Nachdem Tiberius mit teilnahmsloser Miene noch den ein oder anderen Schluck Wein zu sich genommen hatte, stellte er den Becher mit Absicht schwungvoll zurück auf den Dreifuß, damit das Rascheln der letzten Blätter in den Bäumen, die vom Wind gegeiselt wurden, einmal übertönt war. Dann war er versucht wieder einfach vor sich hinzustarren, doch gerade als er dazu die gebührende Haltung einnahm (nämlich Kinn auf Hand stützend, sodass die Haut ordentlich Falten schlug), drängte sich unabsichtlich ein Sklave in sein Blickfeld. Der Petronier beobachtete den Knaben einen Moment bei seiner Tätigkeit, dann ließ er ihn mit einem "He, du da! Komm mal einen Moment her" zu sich.
Das Kind gehorchte und nahm beinahe schneller als der Wind und bewaffnet mit einigen Putzlappen Haltung vor dem Herren an, wonach es demütigst den Kopf senkte. Tiberius wusste warum dieser Sklave so spurte. Es war ja schließlich noch nicht lange her, dass Cinna, der Halbbruder seines Onkels, hier sein Unwesen getrieben hatte. Dieser Mann war unlängst zu den Göttern gerufen worden, nachdem sein Leben bergab gegangen war, aber das war nun schon eine halbe Ewigkeit her und eigentlich war ihm außer Cinna niemand in der Familie bekannt, der so streng und unmenschlich mit den Besitzen umging.
Tiberius seufzte und reichte dem Knaben mit einer Bewegung, die beinahe einschläfernde Wirkung haben musste, seinen leeren Weinbecher. Der Sklave wollte sofort loslaufen und neuen holen, doch Tiberius ließ ihn innehalten.
"Sieh mich an. Was denkst du? Sieht so ein stolzer Römer aus?" fragte er und runzelte darüber die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. "Nein. Ach, glaub ja nicht, dass es uns jeden Tag gut geht, nur weil wir Römer sind. Es ist ein.... ein ständiges Auf und Ab. Ja, wie Berg und Tal." Er nickte und versank in Gedanken.
Der Junge sah den Herren etwas unsicher an. Er wusste nicht recht, was der Petronier damit meinte oder was er erwidern konnte. Kurz sah er zu dem Weinbecher in seiner Hand und glaubte damit die Ursache für das Geschwafel des Römers gefunden zu haben. Wenn er dem Herren jetzt noch einen Becher voll brachte... Was er wohl dann quatschen würde? Der Sklavenjunge musste sich ein Grinsen verkneifen und trat von einem Bein unruhig auf das andere.
Wurde er jetzt hier noch gebraucht? Bekam der Petronier noch mit, dass jemand außer ihm anwesend war oder schlief er vielleicht mit offenen Augen?
Zum Test räusperte der Knabe sich leise. Tiberius reagierte in keinster Weise, also trat der Junge einen Schritt zu Seite, ohne dass ihm der Kopf oder auch nur der Blick des anderen folgte. Also verschwand das Kind.
"Bitte, Herr." Eine leise Kinderstimme ließ Tiberius aus seinen Gedanken hochschrecken. Der Sklave hatte ihm seinen neu aufgefüllten Becher zurück gebracht. Dabei wollte er doch gar keinen Wein mehr.
Er seufzte ein murmeliges "Danke..." und fasste den Jungen noch einmal ins Auge. "Ist denn außer mir kein Familienmitglied anwesend?"
"Das weiß ich nicht, Herr. Aber ich werde einmal nachsehen gehen, wenn es gewünscht wird."
Tiberius nickte. "Tu das."
Dann verschwand der Knabe auf der Suche nach irgendeinem Familienmitglied.