Beiträge von Marcus Aurelius Corvinus

    Ich nickte und begann, die Namen der beiden Betriebe auf die Wachstafel zu übertragen. Bedauerlicherweise hatte ich Livius Pyrrus ja zuvor fortgeschickt. Ihn jetzt allerdings rufen zu lassen, hätte nur noch mehr Zeit in Anspruch genommen, also verzichtete ich darauf und erledigte die Schreibarbeit lieber selbst. Viel war es ohnehin nicht. Ich vermerkte die laufende Nummer der Betriebe und dass sie fortan als in Rom geführt laufen sollten. Dann legte ich den stylus fort und griff nach Feder und Tinte, um die Konzession von Alexandrien nach Rom zu übertragen. Ich setzte unter jedes der beiden Dokumente denselben Vermerk, unterschrieb und setzte das Amtssiegel darunter. Eine Weile schwieg die Iunia, so dass ich beinahe vergaß, dass sie immer noch anwesend war. Erst als ich das zweite Dokument gerade siegelte, sprach Axilla mich erneut an und ich sah auf, während ich das Siegel in den erkaltenden Wachs drückte.


    Einen Moment sah ich sie an, auch als sie geendet hatte noch, dann deutete ich kurz ein Kopfschütteln an und sah wieder auf meine Arbeit hinunter. "Was Aelius Archias tut oder nicht tut, fällt auf seine eigene Familie zurück, nicht auf deine oder die Seianas. Vielleicht sollte er daran denken, wenn er die Seinen beim nächsten Mal zu blamieren gedenkt", bemerkte ich beiläufig und reichte Axilla dann geschäftig beide Dokumente zurück. Ob sich das auf dals Malheur bei der Hochzeit oder das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel der Verlobten bezog, ließ ich unerwähnt. "Du scheinst ja nun in der Position sein, ihn zu beeinflussen. Es läge vermutlich auch in deinem Ermessen, wenn das Gerede nicht gar so negativ ausfällt." Ich warf Axilla einen kurzen Blick zu. "Die Originale erhältst du zurück. Ich werde im tabularium die Änderung eintragen lassen, dann sollte es auch keinen Ärger mit den alexandrinischen Behörden geben", informierte ich die Iunia. "Und um welche Neugründung geht es?"

    Meine Worte mussten bei ihr eine mittlere Katastrophe ausgelöst haben, wenn ich danach urteilte, wie sie mich ansah und wie sie auf ihrem Stuhl herumzappelte. Ich wartete schweigend, bis sie sich wieder soweit gefangen hatte, dass zumindest der Mund zuklappte. Auf ihre Nachfrage hin hob ich nur kurz die Brauen, was meinerseits eine Bestätigung der Frage darstellte. Wieder dauerte es einen Moment, bis sich etwas am Gesichtsausdruck der Iunia änderte, und als es dann schließlich soweit war, trat die Erkenntnis in ihren Blick. Und ein Gestammel aus ihrem Mund, dass meine Überzeugung nur noch weiter festigte: Ein Mann, der Seiana für diese Frau ziehen ließ, war entweder nicht ganz bei Sinnen - oder ein hoffnungsloser Romantiker, der es in der Politik ohnehin nicht weit bringen würde. Ich seufzte erneut und erwägte ein zweites Mal, sie zu unterbrechen, doch da brach sie abrupt ab und sah sich mit meinem leicht mitleidigen Blick konfrontiert. Das Geschlecht der Iunier schien auch schon einmal bessere Tage erlebt zu haben.


    "Nun, dafür gewiss nicht", bemerkte ich und machte daraufhin eine fortwischende Handbewegung. "Aber gut. Es bringt nichts, dir gegenüber mein Missfallen auszudrücken. Widmen wir uns lieber deiner Angelegenheit - oder besser der seinen, da er dich geschickt hat, um für ihn den Kopf hinzuhalten." Ich schürzte die Lippen und nahm die beiden Besitzurkunden wieder auf. "Ein Mosaikenleger und ein Architekt also", bemerkte ich mit Blick auf die Dokumente. "Und beide sollen hierher nach Rom transferiert werden. Es ändert sich also nur der Standort des Geschäfts." Fragend sah ich sie an und beschloss, etwas genauer zu werden, für den Fall, dass sie nicht ganz auf der Höhe war. "Also nicht der Name oder der Besitzer?"

    Sechs.


    Leise kratzte die Feder auf dem Pergament. Der Schwung meiner Schrift war nicht halb so anmutig wie sonst, das Ende des Kiels zerkaut, weil ich unbedacht in Überlegungen ein Ventil gesucht hatte, um treffende Formulierungen zu finden. Bisher stand nicht viel dort, nicht mehr als ein paar unzulängliche Worte. Siv, stand da, ich wünsche euch eine gute Reise und hoffe, dass du und. Mehr nicht, denn ich schaute betroffen auf die schwarze Tinte hinunter und stellte fest, dass mein Sohn keinen Namen trug. Er war längst in dem Alter. Vielleicht hatte sie ihm auch einen gegeben. Der Gedanke daran nagte an mir. Ich wusste nicht, wie mein Sohn hieß!


    Ich steckte die Feder zurück in die Halterung. Mein Blick ruhte auf ihrem Namen, der in meiner Schrift dort zu lesen war. Ich legte die Hand auf ihn, strich kurz mit den Fingerkuppen darüber – und zerknüllte das Pergamentstück dann, um es quer durch den Raum in eine Ecke zu werfen. Ich schrieb ihr nicht. Es war besser so.


    Wer bin ich schon – das konntest du mir niemals zeigen.
    Bin ich ein Blatt, das noch beschrieben werden muss,
    bin ich der Schmerz in dir nach einem Abschiedskuss?
    Sag, bin ich dein, auch wenn sich unsre Tage neigen?


    Bin ich ein Meer, das blauer ist als jedes Sehnen,
    Bin ich das schönste Muster im Kaleidoskop?
    Bin ich ein Wunsch, der sich dank dir zum Stern erhob,
    sag, bin ich das versteckte Lächeln unter Tränen?


    Du kennst mich nicht, so wie ich selber mich nicht kenne
    und niemals könnte ich je deine Muse sein.
    Warum kann ich dir keine Fantasien bringen?


    Ich bin wohl nur ein Licht am Nachttisch und ich brenne
    für deinen Schöpfergeist, bin nachts dein Kerzenschein.
    Ach, könnt’ ich deine Träume wie Sirenen singen.


    Ach, könnt’ ich deine Träume wie Sirenen singen
    und dir die Seltsamkeiten dieser Welt erklären.
    Ich will dir keinen Zauber im Moment verwehren,
    doch liegt der wahre Zauber in so vielen Dingen.


    So fürchte nicht die Mitternacht und tiefe Seen,
    denn jeder Stern am Himmel bettet sie in Licht,
    und fürchte auch die Stille und mein Schweigen nicht,
    denn irgendwann bin ich bei dir - du wirst verstehen.


    Ich bleibe, denn das Licht lebt in der Dunkelheit,
    bei dir und zeige dir die Schönheit, selbst im Schmerz.
    Ich werde, wenn du willst, vom Himmel zu dir fliegen


    und zeige dir die Unbedeutsamkeit der Zeit.
    Bis dahin träume weiter – träum dich himmelwärts-
    die Träume, die dich leis’ in Illusionen wiegen.


    Die Träume, die dich leis’ in Illusionen wiegen,
    erhalten mich am Leben, deinen Traumgehalt.
    Ich habe nur für dich in deinem Schlaf Gestalt,
    wie seltsam, welch Gefühle für mich in dir liegen.


    In jedem Traum malst du von mir ein schön’res Bild
    und legst die Ideale fest in einen Rahmen.
    Wie seltsam, denn du gabst mir weder einen Namen,
    noch Wahrheit – wird denn deine Liebe je gestillt?


    Ich kann dich nicht nach deinen Wünschen glücklich machen.
    Was bringt es dir, wenn du mich in den Träumen siehst?
    Du solltest für dein Wohl in and’ren Sphären fliegen,


    weil Traum und Fantasie nur kurzes Glück entfachen.
    Wie seltsam, ihre Blüte ist die einzige, die sprießt:
    Wie konntest du so schnell dem einen, mir, erliegen?


    Wie konntest du so schnell dem einen, mir, erliegen,
    der keinen Funken Zeit für dich verschwenden will.
    Ich habe keinen Platz mehr für dich hier – sei still –
    du kannst nicht mehr mein Kleinod sein, mein Herz besiegen.


    Die Spiele, die wir spielten, sind bedeutungslos,
    es war ein Zeitvertreib im Dunkeln meiner Mauern.
    Und nun denkst du, ich würde dich auch noch bedauern,
    das kann ich nicht, denn meine Kammer ist nicht groß


    genug, auch dir den Schutz des Rückzugs zu gewähren.
    Du warst so lange fort, ich habe dich vermisst,
    du hast die Zeit verspielt, die wir gemeinsam gingen.


    Wie kannst du mich nach dieser Zeit denn noch begehren?
    Es ist nicht schwer, dass du mich, wie ich dich, vergisst:
    Du sahst doch schon, wie Sonn’ und Sterne untergingen.


    Du sahst doch schon, wie Sonn’ und Sterne untergingen
    und doch zieht es dich immer wieder an das Fenster.
    Dein Kämmerchen ist voller Schatten und Gespenster.
    Von der Ewigkeit wolltest du mir singen,


    und Obhut drohte meine Seele zu verbrennen.
    Ich brauche dich, wie eine Rosenknospe Regen.
    Kann ich dich jemals wieder in die Arme legen,
    und ruhig dich wiegen, kann ich deinen Namen nennen,


    und nicht von bitteren Erinnerungen kosten?
    Du bist wie Mond und Sterne, sichtbar und doch fern,
    Doch scheinst du nicht für mich, so folge ich den Pfaden


    nur rückwärts und seh’ dich am Horizont verrosten.
    Doch weiterhin quält mich mit dir ein kleiner Stern:
    „Die Hoffnung ist für dich der letzte Seidenfaden“.


    „Die Hoffnung ist für dich der letzte Seidenfaden“,
    sagt mir mein hoffnungsloser Geist nun jeden Morgen.
    Wo nehme ich sie her, darf ich mir diese borgen?
    Verworfen und aus zweiter Hand – wird schon nicht schaden.


    Ich brauche nichts als ein geliehenes Vertrauen,
    um mich aus meiner kleinen Kammer zu befreien.
    Wirst du mir deines geben, darf ich’s von dir leihen?
    Ich werd’ die Schuld bei dir versuchen abzubauen.


    Sag mir, dass es nicht allzu spät ist, zu bezahlen,
    sag, kann geliehenes Vertrauen auch gut sein?
    Verworfen und aus zweiter Hand – wird schon nicht schaden.


    Bestimme nun mein Schicksal, lass mich wieder blicken:
    Der Vorhang ist für dich geöffnet, Licht bricht ein –
    Doch es ist wohl besser so, ich werde mich verstecken.

    Ich hielt die Dokumente immer noch in meiner Hand und den Kopf gesenkt, sah dabei jedoch die Iunia an, was meinem Blick schulmeisterhaft wirken ließ. Sie war also seine Verwalterin, soso. Nannte man die Dinge heutzutage nicht mehr beim Namen? Dann hatte ich scheinends etwas verpasst. Meine Hand sank langsam, die Urkunden näherten sich beständig der Tischplatte, während die Iunia redete und redete und redete und gar nicht mehr aufhörte. Gleichsam gesellte sich nun auch die zweite Braue hinzu zu der ersten, bis ich mit einem pergamentenen Klatschen die Urkunden vor mir auf den Schreibtisch fallen ließ und eine Hand zur Stirn führte, wo ich mir einseitig kurz die Schläfe massierte, ehe ich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel ergriff. Iunia Axilla redete derweil immer noch. Ich ließ mich in eine bequemere Stellung sinken und legte die Fingerspitzen aneinander, die Ellbogen auf die Stuhllehnen augestützt. So saß ich da und wartete, während Minuten meines Lebens sinnlos an mir vorüberzogen.


    "Vermutlich", bemerkte ich trocken und griff dabei Axillas Formulierung auf, als sie plötzlich verstummt war und ihr offenbar auffiel, dass sie zu viel geredet hatte. Sie hätte sich auch nicht sorgen müssen, dass ich irgendeine der genannten Informationen in irgendeiner Weise weitergeben würde, denn kaum dass sie ausgesprochen waren, waren sie auch schon wieder verschwunden aus menem Gedächtnis. Zumindest entschuldigte sie sich dafür, und sie wirkte auch rechtschaffen zerknirscht. Ich räusperte mich. "Allfällig resultiert deine Nervosität nicht darin, dass du mich wegen einer Amtshandlung aufsuchst, sondern aus dem Wissen, dass es meine Klientin ist, welche die Leidtragende bei dem Grund der Eskalation während des Empfangs letzte Woche ist." Ich kniff ein wenig die Augen zusammen und musterte die Iunia prüfend. Auf die Betriebe und ihr eigentliches Anliegen ging ich zunächst nicht näher ein. Es sprach schon Bände, fand ich, dass dieser Aelius einen Handlanger schickte und nicht selbst hier erschien.

    "Bitte. Gern geschehen", hatte ich nur noch schmunzelnd auf den Dank der beiden erwidert. Sie sollten selbst herausfinden, was es war. Celerinas Geschenk war ebenso unerwartet für mich wie vermutlich für alle anderen. Nur im Gegensatz zu den anderen fragte ich mich, ob sie das kleine Mädchen deswegen verschenkte, weil sie es nicht ertragen konnte, sie anzusehen und zu wissen, dass sie noch kein Kind trug. Die ganze Szenerie ließ mich daher etwas seltsam fühlen, und ich warf Celerina hin und wieder einen kurzen Seitenblick zu, ohne jedoch ergründen zu können, ob dieser vermutete Grund auch der tatsächliche Anlass für dieses Geschenk war.


    Ganz allmählich wirkte auch der widerlich Trunk, den ich heruntergezwungen hatte, und der Kopfschmerz wich - nur leider zu Gunsten einer aufkeimenden Übelkeit, die mich erneut wünschen ließ, doch nicht so viel getrunken zu haben am vorangegangenen Abend. "Entschuldigt mich..." murmelte ich, ganz käsig im Gesicht, und stand auf, ein wenig schwankend, um dann wenig elegant aus dem Raum zu hasten.

    Ich war überrascht, dass sie zusagte, mit mir frühstücken zu wollen. Ich hätte nicht damit gerechnet. Ich hätte eher erwartet, dass sie sich entschuldigte, eine Ausflucht suchte, um nicht noch länger mit mir zusammen sein zu müssen. Und sie überraschte mich weiter, indem sie sich nach vorn lehnte und mich küsste. Zaghaft, zuerst. Meine Hand hielt inne, dann erwiderte ich den Kuss. Es tat gut, an nichts zu denken. Ich ließ mich fallen, und ließ Celerina tun, was sie wollte. Es hätte alles perfekt sein können. Doch während sie sich wünschte, dass es genau das wurde - perfekt - wünschte ich mir, dass ich ein anderer wäre. Jemand, der nicht mit dem Herzen einer anderen anhing, sondern der, den Celerina verdient hatte. Doch aus meiner Haut konnte ich nicht, und mich zu verstellen, lag mir nicht - wie die letzten Wochen bewiesen hatten, denn trotz meiner Bemühungen war diese Ehe dennoch kurz vor ihrem Ende gewesen. Gewesen oder immer noch?


    Ich zog Celerina näher an mich heran, ließ die Küsse jedoch nicht fordernder werden, sondern überließ es ihr, was sie daraus machte. Auch, wenn mich das eine gewisse Willensanstrengung kostete, denn wenn das Feuer entfacht war, konnte man es nur schwer wieder löschen - zumindest bei mir. Doch ohnehin würde ich, egal was sie im Schilde führen mochte, bald austreten müssen.

    Ein Mosaikenleger und ein Architekt also. Ich nickte und wartete, aber die Namen fielen nicht, weswegen ich auch nichts in die Wachstafel ritzte, die ich mir zuvor zurechtgelegt hatte. Ganz offensichtlich schien die Iunierin die Dokumente zumindest mit sich geführt zu haben, auch wenn das jetzt offensichtlich nicht mehr so war. Sie klopfte ihr Kleid ab und suchte auf dem Boden, und meine Braue rutschte marginal hinauf, um sich dort fragend zu wölben. Augenblicklich errötete sie, stammelte sich etwas zurecht und floh dann regelrecht aus dem Zimmer. Ich saß hinter meinem Schreibtisch und fragte mich, ob das wohl ihr Ernst war. Sie kam mir unvorbereitet vor. Oder lag das nur an ihrer Nervosität? Sonderlich klug wirkte sie dabei jedenfalls nicht auf mich, doch musste es wohl auch solche Leute geben. Allerdings war die Iunia in meinen Augen gerade ein lebendes Beispiel dafür, warum man Frauen keine Geschäfte anvertrauen sollte.


    Als sie zurück kam und sich setzte, räusperte ich mich kurz und sah ihr dabei zu, wie sie die Dokumentenrolle hektisch entknotete. Um ein Haar hätte ich ihr geholfen. Das war ja nicht mitanzusehen, wie sehr ihre Finger zitterten und wie aufgeregt sie war. Doch ich legte nur den stylus auf die Tafel, überhörte geflissentlich den undamenhaft gezischten Fluch und wartete, bis sie die Besitzurkunden der Betriebe herausgesucht hatte und mir reichte. Ich nahm sie entgegen und überflog die erste Urkunde. Gleich in der zweiten Zeile stolperte ich über einen Namen. Ich runzelte die Stirn und warf einen knappen Blick auf das zweite Dokument, dann sah ich Axilla fragend an. "Dies sind nicht deine Betriebe?" hörte ich mich sagen, und ich ließ meine ganze Autorität in diesen Satz hineinfließen - und auch die Verärgerung darüber, wie sich der Besitzer jener umzuschreibenden Betriebe verhalten hatte gegenüber meiner Klientin.

    Die prompte Zustimmung fand mein Gefallen, dass ich mit einem erfreuten Nicken verdeutlichte. Damit war der offizielle Teil dann wohl erledigt, und ich konnte Ahala nun ausfragen. "Gut, dann sehe ich dich also morgen Vormittag wieder. Ich habe allerdings noch eine Frage, Tiberius. Dein...Vater ist als pontifex mein Kollege. Uns wurde mitgeteilt, dass er einen Unfall hatte auf seinem Landgut. Ob du mir darüber wohl mehr berichten kannst? Leider war man sich nicht ganz sicher, was genau denn vorgefallen ist, und wie schlimm es um Durus steht. Und nicht zuletzt würde ich gern erfahren, wie es Laevina geht und ob sie bei ihrem Mann ist oder sich in Rom aufhält", fragte ich Ahala also aus.

    "Aber?" wiederholte ich fragend und wartete auf eine entsprechende Erklärung. "Sie sind nicht sauber, Herr! Du bist doch der Ädil, nicht wahr?" "So ist es. Und dass deine Maßbecher nicht sauber sind, ist mir klar, immerhin schenkst du Wein aus und nutzt deine Maße hoffentlich eben dafür", gab ich zurück und schmunzelte belustigt. Ich tauschte einen Blick mit Vala und musterte den Mann dann wieder, der eben seinen Lappen auf den Tresen legte, um nervös seine Hände zu kneten. Ich seufzte, als der Kerl weder etwas sagte noch sich bewegte. "Also gut. Ich fordere dich auf, deine Messgefäße vorzuzeigen, damit mein Kollege Tiberius Ahala sie prüfen kann. Und ich weise dich darauf hin, dass du eine Strafe zu zahlen hast, wenn du diese Forderung verweigerst oder deine Maße nicht stimmen", sagte ich, und Freundlichkeit war nun nicht mehr auf meinem Gesicht zu sehen.


    Der Mann schien noch kurz mit sich selbst zu hadern, dann nickte er hastig und kramte unter seinem Tresen nach einigen Messgefäßen, die er nach und nach auf selbigem platzierte. Ich nickte Ahala zu. Er sollte die Gefäße prüfen und feststellen, ob sie den rechten Inhalt anzeigten. Aus diesem Grund reichte nun ein Sklave dem Tiberier die geeichten Meßgefäße, die wir mitgebracht hatten. Der Händler stellte einen Krug Wein auf den Tisch, trat dann zurück und wartete. Ich war mir schon fast sicher, dass wir es hier mit einem Betrüger zu tun hatten. Noch dazu mit einem ganz schlechten.

    Geduldig sein. Wenn sie wüsste, wie schwer mir das fiel. Ich schloss die Augen und barg mein Gesicht in ihrem Haar, nach wie vor. In jenem Moment war ich nahe dran, ihr von Siv zu erzählen. Von meinem Sohn. Die Situation kam mir zu unwirklich vor, um real zu sein. Ich fühlte mich nicht unwohl in ihrer Gewegnwart, doch zwiegespalten, und auch wenn ich nicht damit rechnete, dass sie hier bei mir bleiben würde, wenn ich es offenbarte, spürte ich dennoch den Wunsch, das Versteckspielen endlich loszuwerden. Der Punkt war, dass ich sie jetzt nicht gehen lassen wollte. Ich wollte glauben, dass wir ein Paar werden konnten, so wie Ursus und Septima den Anschein gaben, eines zu sein. Und ich wollte ihre Wärme an mir spüren, durch den Stoff der tunica hindurch, tröstend und geborgen. Wenn ich jetzt von Siv erzählte, würde sie wohl endgültig gehen. Aus meinem Bett, aus meinem Schlafgemach, vielleicht auch aus dem Haus. Und das war in jener Situation der einzige Grund, aus dem ich schwieg und versuchte, nur an Celerina zu denken und nicht an Siv.


    Ich löste meine Linke von ihrem Rücken und strich ihr das Haar zurück. Wie die Zinken eines Kamms fuhren meine Finger durch ihre dunklen Strähnen, und ich war etwas zurück gerückt, um zu sehen, wie sie dabei aussah. Ich dachte an die Nacht, in der ich ihr draußen begegnet war. Wie ich sie hierher gebracht hatte, nass und nicht ansprechbar. Und ich musterte die gerade Nase, die Wangenknochen, den Schwung der Brauen. Die Lippen. An ihnen blieb ich eine Weile hängen, dann schloss ich die Augen und atmete tief durch. "Möchtest du mit mir frühstücken?" fragte ich sie dann und sah sie dabei wieder an. Ich wollte nämlich nicht, dass sie ging, und wenn ich sie damit hier halten konnte, war es mir recht.

    Ich sah sie an. Kurz zuckten meine Lippen, denn ich wollte reflexartig widersprechen. Doch ich schwieg, und mein Respekt vor Celerina wuchs in diesem Moment deutlich an. Nach allem, was gewesen war, zeigte sie sich nun stark. Sie wusste es nicht, ahnte es vielleicht nicht einmal, aber dass sie sich so verhielt, war in diesem Moment gut - für mich. Sie machte mir keine Vorwürfe. Ich hätte es vermutlich auch nicht ertragen, noch mehr Last auf mein Gemüt zu hieven. Ich schloss erneut die Augen, verharrte kurz in dieser Stellung und zog sie dann an mich heran, vergrub mein Gesicht in dem dunklen Haar, das ihr ums Gesicht floss, und fühlte mich einfach nur elend. Celerinas Haar duftete, wie am Abend zuvor. Ich dachte darüber nach, wie sie riechen mochte, wenn die Sonne an einem milden Sommertag auf sie schien. Doch das war keine gute Idee, denn ich dachte unweigerlich an den Traum, der mich einst nach Germanien geführt hatte, an einen See. Mit ihr. Ich drängte den Gedanken zur Seite.


    "Ich möchte nicht, dass du unglücklich bist", flüsterte ich an ihrem Ohr, in ihr Haar, und presste sie regelrecht an mich. Ihre Nähe tat gut. Das war eine andere Art von Trost als jener, welchen Prisca mir schenken konnte. "Was kann ich tun?" murmelte ich undeutlich, und es klang nicht gerade sonderlich männlich. Ich würgte es mehr heraus als dass ich es sagte.

    Ich lächelte ein aufgesetztes Lächeln, als Gracchus die Wartezeit, die es zweifellos gegeben hatte, hernunterspielte. Er war eben durch und durch ein Mann der römischen Tugenden, und ich ging nicht weiter darauf ein, sondern griff stattdessen seinen nächsten Satz auf, auch wenn ich mich des Gefühls nicht erwehren mochte, dass er diese Frage nur aus dem Grund stellte, weil er wusste, wie sehr gerade alles im Argen lag. "Ebenso wohl wie der deinen, hoffe ich", antwortete ich nicht minder höflich und bereits im Gehen inbegriffen. Seite an Seite schritten wir also dem Eingang entgegen, und ein Sklave des Flaviers eilte voraus, um uns anzukündigen. Im Gegensatz zu Gracchus war ich dieser Tage recht froh, mich auf zusätzliche Hände stützen zu können, und so begleiteten mich nicht nur drei Sklaven, sondern auch die calatores, die mir zumindest in der Funktion als pontifex zustanden.


    Der Sklave kündigte uns an, und sobald er seine Worte gesprochen und zur Seite getreten hatte, war ein strahlendes, erwartungsvolles Lächeln zu entdecken, das von dem Mädchen ausging, welches in der offenen Pforte stand. Sie stellte sich als Claudia Romana vor, und damit war klar, dass sie selbst es war, die geprüft werden würde. "Salve, Claudia", entgegnete ich ein klein wenig steif und musterte sie neugierig. Sie hatte äußerlich rein gar nichts mit jenen Kindern gemein, die ich als Sprösslinge des Menecrates bereits in Erinnerung hatte, wie ich feststellte.

    Gemeinsam mit Imbrex und einigen namenlosen Sklaven war ich heute nach der salutatio aufgebrochen, um meinen Termin bei Flavius Piso wahrzunehmen. Es hatte einiger Kompromisse bedurft, bis man sich schließlich einig geworden war und einen Termin gefunden hatte, der sowohl Piso als auch mir zusagte, denn uns beide nahmen neben der laufenden Amtszeit noch zahlreiche weitere laufende Geschäfte und Pflichten in Beschlag.


    Nun standen wir vor dem Hause der Flavier, und einer der uns begleitenden Sklaven klopfte an die Pforte, um unser Erscheinen anzukündigen. "Der Ädil Aurelius Corvinus und Aurelius Imbrex haben einen Termin zum Gespräch bei Aulus Flavius Piso", verkündete der Sklave, als er gefragt wurde. Und dann warteten wir darauf, dass der mürrische flavische ianitor uns einlassen mochte.

    Irgendwann, nachdem ich den tiefen, gleichmäßigen Atemzügen Celerinas eine Weile gelauscht hatte, war auch ich eingeschlafen. Es war kein erholsamer, tiefer Schlaf, aber er war traumlos, und das war dieser Tage zumindest etwas, denn keine Träume bedeuteten auch keine Konfrontation, keinen Schrecken und kein beklemmendes Gefühl beim Aufwachen.
    Als Celerina erwachte, schlief ich noch. Ein Unterarm lag locker über ihrer Taille und ich atmete schwer, gelegentlich leicht schnarchend. Auch, dass sie sich drehte, bemerkte ich nicht. Erst das Streicheln ihrer Hand nahm ich wahr, und jetzt erwachte ich langsam - was Celerina allerdings nur daran merken mochte, dass mein Atem weniger gedrückt ging, sondern nunmehr kaum noch zu hören war. Im Nebel des Schlafs hätte ich um ein Haar kurz wohlig gebrummt, aber was noch schlimmer war, ich hätte fast ihren Namen gemurmelt. Nicht den Celerinas, sondern den Sivs. Als mir das bewusst wurde, war auch die letzte Müdigkeit schlagartig aus meinem Geist gefahren, und ich hoffte inständig, nicht im Schlf gesprochen zu haben. Doch an einen Traum konnte ich mich nicht erinnern.


    Ich blinzelte verschlafen. Ihr Gesicht befand sich dicht an meinem. Zum ersten Mal fielen mir ein paar blasse Sommersprossen auf, die sonst nie zu sehen waren. Vermutlich schminkte sie sie fort. Ich hob nicht die Hand und erwiderte ihre Geste, doch ich betrachtete ihr Gesicht eingehend. Ihre Haut war hell, aber nicht so hell we ihre. Ihr Haar war seidig, doch es roch anders. Ihre Augen waren braun, nicht blau. Ihre Lippen waren zart, doch fehlte ihnen der trotzige Schwung. Celerina war hübsch, das ließ sich nicht bestreiten. Sie hat das nicht verdient, hatte mich nicht verdient. Ich schloss die Augen und versuchte, schnell genug eine Maske auf meinen Zügen zu fixieren. Es wollte mir nicht gelingen. "Es tut mir so leid", flüsterte ich kaum vernehmbar und meinte damit das, was ich ihr angetan hatte, wie ich sie behandelt hatte. Sie konnte doch nichts dafür. Und ich hätte die Schuld nicht bei ihr oder dem Sklaven suchen sollen, sondern bei mir selbst. Dass ich mit diesen Worten mehr von mir zeigte als sie jemals gesehen hätte, fiel mir nicht einmal auf.

    [Blockierte Grafik: http://img70.imageshack.us/img70/2005/sklave9vv4.jpg] | Brix


    Zur Antwort lächelte Brix sie schief an und bemerkte: "Wird schwer, wenn erstmal tausend Meilen zwischen uns liegen." Er baute erneut einen kleinen Bauklotzturm für Sonnwinn, der ihn ein zweites Mal zerstörte, diesmal freudig quietschend, und sah dann wieder zu Siv hoch. Sein Blick spiegelte die Unentschlossenheit wieder, jetzt etwas zu sagen von dem, was in Sivs altem Zuhause vorging, oder zu schweigen und sie in dem Glauben zu lassen, dass sie unerwünscht war. Brix wurde ohnehin nicht ganz schlau aus dem, was da zwischen seinem Herrn und Siv war, doch er hinterfragte es auch nicht. Er wusste schließlich aus eigener Erfahrung, dass Liebe oft unberechenbar und qualvoll war. Vielleicht wäre ein glatter Bruch daher sogar besser, für sie wie für ihn, denn nach römischen Gesichtspunkten hatte diese Zweisamkeit ohnehin keine Zukunft. Und Brix kannte Corvinus. Er würde niemals etwas tun, das den Ruf seiner Familie beschädigen könnte. Oder etwas, von dem er annahm, dass es die Macht dazu hatte. So sah er Siv eine Weile an und wandte dann den Blick wieder ab.


    "Ach. Nichts. Ich find es nur schade, dass du es dir nicht anders überlegen willst. Wenn du schon nicht an mich denkst, dann denk an dich selbst - ich kann nicht mal eben vorbeikommen und Finn eine Weile beschäftigen, wenn er schreit. Wenn du damit leben kannst..." Brix sah auf und grinste Siv kurz an, dann zuckte er mit den Schultern. "Naja. Wenigstens wird er dann mal ein anständiger Krieger", stellte er trocken fest und baute nebenbei einen neuen Turm. "Frühsommer. Der kommt bald", bemerkte er. "Brauchst du denn noch was bis dahin?"




    VILICUS - GENS AURELIA

    Sonderlich wortreich schien keiner der beiden zu sein, was mich durchaus ein wenig verwunderte, war ich doch sonstig anderes von beiden gewohnt. Woran das liegen mochte, wagte ich nicht zu raten noch einzuschätzen. Also nickte ich selbst ebenfalls nur knapp und abschließend. "Gut. Dann schlage ich vor, dass wir uns um diese Dinge kümmern und dann hier wieder treffen, wenn wir Ergebnisse zu berichten haben. Publius, ich hätte es gern, wenn du mit zu Flavius Piso kommen würdest. Lege den Termin also bitte so, dass du Zeit findest. Das könnte nützlich für deine angestrebte Position innerhalb des cultus sein. Wenn ihr sonst keine Fragen mehr habt, wäre das alles."

    [Blockierte Grafik: http://img70.imageshack.us/img70/2005/sklave9vv4.jpg] | Brix


    Brix hatte gewusst, dass sowas kommen würde. Er tat Sivs Worte mit einer Handbewegung ab - wollte es tun, doch er hielt Finn fest, und ihn nur mit einer Hand zu halten, erschien ihm zu riskant. Also zuckte er nur einseitig mit der Schulter und sagte: "Klar. Mach ich." Und meinte nichts davon ernst. Deswegen setzte er noch ein Zwinkern hinterher, dass Siv zeigen sollte, dass er es natürlich ernst meinte und ebenso natürlich auch selbst daran gedacht hätte. "Möchtest du ihn wieder nehmen?" schob er noch nach, um Siv abzulenken, und das klappte mit nichts anderem besser als mit Finn, der wirklich ein kleines Goldstück war. Er hielt Siv ihren Jungen hin und befreite, als sie ihn wieder nahm, mit seinen großen Pranken sanft seine kleinen Patschehändchen aus seinen Barthaaren.


    Siv klang verbittert, als sie dann antwortete, und Brix sah sie bedauernd an. Sicherlich hätte er nun etwas erwidern können, voller Überzeugung, und sie vielleicht dazu überreden können, doch zu bleiben - auch das wäre damit gegangen, dass er Finn als Vorwand benutzt hätte, dass der Weg zu weit, die Reise zu gefährlich oder die Jahreszeit zu kalt für ein so kleines Kind wäre. Aber er sagte nichts. Er kannte ja Sivs Dickschädel, und er wollte sie nicht drängen, nur weil er derjenige war, der sowohl ihr als auch sein Leiden als solches wahrnahm. So gab er sich mit ihrer Antwort zwar nicht zufrieden, sagte aber nichts, sondern sah sie nur bedauernd an, als ihm plötzlich ein Bauklotz vor die Füße kullerte. Brix verzog das Gesicht zu einem Grinsen und versetzte dem Holzstück einen kleinen Fußstoß, der ihn wieder näher zu Sonnwinn und Lioba rollen ließ. Als er sich Siv wieder zuwandte, war seine Miene wieder ernst, das Grinsen verschwunden. Erneut seufzte er tief. "Vielleicht, Siv, solltest du nicht nur das Offensichtliche als gegeben annehmen, denn das ist das Einfachste, aber nicht immer das Tatsächliche", bemerkte er verdrießlich. Inzwischen hatte Lioba das Klötzchen juchzend wieder zurückgeworfen. Diesmal hob Brix es auf, drehte es nachdenklich in der Hand und ging dann zu den beiden, um sich neben ihnen auf den Boden zu setzen und einen kleinen Turm zu bauen. Sonnwinn zerstörte ihn mit einem Schubser, und Brix grinste. "Wann wollt ihr aufbrechen?" war nun er es, der das Thema wieder fort lenkte.




    VILICUS - GENS AURELIA

    Ich dankte den Göttern stumm, dass sie Prisca damals nach Germanien gesandt hatten, auch wenn der Anlass ein denkbar schlechter gewesen war. Seit jener Zeit, als ich mein Tribunat dort absolviert hatte, waren wir einander näher und näher gekommen, und nun mochte ich sie nicht mehr fortdenken aus meinem Leben. Sie war in diesen Tage der einzige Ruhepol, den ich hatte, einem Anker gleich, der das Schiff selbst bei stürmischer See und unberechenbaren Fluten an Ort und Stelle hielt. Und dafür war ich ihr unendlich dankbar. Bei jedem anderen hätte ich mich ob der Bemerkung wohl noch mehr verschlossen. Ein Mann hielt seine Tränen zurück, wenn er nicht weibisch sein wollte. Die römischen Tugenden brachten Regeln und Pflichten mit sich, und es stand mir nicht zu, sie zu umgehen, nur weil ich mich schlecht fühlte. Und dennoch brannten sich Priscas Worte in meinen Geist, auch wenn ich wusste, dass sie mir nur Mut zusprechen, mich nur trösten und etwas Nettes sagen wollte. Denn Tränen waren kein Zeichen für Stärke, sondern von der Unfähigkeit, sich selbst unter Kontrolle zu haben. Und hier hockte ich nun, ein Römer, Senator und gar Ädil, und wischte mit einer peinlich berührten Bewegung die Tränen fort, die mir schon wieder in die Augen traten und die Sicht verwässerten. Druch den Schleier hindurch sah ich Prisca an, wie sie die Finger unter mein Kinn gelegt und mich liebevoll ansah. Ich selbst blickte gequält zurück. Am liebsten hätte ich mich im Dunkeln vergraben, irgendwo, wo mich niemand sehen konnte und ich nicht Gefahr lief, mich selbst zu offenbaren.


    Wenn ich mich gegen meine Gefühle und gegen mein eigen Fleisch und Blut stellte, würde ich mich ewig grämen. Mochte sie damit recht haben? Ich schlug die Lider nieder. "Aber sie wird gehen", widersprach ich, fast trotzig. Weil ich es so gewollt habe, würde sie mit unserem Sohn nach Germanien gehen. "Und wie könnte ich ihn behandeln wie meinen Sohn? Celerina..." Sie würde mich vollends hassen, mehr noch als ohnehin schon. Ich schüttelte matt den Kopf.