen, das zu sagen. Hätte ich nur den Mund gehalten oder etwas anderes gesagt! Ich wich ihrem Blick aus und wollte meinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Schon hatte ich mich geräuspert, um zu bemerken, dass sie die Äußerung ob ihrer Irrelevanz schlichtweg wieder vergessen sollte, da sagte sie etwas, und es klang sanft und verwundert, und sie kam näher und hob die Hand. Die Worte steckten ungesagt in meiner Kehle, und wieder einmal war ich unfähig, mich zu rühren.


    Ich sah sie nun wieder an. Wie sie ihre Hand nach mir ausstreckte. Ich musste mich zwingen, den Kopf nicht abzuwenden, als ihre Finger sich meiner Wange näherten. Ich wusste warum. Ich würde dem nicht widerstehen können. So stark war ich nicht. Vielleicht war ich das einmal gewesen, als sie mir weniger bedeutet hatte, doch jetzt nicht mehr. Die Bewegung war sacht wie das Streifen eines Schmetterlingsflügels. Ich zuckte nur kurz zur Seite, schloss dann die Augen und harrte aus. Durch meine Adern rann flüssiges Feuer. Siv klang verwundert, aber ich könnte keine Abneigung heraushören. Vielleicht...wollte sie lieber in der villa bleiben, bis sie nach Germanien aufbrachen? Dort hatte sie es besser als hier. Sogar das wäre mir recht gewesen. Wenn ich sie nur nicht verloren haben würde, und sei es nur für ein paar weitere Wochen. Ich merkte, wie ich allmählich realisierte, wie sehr ich an ihr hing. Es war, als würde ich den Bolzen finden, der eine sonst gut laufende Maschinerie blockiert. Die Lösung war denkbar einfach. Ich hatte mich nur davor verschlossen, ich hatte sie schlichtweg nicht erkennen wollen. Stattdessen hatte ich jedwede Konsequenzen beleuchtet, ausgiebigst bis ins letzte Detail, und alle Eventualitäten abgewägt. Nur eines hatte ich dabei vergessen, und das war ich selbst.


    Es dauerte eine Weile, bis mir das klar war. Es war nicht so, dass mich diese Erkenntnis mit plötzlicher Euphorie erfüllte oder ich ob dessen die bereits getätigten Überlegungen einfach vergaß. Das alles war nach wie vor präsent. Es hielt mich nur nicht mehr davon ab, Siv jetzt an mich zu ziehen, ihr einen Arm fest um die Körpermitte zu schlingen und mit der anderen Hand ihren Kopf so dicht an meine Brust zu pressen, als wollte ich auf diese Weise den Riss kitten, den sie hinterlassen hatte. Natürlich funktionierte das nicht. Aber es tat unendlich gut, sie zu halten. Ich legte die Wange an ihr Haar. Sie duftete anders und doch vertraut. Allein das Gefühl war...unbeschreiblich. Und ich ließ es zu. Worte waren überflüssig. Ich wäre auch gar nicht imstande gewesen, etwas zu sagen. Meine Kehle war nach wie vor so eng geschnürt, dass ich kaum atmen konnte, obwohl meine Sinne so geschärft waren wie sonst selten. Ich stand nur da, presste Siv an mich und genoss das Gefühl, dass es auslöste.

    Als Caecus an diesem Morgen die Post brachte, hatte er einen Brief mit aurelischen Siegel dabei. Er lag zu oberst, und ich riss ihn förmlich an mich - in der Hoffnung, dass Cotta von sich berichtete. Doch als ich das Siegel gebrochen und die ersten Zeile überflogen hatte, war mir klar, wer geschrieben hatte. Aurelius Fulvus. Jener Tausendsassa, der damals Rom und der Politik den Rücken gekehrt hatte, um sich auf seinem Landsitz in Achaia die Sonne auf den Faulpelz brennen zu lassen. Ich hatte ihn nicht oft gesehen, und damals war ich noch sehr jung gewesen, weswegen in meiner Erinnerung bestenfalls ein verschwommenes Bild von ihm. Mein Vater jedenfalls hatte vermieden, die Sprache auf ihn zu bringen, und wenn er doch von ihm geredet hatte, war selten ein gutes Wort gefallen. Einen Sextus Lupus kannte ich nicht, doch der Name zeugte davon, dass Fulvus nicht eben untätig gewesen war. Ich las den Brief zu Ende und legte ihn dann kopfschüttelnd fort.


    "Schlechte Nachrichten?" fragte Pyrrus. Ich zuckte mit den Schultern. "Wie man es nimmt. Ich soll den Sohn eines entfernten Verwandten mit einer Flavia verheiraten", erwiderte ich zweifelnd. Der Name Aetius sagte mir zwar schon etwas, doch war ich mir nicht sicher, in welchem Zusammenhang Celerina diesen Namen genannt hatte. Ich würde sie bei Gelegenheit fragen. "Ach, dann kommt noch einer nach Rom?" Ich nickte. "Ja. Ob er bereits auf dem Weg ist oder nicht, kann ich dem Brief nicht entnehmen. Und auch den Namen der Kandidatin nicht, oder ob eine Verlobung bereits vorbestimmt wurde. Sende ihm eine Zusage. Pyrrus. Und schreibe auch, dass ich es gut heiße, wenn er seine Sprösslinge hierher schickt. Dann bekommen sie wenigstens etwas von der Politik mit." Begeistert klang ich nicht, aber was sollte ich machen? Ich würde mir diesen Lupus anschauen und dann urteilen.

    Ihr Gesicht war nicht schwer zu lesen. Ich machte mich sofort auf den Rückzug. Aufhalten konnte ich das nicht, nur verlangsamen. Zumindest dachte ich das. Ich blinzelte und wandte den Blick ab, schloss dann die Augen wieder und hob die Fäuste kurz an, als ich mich sammelte. "Das..weil... Ich..möchte, dass du wieder zurück kommst", sagte ich und sah Siv an. Es war leichter, als ich gedacht hatte, das zuzugeben. Die Verwirrung darüber konnte ich nicht ganz verbergen, sie äußerte sich in angestrengtem Blinzen, während ich Siv aufrichtig ansah. Verwunderung spiegelte sich in meinem Blick wieder. Schmerz, aber auch Aufrichtigkeit. Ich hatte nicht geplant, diese Worte zu sagen. Ich hatte ihr eine gute Reise und viel Glück wünschen wollen. Das war es, was ich hätte tun sollen. Aber was ich letztendlich gesagt hatte, tat mir gut. Ich fühlte mich besser, auch wenn diese Formulierung höhnisch daherkam, denn es ging mir immer noch schlecht. Ich verzog einen Mundwinkel und brachte damit ein schiefes, fast peinlich berührtes Lächeln zustande, das in beinahe demselben Moment wieder verschwunden war. Erneut entstand eine Pause.


    Von irgendwo her drang ein Lachen von der Straße hinauf. Ich war nun ganz ruhig, zwar immer noch angespannt und unsicher, doch fühlte ich mich der Situation nun eher gewachsen als noch Momente zuvor. Diese neue Zuversicht nahm jedoch rasch wieder ab, als Sekunde um Sekunde verging, ohne dass sie etwas sagte. Ich spürte die Wunde bald wieder deutlicher, die sie hinterlassen hatte, als ich sie zum Gehen gezwungen hatte. Und mir brannten Fragen auf den Lippen. Ich wollte wissen, wie mein Sohn hieß. Wie er war. Ich wollte ihn halten und ganz genau ansehen. Mir jedes Detail einprägen, denn dass Siv dennoch gehen würde, erschien mir nur logisch. Ich hätte es wohl getan, an ihrer Stelle. Und so wartete ich. Und je länger es dauerte, bis sie eine Regung - irgendeine Reaktion - zeigte, desto mehr bröckelte die Zuversicht, bis ich letzten Endes wieder verschossen vor ihr stehen würde. Und dass dieser Moment schneller kam als mir lieb war, davor hatte ich Angst.

    Das Schweigen dehnte sich. Es schien die Luft im Raum zu verdrängen. Etwas wie Panik stieg in mir auf. Ich fühlte mich wie damals. Wie vor ein ein paar Wochen, als ich bei ihr und dem Kind gestanden hatte und meine eigene Unfähigkeit mir den Atem geraubt hatte. Sivs Gesten mit den Händen, die am Rande meines Sichtfeldes nervös miteinander spielten, machten es nicht besser. Ich musste die Hände so fest zu Fäusten bauen, dass die Knöchel weiß hervortraten. Doch diesmal floh ich nicht, sondern zwang mich, stehen zu bleiben.


    Ich schlug die Lider nieder, und als ich die Augen nach einer Weile wieder öffnete, sah ich Siv an. Mein rechter Mundwinkel zuckte, zweimal, dreimal, dann deutete ich ein Kopfschütteln an und holte tief Luft, um sie leise, langsam und zittrig wieder auszustoßen. Mein Kopf fühlte sich ein wie ein übergroßer, mit heißer Luft gefüllter Ballon. Meine Lippen teilten sich, verhielten, versiegelten sich wieder. Ich biss mir auf die Unterlippe. Aus dem großen Raum drang die leise Stimme von Uland, man hörte nur ein sonores Brummen. Dann schloss ich die Augen wieder. Ich musste das tun, anders ging es nicht. Ich musste mir vorstellen, dass ich allein war. Ich musste alles ausblenden. Wie damals, wie vor dem Senat, wie vor über zehn Jahren. Ich musste die Ruhe erzwingen und festhalten. "Deinetwegen." Meine Stimme klang falsch. Brüchig und befremdlich unsicher, aber gefasst. Der Kloß in meinem Hals löste sich etwas, was mich erstaunte, wenngleich er nicht vollends verschwand. Auch die Anspannung wich zu einem kleinen Teil. Ich hatte die Augen immer noch geschlossen. Die Erfahrung, die ich machte, war weitaus weniger schlimm als befürchtet. Ich benetzte erneut die Lippen, schluckte. Dann wagte ich es und sah Siv an. Am liebsten hätte ich begonnen, auf und ab zu gehen.

    Es war seltsam, dass ich mich fühlte wie damals, als ich zum allerersten mal vor dem Senat gestanden hatte, als Kandidat für das Vigintivirat. Aufgewühlt und nervös. Doch es gab hier gar keinen Grund für diese Empfindung. Ich musste mich nicht beweisen. Kein Vertrauen gewinnen, um nicht abgelehnt zu werden. Ich runzelte die Stirn, nachdenklich, bis sie sich plötzlich entspannte, als mir klar wurde, dass sich diese Situation sehr wohl mit der Erfahrung damals vergleichen ließ. Einige Male blinzelte ich, betrachtete dabei Sivs Hände, die verrieten, dass auch sie unruhig war. Wieder hob ich den Blick. Vermutlich wollte sie, dass ich verschwand und sie wieder in Ruhe ließ. Meiner Frage wich sie aus. Meine Mundwinkel zuckten kurz, ich nickte verspätet. Vermutlich sah sie es gar nicht, denn sie schaute auf ihre Finger. Erst als sie die Gegenfrage stellte, trafen sich unsere Blicke wieder. Ich hielt nur einen Augenblick stand, dann betrachtete ich die Lagerstatt zu meiner Linken. Meine linke Gesichtshälfte lag im Schatten. Ich hätte darauf bestehen können, dass sie mir antwortete, aber da war keine Wut in mir, nur Chaos. Und ich konnte einfach keine Ordnung hinein bringen. Als stünde Prisca neben mir, hörte ich ihre Worte wieder. Sie und dein Sohn werden gehen, wenn du sie nicht zurück hältst. Das hatte sie gesagt. Es war egoistisch, wenn ich das von ihr verlangte. Sie hatte hier keine Zukunft, von einem Dasein im Schatten Celerinas einmal abgesehen. Und das sollte sie nich wollen - nicht, wenn sie bei klarem Verstand war. Für sie gab es hier nichts.


    Das Schweigen dehnte sich aus. Priscas Worte hallten in meinem Kopf wider. Schwollen mit dem Rauschen des Blutes zu einem Crescendo an, das mich schier wahnsinnig machte. Ich atmete gezwungen gleichmäßig, und doch gepresst. Und als ich selbst zu antworten versuchte, wusste ich, warum sie der Frage ausgewichen war. Es war zu schmerzhaft, die Wahrheit preiszugeben. Es legte das Innerste auf ein Silbertablett und lieferte es schutzlos aus. Wie ein Schraubstock fühlte es sich an. Einer, der sich langsam feststellte, immer enger und enger wurde. Ich keuchte leise, presste die Zähne fest aufeinander. Die Hände waren inzwischen zu Fäusten geballt. Es war als....wäre ich ein pilum, so starr und steif und angespannt wie ein römischer Wurfspeer. Doch all das ging mir nicht um Kopf herum. Im Gegenteil, ich dachte nur an Priscas Worte, und war doch unfähig zu sprechen. Der Ausdruck, mit dem ich das einfache Lager anstarrte, zeugte von innerem Kampf, von Pein, von einer Spur Angst und dem Gefühl, dass ich nicht hatte herkommen, sondern versuchen sollen, mich mit dem quälenden Riss in meiner Brust abzufinden. Irgendwie. Ich war zum Zerbersten angespannt. Und ich konnte sie nicht ansehen, ihr nicht ins Gesicht sehen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dort Ablehnung zu lesen, und als wäre das nicht schon kümmerlich genug, fürchtete ich, mich schneller in ihrem Haar zu vergraben, als ich sie auf ihre simple Frage hin würde anlügen können.

    Uland blieb sitzen, während seine Frau aufstand und zu Siv ging. Sie sprachen kurz miteinander, doch zu leise, als dass ich es hätte verstehen können, selbst wenn mir die germanischen Worte wieder eingefallen wären. Allerdings machte ihr Blick deutlich, dass es ihr nicht gefiel, den Kleinen abzugeben. Ferun gewann, und kurz darauf hatte sie den Knaben auf dem Arm und schob Siv auf eine gezimmerte Wand zu. Vieles hier war aus Holz. Das war nicht verwunderlich, immerhin war Uland Zimmermann. Und welch hervorragendes Talent er bewiesen hatte, war auch in der Wiege zu erkennen, die er in meinem Auftrag gearbeitet hatte.


    Ich war erstaunt, dass Ferun und Uland beinahe augenblicklich wussten, was ich mit meiner Bitte bezweckt hatte. "Hinten seid ihr ungestörter", bemerkte Uland und deutete in Richtung der behelfsmäßigen Abtrennung. Ich nickte und erhob mich, gleichzeitig fragte ich mich, ob es derart offensichtlich war. Ob ich so offensichtlich war. Langsam ging ich am Esszimmertisch vorbei und auf ein provisorisches Lager auf dem Boden zu. Ferun kam mir entgegen, den Kleinen auf dem Arm, lächelte kurz und deutete an der Abtrennung vorbei. Ich folgte ihrem Wink. Die Schlafstätten waren winzig. Hier drinnen war kaum Platz für zwei, geschweige denn vier, zählte man die Kinder mit dazu. Ich hätte ein Leben wie dieses nicht führen können. Ich wäre mir erdrückt vorgekommen. Eingeengt, regelrecht eingekesselt. Selbst mein Arbeitsraum war mehr als doppelt so groß wie diese improvisierte Kammer, die zumindest den Hauch einer Priivatsphäre sicherstellen sollte. Es gab hier drinnen auch kein Fenster. Das einzige Licht, das noch Konturen erahnen ließ, fiel durch den schmalen Durchgang. Ferun schien sich dessen bewusst zu sein, denn sie schickte Sonnwinn mit einer kleinen Öllampe, noch ehe ich weiter in den Raum hineingehen konnte. Er gab mir das Licht. "Mama sagt, du kannst das reinmachen. Da", sagte er und deutete nach oben. Ich sah irritiert auf und entdeckte eine Hängevorrichtung. Dort hängte ich die Öllampe auf. "Danke", sagte ich, aber der Knabe war bereits wieder verschwunden. Ich starrte dorthin, wo er eben noch gestanden hatte, dann fand mein Blick Sivs Füße, und ich sah langsam nach oben. Das weiche Licht offenbarte mehr, als man vielleicht sehen wollte. Ringe unter den Augen, Fältchen um sie herum. Einen harten Zug um die Mundwinkel. Vermutlich sah ich nicht großartig anders aus als sie selbst auch.


    Mit Mühe unterdrückte ich den Impuls, die Arme vor der Brust zu verschränken und damit eine Abwehrhaltung einzunehmen. Meine Hände waren locker geschlossen, die Daumen rieben über die Haut der Zeigefinger. Ich konnte vor mir selbst nicht verbergen, dass meine Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Und das war auch nach außen hin deutlich. Ich fuhr mir mit der Zunge kurz über die Lippen und schluckte dann. "Geht...es dir gut?" fragte ich Siv leise. Ich wollte nicht, dass Uland und Ferun mehr mitbekamen als unbedingt nötig. Ich fühlte mich schlecht. Als hätte ich ein schlechtes Gewissen, oder Magenschmerzen. Langsam keimte der Zweifel in mir auf, den Verstand zu verlieren. Ich war ganz offensichtlich nicht mehr Herr über mein Handeln. Allein der Gedanke daran, dass ich Siv am liebsten an mich gezogen und mein Gesicht in ihrem Haar vergraben hätte, ließ doch schon darauf schließen, dass ich ein Problem hatte. Ich dachte wieder an das Gespräch mit Prisca, während ich in Sivs Augen sah, die dunkel waren im Schummerlicht. Die Kehle wurde mir eng. Doch ich blieb standhaft - was mir im Übrigen gerade leicht fiel, denn ich war ohnehin wie versteinert.

    Das Weinen des Kleinen wurde zu einem Wimmern. Siv sagte nichts. Dennoch ließ der Klang ihrer Stimme einige Worte in meinem Gedächtnis wiederauferstehen. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf Uland. Er war nervös, und wie konnte ich ihm das verdenken? Ganz gewiss hatte er mit etwas vollkommen anderem gerechnet an diesem Abend. Vermutlich mit allem, nur nicht mit einem Besuch von mir. Bis vor einer Weile hatte ich schließlich selbst nicht damit gerechnet. Offensichtlich hatten meine Worte ein schlechtes Gewissen ausgelöst, denn er beeilte sich, sich zu erklären. Ich hob kurz die Hand, machte eine flüchtige Bewegung und deutete ein Kopfschütteln an. "Keine Sorge. Ich weiß das, und ich bin nicht gekommen, um dir einen Vorwurf zu machen", versicherte ich ihm. Aber das beruhigende Lächeln meiner Worte schien sich partout nicht auf mein Gesicht projizieren zu lassen. Uland strich seinem Sohn durchs Haar. Bei dieser beiläufigen Geste wäre mein Blick um ein Haar abgeglitten zu Siv und dem Jungen auf ihrem Arm. Ich konnte das eben noch verhindern und nickte stattdessen. "Gern." Bona Dea, ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich hier überhaupt einließ.


    Uland griff nach einem prüfenden Blick schlichtweg an Siv vorbei und schloss die Tür. Der nächste Blick, den er ihr zuwarf, war besorgt. Er fragte sie leise, ob es ihr gut ging - vermutlich nahm er an, dass ich es entweder nicht hören oder es nicht beachten würde. Aber ich hörte die Frage sehr genau, und ich warf verstohlen einen Blick auf die drei, als Uland eine Antwort erwartete. Dann legte er kurz seine Hand an Sivs Oberarm, drückte kurz zu und widmete sich mir wieder. "Entschuldige", sagte er. Ich nickte nur. "Ferun! Der Senator Aurelius ist hier", sagte er laut, während er voran ging in den hinteren Teil der...übersichtlichen Behausung. Sie hatte mich ob dessen bereits gesehen und gab sich Mühe, Kleinigkeiten aufzuräumen, ohne dabei herumzulaufen. Wenn sie nur gewusst hätte, wie gleichgültig es mir war, ob die Schüsseln akkurat nebeneinander standen oder nicht, und ob sich ein Breiklecks neben dem Teller befand oder nicht. Dies hier mochte nicht meine Welt sein, vielleicht verstand ich sie nicht vollkommen, doch vermochte ich dennoch, mir vorzustellen, wie schwer es sein musste, hier zu leben. Dass Ulands Weib sich nun der Kleinigkeiten wegen verschämt gab, machte mich traurig. Ich hätte nicht herkommen sollen. Diese Erkenntnis schlug sich wieder einmal durch bis zu meinem Bewusstsein.


    Inzwischen stand ich nahe beim Esstisch. Wie ich hergekommen war, wusste ich nicht - es waren mechanische Schritte gewesen. Weg von Siv. Ferun war aufgesprungen und deutete eine Verbeugung an, während Uland sich für die - kaum vorhandene - Unordnung entschuldigte, man hatte nicht mit meinem Besuch gerechnet. "Möchtest du etwas essen?" fragte sie mich, und ich wollte automatisch mit dem Kopf schütteln. "Ich..." Sie hatten wenig, es mochte kaum für fünf Personen reichen. Doch hätte sie das vermutlich vor den Kopf gestoßen. Ich räusperte mich. "Danke. Eine Kleinigkeit vielleicht", erwiderte ich also. Ferun stob davon, auf der Suche nach einer Schale. Auf dem Tisch stand ein kleiner Topf mit Suppe. "Setz dich doch", bot Uland an, wischte mit der Hand ein imaginäres Staubkorn vom Stuhl und deutete dann einladend darauf. Ich nickte dankend und ließ mich dann darauf nieder. Und ich bemerkte den Blick, den Ferun und Uland tauschten, und wie Uland anschließend vielsagend zu Siv hinübersah. Feruns Antwort bestand in einem Stirnrunzeln, als sie eine Schale füllte und vor mir platzierte. Ich überlegte fieberhaft, wie ich ein Gespräch in Gang bekommen konnte. Irgendwie musste es gehen.


    Ich nahm den Löffel, tauchte ihn in die dünne Suppe und aß. Die Suppe schmeckte mehr nach Wasser denn nach etwas anderem. "Das schmeckt gut", lobte ich. Selbst auf mich machte es einen hölzernen Eindruck. Uland wirkte ratlos. Es war offensichtlich, dass ihm die ganze Angelegenheit seltsam anmutete. Ferun konnte dieses Gefühl besser überspielen. Sie reichte mir ein Stück Brot und setzte sich dann wieder neben das Mädchen, dem sie einen kleinen Stuhl gezimmert hatten, aus dem sie nicht herausfallen konnte. "Ich hoffe, deine Geschäfte laufen gut?" war es schließlich mein Klient, dem ein Thema einfiel. Ich war ihm dankbar dafür, legte den Löffel ab und begann damit, Brot in die Suppe zu krümeln. "Es ist viel Arbeit", erwiderte ich. "Aber ich habe einen guten Stab." Uland nickte. Dann breitete sich erneut Stille aus. Ich wandte langsam den Kopf, sah zu Siv und dem Kind. Es wurde zunehmend dunkler. Die einzige Lampe, die brannte, stand auf dem Esstisch. Sivs Züge waren mehr zu erahnen als zu sehen. Ihre Gestalt wirkte unförmig, weil sie den Jungen hielt. Ich stierte in die Suppenschale hinunter. Ferun tauschte nun ganz offen einen besorgten Blick mit Uland. Ich holte tief Luft, legte das Brot neben den Teller. Dann sah ich auf, blickte über den Tisch hinweg zu Uland, der mir gegenüber saß, und zu Ferun neben ihm. "Könntet ihr einen Moment auf..." Ein Stirnrunzeln verriet, dass ich kurz angestrengt nachdachte. Ich wusste nicht, ob mein Sohn einen Namen trug. Nicht einmal, ob er einen besaß. "...auf den...auf...ihn aufpassen?" fragte ich rundheraus und nickte flüchtig in Richtung von Siv und dem Knaben. Uland runzelte die Stirn und folgte meiner Geste mit dem Blick, dann vertiefte sich sein Stirnrunzeln, doch als er wieder zu mir sah, nickte er. Ferun war es, die antwortete. "Natürlich." Sie klang taktvoll. Blut rauschte in meinen Ohren. Die Suppe hatte ich kaum angerührt, als ich nickte. Ich musste allein mit Siv sprechen. Die Örtlichkeiten würden es wohl kaum hergeben, tatsächlich allein zu sein. Und Uland mit seiner Familie aus ihrer Wohnung zu verbannen, nur weil ich keine weiteren Ohren dabeihaben wollte, kam nicht infrage. Doch daran dachte ich kaum. Ich fragte mich, warum ich dieses Gespräch wollte. Ich hätte umgehend nach Hause gehen sollen.

    Ich verzeichnete den Namen auf den Papyrus, vemerkte den Ort der Produktionsstätte und das Datum der Urkundenausstellung. Anschließend holte ich eine neue Wachstafel aus einer anderen Schublade hervor, klappte sie auf und suchte in der darauf verzeichneten Liste nach einer Zahl. Ich fand sie recht schnell, nickte, legte die Tafel fort und trug eine Summe auf den frischen Papyrus ein. Im Anschluss vermerkte ich die relevanten Dinge ebenfalls auf meiner Tafel und legte den Griffel hernach wieder auf das Wachs. Jetzt folgte noch der Siegelvorgang. Ich redete während der Handgriffe nicht mit der Iunia. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich sagen sollte. Lediglich ein Nicken folgte auf ihren Kommentar.


    Gerade in dem Moment allerdings, in dem ich das Amtssiegel ins Wachs drückte, stand sie auf und ging auf die einzelne weiße Orchidee zu, die in einem hübschen Topf neben dem Fenster auf einem Beistelltisch stand. Ich wandte den Kopf und folgte ihrer Bewegung mit kritischem Blick. Axilla hob die Hand, meine Augen weiteten sich - doch da hatte sie die Blüte bereits berührt. Ich runzelte verärgert die Stirn. Schließlich lief ich auch nicht durch die Zimmer fremder Personen und berührte deren Kunstschätze. Doch die Iunierin schien nicht allzu viel vom Benehmen zu verstehen, so schien es mir. Ich sah zurück auf das Siegel, dessen Wachs inzwischen erkaltet war, und seufzte. Der Siegelstempel war festgeklebt. Mittels vorsichtigen Ruckelbewegungen versuchte ich, ihn aus dem Wachs zu lösen, doch das gelang mehr schlecht als recht. Immerhin schien sie Geschmack zu haben, wenn sie schon keinen Anstand besaß. Ein leises Knacken ertönte, dann löste sich der Siegelstempel mit der Hälfte des Wachses vom Papyrus ab. Ich begann, das Wachs aus dem Metall zu lösen. Ein Unterfangen, das ich lästig fand, und dementsprechend wenig Geduld zeigte ich dabei. Mein Blick glitt zurück zu Iunia Axilla. "Sie stammt aus Asia", bemerkte ich leicht widerwillig. Dennoch war nicht zu leugnen, dass die Iunia unbewusst ein Gesprächsthema gefunden hatte, mit dem sie mich am ehesten einfangen konnte. "Das ist die Königin der Orchideen. Und sie reagiert empfindlich auf Berührung." Vielsagend blinzelte ich Axilla an und hob eine Braue.


    Ad
    Titus Duccius Vala



    Vala,


    bei der Marktkontrolle ist mir der importierte Balsam aufgefallen, den du im Namen des Handelskonsortiums Freya Mercurioque zum Verkauf bietest. Leider liegt der Verkaufspreis unter dem gesetzlich festgelegten Mindestpreis. Ich halte das Edikt für fünf Tage ab heute zu deinen Gunsten zurück und rate dir dringend, die Waren vom Markt zu nehmen oder den Preis entsprechend der gesetzlichen Regelung zu korrieren.


    M. Aurelius Corvinus